Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI

IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

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14. Jahrgang

Sonntag, 30. September 1934

Einzelpreis 70 Hotter

( einschließlich 5 Heller Parte)

Nr. 229

Bauernunruhen in Schleswig Die österreichische Regierung

Wegen der zwangsweisen Getreideablieferung

Amsterdam. ( Havas.) Nach Meldungen, die aus Deutschland eingetroffen sind, find in Schleswig ernste Unruhen ausgebrochen. Die Bauern im Bezirke Flensburg , denen das Recht genommen wurde, 5 Prozent der heurigen Ernte für sich zu belassen und selbst ihr Brot zu backen, haben, wie verlautet, sich geweigert, 87.000 Tonnen Korn und 79.000 Tonnen Mehl, die im übrigen Deutschland aufgeteilt werden sollten, den Behörden abzuführen. Die Polizei unterdrückte die Unruhen durch SA- Abteilungen. Es heißt, daß viele Personen, insbesondere zahlreiche Führer der Nationalsozialisten, verhaftet wurden.

Auch Frauen in Polen dienstpflichtig

Zur Verteidigung des Staates

Warschau. ( PAT.) Durch ein Defret des Präsidenten der Republik wird der Hilfs­dienstzwang für den Fall einer Mobilisierung oder auch in Friedenszeit eingeführt, wenn dies die Verteidigung des Staates erfordert.

Hilfsdienstpflichtig sind alle Männer von 17 bis 60 Jahren, sofern sie nicht durch aktiven Militärdienst oder durch den Dienst in der Reserve gebunden find. Ausgenommen find bloß Geistliche, Abgeordnete, Senatoren und kranke Leute, die sich

aber mit einem ärztlichen Zeugnis ausweisen müffen. Auf Grund dieses Detretes können auch Frauen von 19 bis 45 Jahren zum Hilfsdienst berufen werden.

Der Hilfsdienst wird bestehen aus dem Schutz von Bahnhöfen und Eisenbahnstrecken, aus Sani­täts- und technischem Dienste, aus paffiver Ber­teidigung gegen Flieger- und Gasangriffe ufw. Ueber die Stellung der Hilfsformationen werden die Militärbehörden entscheiden.

Polens Umorientierung

im Spiegel der französischen Presse

"

und das Schwarzbuch

und

Von Emile Vandervelde

Wenn wir an der Wirkung gezweifelt hätten, die das Schwarzbuch der österreichischen Dit tatue" in den Genfer Kreisen gehabt hat, so hätte das Verhalten der Regierung Schuschnigg und ihrer offiziösen Wortführer genügt, diesen Zweifel zu zerstreuen.

Feberereignisse und ihre gerichtlichen Nachspiele einem so genauen Studium zu unterziehen, daß er auch entsprechende Kenntnisse über die wirl­lichen Tatsachen erhalten hätte."

Auf diesen doppelten Vorwurf der Einseitig feit und Oberflächlichkeit sei unverzüglich geant­

