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Sonntag, 21. Oktober 1934

Nr. 247

Tagen des Kampfes funkt Moskau Hetznachrich­ten gegen die Sozialdemokratie, gibt es die Pro­pagandanachrichten der Dollfuß -Henker weiter, unmittelbar nach dem Kampf hat es keine andere Sorge, als die illegalen Zellen des österreichischen Sozialismus zu spalten. Der Zusammenschluß der österreichischen Sozialisten, der kürzlich erfolgte, wurde von den Kommunisten als Spaltungsmanö­ver bezeichnet. Das Bewußtsein, daß die Kommu­nisten, solange es irgend möglich war, die Eini­gung verhinderten, daß sie der Sache des Sozia­lismus damit einen in Jahrzehnten erst wieder gutzumachenden Schaden zugefügt, tausende Kämpfer aber ans Messer der Fascisten geliefert und uns unwiderbringlich geraubt haben, läßt uns die vielleicht in absehbarer Zeit mögliche Einigung nicht so freudig begrüßen, wie wir es getan hätten, wäre sie für uns nicht mit der FeststellungReichlich spät!" verbunden. Für die Arbeiterorganisationen In dem Kampf- gegen die kommunistische Demagogie haben wir anderthalb Jahrzehnte d i e Organisationen derArbeiterver- t e i d i g t, das Werk jahrzehntelanger Arbeit, die Waffen, mit denen das Proletariat seine größten Siege erfochten hat. Gegen die leichtsinnigen Ver­suche, den Bau der Organisationen niederzureihen und die besten Waffen aus der Hand zu geben, haben wir mit Einsatz aller Kräfte gekämpft. In diesem Kampf haben unsere besten Männer im Betrieb, in der Lokalorganisation, in, den ReichS- parie'en ihre Gesundheit und ihr Leben eingesetzt, Uns allen steht das Bild des todkranken Josef Seliger vor Augen, der sich unter Hintanstel­lung jedes persönlichen Interesses 1920 für die einige Bewegung geschlagen hat. Wenn diese un­glückselige Epoche der Arbeiterbewegung, in der die Kommunisten ihre ganze Kraft auf die Zer­störung unserer Organisationen verwandten, wir unsere, beste Kraft in der Abwehr des Verbrechens verbrauchen mußten, endgültig abgeschlossen wer­den soll, müssen wir Garantien ha­ben, daß nicht auch jetzt noch ein gewissenloses Manöver ausgeführt wird. Auf dem Kongreß der sozialistischen Jugendorganisation Belgiens baben, wie August D e w i n n e imP e u p l e" mitteilt, die Jugendgenoffen bewegte Klage dar­über geführt, daß die Kommunisten die Abmachungen über die einheitliche Kampf­front gebrochen und in zahlreichen Orten die gemeinsamen Veranstaltungen zur Hetze gegen die Sozialdemokratie im alten Stil benützt haben. Sollen wir uns auf das Glatteis kommunistischer Demagogie begeben, sollen wir unsere solange und mit schwersten Opfern intakt erhaltenen Or­ganisationen dem schon bankrotten Sektierertum als Plattform ausliefern? Nur wenn wir die Ge­wißheit haben, daß es wenig st ensjetzt ehr­lich gemeint ist und daß wir nicht, was wir den Arbeitern ein halbes Menschenalter gegen die kom­munistische Zerstörungswut erhalten haben, die aktionsfähigen Organisationen neuen Gefahren aussetzen, werden wir einen Strich unter das Ver­gangene ziehen können. Rias dringen uns die Kommunisten? Solange die Kommunisten in den erneuerten Bund etwas mitzubringen hatten, waren sie Gegner der Verständigung. Solange die Vereini­gung bedeutet hätte, daß zehntausende Organi­sierte, hunderttausende Sympathisierende für die Sache des Sozialismus gewonnen würden, haben die Kommunisten von der Bereinigung nicht- wis­sen wollen. Heute müssen wir uns, fern von Illu ­

sionen, nüchtern fragen: was bringen uns die Kommunisten? Zwischen ihrem und unserem Einsatz besteht ein schreiendes Mißver­hältnis. Wir bringen eine organisierte und aktion-fähige klassenbewußte Arbeiterschaft an den Verhandlungstisch, die Kommunisten einen von Moskau allein gehaltenen Apparat und klägliche Trümmer einer einstmals swlzen Bewegung. Die tschechische Bruderpartei berichtete dieser Tage, daß die Kommunisten eben jetzt ihre Orga- Ni satioi. sreste liquidier« N, die Mit­gliedsbücher einziehen, sich auf die Illegalität um­stellen, in die ihnen Nach allem, was geschehen, nur wenige folgen würden. Auch über das Häuflein, ! das zur alten Fahne stößt, würden wir uns freuen, aber wir können es nicht, ohne daran zu denken, daß der Kommunismus inzwischen den Besten, die er einst von uns trennte, das Mark ausgehöhlt, den Mut und den Glauben genommen, daß er Zehntausende ins Lager des FasciSmus getrieben hat. Einheitsfront und Demokratie Die holländisch« Bruderpreffe schrieb in die­sen Tagen der neuen Einheitsfront-Debatten: für die sozialdemokratischen Parteien der demokratischen Länder könnte die Bereinigung mit den Kommunisten zu einer

