9t.«4 . DonnerSl^z, 9. August 1YS4 «ett, 5 In Marseille   hat dreivicrtel Millionen Einwohner.' Wieviele--sinh darunter-- dieweder Beschäftigung, noch Wohnung., noch Nahrung haben! Immer neue Einwanderer lammen aus den Kolonien und wollen das gelobte»Mutter­land" erreichen. In Marseille   bleiben sie stecken. In den ersten Tagen verlaufen sie ihr wenig Hab und Gut. und dann leben sie eben, wie sie lönnen. Ei« wohnen im»Quartier reservt". Der Name rührt vielleicht daher, daß das gange viertel für allerlei fragwürdige Existenzen sozusagen reser­viert ist. Ein Rundgang durch diese üble Gegend ist «in gefährliches Unternehmen. Nur mit Hilfe der Polizei kann man wagen, hier einzudringen. Die Straßen sind höchstens eineinhalb bis zwei Meter brett. Namenloses Wend, Verkommenheit,. Ver­derbtheit und Laster haust hier. Verfaultes Stroh, verdorbene Gemüse. Schlempe füllen die Straßen­rinnen, bedecken das Pflaster, Auf Schritt und Tritt stolpert man über fleinere oder größere Misthaufen. Herrenlose Hunde und halbnackte Kinder versuchen, aus diesen Misthaufen ihre Nah­rung herauszufinden. Die großen Hafenplatze mit internationalem Verkehr bergen allerlei dunkle Gcheimniffc. In den engen Gäßchen, in Heinen schmutzigen Kneipen treiben sich Wienschen aus aller Herren Länder herum. Äiatrosen aus allen fünf Weltteilen, die ihr ganzes Leben in harter Arbeit auf dem Meere verbringen, versuchen in der kurzen Zeit ihres Landaufenthaltes all des Vergnügens teilhaftig zu werden, das ihnen auf dem Schiffe vorcnthalten bleibt. Und in dieser Atmosphäre gedeiht das Verbrechen, geschehen Dinge, die selbst die Ein­heimische» nur vom Hörensagen kennen, von denen auch sie nur mit heimlichem Grauen sprechen. Kommt der Fremde in solch eine Hafenstadt, so erwartet er, allerlei wüste Sensationen zu er­leben. Am Ende seines Besuches ist er aber zu­meist arg enttäuscht, denn daö, was er zu sehen bekam, war zwar interessant, doch nichts Unge­wöhnliches, nichts Sensationelles. Die Erklärung für diese Enttäuschung ist durchaus einfach. Der Fremde ist eben nicht bis dorthin vorgedrungen, wo das wirkliche Laster, das wahre Verbrechen haust. Und er kann noch von Glück sprechen, daß er die Kaschemmen, die er suchte, nicht finden konnte; denn diese Lokale sind für jeden Fremden lebensgefährlicher Boden. * Kairo   ist zweifellos eine schöne Stadt. Scharenweise strömen die Fremden, hauptsächlich Amerikaner, herbei, um dann erzählen zu können, daß sie unter den Pyramiden gefrühstückt haben. Kairo   besitzt aber auch eine Hölle, die Ezbekieh» Hölle, die natürlich den Eook-Touristen nicht ge­zeigt wird. Die Straßen dieses verrufenen Viertels bil­den ein farbenprächtiges Bild. Pechschwarze Nubier aus Zentralafrika  , Sudanesen mtt mächtigen großen Ohrringen, Tunesier, Mgc- rier, Syrier. mtt weißer Haut,. Perser, Kurden, Beduinen und zwischendurch Matro­sen, wilde, verwegene Gesellen, bevölkern die Straßen und die vielen BergnügungSlokale. Alles scheint hier für ein Vergnügen brutalster Art ge­schaffen zu sein. In jedem Haus eine Bar oder ein Cafe! Der anspruchslose Matrose nimmt <üleS Dargcbotenc mit Freude und ohne viel Kritik hin. Hier tanzen alte häßliche Frauen unvcr« schleiert. Die Hölle von Ezbekieh ist vielleicht«in« 5ig dastehend in der ganzen Welt. Sie dient nur dem Laster in seiner häßlichsten, abstoßendsten