Nr. 238Donnerstag, 11. Oktober 1934Sekst-5enauf■,nÄanaßti‘.tiri,r<»ie<a«ch'-jl»I«Ichchipa>ich>d»oel«:icktl■n>ch»seiich:ßeich:tglBns<rcköl'wtuiqÄSqchqeocktch<«»cktti,ch««ritfilichitf'Srtich(ichllt4»-a:«l:vdsächch-S-ir»ftch>ch)»chchtfIhre Zähne anzüsehenist wirklicheine Freude!— strahlend weiß, fest und Blank! Unddas alles durch regelmäßige Pflege mitKalodont, Diese kräftig schäumendeZahncreme entfernt dn Nu alle Unreinheiten— besonders auch zwischenden Zähnen, und gibt reinen, frischenAtem. Durch Kalodont bleiben IhreZähne gesund, denn es enthält alseinzige Zahncreme in der Tschechoslowakei das wirksame Mittelgegen den gefährlichen Zahnstein:Sulforizin-Oleat nach Dr. Bräunlich.Mordprozeß VylefälekDer zweite Verhandlungstag— Vier Mörderinnen als BelastungszeugenGünstige Leumundszeugen für Jaroslav VylekälekDank vom Dritten Reiche. UngezLhstedeutWe Kriegsgefangene denken mit größterDatckbarkeit an die Schwedin Elsa Brand-st r o e m, die trotz größter Widerstände ein inter-ncstwnales Hilfswerk für die Kriegsgefangenen inSibirien organisiert hatte. Der damals 23jähri-gen Frau gelang es, die durch Hunger und Krankheit Bedrohten vor dem Aeutzersten zu schützenund vielen das Leben zu retten. Nach dem Kriegeerrichtete Elsa Brandstroem aus eigenenMitteln ein Heim für die Kinder ehemaliger deutscher Kriegsgefangener. Dann kam das DritteReich, das Kinderheim wurde beschlagnahmt undseinem Zwecke nicht wieder zugeführt. ElsaBrandstroems Namen mußte verschwinden. Dasgeht so weit, daß das„Berliner Tageblatt", welches unter dem Titel„Der sibirische Engel" einenRoman über ihre Tätigkeit ankündigt, nicht sagendarf, wie die Frau heißt, deren Wirken der Romanverherrlicht. Warum? Der Grund ist bezeichnendfür die sittliche Fäulnis des Dritten Reiches. ElsaBrandstroem hat es gewagt, einen Menschen zuheiraten, der nach den Ansichten des National-sozialismus nicht rasserein ist. Diese Sünde wirddurch die Rettung tausender Deutscher nicht ausgewogen. Elsa Brandstroem ist verfemt.-Wohin will er? In allen gleichgeschaltetenSaar-Kinos lief bis vor kurzem ein Ufa-Filmmit dem Titel:„Ein Mann will nachDeutschland". Die Plakate, die zum Besuchder Ufa-Kinos einluden, waren aber überall mitder Ergänzung versehen:„Er kommt insKonzentrationslager; alle anderen sind für den status quo!"—Der Beisatz wurde so peinlich populär, daß sichdie„Ufa" gezwungen sah, den Filmtitel zu än-dem. Der Mann hat es sich anders überlegt, erwill jetzt nur noch„in seine Heimat".(„Die Wahrheit")Vollstreckungsanfichnb in Notstandsgebieten erweitert. Die Dienstag erschienene Gesetzsammlungenthätt eine Regierungsverordnung, wonach derBollstreckungsaufschub in Notstandsgebieten fürLandwirte und Arbeitslose noch in folgenden politischen Bezirken gilt: Brandeis, B.-Brod. Casläü,Dux, Kuttenberg, Horovice, K o m o t a u, Eule,K a a d e n, Kladno, Kolin, Kralup, Kralovice,Lann, Melnik, Brüx, Plan, Podersam,Prag' Prag-Land, Piibram, Rakonice, Roudnic«,Ricanh, Schlau und Saaz; ferner in den Gerichtsbezirken Leitmeritz, Lobositz und Staab,in Mähren in den polittschen Bezirken G ö d i n g,Ung.» Hradisch, Auspitz, Kremsier, Gaya,Groß-Mese rits ch, RikolSburg, N e u-stadtl, Proßnitz, Prerau und Trebiö; in der Slowakei und Karpathorußland in Bartfeld, Bratislava-Land, Lucenee, Malacky, Streda, Dunajskä, Säch-sisch-Bereg, JrSava und Mukaöevo-Land.Bon der Demokratischen Flsichtlingsfsirsor-e.In der am 4. Ottober stattgefundenen Generalver-sammlung der Demokratischen