Seite 2 Donnerstag, 18. Oktober 1934 Nr. 214 Fenster mehr; die schöne Fassade ist von tausenden Schußspuren durchfurcht. Gleichzeitig verkündet zu den Klängen von El Seqador", der katalanischen Freiheitshymne, der Barcelonaer Rundfunk die Ausrufung deS Unabhängigen Bundesfreistaates Katalanien . Ml» nuten später begann dort die wilde Schlacht, die von dem Radiosprecher der Generalidad in allen Einzelheiten geschildert wurde: zehneinhalb Stunden lang, bis zu dem Augenblick, da die Truppen des regierungstreuen Generals Batet in das Gebäude eindrangen und ihn niederschos­sen. ES war die sensationellste, die aufregendste, die lcbenSnachste Ansage, die je gesendet: Die Scharmützel auf der Hauptstraße; das Feuer ver­stärkt sich; Truppen marschieren an; einzelne Re­gimenter stehen schon im Gefecht; von allen Sei­ten strömen der Generalidad Hilfstruppen zu; immer neue Massen entsenden die Arbeiterbegirke RabassaireS kommen aus den Dörfern. Der Sprecher fährt fort: er schildert das Ge­metzel. Noch haben die Katalanen die Obermacht. Aber schon dröhnen die schweren Geschütze, schon brennen Häuser, schon naht das Luftgeschwader, die Innenstadt zu bombardieren. Der Sprecher fährt fort: 6.30 Uhr früh- da plötzlich erklingen zwei Schüße aus dem Laut« sprecher. Die Stimme deS Speakers schnappt ab. Pause. Zehn trockene Worte, in spanisch jetzt, nicht mehr in katalanisch : Batet hat die Generakidad gefangen gesetzt. Er und sein Stab herrschen in Barcelona . Vom Madrider Rathaus wird der Bürgermeister verjagt. Zahllose Ortschaften regieren die Kapitäne der Guardia. 3500 Golda« ten kämpfen sich in Asturien durch. Zwei Kreuzer Libertad" sFreiheit) heißt der eine be« schießen die Stellungen der Arbeiter an der kan­tabrischen Küste. Gendarmerie ficht im Süden. Das alles ist heute schon Geschichte, die Litera­tur darüber wird einst Bände füllen... Das Blutbad in Barcelona , die Schlacht im Basken­ land , der Kampf um Asturien , der Heldenmut der Madrider, die Aufstände in den Dörfern was weiß man heute schon darüber? Nichts. Nicht ein­mal die Zahl der Toten. Nicht die der Verwunde­ten und die der Verhafteten. Nur daß der Auf­stand niedergeschlagen ist. Und Stunde um Stunde verkündet ein Rundspruch:Wer nicht zur Arbeit zurückkehrt, wird fristlos entlassen." Wer nicht zur Arbeit zurückkehrte, war die spanische Arbeiterschaft. Der Streik geht weiter, das Ende ist nicht abzusehen. In den Gas« und Elektrizitätswerken arbeiten seit Freitag Solda­ten. Straßenbahnen, einzelne Metrolinien, Taxis werden von Soldaten geführt. Zu wenig. In den Kasernen wird Brot gebacken zu wenig, viel zu wenig. Mit allen Mitteln sucht die Regierung, das öffentliche Leben aufrecht zu erhalten. Bei Strafe von 20.000 Peseten werden die Geschäfts­inhaber gezwungen, ihre Läden zu öffnen. Licht­reklame muß gebrannt werden. Die Autobesitzer ^müssen spazieren fahren. Die Wohnungsinhaber dürfen bei Tag die Rolläden nicht herablassen. Aber die Arbeiter gehen nicht zur Arbeit. Uebermüdete Soldaten führen die Unter­grundbahn, lenken die Straßenbahn, versehen den Reinigungsdienst in der Stadt und bei Nacht den Sicherheitsdienst. Aber die Arbeiter haben die Hände in den Taschen. Wichtige Stellungen sind verloren, wichtige Führer verhaftet. So die der sozialistischen Ju­gend. So eben A z a ü a, erster Ministerpräsident der Republik und einer ihrer wichtigsten Geburts­helfer. Die Zentrale des Aufstandes und des Ge­neralstreiks jedoch ist noch nicht entdeckt. Und die Arbeiter gehen spazieren.... Die deutsche Arbeiterschaft ist widerstands­los in den FascismuS