Form. stehen in kleine». winkligen Gassen,»Gänge" ge­nannt, Natürlich auch Kneipen, ja sogar Gast­stätten sind in diesen Häusern üntergebracht. Die Gaststätten bestehen aber nur aus einem einzigen, kleinen Raum, in welchem als einzige Einrichtung zwei Tische stehen, einer für den Aiisschank und einer, für die Gäste. Die Speisen kostest pur wenige Pfennige. Trotzdem wird aber nur wenkg verzehrt. Die Häuser liegen selbst am hellichten Tage im Halbdunkel, und in der Nacht wirken sie geradezu gespenstisch» Es gibt aber auch Lokale derUnterwelt". Sines   der bekanntesten und zugleich auch der vor­nehmsten ist die»Blaue Grotte". Alles ist hier -In Blau gehalten. Ein Glas Grog kostet 20 Pjen- nigc; es handelt sich also hier um einvorneh- 'mes" Lokal. In derFinkenbude" geht es schon, Wiel gewöhnlicher zu. Alles Gesindel, das sich in Sankt Pauli   henimtreibt, hat hier seinen Treff-, punkt. Tritt ein Fremder in dieses Lokal, so ent­steht sofort große Unruhe und erst, wenn es sich herauSstellt, daß er mit der Polizei nichts zu tun hat, beruhigen sich die Gäste. Dann aber kvird derNeuljng" von allen Seiten bestürmt. Fin­stere Gestalten umringen ihn und betteln ihn an. Selbst die Männer, die auf dem Boden ihren Rausch auSschlafcn, werden wach und torkeln zu dem Fcenrden hin. Die»Finkenbude" ist viel­leicht der schrecklichste und trostloseste Platz von ganz Sankt Pauli  . Sankt Paulil Jeder, dec einmal Hamburg   gewesen, kennt die Lokale, die für di- Fremden geschaffen wurden. Das Chinesen­viertel, die kleinen obskuren.Hafenkneipen und die vielen Verbrccherlokale bleiben aber mit sieben Siegeln verschlossene Geheimnisse. Die Chinesenstadt liegt um^die Schmuckstraße herum. Kneipe steht-neben Kneipe, doch nur der Eingeweihte weiß, daß-dies Kneipen sind. Von außen sehen sie aus Ivie bescheidene Privatwöh- nungen. Nur wenn man einige Stufen hinabsteigt- und in den Keller gelangt, wird man gewahr,-Ivo-, hin man geraten ist. In regelrechte Spiel- und' Opiumhöllcn. Die Polizei kann aber nur in den seltensten Fällen solch eine Spielhölle ausheben. Ein Pfiff genügt, der nahende Fremde wird an­gekündigt, und mit Blitzesschnelle verschwindet alles. Scshst die im Opiumrausch Liegenden, werden fortgeschafft. Unweit der Michaeliskirche findet man viele hundert Häuser, die derart schmal sind, daß in jedem Stockwerk nur ein Zimmer ist. Die Häuser um mich zu blicken, weil ich fürchtete, jedermann sähe mir jenen Vorfall an und würde sich über mich lustig machen oder mich gar verachten. Bon dieser Stunde an nagte etwas ip mir und ich wurde das Gefühl nicht los, als Wäre ich minderwertiger als meine Schnlkolleginnen, de­ren Väter ebenfalls eingerückt waren..." No­ras Stimme wurde ganz leise. Ein Tropfen fiel auf des Mannes Hand. Gr spürte ihn wie einen Stich, aber er ließ ihn liegen, denn es war ihm. als verdichteten sich in seinem Spiegeln die Wort- der Frau neben ihm. Ich schämte mich meines Vaters", sagte sie mit einem unendlich wehen Lächeln, .kannst du dir das von mir denken?!"