Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI

IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TAGLICH FRUH. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. ADMINISTRATION TELEFONI 53076. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG .

14. Jahrgang

Dienstag, 4. September 1934

Amerikas Textilarbeiter

Die größte Kraftprobe der amerikanischen Gewerkschaften

im Kampf

Die Bereinigten Staaten stehen vor dem größten organisierten Kampf zwischen Arbeitern und Kapitalisten, den ihre Geschichte bisher kennt. Die Gewerkschaft der Textil­arbeiter hat für Mitternacht die Streifparole ausgegeben und die American Federation of Labour der Gewerkschaftsbund also hat sich mit den Textilarbeitern solidarisch erklärt und ihnen jegliche Unterstützung zugesagt.

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Die Zahl der Streifenden wird sehr verschieden angegeben. Man spricht von einer gan­zen Million, andere Schägungen von 660.000 Arbeitern, und zwar 407.000 Banmwoll­arbeiter, 150.000 Seiden- und Kunstseidenarbeiter und 103.000 Baumwollarbeiter in 2871 Fabriken. Rund dreiviertel Million kommen für den Streik beginn auf jeden Fall in Betracht. An der Spise der Streitleitung steht Francis Gorman, der in der Vorbereitung des Streits eine große Aktivität entfaltet hat. Er verstand es, sowohl die öffentliche Meinung zu mobilisieren als auch finanzielle Mittel der gesamten Arbeiter­schaft bereitzustellen. Ob diese Mittel, wie er behauptet, jeder Streitdauer gewachsen sind, wird sich allerdings erst erweisen müssen.

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Die Gewerkschaftsführer sind in der Mehrheit optimistisch. Sie haben den günstigsten Augenblick für den Streit den Abschluß der Baumwollernte gewählt und hoffen, durch die solidarische Hilfe aller in der A. F. of L. vereinigten Gewerkschaften die Aktion der Textilarbeiter zum Erfolg führen zu können.

nicht gewillt erwiesen, gegen diese Uebelstände entsprechend aufzutreten. Die Arbeiter schen im Streit die einzige Rettung.

Eine Gefahr ist freilich, daß der Streit in den Nordstaaten durchgeführt wird, aber gerade im Süden, wo die Unternehmer sich anschicken, schon die ersten Schritte der Arbeiter mit Waffen­gewalt zu unterdrücken, nur lückenhaft gelingt. Die Forderungen, auf die sich die Arbeiterschaft geeinigt hat, sind folgende:

1. Sechsstündiger Arbeitstag und fünf­tägige Arbeitswoche bei gleicher Bezahlung für alle Bezirke;

2. Keine Verminderung der jetzigen Wochenlöhne;

3. Aufhören der Zurückschung in der Be­handlung organisierter Arbeiter;

4. Aufhören des Branches, die Zahl der von einem Arbeiter bedienten Webstühle zu vermehren, ohne zugleich den Lohn zu erhöhen; 5. Anerkennung des Verbandes als Ver­treter der Arbeiter bei Verhandlungen;

6. Einschung eines Schiedsgerichtes; 7. Stärfere Vertretung des Bundesamtes zur Behebung der Wirtschaftskrise in den Ar­beitsämtern der einzelnen Bezirke.

Die Ursachen des Streifs sind nicht so sehr walttäter, die Verwaltung forrupt und dem Kapi­wie bei den lebten amerikanischen Arbeitstonflit- tal jederzeit zur Verfügung. Infolgedessen wer­ten in Lohnforderungen, als in den realtio- den in den Südstaaten Geseke und Ur. nären sozialen Zuständen der Süd- beitsverträge grundsäßlich nicht taaten gelegen. Diese ehemaligen Stlaven- beachtet. Die Arbeiter werden maßlos ge= staaten, die erst nach dem erbitterten Sezessions- schunden und jede Widecspenstigkeit wird von gel­frieg( 1861-1864) unter dem militärischen ben Garden der Unternehmer mit harten Strafen Druck der von Abraham Lincoln regier belegt. Auf dem Kongres der Textilarbeiter zeig­ten Nordstaaten die Stlaverci abgeschafft haben, ten viele Delegierte der Südstaaten die Nar­Von dem Ausgang des gewaltigen Kampfes kennen den Typ des modernen Unternehmers ben und Wunden, die von den Knütteln, in Amerifa hängt für das Weltproletariat viel ebensowenig wie einen modernen sozialen Staat. Peitschen und Waffen der Unternehmerföldlinge ab und die Arbeiter aller Länder verfolgen ihn Die Unternehmer sind unzivilisierte brutale Ge- herrühren. Die NRA hat sich als zu schwach oder daher mit der größten Spannung.