geplumpst. An dem Fehlen der Solidarität weiter Arbeiterschichten zerbrach die Insurrektion in Wien . Der Aufstand in Spa­ nien ist von der Armee niedergeschossen. Aber noch bleibt übrig: einmütige, eiserne passive Resistenz. Die Regierung sagt:Zusammenbruch. In weni ­gen Tagen ist alles vorbei!" Das Jesuitenorgan El Debate", von katholischen Arbeitern gedruckt, beruhigt seine Anhänger:Nur das letzte trotzige Aufbäumen, keine planmäßige Aktion." Aber die Arbeiter sagen: Und wenn wir Sohlenleder fressen müßten! ManzwingtunSnicht." Soztaldcmolcratisdic Initiative: Audi die Jungen sollen Arbeit benommen! Nach einer Aussprache mit den Vertretern der beiden sozialistischen Jugendverbände haben die Klubs der deutschen und der tschechischen So­zialdemokraten in der böhmischen Landesvertre­tung den Anstoß dazu gegeben, daß die Aktion zur Beschaffung von Arbeitsmöglichkeiten für ar­beitslose Jugendliche auch im Bereiche des Lan­de«, der Bezirke und der Gemeinden in möglichst großem Umfange durchgeführt werde. Als Vor­bild dienen die Maßnahmen, welche das Fürsorge­ministerium auf Grund der Initiative der soziali­ stischen Jugend bereits ergriffen hat. Die beiden sozialdemokratischen Klubs haben die Forderungen in folgendem gemeinsa­men Antrag zusammengefaßt: 1. In die Bergabededingungen für Landes­arbeiten und bei Durchführung von Arbeiten, welch« vom Lande unterstützt werden, wird die Vorschrift ausgenommen, daß wenigstens 15 Pro­zent der beschäftigten Arbeiter den Altersklassen von 18 bis 24 Jahren angehören müssen. Den anderen SelbstverwaltnngSkörpern wird derselbe Vorgang bei den von ihnen durchgesühr- ten Arbeiten empfohlen. 2. DaS Land errichtet bei hiezu geeigneten Arbeiten Arbeitsgemeinschaften jugendlicher Ar­beitsloser nach den Grundsätzen des Ministeriums für soziale Fürsorge und empfiehlt auch den an- dern GelbstverwaltungSkörpern die Errichtung solcher Arbeitsgemeinschaften bei hiezu geeigneten Arbeiten. Dir Antrag sieht ferner vor, daß der Lan- dcSausschuß in der nächsten, im Dezember statt­findenden, Sitzung der Landesvertretung einen Bericht über die Vorarbeiten zu dieser Aktion vor- lcgt, wobei besonders Rücksicht auf die Kon­trolle ihrer Durchführung genom­men werden soll. Die sozialdemokratischen Klubs setzten sich für die Interessen der arbeitslosen Jugend auch in der Budgetdebatte in der Landesvertretung ein. Es sprachen in der Mittwochsitzung zu dem ange­führten Antrag die Genossin Deutsch , für die tschechischen Genossen die Genossin Bulikovä. Bürokratische Schwerfälligkeit I bringt Gemeinden an den Bankrott Die Gemeinde Ntstersitz im Aussiger Bezirk hat im Jahre 1931 eine Wasserleitung mit einem Kostenaufwand von 1.5 Millionen XL durchge­führt. Von dem technischen Beamten des Landes- amteS erhielt sie die Zusage, daß ihr, für den Bauaufwand bis zu 740.000 XL eine Subvention bewilligt werden würde. Bis heute aber erhielt die Gemeinde trotz vieler Interventionen und ob­wohl sie an den Bau auf Drängen deS technischen Beamten des Landes gegangen war, keinen-Heller. Die Gläubig» drohen mit Klagen und Exekutio­nen, weil die Gemeint«, welcher die Subvention borenthalten wird, die Annuitäten nicht fristgerecht bezahlen kann. Aus denselben Gründen sind a p ch a n d e r e Gemeinden in eine schwierig« Situation ge­raten. So wurde z. D. auch der Gemeinde Klein­priesen ssvm technischen Beamten des Landes eine Subvention zugesagt, die jedoch, nachdem der Bau durchgeführt worden war, nicht ausgezahlt wurde. Um die auf solche Weise entstandenen finan­ziellen Schwierigkeiten vieler Gemeinden zu be­heben, hat