....Aber in der Schule hörten wir tagtäglich und in jeder Stunde nur von der großen Zeit, von Heldentum und von dem Gehorsam, ohne den ein Sieg nicht möglich ist. In meiner kindlichen Phantasie bildete ich mir ein, mein Vater habe cttvas Unehrenhaf­tes begangen und darum schnauzte ihn der Leut­nant an. Vielleicht war mein Vater kein Held? Nicht lange danach kam Lisa, meine Freun­din, mit verweinten Angen im weißen Gesichtchen und schwarz gekleidet zur Schule. Ihr Vater war in Rußland   gefallen. Nach der Stunde drückte» wir Lisa unserBeileid" aus, wie eS uns die Frau Obetlehrerin gelehrt hatte. Unh dann starb auch die Mutter meiner Freundin uns eine Abord­nung der Klasse ging zum Begräbnis. Aber erst viele Jahre später erfuhr ich, daß sich die arme Frau aus Gram über den Verlust des Mannes aus dem Fenster gestürzt hatte... Damals wußte ich nichts davon. Ich sah Nur die allgemein- Teilnahme, die man Lisa entgegenvrachte, wie sie von de» Lehrerinnen, auch von den strengsten, be­vorzugt wurde und vernahm nur das schier Un­glaubliche: Lisa, die jetzt bei ihrem Onkel wohnte, war Sonntag regelmäßig bei der Frau Direktor eingeladen!(Und dabei war das Mädel gar keine hervorragende Schülerin I) Deshalb wunderte eS uns auch nicht, daß gerade sie den Prolog bxi der Festakademie, die anläßlich eines großen Sieges gefeiert wurde, sprechen durfte, womit sie sich mit den anderen Waisen in den größten Erfolg des Abends teilte, denn inzwischen hatten schon viele Kinder ihre Väter verloren... Ich aber, die stets ein ziemlich verborgenes Schuldasein stihrte, lmirde immer eifersüchtiger auf die Mädchen in den schwarze» Kleidern, weil. Der Haffe« der Verkommenen Die Ezbekieh-Höllc Besuch ImLe Quartier reserot" von Marseille   Sankt Pauli Bon Henry klolliS. Nora und die große Zett ... in diesen Stunden, wo sich die Herzen reinigen und alles abstret- f-n..." (Reichspost", 26. Juki 1914.) Seine Hand streichelte sanft die ihre. Die Lippen geschloffen, blickten sie beide mtt glänzen­den Augen in die hellen Vierecke des heraufkom­menden Abende im Fenster. ... noch heute packt mich das Grauen und ich komme nicht los von ihm..." Da­bleiche, mädchenhafte Antlitz glühte, die großen dunklen. Augen hatten alles Licht des scheidenden Tages gesammelt und glänzten st» tiefer Erre­gung. Der Mann liebkoste, erstaunt über diesen Ausbruch und um zu- beunruhigen, ihr schwarzes Haar. Jetzt wandte sie ihm das Gesicht zu. Sein Warten zwang sic zu sprechen. Bei Kriegsausbruch war ich genau acht Jahre. Auch mein Vater mußte einrückcn. Es ging uns anfangs nicht schlecht und wenn mir manch­mal durch die Stadt gingen, die ganze Familie, waren wir riesig stolz auf unseren Vater. Bis wir eines Tages einem Offizier begegneten. Mein Vater grüßte, ich sah genau-, wie er die Hand vorschriftsmäßig an die Kappx-führt«, aber,,dem Herrn Lentnamit paßte- irgend'cttvas nicht und er stellte ihn zur Rede. Ich erschrak, so schrie er und meine Mutter umkrampfte in ihrer Aufle­gung so fest meine Hand, daß mfl die Tränen ka­men. Ich aber starrte lautlos auf meinen Vater, der blaß und»Habt Acht" vor dem Offizier stand, dessen Brüllen wir befanden uns auf dem Kärntncrring schon eine Menge Leute herbei­gelockt hatte, vor denen ich mich am liebsten in die Erde verkrochen hätte. Ich verstand kein Wort, mir fiel nur die Jugend des Leutnants auf, der glatt­rasiert>var, während mein Bater damals einen schönen Bart trug, auf den ich besonders stolz war, denn richtige Papas müssen Bärte haben", sagte ich immer... Ich kann dir gar nicht schildern, was es für einen furchtbaren Eindruck auf mich machte, als ich jemanden mit meinem