Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

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Samstag, 6. Oktober 1934

Einzelpreis 70 Heller

( einschließlich 5 Heller Porto)

14. Jahrgang

Notwehr der Demokratie

Spanien im Bürgerkrieg

Generalstreik/ Zahlreiche Kämpfe in den großen Städten/ Sozialisten und Linksdemokraten einig Sympathie der Katalonier für den Kampf Lerroux setzt Bombengeschwader ein

In Spanien ist der seit Monaten erwartete Kampf um das Schicksal der Republik nun überraschend schnell auf der ganzen Linie entbrannt. Nach dem Sturz des Kabinetts Sam­per hat der Radikale Lerro ur eine Koalition mit der klerikal- monarchistischen Partei und den Agrariern gebildet. Dieses Kabinett, für dessen Zustandekommen sich die Klerikalen von vornherein wichtige Konzessionen bezahlen ließen( Vermögensrückgabe an die Jesuiten etc.) stellt nach Ansicht der spanischen Republikaner und Sozialisten den entscheidenden Schritt auf dem Weg der Reaktion dar. Es würde wahrscheinlich in kurzer Zeit Spanien zu einer Pfaf­fenrepublik oder zur Monarchie machen. Die Nation hat diese Gefahr instinktiv begriffen. Nachdem bereits Präsident 3 amorra dem Kabinett die Bestätigung versagt hatte, proklamierten die Gewerkschaften den General streik, der in den Morgenstunden des Freitag in Madrid und einer Reihe anderer Großstädte fast lückenlos begann.

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Im Laufe des Streiks kam es Freitag zu zahlreichen Zusammenstößen. Besonders heftig wütet der Kampf in Asturien , gespannt ist die Lage in Katalanien . Die Regierung behauptet wie in solchen Fällen jede Regierung- ,, Herrin der Lage" zu sein und den Streif Freitag abends stark eingedämmt zu haben. Andere Berichte lassen erkennen, daß sich das Kabinett Lerrong in bedrohlicher Situation befindet und nicht lange wird durchhalten können. Ein klares Bild läßt sich auf Grund der vielfach einander wider­sprechenden Meldungen, die bis Freitag Mitternacht einliefen, nicht gewinnen. Die Polizei scheint der Bewegung nicht Herr zu werden. Die Regierung setzt überall Militär und so­gar Bombenflieger ein. Es wird wie im Grunde in jeder Revolution alles von der Haltung des Militärs abhängen. Wenn es den Aufständischen gelingt, einen Teil der Trup­pen zu sich herüberzuziehen, dann hätten sie die besten Aussichten auf Sieg.

Der Generalstreit erfaßte zunächst vor allem die Verkehrsmittel der großen Städte. Unter­grund- und Straßenbahn wurden stillgelegt. Die Regierung setzte dann Pioniere und anderes Mi­litär ein und behauptet, daß sie am Abend einen Notverkehr zustande gebracht habe und daß alle Verkehrsmittel außer den Autodroschken leidlich funktionieren. Auch alle Geschäfte und Gaststätten wurden zunächst gesperrt. Es setzte fühlbare Le­bensmittelknappheit ein. Auf Laftantos, die unter militärischer Bedeckung stehen, führt die Regie­rung Lebensmittel heran, doch bilden sich vor den Geschäften Schlangen, da die Leute dauernd die Unterbrechung der Zufuhr fürchten.

In den Vorstädten von Madrid : Tetuan, Atiocha, Prosperidad, in denen vorwie­gend Arbeiter wohnen, nahm die Polizei viele Berhaftungen vor und suchte nach Waffen. Hiebei fam es zu schweren Kämpfen. Die Angaben über die Verluste sind unklar, doch scheint es, in Madrid im Laufe des Freitag beiderseits Tote und Dukende Verwundete gegeben zu haben. Viele öffentliche Angestellte, Postler und Eisenbahner, schlossen sich dem Streik an. linksbürgerlichen Kreise sympathisieren mit der Bewegung, die Republikaner sind einig, die auto­nomen Provinzen stehen dem Kampf ebenfalls freundlich gegenüber.

Die

gerichtshofes Albernoz, der sich außerstande erklärte, mit der Regierung zusammenzugehen. Auch der Vorsitzende der Regierung von Kata­ lonien ist von der Regierung abgerückt.

Die Streifleitung soll die Arbeiter aufge=

fordert haben, sich ruhig zu verhalten und ledig­lich den Streik konsequent durchzuführen. Zu einer bestimmten Stunde hörten dann angeblich die Kämpfe auf, die Regierung fürchtet aber, obschon fie versichert, sie sei optimistisch", ein plötzliches Losbrechen der Arbeiter.

Bei dem Umfang und der Erbitterung des über das Schicksal der spanischen Republik entscheidet. Aus ihm kann

Kampfes dürfte es außer Zweifel sein, daß er

wohl nur eine Diktatur hervorgehen, eine rechte oder linke, je nach dem Siege in dem blu­tigen Ringen.