Genosse P ö l z l in der böhmischen LandeSbertretung einen Antrag überreicht, durch welchen der LandeSauSschuß aufgefordert wird, dafür zu sorgen, daß im Interesse einer geord­neten Gemeindeftnanzwirtschaft und deS Kom­munalkredits die rückständigen Subven­tionsangelegenheiten sobald wie mög­lich aufgearbettet werden. Vie Unverantwortlichen DieDeutsche Presse" nimmt in einem Leit­aufsatz, betiteltDie Verantwortung ", zur Dul­dung und Unterstützung deS kroatischen Terro­ristenlagers durch Ungarn Stellung. Sie be­gnügt sich damit nicht, sondern schreibt u. a.: Aber auch in Marburg ... stehen heut« an der österreichischen Grenze Hunderte bewaffneter österreichischer Legionäre, des Winkes gewärtig, ihre terroristische Tätigkeit wieder zu beginnen. Ebenso beherbergt die Tschechoslo­ wakei ein« nicht geringe Zahl je­ner austromarxistischen Aufrührer, di« nach der mißlungenen Juntre» voltehier ihr Asyl gefunden haben. Daß derartige Emigrantenzentren die Brand­herde in Europa werden können, steht außer Zweifel." Das ganze ist, wieder ein Versuch, den österrei- chtschen Feber fluchtungen das Asylrecht in der Tschechoslowakei zu nehmen. Diesen Versuch unternimmt dieDeutsche Presse" in wahrhaft teuflischer Weise im Zusammenhang mit dem Attentat von Marseille und allerdings in einer Zeit, da die katholische Emigration aus Deutschland immer größer wird. Der JesuitiS- muS handelt nicht immer klug..* Der VerkehrSauSschutz deS Senates verhandelte am Mittwoch neuerdings die Regierungsvorlage über die Fahrt mit Motorfahrzeugen, d. i. das definitive Automobilgesetz, und schloß sich den tagSvorher vom verfassungsrechtlichen Ausschuß beschlossenen Äenderungen und Resolutionen an. Frankreichs neuer AuBenmlnlster Laval, der Nachfolger des ermordeten Barthon Die Arbeitslosigkeit der Jugend Erschütternde Ziffern aus dem SoriaHstb sehen Jugendverband Das soeben erschienene Funktionärblatt deS Sozialistischen Jugendverbandes,Der Wegwei­ser", enthält den Bericht über eine Funktionär­schule, die der Verband für den Kreis Karlsbad abgehalten hat. Es waren vierzig Teilnehmer. Eine Umfrage über die sozialen Verhältnisse er­gab folgendes: Teilnehmer ViS zu ü Jahr waren arbeitslos. 10 Vis zu 1 Jahr waren arbeitslos. 3 Lis zu 1% Jahren waren arbeitslos 7 ViS zu 2 Jahren waren arbeitslos 6 ViS zu 8 Jahre» waren arbeitslos 3 ViS zu 4 Jahren waren arbeitslos 2 Bon 40 der führenden Funktionär« unserer Karlsbader Jugend-KreiSorganisation sind also 31 arbeitslos. Der Wegweiser" schreibt nach der Wieder­gabe dieser Zahlen: Richtig zum Bewußtsein kommt einem aber die Not und auf der anderen Seite die Aufopfe­rung der Genossen, wenn man erfährt, wie eS zu Hause in der Familie mit der Arbeit bestellt ist. Man könnte darüber einen gesonderten Artikel schreiben. Nur einige Beispiele: Familien- mitglieder 6 8 4 davon über 14 Jahre'.... 5. Keiner davon Arbeit, 4. Keiner davon Arbeit. 4 Seiner davon Arbeit. 8 7 4 Ehrer davon Arbeit 4 Einer davon Arbeit. 3 Einer davon Arbeit, Diese Reche könnte man ins unendliche fortsetzen. Jeder, der weiß. waS eS heißt, erwerbslos zu sein, kann sich die Folgerungen dieser Zahlen auf die Arbeit der Orgamsation auSmalen." Diesen Feststellungen wird jeder beipflichten. Sie sind noch zu ergänzen durch einen Hinweis ai{f den Opfermut, den diese arbeitslosen Jugendlichen Tag um Tag im Dienste ihrer Organisation beweisen. 