Winkler enthüllt

Aus der Idylle des Austrofascismus

das Doppelspiel Feys

Der ehemalige österreichische Vizekanzler Winkler, der sich im Egerland aufhält, hat einem Redakteur des ,, Prager Montagsblatt" ein Interview gegeben, in dem er neuerlich auf die Rolle zu sprechen kommt, die der Generalstaats­kommissar für das Sicherheitswesen, Major Emil Feh, in diesem Sommer gespielt hat.

Winkler behauptet, daß der Landbund reine Hände habe und daß die Korruptionsbeschuldi­gungen Lügen seien, deren Verbreitung der Re­gierung durch die völlige Knebelung der Presse= freiheit ermöglicht werde. Auf Sozialdemokraten und Nationalsozialisten habe man mit Artilleric, Maschinengewehren und Karabinern geschossen, auf den Landbund schieße man ,, mit der Munition der Verleumdung".

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,, In der Regierung sagt Wintler sitzt mancher Korruptionist"- eine Bemerkung, die bermutlich auf Feh gemünzt ist, von deffen Bechselgeschäften ja vor und nach den Febertagen oft und viel die Rede war. Aber auch Star hemberg, der Söldling des Hirtenberger Pa­tronen- Mandl kann sich bei der Nase nehmen.

Ueber den 25. Juli sagt Winkler, daß der Butsch eine isolierte Aftion ungeduldiger Ele­mente gevesen sei, was schon daraus hervorgehe, daß die Wiener SA gar nicht mobilisiert worden fci.

lleber die Rolle des Fey befragt, erklärte Winkler:

,, Wie ich in letzter Zeit erhoben habe und mir war vieles davon schon bekannt haben Heimwehrführer und Heimwehrgruppen in den lekten Tagen vor dem Butsch intensiv mit den Nationalsozialisten verhandelt. Nach der Regierungsumbildung am 11. Juli, bei der Feh vollständig in Ungnade fiel und des Sicherheitsrefforts entkleidet wurde, war er nicht nur erbittert, sondern auch entschlof= fen, mit den Gegnern des Re= gimes, besonders mit den Na= * ionalsozialites gemeinsame

tionalsozialisten als unversönliche Feinde gegen sich. Sie werde jich nicht halten. Eine Befriedung Desterreichs hält Winkler nur durch die Ausschal tung einseitiger ausländischer Einflüsse und durch die Wiederherstellung der Demokratic für möglich. Das Volk müsse ein Mitbestimmungsrecht haben.

Es erhebt sich nach diesem Interview von Sache zu machen, um die Regierung und neuem die Frage, wie lange Herr Kurt Schusch­vor allem Dr. Dollfuß so rasch nigg, Bundeskanzler und Justizminister als möglich zu stürzen. Dazu von Desterreich, noch Herrn Fey in Amt und fam, daß sich sein schlechtes Verhältnis zu Würden lassen und wie lange er durch sein Patro­Starhemberg nicht reparieren ließ. Fch hat nat das ordentliche Gericht a bhal= noch in den letzten Tagen vor dem Putsch durch ten wird, über Emil Feh die längst fällige Un­einen sehr bekannten Heimwehrführer, deffen tersuchungshaft zu verhängen, damit in aller Namen ich heute noch verschweige, den ich aber Ruhe ergründet werden kann, wer am 25. Juli noch neunen werde, mit den National geputscht hat. Herr Schuschnigg wird hoffentlich fozialisten verhandelt. Er hat nicht glauben, daß er auf Kreditsuche gehen kann, damit die Nationalsozialisten außerordentlich solange er den Klein- Goering Fch in seinem Ka­ermuntert, den Kampf gegen Dr. Dollfuß zu| binett hat! verstärken. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß die reichsdeutschen National­fozialisten ihre Archive dar=

Und die restlichen 500?