Vater, der doch bisher der Inbegriff des Besten, Gescheitesten und Vorbildlichsten für mich gewesen war, wie mit einem kleinen Jungen schelten hörte... Wir gingen dann sofort nach Hause, Vater sprach den ganzen Weg nichts, die Mutter weinte. Ich blickte krampfhaft zu Boden und wagte nicht ich auch so gefeiert»md im Mittelpunkt jeglicher Aufmerksamkeit zu stehen wünscht« und davon träumt«, von allen Menschen verwöhnt und mtt Liebe, Mitleid und Bedauern angesehen zu wer­den. So wie Lisa... Um diese Zeit ging mein Bater mtt seinem Regiment nach Serbien  ". Noras Atem kam stoßweise. Die Tränen ran­nen unaufhaltsam aus offenen Augen.Ich ver­mag nichts zu erklären, ich will nichts beschöni­gen ich kann nur erzählen, wie es gcwefeü ist. Ich weiß, daß ich bei jedem Feldpostbrief lauernd in das Gesicht meiner Mutter starrte. Ich erin­nere mich an die fürchterlichen Nächte, in denen ich die sündigen und schrecklichen Gedanken vergeb­lich zu verscheuchen suchte, diese Gedanken, die wie eine Krankheit mein Inneres verheerten. Was kümmerten mich vernachlässigte Schularbeiten? Sfleitsüchtig und unausstehlich ließ ich die Rügen der Lehrerinnen über mich ergehen und dachte nur: Es wird schon anders werden...! Und es wurde anders. Zehn Tage nach mei­ner letzten Strafe ich hatte hundertmal: Ich soll nicht schwätzen! und fünfzigmal: Ich soll nicht unaufmerksam sein!, zu schreiben! kam ich mittags heim und finde die WohnungStür offen. Ahnungsvoll stürnie ich durch die Küche und treffe im Zimmer die beiden Nachbarinnen, Heren verstörte und traurige Mientn mitteilsam genug waren. Mutter lag bewußtlos auf dem Diwan. Der Luftzug wehte xin amtliches Formular vom Tisch auf die Erde... Zwanzig Jahre sind seither vergangen, aber noch immer gellen mir die Schrcikrämpfe meiner Mutter in die Ohren, als sie auL ihrer Ohnmacht erwachte.. So bekam auch ich mein schwarzes Kleid, die Kolleginnen drückten mir ihr Beileid aus und auch die Frau Oberlehrerin behandelte mich nun sanft und freundlich. Nie mehr erhielt ich eine Strafe wegen Schwätzens, denn ich wurde schweigsam. So schweigsam, daß der Arzt Ner» verzerrüttung feststellte und ich ein halbes Jahr der Schule fcrnblribrn mußte. Dann schrieb er mich gesund, redete mir gut zu und sagte zu mei­ner Mutter: Sie hat ihren Bater wohl sehr lieb gehabt? Na, sie wird schon vergessen sie ist doch noch ein Kind! Er wußte ja nicht, daß mich Gott für ineine eitlen Gedanken gestraft hatte und er hörte nicht die Stimme, die unablässig heute, wie vor 20 Jahren in mir ruft: Du hast deinen Bater getötet..." Noras letzte Worte erstickten in einem herz­erbrechenden Schluchzen. Tief beugte sie sich, bis ihr Gesicht die Hand des Mannes berührt^. Der strich tröstend über das Weinen, hob dann den Kopf wie den eines Kindes zu sich und sprach mit seiner dunklen Stimme, in der der Strom des Schmerzes verebbte: «Du Liebes, du! Wie. darfst du so etwas sa» gen! Wenn es den Gott gibt, zu dem die Millionen,, beten, von dem sic Erlösung hoffen glaubst du,,, daß dieser Gott die dummen Gedanken eines klei­nen Mädels so fürchterlich rächte? Kannst du dir das von Gott   denken? Glaub mir, nicht Gott hat Schuld und auch nicht die achtjährige Nora, daß Väter sinnlos gemordet wurden. Schuldig sind dir Menschen, die den Krieg bejahen, schuldig sind alle, die ihn als etwas