24 BRUNO ADLER : Ein weiter Platz im Walde! Ringsum stehen Rabbiner im Talar, in der Mitte wetzt ein Schächter ein riesiges Messer. Endlich wird das Opfer herbeigeschafft: ein schöne- Mädchen. Der Schächter erhebt sein Messer..." Hier versagt dem Berichterstatter die Feder, das Wei­tere niederzuschreiben. Der Platz am Waldrand, wo man di« Er­mordete gefunden hat, ist geheiligt. Fromm« Her- ->en und Hände haben ihn gepflegt und verschönert. Niemand geht vorüber, ohne vor dem Bild der heiligen Agnes an der großen Fichte eine stillt Andacht zu verrichten. In diesem Jahr wird in Polna der Peter- und PaulS-Tag besonders feierlich begangen. Tausende Wallfahrer sind in der Stadt zusam­mengeströmt, um- in Prozessionen zum Bresina- walde zu ziehen. Alles ist dort eindrucksvoll ber- gerichtet. Der Weg wurde verbreitert, die ge­weihte Stelle oberhalb des Hohlwegs mit Krän­zen, Blumensträußen und Kerzen geschmückt. Bet­pulte und Bänke sind aufgestellt. An einem Baum ist ein buntes Gemälde angebracht: drei scheußliche Männer, krummnasig, zottelbärtig, in langen Talaren, Gebetbücher in den Händen, schlachten mit einem großen Messer ein Mädchen «ch. Neben ihnen eine Frau, die daS«»uSströmende Blut in einem metallenen Kecken auffängt. Die Wallfahrer singen' und beten, die Frauen weinen, die Männer schlagen ernst daS Kreuz, der Priester segnet die Menge. Viele gehen nachher nach WjeSnitschka hinüber, und im Haus der Hruzas ist ein unaufhörliche- Kommen und Gehen. Jeder will der armen Mutter ein­mal die Hand drücken. Für den nächsten Sonntag ist eine Wieder­holung der Prozession angesagt. Die Juden in Wien regen sich auf. Der Ministerpräsident soll daS Bild mit der Darstellung deS Mordes sofort entfernen und den Urheber dieses Frevels bestra­fen lassen. Daß die Regierung diesen Wünschen unverzüglich nachkommt, und daß daS Bild am Sonntag vor Morgengrauen von Gendarmen weggeholt wird, steigert di« Empörung der Gläu­bigen. Die Wallfahrt ist heute eine politische Demonstration. Durch die Teilnahme der Geist­lichkeit erhält sie ihre Weihe. Böhmen und Mähren werden überschwemmt von Propagandaschristen und Bildern. Ueberall in den Fenstern der Buchhandlungen und Papier­läden liegen Broschüren und Flugblätter aus, die da« rituelle Schächten von Menschen und speziell den Mord von Polna beschreiben, Ansichtskarten vom Schauplatz der Tat werden in riesigen Men­gen verbreitet. Das Bild der Agnes und ihrer Mutter, aber auch des HilSnerS ist allerorts zu sehen. Kolporteure tragen eine illustrierte Dar­stellung deS Ritualmords von Tür zu Tür. So primitiv und grob die Zeichnungen sind, so über­trieben die Einzelheit««, wie Nasen, Messer, Blut, so grell die Farben dieser rohe Realismus trifft genau ins Ziel. Unvergeßlich prägen die Bilder sich ein; sie erregen die Phantasie, sie wel­ken die geheime Lust an der Grauscnnkeit. Auch der Stil der Texte ist vortrefflich auf daS Gehör des Volkes abgestimmt. Salbungsvoller Herzens­ton und völkische Phrase üben ihre Macht. Die Traktätchen triefen von Eltern-, Kindes- und Heimatliebe, von National- und Rassenehre. In jedem Kramladen ist HilSners dichterisch ausge- schmückte Lebensbeschreibung, tschechisch, deutsch , siowakisch und ungarisch, zu haben. Ein Flug­blatt beschreibt mit überzeugend wissenschaftlicher Akribie den MordrituS: Der den Kopf des Opfers hielt, warein Kultusbeamter der Hebräer, Oberer des Kahal , der Polizei- und Henkertruppe der Hebräer"; der daS Messer führte, warder Zaodick oder der heilige Mann der Hebräer, der Wunderrabbi und Schächter der alljährlichen Sühneopfer". HilSner spielte dabei eine zwar untergeordnete, doch wichtige Rolle: er warder Beschaffer des Opfers". Mit Schriften dieser Art und Bilderkarten hat ein gewandter Ber­ liner Verleger außerordentlichen