Der neue Kanzler hatte offenbar felsenfest wortet. vertraut, bei der Völkerbundversammlung die glei= Um mir über die Feberereignisse und ihre chen Ovationen zu erfahren, die seinerzeit Doll- Ursachen eine Meinung zu bilden, hätte es mir fuß in Paris und London grüßten, als er sich an- gewiß genügt, an Ort und Stelle zu reisen, wie fangs 1933 der liberalen französischen und eng- ich es getan habe, in der Zeit vor dem Feber in lischen Bourgeoisie als unerschrockener Verteidiger ständiger Verbindung, Woche für Woche, mit mei­der Freiheit und Unabhängigkeit Desterreichs gegen nen Freunden in Desterreich zu stehen, über die die Barbarei der Nazi vorstellte. Herr Schaschnigg Ereignisse und das was sich vorbereitete, die hat aber sofort sich eines besseren belehren lassen offene Meinung von Männern zu hören, die wic müssen. Das Schwarzbuch war in allen Händen. Bauer und Deutsch , ebenso wie Renner Es verzichtete bewußt auf jeden Kommentar. Es und Seit keinen Augenblick die Ansicht auf­beschränkte sich darauf, Tatsachen, nichts als Tat- gaben, daß die österreichische Sozialdemokratie un fachen, harte Tatsachen, darzustellen. Es bewies beugiam entschlossen sein müsse, die verfassungs­objettiv und dokumentiert, daß im Oesterreich von mäßige Legalität nicht aufzugeben, solange ihre 1934, wo seit langem in offener Verlegung der Gegner das nicht vor ihnen getan hätten. Gesetze und der Verfassung die Preß-, Versamm- Aber das waren nicht meine einzigen In­lungs und Gewerkschaftsfreiheit aufgehoben formationsquellen. Es ist bekannt, daß infolge find, die Staatsbürger oder richtiger die Unter- der Finanzhilfe des Völkerbundes für Oesterreich tanen der Dittatur ständig unter der Ueberwachung eine ganze Anzahl von Belgiern, die kon der Polizei leben, auf Grund einer Ausnahms- servative Anschauungen vertreten, seit geichgebung. die die Unabhängigkeit der Richter langem mit Wien in Verbindung standen und den aufhebt, die Schwurgerichte beiseite schiebt, zynisch Lauf der Ereignisse aus der Nähe verfolgten. die Rechte der Verteidigung mißachtet, die Todes- Man wird auch nicht erstaunt sein, wenn ich strafe selbst für die ordentlichen Gerichte wieder sage, daß ich vor der Bildung der Regierung Dou einführt, Strafgesehen Rüdwirkung verleiht und mergue häufig mit Persönlichkeiten aus der in Oesterreich wie in Hitler- Deutschland das uner- französischen Regierung zuſammenkam hörte System der Haft auf Anordnung der Ber- und so erfuhr, wie sie die Politik des Kanzlers waltung und das System der Konzentrationslager Dollfuß beurteilten. errichtet hat.

Paris . Zahlreiche Blätter, die sich mit dem tismus, den Polen zu verwirklichen gedenkt, vor­Inhalt der polnischen Note über den Dst patt behalten ist. befassen, behandeln das geänderte polnisch- fran- Auch der sozialistische Populaire" zösische Verhältnis. L'Oeuvre" schreibt, es glaubt, daß der polnisch- deutsche Vertrag nun­habe niemand daran gedacht, Polen zu kritisieren, mehr die Grundachse der gegenwärtigen War­welches das volle Recht besise, eine Politit zu trei- schauer Außenpolitik ist: Außerdem erwartet das Blatt, daß der Besuch Gömbös in Warschau Po­ben, die ihm beliebe, wenn sie nicht eine voll- len offensichtlich in das Lager der Revisionisten Ich glaube nicht auf Widerspruch zu stoßen, ständig neue Orientierung der überführen werde. Diese Tatsachen hat niemand bestritten. Man wenn ich erkläre, daß man in diesen deur Sozia hat sie nicht bestreiten können. Man hat auch nicht lismus fernstehenden Kreisen genau so wie wir der Außenpolitik bedeutend würden. Frank- Allgemein sprechen die Blätter die Ansicht die Schreckensstatistit der vollzogenen Hinrichtun Meinung huldigte, daß das Mittel, das einzige reich wird Polen wahrscheinlich einige aus, daß der Standpunkt Bolens und Deutsch- gen bestritten, noch die 1339 Jahre Kerter, die Mittel, ein unabhängiges und freies Oesterreich Fragen zu der Note unterbreiten, lands gegenüber dem Ostpakte die interessierten allein vom 12. Feber bis 12. August über Schutz- gegen die Nazi zu verteidigen, ohne einem anderen vor allem welche Stellung dem franzöſiſch- polni- Staaten von ihren Bemühungen um dessen Ver- bündler, sozialistische Feberfämpfer verhängt Fascismus in die Arme zu fallen und durch An­schen Bündnis in dem neuen polnischen Schema- wirklichung nicht abhalten dürfe. wurden. griffe auf das von der Verfassung geschaffene Der Wiener Goebbels, Oberst Adam, hat demokratische System Aufstände hervorzurufen. in einer langen Radiorede, die der Pariser darin bestand, so weit wie möglich die Einheits­Temps" am 20. September und andere große front aller derer herzustellen, die entschlossen bürgerliche Zeitungen ausführlich wiederzugeben waren, gegen die Naziminderheit die demokra­für richtig hielten, dagegen erklärt, daß niemand tischen Freiheiten zu verteidigen. mehr als die österreichische Regierung die Maß- Herr Oberst Adam erklärte in seiner Antwort nahmen bedauern könne, die sie habe ergreifen auf meine Vorrede im Schwarzbuch zwar, daß das müssen, um die Freiheit zu beschränken, das unmöglich war, daß die sozialdemokratische Partei Standrecht einzuführen und Massenverhaftungen unter der Herrschaft ihrer extremistischen Elemente vorzunehmen. Er hat sich im großen und ganzen unfähig war, eine Koalition mit den gemäßigten darauf beschränkt, auf mildernde Um- und patriotischen Elementen abzuschließen, daß stände zu plädieren und seine Ausführungen, wenn die Regierung Dollfuß sich im Herbst 1933 die von der ganzen offiziösen Presse wiedergegeben entschlossen hätte, mit Männern wie Dr. Dito wurden der einzigen Presse, die neben den Bauer und Dr. Julius Deutsch einen offenen oder illegalen Blättern in Desterreich besteht-gipfeln geheimen Patt abzuschließen, sie keine Autoritäl in der Behauptung, daß im Zweifrontenfampf mit besessen hätte, um zu verhindern, daß große den Nazi und den Sozialisten und Kommunisten Massen der nichtsozialistischen Bevölkerung zu den die Regierung im Feber in berechtigter Vertei- Nazi abgewandert wären. digung handelte und daß die Revolutionäre, die