Samstag verschärfter Kampf?

Nr. 234

Sozialismus, Frieden und Einheit

Die Probleme der englischen Arbeiterpartei

Der diesjährige Parteitag der Labour­Barth, der soeben in Southpoint abgehalten wird, findet nicht ohne Grund in der ganzen Weit stärkste Beachtung. Auch die wütendsten Totsager des Sozialismus können die Tatsache nicht leug­nen, daß die englische Arbeiterpartei im letzten Jahre eine ununterbrochene Reihe von Wahler­folgen errungen hat und daß die Verhandlungen, die jetzt in Southpoint über Taktik und Programm des Kampfes um die Parlamentsmehrheit statt­fanden, für die Zukunft Englands entscheidend und damit für die gesamte Weltpolitik höchst be­deutungsvoll sein können.

Drei Entschließungen sind in Southpoint mit großer Mehrheit oder einstimmig angenom­men worden: die strenge Abgrenzung der Labour­Party gegen die Kommunisten, die Entmachtung des reaktionären Oberhauses durch eine kom­Die letzten Meldungen aus Spanien be- mende Labour- Regierung und die Gutheißung der fagen, daß die Streikleitung den Arbeitern Wei-( von der Labour- Party schon lange geforderten) sung gegeben habe, nach Mitternacht vom fried- Aufnahme Sowjetrußlands in den Völkerbund. lichen zum revolutionären General- Die letzten drei Tage der Parteikonferenz wur­streik überzugehen. Neue Unruhen werden aus den der großen Programmdebatte vorbehalten, Saragossa gemeldet. Einer Reutermeldung die sich an Hendersons Manifest für Sozialis­zufolge ist die Lage in Asturien für die Remus und Frieden" knüpfen wird, gierung andauernd bedrohlich. In den Kämpfen um Mieres und Eiber, wo die Bergarbeiter sich in den Werken verschanzt hatten, foli es zahl­reiche Tote gegeben haben.

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und diese

Debatte, die eine Klärung über den weiteren Weg der dem Siege entgegenschreitenden Labour- Party bringen soll, darf die Aufmerksamkeit der Sozia­listen aller Länder beanspruchen.

Denn in Southpoint treffen sich die Vertre­ter der verschiedenen Richtungen des gegenwärti gen Sozialismus und sie treffen sich im Rah­men einer Partei. Da sind die Führer der Trade Unions ", der ältesten Gewerf­

Verhaftung eines landständischen Redakteurschaftsbewegung der Welt, die fürzlich erst bei den

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Podersam.( Eigenbericht.) Donnerstag Feiern von Dorchester an ihr hundertjähriges Be­abends wurde der Gendarmerie in Podersam mit- rismus auf dem Boden einer Theorie steht, die stehen erinnern konnte und die jenseits des Mar­geteilt, daß in einem Auto, welches nach Poder- den Weg vom Kapitalismus zum Sozialismus sam fahre, sich verdächtige Schriften befinden. als einen Weg friedlicher demokratischer Refor men betrachtet, da sind die Leute von der Sozialistischen Liga", die den radika­len Flügel der Labour- Party bildet und deren Führer Stafford Cripps im Gegensatz zu den Ge­werkschaftsführern Citrine und Clynes die Not­wendigkeit eines diktatorisch zu vollstreckenden

Die Gendarmerie hielt darauf um acht Uhr abends ein Auto an, in welchem der Redakteur der Landständischen Monatshefte" Heinrich Schmidt aus Dobrzan saß. Der Gendarmerie­kommandant von Bodersam durchsuchte das Auto

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und als Sozialisierungsplanes verkündet, und auf Grund dieser Untersuchung wurde der Mittler zwischen diesen Extremen eine drittc genannte Redakteur in Haft genommen. Gruppe, deren Führer zugleich die Führer der Gesamtpartei sind: Arthur Henderson und der greise George Lansbury , dessen persönliche Auto­rität rechts und links in gleichem Maße aner­fannt wird.

Noch in der Nacht wurde Heinrich Schmidt dem Kreisgerichte in Pilfen eingeliefert.

Kampf dem Henlein- Fascismus!