Gottgewolltes hinnehmen und in den zlvanzig Jahren vergessen konnten! Schuldig sind die Worte Heimat, Vaterland und Ehre solange das Vaterland nicht die Heimat der Menschlichkeit und ihrer Ehre ist11" Der Weg in dieses Vaterland ist weit". Wir haben ein Leben lang Zeit, ihn zu gehen". Man braucht viele Leben, um an sein Ziel zu gelangen". Daß cs dieses Ziel gibt lohnt alle' Mühen..." ES war dunkel geworden. Durch das Fenster glitzerte ein Stern. Flug durch de« Nebel Die Svmmersonne schüttet ihre goldene» Strahlen über Prag  . Unser Flugzeug hebt sich brausend in die Lust. Die schöne, geliebte Stadt grüßt herauf und bwld versinken die Spitzen des Huchschin im blauen Dunst. Fruchtbar und fried­voll dchnt sich tjef unten das böhmische Land. Die Felder sind fast all« schon geerntet. Manchmal ste­hen noch die Puppen; ihre Schatten bildeten win­zige Punkte. Das SWerband der Moldau windet sich in unsichtbar« Fernen und umschlingt die grü­nen Pläne und dunklen Wälder der Heimat. Fabrikschornsteine sind wie auf einen Tisch ge­spießte Streichhölzer; wenn sie Rauch M den Him­mel stoßen, sind sie auch von oben imposanter. Schafe und Rinder sind auf den Werden. Ur« Bewegungen teilen sich dem entfernten Auge nicht mtt. Dies gleüet auch bald über die Einzelheiten hinweg und sucht die Fern«. Nur langsam wech» selt das Bild. Das Flugzeug scheint durch die Lust zu kriechen. Mer das ist eine Täuschung. Von der festen Erd« aus gesehen bewegt es sich in sau­sendem Fluge vorwärts. Dort schickt eine Schnecke weihen Rauch noch oben; es ist ein Expreßzug. Sein ächzendes Hasten vermittelt uns eine Vor­stellung Äer die Relativität von Raum und Zett. » Die dunklen Warzen, die jetzt unten auf dem Antlitz der Erde zu sehen sind, erkennt man als die Mittelbergs in der Nähe Bilins. Da die Sonne scheint, sieht man an den. Schatten ihre Kegel- sorm. Sonst finken für das Auge des Men Sitzenden alle Berge sanft in die Ebene »rück. Und das Erzgebirge  , das toi« jetzt bei Dux anfliegen, ist nur ein.Kranz von Waldern, kapm unterbrochen von weißen Straßen und lich­tem Wiesengrün. Und siehe: an seinem nörd­lichen Rai«de steht eine dunkelgraue Wand, der sich unsere Maschine rasch nähert. Bald sehen wir die Sonne nicht mehr. Unten huschen weiße Fet­zen ii6et den Wald, an die Fenster unserer Ka­bine peitscht der Regen. Der Kreis, den wir von oben Übersehen, ist kleiner geworden. An seinem Rande verschwimmt das dunkle Grau der Erde mit dem der Wolken und d«S Nebels. Wir fliegen über dem Dritten Reich. « In diesem Nebel scheint das Land stiller zu sein als das unter der Sonne. Friedlich sind auch die Städte, die wir überfliegen. Menschen sind aus dieser Höhe überhaupt kaum zu sehen. Die Fahrzeuge scheinen ihre Garagen nicht zu verlas­sen. Leipzig   gleicht auch von oben einer toten Stadt. Rings um den Bahnhof, wo immer regstes Leben und Treiben herrschte, ist alles still. Kaum ein fahrendes Auto ist zu xrblicken. Die Schorn­steine der Fabriken rauchen ni«P. Dafür aber hän­gen überall Fahnen. Besonders in den kleineren Städten, wo einer den anderen kennt und kon­trolliert. Man sieht von oben nicht, daß sie auf Halbmast gesetzt sind. Es ist, als ob man geflaggt hätte aus Freude über den Tod Hindenburgs. Man weiß: diese Freude ist echt. Die Trauer ist geheuchelt. Des deutschen   Spießers Herz jubelt, sein