Einigung im Geiste Adlers

Ein Aufruf der neuen Österreichischen Partel

Schuschnigg verhandelt mit den Nazi

Vor einigen Tagen wurde Generaldirektor Dr. Hermann Neubacher , der bekanntlich auf Die Wiener Sozialistische Organisation, die der Ministerliste der Putschisten vom 25. Juli als auf der Wiener Konferenz begründet wurde, hat Minister für soziale Verwaltung figurierte. Beschlüsse der Konferenz wörtlich wiedergibt, wird neuerdings verhaftet. Der Polizeikommis­in großer Auflage verbreitet. Den Beschlüssen sär, der ihn einvernahm, erklärte Neubacher:" Sie hat die sozialistische Organisation einen Aufruf werden beschuldigt, heute vormittags mit einem vorausgeschickt, dem wir folgende Stellen entnch reichsdeutschen Nationalsozialisten verhandelt zu haben." Darauf erwiderte Neubache::

men:

Als im Februar die Kanonen des Fascismus die österreichische Arbeiterbewegung in Trümmer schoffen, da war der Ruf, mit dem unsere Besten zum Galgen gingen: Es lebe die Partei!" da war der Schwur, mit dem die sozialistischen

"

Kämpfer untertauchten in die Illegalität, in Ker­fer und Konzentrationslager: Wir kommen wie­ber!"

" Jawohl, ich habe mit einem reichsdeut­fchen Nationalsozialisten verhandelt, und zwar mit demselben Herrn, mit dem gestern der Bun­deskanzler Dr. Schuschnigs über eine Berföh­nung mit den Nationalsozialisten verhandelte."

Der Polizeikommiffär war über diese Ant­wort sehr erstaunt. Einige Stunden später wurde Dr. Neubacher aus der Haft entlassen. A.- 3."

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Sozialdemokraten und allen treuen aufrichtigen allgemeinen Wahlrechtes, der Autonomie von