Flüchtlingsfürsorgeit'urbe der Geschäfts- und Kassenbericht des Vorstandes entgegengenommen. Aus dem Bericht entnehmen wir, daß die Demokratische Flüchtlingsfürsorge400.000 Kc in der vergangenen Geschäftsperiodeaufgebracht hat, wofür sie mehr als 76.000 Mittags- und Abendessen verausgabte. Für da» vonder Demokratischen Flüchtlingsfürsorge eingerichteteKollektiv sind insgesamt 86.000 Kc aufgebracht worden, wovon auf das Kollektiv Msec 33.000 Kö entfallen. Für Fahrgelder wurden 20.000 Kc verbraucht. Im gaitzen wurden 683 Flüchtlinge unterstützt, durchschnittlich etwa 140. Zur Zeit unterstützt die Demokratische Flüchtlingsfürsorge noch 66Flüchtlinge. GeschäftSstunden der DemokrattschenFlüchilingSfürsorge sind Montags. Donnerstags undSamStags von 10.30 bis 13 Uhr. Ueberweisungenauf Postsparkaffenkonto Nr. 31.041 bei der Böhmischen Escompte-Bank und Creditanstalt.Prag. Das Beweisverfahren in dem Mordprozeß gegen das Ehepaar Vylekälek ist ein erbitterter und spannender Kampf zwischen Anklage undVerteidigung. Die Angeklagten haben sich nach man-cherlei Aendernngen ihrer Aussagen schließlich aufAussagen festgelegt, die nichts anders bedeuten, alsGatte und Gattin sich gegenseitig aufs schwerstebelasten.Marie Pylekalek beharrt ans ihrer Aussage,daß sie am Vormittag des 22. Dlärz 1933 mit ihremVater in Streit geraten sei und dieser ihr die Lippeblutig geschlagen habe. Sie sei zu ihrem Mann in dieRemise der Straßenbahn gefahren und habe sich überdie Mißhandlung beschwert. Ihr Gatte habe dann amAbend ihrem Vater Vorwürfe gemacht und im Verlauf der folgenden Auseinandersetzungen erschlagen.Sie hcche dann aus Liebe zu ihrem Mann den Leichnam in der Mauernische hinter dem Küchenherd verborgen.Jaroslav Vylekälek bleibt dabei, von der ganzen Sache überhaupt nichts zu wissen.Seine Frau habe auch ihm vorgespiegelt, ihr Vaterhabe in Kolin eine neue Ehe geschloffen. Später habesie ihm erzählt, ihr Vater sitze wegen Anlaufes gestohlener Sachen in Pankraz und endlich daß der.alte Tyl dort gestorben sei. Auf diese Todesnachricht hin habe Jaroslav Byletälck, der mitseinem Schwiegervater stets im besten Einvernehmenlebte, in der Gefängniskanzleiwegen der Begräbniffes Vorgesprächen, aber den Bescheid erhalten, daß in Pankraz kein Sttäsling gestorben sei, bei dem die Angaben zuträfen. Seine Frauhabe ihm aber seine Bedenken ausgeredet.Allerlei Zengensagten zunächst über Nebenumstände ans. Stammgäste aus dem Gasthaus„Zur Traube", wo derermordete Tyl zu verkehren pflegte, schildern ihn alsheiteren, gutherzigen Menschen, berichten über dieMvstisikation durch die bekannten Karten und Briefeu. dgl. Sie sagten auch, daß das Verhältnis zwischenSchwiegervater und Sc^viegersohn das denkbar bestegewesen sei.Kommiffär Dr. Borkovec von der Prager Poli-zeidirektion. der nach der Anzeige der Marie Bhle-ralek die ersten Erhebungen durchgeführt hat, erklärte zunächst, daß die Anzeigerin mit einerSelbstbezichtigung begonnen habt, wobei sieerklärte, daß nichts daran liege, wer noch an demMord beteiligt sei. Erst etwas später nannte sie ihrenMann als Mittäter. Jaroslav Vylekälek habespontan und ohne Nötigung zugegeben, denalten Tylmit der Hackeerschlagen zu haben, welches Geständnis er allerdingsim weiteren Verlauf völlig widerrief. Vylekälek erklärt das damit, daß man auf der Polizei auf ihneinen Druck auSgeiibt habe. Als ihm dgr Vorsitzendevorhielt, daß er fein Geständnis auch vor dem Untersuchungsrichter wiederholt habe,. gerietJaroslav Vylekälek in Verlegenhett