Hitler   hat nun freie Bahn'. Er kann die Un­tertanen herrlichen Zeiten entgegenführen. Ueber dem ganzen aber liegt Nebel. Wir landen in Leipzigs   Große auf Halbmast gesetzte Flaggen hängen- regensehwer an den Stan« gen. Eine mächtige Hakenkreuzfahne ist darunter. Ein halbes Dutzend SA-Leute sind da. Man weiß nicht recht wozu. Aber die tragen nagelneue Uni­formen mck> Stiefel und kommen sich sehr wich­tig vor.Heil Hitler  !" llingtS auf allen Seiten. In dem Gauleiiergesicht mir gegenüber sitzt ein stilles, zufriedenes Grinsen. Darunter macht sich eine schwarze Krawatte wichtig. Na ja, Hinden­ burg   ist gestorben. Da trägt man Schwarz, Weils die Partei befiehlt. Es kostet nichts Und die Treue ist das Mark der Ehre. Wie beschimpfte man den Alten, als er den Doung-Bertrag unterschrieben hatte! Die Ehren, die man ihm nachher erwies, galten nicht dem Präsidenten, sondern dem Ver­räter der Verfassung, dem Charakterlosen, der da^ deutsche   Volk Hitler   auslieferte. Man ehrt den Toten. Mit einer schwarzen Krawatte und verständnisvollem Grinsen. Ueber dem Ganzen aber liegt Nebel. * In di« Wälder Mitteldeutschlands   find rote Städte gebettet. Sie sind ganz still. Die Fahnen hängen an den Ziegelbauten noch dichter als an­derswo. Wir werden aber davon immer wieder abgelenkt. Denn vor uns türmen sich neue Wol­kenwände, Blitze zucken auf und wir steigen hö­her. Riesige Wolkenhaufen wälzen sich unten vorüber, Wälder und Städte verdeckend. Der Regen schlägt an die Scheiben, aber wir hörens iiü Donnern der Maschine nicht. Den Lauf der Flüsse unterbrechen Wolken, die sich vor das Auge hängen; oft zeigt sich, daß cs nicht Flüsse, sondern verregnete Asphaltstraßen sind. Straßen, auf denen weit und breit kein Auto fährt. Bald aber liegt ein helleres breites Band in der Ferne und unten leuchten die Feuer von Halden und Hochöfen. In de» grauen Nebel mischt sich schwar­zer Qualm und weißer Dampf. Fördertürme stehen links und rechts, gesck iftig fahren auf dicht nebeneinander liegenden Geleisen Lokomo­tiven hin und her. Wir fliegen über da- Ruhr­ gebiet   und landen bald in EssenMühlheim  . Noch sind wir im Dritten Reich  , noch sind wir im Nebel. # Man fühlt hier auf dem Eosener Flughafen eine andere Atmosphäre. Hier weht keine Ha­lenkreuzfahne, hier klingt kein Hitlergruß, hier gibt es keine SA. Hier ist alles so zivil, daß man kaum glaubt, im Dritten Reich   zu sein. Es ist katholisches Gebiet. Hier denkt man wohl mchx an Cläusener als an Hitler.   Bald donnert die schwere Maschine wieder empor. Und wie wir uns der Grenze nähern, ändert sich unten wie­derum di« Landschaft. Dampf und Qualm blei­ben in dec Ferne, grünes Marschland breitet sich aus, mit vielen Armen umfängt die Maas das fruchtbare Land, Windmühlen   drehen ihre Arme durch die Lust. Der.Kontrast zwischen dem Grün der Marschen und dem Silber des Wassers wird stärker: von"den Flüssen blitzt eS herauf. Es ist die Sonne, die sich in ihnen spiegelt. Wir sind über freiem Land, der Nebel liegt hinter uns. Im Fluge verging uns die Zeit,!m Fluge näher­ten wir uns dem Licht. Deutschland   wird länger brauchen, ans dem Nebel hinauszukommen. Bald nimmt das brausende Leben Rotter­dams Augen und Sinne gefangen. Pon freier Erde fliegt ein Gruß in die freie Heimat. Er fliegt durch den Nebel. Wer die Sonne wird siegen!- 9. K..