Erfolg. Für die Zeitungen ist der Fall ein Geschäft, das die stille Saison großartig belebt. In den Volks- und höheren Schulen unterrichten anti- semitische Lehrer über das rituelle Blutopfer. Ter katholische KleruS aber lonn nicht zusehen, wie er seine Gläubigen an die Parteien verliert, die den Pogrom programmätzig fördern; also wetteifert die Kanzel mit der SensationSpreffe. Die Propagandazentrale in Wien läßt kei­nen Tag ohne neue Enthüllungen vergehen. Ge­stern haben zwei Juden ein laut weinendes christ­liches Mädchen über den Stephansplah geschleppt, meldet dasDeutsche BolkSblatt" und leitet Nach­forschungen über den mysteriösen Fall ein. Heute berichtet eS, daß in Wildenschwert, im nördlichsten Böhmen , wieder ein Ritualmord ent­deckt worden sei, dem vor bald zwei Jahren ein junges Mädchen zum Opfer fiel. Ihre halbver­weste Leiche wurde damals in der Wilden Adler gefunden. Man vermutete einen Selbstmord. Jetzt, im Juli 18öS, vertraute ein Mann der Mutter jene- Mädchens an, daß er damals in der Nacht gesehen habe, wie zwei Leute das Mädchen ins Wasser warfen. Beim Aufflammen eines Zündholzes habe er di« beiden Männer erkannt. Er nennt ihre Namen, es sind zwei Wildenschwer­ter Juden. Die Behörde wird in Bewegung gesetzt, die Leiche wird exhumiert, sanitätSpolizeilich und gerichtsärztlich obduziert, die beiden Verdächtig­ten werden verhört, nichts ergibt sich. Ein neuer Beweis, daß die Justiz in diesem Staate nicht wagen darf, gegen jüdische Verbrecher einzu­schreiten. Die Menschen von Polna sind unfrei, ängst­lich und grausam. Fremd ist ihnen die Welt, alle« Fremde unheimlich; sicher fühlen sie sich nur zu Hause. Zur Heimat gehören auch daS harte Los, der dumpfe Trotz und der finstere Glaube. Ihr Denken ist verstrickt in überlieferte Bilder, ihre- Seele befangen in mythischen Bannkreisen. In der Tiefe deS Gemüts lauern Urmächte, um her­vorzubrechen. Die Welt ist böse. Der Feind frißt dich und trinkt dein Blut. Der Teufel ist häßlich, hat eine krumme Nase und schleppt ein Bein nach. Wahr ist, waS wirklich ist, Wirllichkeit aber wird und wächst aus der Vorstellung. Gegen diese Mächte hat auch dasRechts- komitee" einen schweren Stand. Es kann über die Bilder und Spiele einer erregten Phantasie keine Kontrolle au-üben. Wenn sich plötzlich einer er­innert, daß aus dem Kamin im Hause der HilS­ners zu Ostern brennende Hosen hinausgefiogen seien, so dient das der Sache keineswegs. ES dient ihr auch nicht, daß der Schneider Strnad bei der gerichtlichen Vernehmung behauptet: auch er, nicht nur Ein!, Skareda und die Huber, habe am 29. März um 8 Uhr nachmittags die drei Bur­schen gesehen, aber ganz wo anders als jene; er sah sie durch die Kandia, die Untere Stadt, zum BräuhauS hinaufeilen.Sie sprangen geradezu in- Tor," offenbar, um auf diesem Weg über den Katharinenhügel in den Wald zu gelangen. Hils» ner habe nicht den grauen WerktagSanzug, son­dern das blaue FeiertagSgewand angehabt, und auch der Hinkende ist dem Zeugen anders in Er­innerung als den andern Beobachtern. Im Juli erhebt der Staatsanwalt die An- klage gegen Leopold HilSner,daß er am LS. März 1899, gegen sechs Uhr abends im Walde Bresina bei Polna , in Gemeinschaft mit bisher unbekannten Tätern gegen Agnes Hruza in der Absicht, sie zu töten, auf eine solche Art gehandelt hat, daß daraüS deren Tod erfolgte, daß der Mord in tückischer Weise verübt wurde, und daß er sich somit deS in 88 13- und 188, Abs. I, St.-G., verzeichneten, nach 8 136, St.-G., strafbaren Verbrechens deS Meuchelmordes schuldig gemacht hat.".(Fortsetzung folgt.).