und sagte schließlich. er habe nicht gevmßt, daß er dem Untersuchungsrichter gegenüberstehe.Nach einer weiteren Reihe von NebenzeugentratBarbara Tyl, die doppelt geschiedene Fran desErmordetenals Zeugin auf. Es ist bemerkenswert, daß die Angeklagte wegen Mißhandlung dieser Zeugin— ihrer Stiefmutter—. vor dembiesigen Kreisgericht verutteilt worden ist. Die Zeugin erklärt, daß ihre Ehe mit dem ermordeten Tylhauptsächlich durch Zutun seiner Tochter, der MarieVylekälek, getrübt wurde. Tyl sei ein guterMensch gewesen und war allzu nachfichttg gegen seineTochter, die ihn bestahl und äußerst grobu nd unk rn d l i ch gegen» h n wa r. DieVylekälek hat Übrigens auch sonst verschiedeneDiebstahlsdelikte auf dem Gewisse« undihre Strafkarte ist reich besetzt.Als die Angeklagte ihrer Stiefmutter vorspiegelte. daß Tyl in Pankraz sitze,' schrieb diese einenBrief ins Gefängnis, wo er vermeintlich faß. DerBrief kam als unbestellbar zurück. Als die Zeugin-daraufhin Verdacht schöpfte und beim Polizeikommissariat vorsprach, schickte man sie nach Hause und.fand keinen Grund einzuschreiten. Auch eine Detektivkanzlei, deren Dienste sie in Anspruch nahm,konnte nichts Verdächtiger erheben. Alles das zueiner Zer t, woderalteTylbe-reits lä ng st inder Mauernischehinter dem Küchenherd begrabenwar!Und wieder eine Reche von Nebenzeugen.—Arbeitskollegen des Vylekälek schildern diesenals braven, ruhigen und anständigen Kameraden,deffen Verhaftung ungläubiges Entsetzen hervorrief.Dramatisch gestaltete sich der Abschluß der heutigenAeugenverhörs. wobeidar verhaftete Präsident der katalanischenRepublik.vier Zellengenoffinneu— durchweg- inzwischenverurteilte Mörderinnen— darüber berichteten,was ihnen die Marie Vylekälek in vertraulichemGespräch anvertraut hat.Diese Zeuginnen erregten Aufsehen.■ Erst kürzlichsahen wir sie, eine nach der anderen, auf der Anklagebank. In der damaligen Zeit aber saßen sie mitder Vylekälek in gemeinsamer Untersuchungshaft.Unter ihnen ist auch Boz en.a Kindl, die unlängstwegen Ermordung ihres Vaters-Ausgedingers zu zwanzig Jahrenschweren Kerkers verurteilt wurde und derenProzeß in vielen Einzelheiten dem vorliegendengleicht. Auch in jenem Prozeß war ein Ehepaar angeklagt. den Vater der Frau gemeinsam aus finanziellen Gründen mit Axt und Strick aus derWelt gefchafft zu haben. Ferner trat Anna I a k u bauf, im Frühling dieses Jahres zum Tode verurteilt und später begnadigt zu zwanzig Jahrenschweren Kerkers. Weiters Marie K o r b e l a. erstvor wenigen Tagen zu fünfzehn Jahren ver-urteilt wegen Ermordung ihres kleinen Kindes, undendlich die Kindesmörderin Marie Holzbach, ver-j urteilt zu drei Jahren schweren Kerkers.Mit diesen vier Zeuginnen saß die Vylekälek inUntersuchungshaft.Ihren Zengengenoffinnen hat sie, nach derenAussagen, so eingehend über die Ermordungihres BaterS berichtet, daß sich die Zeuginnensofott dem Untersuchungsrichter vorführen ließenund das Gehötte eingehend zu Protokoll gaben.Alle Aussagen deckten sich in dem einen Punkt,daß sich die Marie Vylekälek in rüder Weise zurTötung ihres Vaters bekannt hat, den sie dabei als„widerwärtigen, hinkenden altenKerl" bezeichnete. Ihre Mitteilungen waren freilichnicht allen Zeuginnen gegenüber gleich ausführlich.Der einen sprach sie nur von der Axt, der anderenauch von dem erdrosselnden Strick. Die Marie Vylekälek habe sich ferner geäußert, daß„die ganzeF a m i l i-e d a ran glaub^nmüsse"und daß„Jarousek(ihr Mann) keiner anderen gehörendürfe."Um diese