über einmal öffnen werden f Wien , 3. September. Der Staatssekretär für Damit werden Vermutungen und Behaup- die Arbeiterbewegung im Ministerium der sozia­tungen erhärtet, die in der ausländischen Presse len Verwaltung Grossauer fündigt die baldige bereits wiederholt aufgetaucht sind. Eine syste- Entlassung von 300 ſozialdemokratischen Häftlin­matische Kampagne gegen Feh haben die Euro- gen aus den Gefängnissen und Anhaltelagern an. päischen Hefte" geführt, die ihn auf Grund vie- In den Anhaltelagern sind noch ungefähr 800 ler Indizien der Mitwisserschaft, wenn nicht der Häftlinge. Von diesen werden laut dieser Ankün­Urheberschaft an dem Putsch bezichtigten. Wir digung in den nächsten Tagen 300 freigelassen selbst haben wiederholt auf die Verdachtsmomente werden. Die Führer bleiben aber weiterhin in hingewiesen, die gegen den Theresienritter bor Saft. liegen.

Winkler deutete weitere Enthüllungen an.

Er sagte:

"

,, nnerhalb der Regie rungsfront aber befinden sich füh rende Männer, die über andere zu

Gericht fiten und selbst auf das fchwerste belastet sind. Die Welt wird noch stannend erfahren, wieweit die Ber­bindungen zwischen den Nationalsozialisten und den höchsten Stellen des Stantes, der Po= litik, der Bürokratie und des Schuh- Korps ge­dichen waren und sind.".

Auf die Frage, ob er den Frieden Defter reichs für gesichert halte, erklärte Winkler, die jeßige Regierung begehe die gleichen Fehler wie die frühere und habe Sozialdemokraten und Na

Das Auslandsbüro der österreichischen So­sialdemokratie hat mehrere Berichte erhalten, die beweisen, daß unsere in den österreichischen Ge­fängnißfen fibenden Genoffen noch immer elend behandelt werden. In einem dieser Fälle hat ein Genoffe, der wegen der Feberkämpfe bereits ver­urteilt wurde, in feiner Haft 15 Kilogramm von feinem Körpergewicht verloren.

120 Kommunisten verhaftet

Wien , 3. September In Wien wurden am Sonntag im 10., 20. und 21. Bezirk orei geheime tommunistische Versammlungen von der Polizei ausgehoben und insgesamt 120 Personen ver haftet, von denen sich 70 noch in Haft befinden. während 50 Personen in das Wöllersdorfer Kon­zentrationslager abgeschoben wurden.

Einzelpreis 70 Heller

( einschließlich 5 Heller Porto)

Nr. 206

Die neue Phase des Rooseveltschen Planes

Dieser Aufsatz gewährt einen näheren Einblick in die politisch- wirtschaftlichen Hintergründe des Riesenkampfes der ame= rifanischen Tertilarbeiter. Wir veröffentlichen ihn, ohne die optimistischen Schlußfolgerungen des Verfassers zu tei­len. Die Red.