Eine machtvolle Versammlung der Sozialdemokratie in Komotau

Freitag abends fand in Komotau eine große öffentliche Volksversammlung unserer Bar­tei statt, die außerordentlich gut besucht war und einen herrlichen Verlauf nahm. Der Lagerkeller­Ant heftigsten wurde in Asturien ge­kämpft, wo die Aufständischen verschiedentlich Bo- Saal erwies sich als viel zu flein, um die Massen lizeikafernen stürmten, Regierungsgebäude be- der Besucher aufzunehmen. Scharen von Zuhörern fetzten und das Militär zum Rückzug zwangen. standen im Vorhaus und auf der Straße dicht Aus San Sebastian , Orviedo und

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Es war von vornherein zu erwarten, daß keine dieser drei Gruppen auf dem Parteitag die Mehrheit für sich erringen würde. Aber der Sinn der Auseinandersetzung besteht darin, daß sie in offenem Kampfe ihrer Anschauungen und Forde­rungen die Linie der Gesamtpartei beeinflussen werden. Die sehr weitgehenden Anträge der So­zialistischen Liga" werden zweifellos zum größ­Jaksch an zahlreichen treffenden Beispielen, wie ten Teil der Ablehnung verfallen, aber es die Volksgemeinschaft Henleins läßt sich nicht verkennen, daß der Beschluß, der sich in der Praxis aussicht. Das Referat war gegen das Oberhaus richtet, leßten Endes auf die eine einzige wuchtige Anklagerede gegen den ge- Forderungen der Ligisten zurückzuführen ist und tarnten Nazifascismus und gegen das fude- daß es ohne die Agitation, die Stafford Cripps tendeutsche Bürgertum, das diesen Fascismus und die Liga entfaltet haben, vielleicht überhaupt großzieht. nicht zu dieser Programmdebatte gekommen wäre, die nicht nur über den Weg zur Macht, sondern auch über die Anwendung und Behauptung der denen gehört, die aus den Erfahrungen der letz­ten Jahre die Lehre gezogen haben, daß die La­bour- Party beim nächsten Wahlsteg die Regierung ohne Koalitionsbindungen an bürgerliche Par­teien übernehmen müsse und daß Hendersons allzu unrealistischer Abrüstungspazifismus von der Mehrheit nicht mehr gebilligt wird, beweist, daß sich die Prinzipien der Labour- Party seit dem Ausscheiden Macdonalds aus der Partei und seit der innerparteilichen Aktivität der Sozialistischen Liga weiterentwickelt haben.

Die Henlein Ieute selbst waren ent­hatten, nicht erschienen und entzogen sich

Mieres werden erbitterte Kämpfe gemeldet. gedrängt, weil sie in den übervollen Saal feinen gegen verschiedenen Gerüchten, die sie verbreitet Macht entscheiden soll. Daß auch Lansbury jetzt zu Gegen die in den Bergen verschanzten Demokraten Einlaß mehr fanden.

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hat die Regierung ein Bombengeschwader entsandt. Um 49 Uhr wurde die Versammlung mit so wohlweislich der Abrechnung. Dagegen waren In Katalonien ist der Streik allgemein, einem Fanfarenruf der Sozialistischen Jugend er- einige Kommunist en unter Führung des Re­die Provinz wird zum großen Teil von der repu- öffnet. Dann erteilte der Vorsitzende der Bezirks- dakteurs Freund gekommen, der in der übli­blikanischen Garde beherrscht. In V a II a bolid organisation, Genosse Reich I, dem Redner, Ge- chen Weise sein leider noch immer nicht ernst Valladolid Einheitsangebot vorbrachte. Ge­wurde die Polizeikaferne erſtürmt, in Eiber nossen Wenzel Jatsch, zu seinem Referat gemeintes eine Waffenfabrik besetzt. In Cordoba , Seenlein in der sudetendeutschen noffe Jaksch erwiderte villa und Barcelona ist der Streif, voll- Politik" das Wort.

ständig durchgeführt worden. Die Telephonver­bindungen sind im ganzen Lande unterbrochen. Die Regierung läßt die Küsten scharf bewachen, um die Waffenzufuhr an die Aufständischen zu

unterbinden.

Wie groß die Sympathien der Linkskreise für den von den Arbeitern bestrittenen Kampf sind, zeigt der Rücktritt des Präsidenten des Steats­

In seinen zweistündigen, tiefschürfenden, wiederholt von stürmischem Beifall unterbroche­nen Ausführungen rechnete I aksch mit der doppelzüngigen Politik der Henleinfront ab, die zugleich ihre Freundschaft mit dem braunen Fascismus in Deutschland nicht aufgeben, un­

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daß die Einheitsfront vor allem einmal in der Alltagspolitik verwirklicht werden und die Ehrlichkeit des Einheitswillens erwiesen werden müsse.

Die Gegner von rechts und links, die an die Diskussionen innerhalb der Partei die Hoffnung Die Versammlung, deren herrlicher Verlauf Verlauf der Konferenz von Southpoint enttäuscht auf eine Spaltung knüpfen, werden durch den ferer Regierung aber demokratische Loyalität durch keinen Zwischenfall gestört wurde, hinter- werden. Schon vor Beginn der Tagung hat Staf­vorspielen möchte. Zugleich zeigte Genosse ließ bei allen Teilnehmern den stärksten Eindruck. ford Cripps erklärt, daß die Sozialistische Liga