Aussagen entspann sich ein lebhaftesWortgefecht zwischen Anklage und Verteidigung. DieAngeklagte selbst erklärte die Aussagen der Zeuginnen größtenteils für Lüge. Im übrigen habe sie ihneuerzählen können, was ibr eben einfiel, denn„solcheWeiber seien doch keine Amtspersonen".Ein Kapitel für sich bildet die Tatsache, daß dieErsparnissedeS altenTylim Betrage von 20.000 Kc, die die Marie Vylekälekbekanntlich durch einen fingietten Brief an die Be-wahrerin des Sparbuches herausgelockt hat, binnen zwei Monaten verschleudert wurden.Jarosiab Vylekälek erklärt,- keine Ahnung von derHerkunft des Geldes gehabt zu haben. Er habe denVersicherungen seiner Frau geglaubt, daß es sich umihr mütterliches Erbteil handle.Nachmittags wurde die Verhandlung auf heutevertagt. rb.Jahrgang 1023Der Jahrgang 1923 trat Heuer in die Bürger- und die Mittelschulen ein. In neun Jahren,wenn's nicht ärger kommt, wird er sich zum ersten Male der Affentkommiffion zu stellen haben,während die Abrüstungskonferenz möglicherweisezur gleichen Zeit die Einsetzung eines Subkomitees zum Studium der Aechtung des Kriegesbeschließen wird.Als der Jahrgang 1923 das kleine Einmaleins erlernte, waren Inflation und Deflation schon vorbei. Er erlernte das Rechnen bereitsin unserer(noch nicht devalvierten) Währung:1 RM— 8 KL und wer sie hat, kann sechzehnmal zum Eismann gehen. In unseren Kindestagen hieß eine Zwei-Hellermimze noch Kreuzer,ein Zehn-Hellerstück Fünserl, ein Zwanzig-Heller-stück Sechser! und für ein Fünfer! bekamen wireine ganze Tüte Zuckerln und für zwei Kreuzereine Semmel. Dann gab es plötzlich keine Semmeln mehr. Und Brot, das damals so schlechtwar, gab es^rur auf Karten. Mehl und Zucker,Butter und Seife, was man braucht, für' allesgab es Karten. Ohne Karten bekam man nichtsund mit Karten auch nicht mehr. Und wenn wirdie Mutter um Effen baten, weinte sie ost. Dennsie hatte keines. Daitn wuyde sie krank. NickeStunden anstellen—„Anstellen"? Jahrgang1923 weiß gar nicht, was das ist— im strengen28intet 1916 und dann erst nichts bekommen,das hielt nicht jeder Lus.Was wir an uns hatten, war„Ersatz": ausBrenneffel- und Papierzcug unsere Kleider, ausj^otz und Pappendeckel unsere Schuhsohlen. DasWort„Friedensware" hatte einen Wohlklang,den keine Symphonie von Beethoven aufwiegenkonnte.Wir gingen auch wandern, doch hieß das damals„hamstern". Wenn man dabei viel Glückhatte, bekam man für sehk° viel Geld etwasBauernbrot, etwas«^geschöpfte Milch, wenn eshoch kam, ein Stückchen Butter. Die Bauern verlangten horrende Preise und machten große Gnaden. Das Hamstern war verboten. Wurde manvon Gendarmen erwischt, mußte man alles wiederherausgeben und überdies noch Strafe zahlenoder man wurde eingesperrt. Die Zestung aberschrieb:„Durchhalten 1" Der Herr Lehrer sagteuns auch täglich, wir müssen durchhallen. Wirwußten nicht, was das eigentlich bedeutet, aber soviel begriffen auch wir Knirpse, daß„durchhalten"weiterhungern hieß. Unser Lehrer war ein Bauernsohn. Ihm fiel das Durchhalten nicht schwer. Ersah gut aus. Aber die Lehrerin der B-Klasse sahschlecht aus. Das Durchhallen hatte sie krank gemacht. Einmal spie sie Blut auf die Stiege. Dalag eine hellrote, schaumige Lacke und der HerrDirellor stand mit finsterem Gesicht daneben undbrüllte uns an. Acht Tage später war das Begräbnis. Der Herr Direllor hielt eine Rede. Dannwar ein halber Tag schulfrei. Aber wir freutenuns nicht. Wir waren sehr still damals.Biele Mitschüler trugen schwarze Armbinden.Der Vater