Nach den Wirtschaftszahlen für den Juli ist ein Rückschlag in der fonjunkturellen Entividlung der Vereinigten Staaten eingetreten. Die Pro duktion von Stahl- und Roheisen ist besonders hart betroffen. Die bisherigen Maßnahmen der Regierung der Vereinigten Staaten zur Durch­führung des New Deal " reichten nicht aus, um die Bewegung aus der Depression zur Kon­junktur bis zur Auslösung der Konjunktur vor­wärts zu treiben. Niemand sieht die Notwendig keit der zweiten Phase flarer als der Präsident derwahl eine Aenderung der Wirtschafts- und selbst. Er verkündete, daß im Falle seiner Wie­Gesellschaftsordnung der Vereinigten Staaten im Sinne der Sicherung des Wohlstandes der Bauern und Arbeiter und der Verplanmäßigung des wirtschaftlichen Lebens stattfinden wird. Es soll teine Bolschewisierung, sondern eine Rück fehr zum Geiste des Befreiungskampfes gegen England im 18. Jahrhundert sein. Im einzelnen beabsichtigt Roosevelt : die totale Elektrifizierung des Landes, die rationelle Verwaltung der Naturschäße, insbesondere der bis vor kurzem im Raubbau ausgebeuteten Erdölfel der des ölhaltigen Schiefers und der Erdgase; die Wiederaufforstung zwecks Verbesserung der klima tischen Bedingungen für die Landwirtschaft; die Verlegung der Industrie aus den Weltstädten nach den kleineren Städten und aus dem Osten nach dem Süden und nach dem fernen Westen; die Be­stimmung der Anbauflächen in einer Art und Weise, die die Vereinigten Staaten gleichzeitig vor unabsetzbaren Ueberschüssen wie vor Mangel an Reserven an Nahrungs- und Genußmitteln sichert. Die gewaltigen neuen Elektrokraftwerke am Kolorado und Mississippi sind schon in An­griff genommen worden. Das erste Glied des neuen großen Wasserwegneßzes, der St. Laurens­kanal, ist schon vor zwei Jahren vollendet worden. Nach den neuen Wahlen soll mit dem Bau von weiteren Kanälen begonnen werden.

Farmern. Die modernen Rockefellerschen Ge­Die erste Sorge des Präsidenten gilt den treidefabriken" in den Vereinigten Staaten und dank ihrer in bezug auf Maschinen intensivſten, zahlreiche ähnliche Großbetriebe in Kanada sind in bezug auf die Arbeitstraft extensivsten Pro­duktionsweise in der Lage, Getreide zu Preisen zu liefern, die unter den durchschnittlichen Pro= Getreides bleiben. Ein großer Teil der Farmer duktionskosten des von den Farmern produzierten der Vereinigten Staaten ist in dem Maße verſchul­det, daß die Schuldenlast den gegenwärtigen Preis ihrer Farmen übersteigt. Wenn die Farmer von dem Erlös ihrer Ernten die Amortisationsquoten, die Zinsen der Schulden, sowie die Spesen der Nachschaffung von Produktionsmitteln abziehen, so bleibt ihnen nicht einmal das Eriſtenzminimum übrig. In der zweiten Phase des New Deal beab­sichtigt Roosevelt , das Brutto- Einkommen der Farmer durch die Erhöhung der Preise für land­wirtschaftliche Waren und durch die Senkung der Eisenbahntarife und der Zwischengewinne des durch die Annullierung ihrer Schuldenlast und Handels zu vergrößern, ihre Produktionskosten durch den billigen Kredit zu senken, und auf diese Weise das Nettoeinkommen der Farmer erheblich zu vergrößern.

Die Gleichgewichtsstörungen, die in der Wirtschaft der Vereinigten Staaten teils unter den einzelnen Zweigen der Industrie unterein ander, teils zwischen der Industrie und der Land­überwunden worden. Durch die Abschreibung von wirtschaft bestanden, sind im Laufe der Depression Kapital und durch die Einführung von neuen bes seren Arbeitsmethoden sind die Produktionskosten pro Wareneinheit erheblich gesunken. Neue Kapi­talien haben sich angesammelt. Within sind we= sentliche Voraussetzungen für eine neue Konjunktur geschaffen wor= den. Es fehlen aber immer noch die Vorausset zungen für die hohe Rentabilität derjenigen Un­ternehmungen, die als Snitiatoren die neue Kon= junttur anturbeln sollen. Diese fehlenden Vorauss