Ich verkenne feineswegs, daß ein Bündnis Aufrührer, die Butſchiſten von Linz und Wien und vor allem eine Regierungstoalition zwischen Fey- Starhemberg und Bauer- Deutsch- Seiß und angefangen haben! Im Vorwort zum Schwarzbuch habe ich Renner auf der anderen Seite, um nicht mehr zu darauf bereits im vorhinein geantwortet. Ich fagen, eine moralische Unmöglichkeit gewesen Heute ist es so weit. Die Partei lebt. In re­hatte gezeigt, daß für die Schußbündler die Feber- wäre. Aber ich erkläre und ich habe ernst zu bolutionärem Geift erneuert, ist die Partei wie­Eine schwere Geburt ereignisse nichts anderes waren als eine berech der da! klären, wenn, bevor es zu spät war, ein Unsere Partei ist die alleinige Erbin und Wien.( Tsch. P.-B.) Im Gebäude des nie- tigte Abwehr, weniger in der Hoffnung aufnehmende und objektive Grundlagen, dies zu er= Nachfolgerin der österreichischen Sozialdemokratic derösterrein en Landtages teaten Samstag un- ben Sieg, ſondern um angesichts der ständigen An- modus vivendi mit dem beschränkten Ziel, dem griffe der Regierung Dollfuß- Fey- Starhemberg und zugleich eine neue, verjüngte, revolutionäre ter dem Vorsitz des ehemaligen Ministers Stohl auf das freiheitliche und demokratische System, aicismus den Weg zu versperren, zwischen den Bewegung. Sie ist die alle Gruppen umfaffende mann zahlreiche Abgeordnete und Mandatare der das die Revolution 1918 in Desterreich aufgerich- und anständigen Verteidigern der Republik , des Sozialistische Organisation, die die völlige Ein- christlichsozialen Partei zu einer Beratung über tet hatte, die Ehre zu retten. heit des österreichischen Proletariates auf ihre die atuten politischen Fragen, namentlich über tet hatte, die Ehre zu retten. bic at ten ponteren des Vollzugsaus. Daraufhin erfolgte von der österreichischen Wien , der bemokratischen Freiheiten, jolie ber Fahne geschrieben hat. Wer dem Fafcismus seine Opfer entreißen, schusses beschlossene Auflösung der christlichsozta- Delegation in Genf eine offizielle Antwort Das Unabhängigkeit Desterreichs gegenüber dem Hit­wer die Toten rächen und den Lebenden die Frei- len Partei zusammen. Ueber das Ergebnis der Scho". 19. September 1934), die wie folgt lerismus zustande gekommen wäre, so hätten die Dinge nicht jene blutige, fatastrophale und für heit erkämpfen will - der komme zu uns! Beratung, an der auch Bundeskanzler Dr. Schusch beginnt: Die österreichische Regierung bedauert die Zukunft gefahrenschwangere Wendung genom Wer ein Genoffe war und ist, wer mitmar- nigg teilnahm, wird vorläufig Stills ch toe is außerordentlich, daß ein Mann wie Vandervelde, men, wie es seit Feber der Fall war. Schieren will im Geiste Bittor Idlers unter den gen gewahrt. deffen Name guten internationalen Klang hat, sich Aber das hat man auf der anderen Fahnen Wallischs und Weiffels oder komme zn zu hergab, dieses sogenannte Schwarzbuch" mit Seite nichtgewollt. Man hat verächt cinem Borwort zu beehren und sich dadurch mit lich die Ratschläge und Vorstellungen aus Paris seinem Inhalt au identifizieren. und anderen Städten zurückgewiesen. Man hat

uns!

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Schuschnigg gegen arme Kinder

Schart euch um die Vereinigte Sozialistische Dieser Tage sollte ein Transport von drei­Bartei! Wir haben der Welt gezeigt, daß teine kig Kindern notleiden der Feberkämpfer in Nacht, kein Terror die österreichische Arbeiter die Schweiz abgehen. Die Unterbringung der King fan fein Bleifel darüber- beſtehen, daß schaft zu beugen vermag. Wir werden ihr zeigen, der in Schweizer Familien war für drei Monate daß die österreichische Arbeiterschaft ihre ganze gesichert. Im letzten Augenblick vor der Abreise Rraft zu vereinen und vereint zu fiegen versteht! hat die Regierung ben Kindertransport verboten.

sich entſchloſſen, die Verfaſſung und die Freiheits­garantien, ohne die ein Volt seine Lebensberech Herr Vandervelde das nicht getan hätte, wenn nicht nur einseitig informiert worden wäre und tigung verliert, beiseite zu räumen. Und alles das wenn er sich der Mühe unterzogen hätte, die aus Schwäche gegenüber den Heimwehrer und dem