oder der Bruder waren gefallen. Eswurden ihrer immer mehr. Wir waren überfünfzig in der Klasse. Es fehlten aber stets sehrviele. Nicht wenige stank und ein guter Teil hattenichts anzuziehen.Ende 1918 kamen die ersten Heimkehrer.Auch amerikanische Konserven. Es gab wiederetwas mehr zu essen und sehr viel Hoffnung.Ueberall waren Fahnen ausgesteckt. Aber nirgendsmehr sah man das kaiserlich-königliche Schwarz-Gelb. Die Bürgerhäuser waren schwarz-rot-goldbeflaggt, die Arbeiter zogen mit roten Fahnendurch die Straßen. Niemand, den wir sahen,weinte dem Kaiser eine Träne nach. Niemand, denwir sahen,, war besonders traurig, daß der Kriegnicht gewonnen, jeder war froh, daß er zu Ende,daß die Zeit der schrecklichen Not und des furchtbaren Mordens vorbei war. Das war aber dochnoch nicht ganz vorbei. Am 4. März 1919 erschossen die tschechischen Soldaten in unserer Stadt24 Menschen. Ein Mitschüler war darunter. Dannwurde Standrecht und Belagerungszustand verhängt. Wir Neun- und Zehnjährigen wußten bereits, was das ist. Die„große Zeit" war eine gutepolitische Schule. Daß die Menschen zum Teilunbegabt genug sind, auch in der besten Schul«nichts zu lernen, zum Teil vergeßlich genug, auchdas Schrecklichste zu vergessen, das ist ihr Unglück.Als der Jahrgang 1923 seine erstenBeobachtungen im Leben machte, war das allesschon vorbei.Seit zwölf Jahren treten junge Menschen,zumindest als Wähler, ins politische Leben ein, dieden Krieg noch nicht an der Front mitgemachthaben. Aber die vom„Jahrgang 1902" waren,wenngleich keine Frontkämpfer, so doch Kriegsteilnehmer. Und auch wir vom Jahrgang 1909mutzten erfahren und begreifen, daß der KriegHunger und Elend, Not und Seuchen und tausendfachen, millionenfachen Tod bringt. Aber die späteren? Jahrgang 1917? Jahrgang 1923?Sie werden vom Weltkrieg nichts wissen alsein paar Jahreszahlen, Feldherrennamen, und daßdie Sitten verfallen sind und nach seiner Beendigung die Frauen das Wahlrecht erhallen haben.und daß das deutsche(tschechische, ungarische, französische usw.) Volk alles daransehen müsse, sichden gebührenden„Platz an der Sonne" zu erobern. Für den Jahrgang 1923 wird der Weltstieg bloß Unterrichtsstoff sein— ob er die Prüfung bestehen wird?Woran will man den Jahrgang 1923 erinnern? Die Brüder, die gefallen sind, hat er niegekannt, nie um sie getrauert 1 Das unsagbareKriegselend, das selchst das europäische Krisenelend unserer Tage weit in den Schatten stellt, hater nicht selbst erfahren. Soll es ihm deshalb unvorstellbar sein^ Unvorstellbar, bis es durch dieGewissenlosigkeit der Herrschenden und die sträfliche Vergeßlichkeit der Beherrschten und durchseine eigene Phantasielosigkeit wiederum zu furchtbarer Wirklichkeit wird? Zu einer Wirklichkeit, diean Furchtbarkeit alles, was die Teilnehmer desletzten Krieges gerade noch überleben konnten,weit übettreffen wird. Denn der nächste Weltkrieg,den eine entmenschte Menschheit berells in allerSachlichkeit bespricht, dessen ostasiatische Ouvertüre nur deshalb um den rauschenden Beifall kant,weil sie noch immer kein ganz befriedigendes Anziehen der Rüstungspapiere brachte, dieser Kriegwird keine Grenzen zwischen Hinterland mtdFront mehr kennen und noch das letzte Kellerlochzum„Feld der Ehre" machen. Soll es möglichsein, daß eine Generation, deren Väter Gut undBlut auf Kriegsschauplätzen und an Kriegsanleiheverloren haben, einem neuen Mordkommandrfolgen muß?Die Beantwortung dieser Frage ist von unkallen nicht völlig unabhängig!Otto Iltis.