Vie politische Woche Nach dem Attentat von Marseille ist in der abgelaufenen Woche bereits eine gewisse Beruhi­gung eingetreten und es scheint eher, daß das Attentat doch keine weitergehenden Nachwirkungen haben wird. Allerdings ist die allgemeine Stim­mung den Ungarn gegenüber etwas gespannt. Die durch den Tod Barthous ausgelöste Kabinetts­rekonstruktion in Frankreich hat sich ohne Aende« rung deS Systems glatt vollzogen. Man kann an­nehmen, daß die in der ersten Novemberhälfte stattfindende außerordentliche Tagung des Völ­kerbundrates. wenn man von der Saarfrage ab- sieht nicht unmittelbar vor schicksalsschwere Entscheidungen gestellt werden wird. Nicht uner­wähnt dürfen in diesem Zusammenhang die Be­ratungen der Kleinen Entente in Belgrad blei­ben, welche gewisse Vorsorgen betrafen, die sich im Gefolge des Marseiller Attentates als notwendig erwiesen. Die geforderten internationalen Maß­nahmen dürften vor allem die Abschaffung der Terroristenlager an der ungarischen Grenze be­treffen. Die Reise des Ministerpräsidenten und dreier Minister zu den' Trauerfeierlichkeiten nach Bel­ grad brachte es mit sich, daß innerpolitisch dies­mal nur wenig zu berichten ist. Der freitägige Ministerrat hat biS auf wenige Punkte nur lau­fende Angelegenheiten der Verwaltung erledigt. Außer den Budgetvorbereitungen taucht die Frage einer baldigen ä' u ß e n p o I r r r s ch e n De­batte auf. Auch davon wird gesprochen, daß neben dem Finanz- und dem Außenminister der M i n i- sterpräsident selbst im Parlament das Wort ergreifen soll. Eine Entscheidung über den Umfang dieser parlamentarischen Exposees und der anschließenden Debatten wird jedoch erst in der kommenden Woche gefällt werden. Vor allem wird zu entscheiden sein, ob nach der Auflegung des Budgets sofort der Budgetausschuß mit sei­nen Beratungen einsetzt oder ob diesmal doch mit Rücksicht auf die dringenden wirtschaftspolitischen Probleme unmittelbar im Anschluß an dar Expo­see Trapls ein« Wirtschaftsdebatt« im Plenum der beiden Kammern abgeführt werden soll.(In

ernsten Gefahr werden. Auch das ist zu be­denken. Die Kommunisten haben sich bis in die jüngste Zeit alsFeindeperDemokratie bezeichnet. Wenn die bürgerlichen Parteien sie ge­währen ließen, so vor allem deshalb, weil die Kommunisten ein willkommenes Gegengewicht gegen die Sozialdemokratie darstellen. DaS würde sich ändern, wenn wir die Einheitsfront mit den Kommunisten verwirklichen. Dann wird die Bour« geosie auf daS Verbot der Kommunisten dringen, alle Kräfte gegen die Einheitsfront mobil machen, uns zwingen, für die Rettung der kommunistischen Splitter und Trümmer alles einzusetzen, was w i r zu verlieren hätten, und was eben bedeutend mehr ist, als die Kommunisten selbst zu verlieren haben. Wir wünschen die Einheit, wir sihnen uns nach ihr, seit sie verloren ging. Aber weil in der Politik nicht Gefühle allein entscheiden dürfen, gilt eS gerade jetzt, wo dem Einheitsstreben endlich wieder günstigere Sterne leuchten, auch die Hindernisse nüchtern abzuschätzen und jeden Schritt reiflich zu bedenken. Die Bewegung zu opfern, um einer Vision nachzujagen, hieße schlechte Politik machen. Arbeiten wir für die Einheit, aber für eine Einheit, die uns stärker macht, als wir bisher waren!

früheren Jahren wurde die Debatte über das Finanzexposee immer erst nach Wochen mit der Budgetdebatte im Plenum verknüpft.) Der Ministerrat hat am Freitag die Richt­linien für das neue Exportinstitut in den entschei­denden Punkten fertiggestellt; jetzt sind allerdings noch die sehr wichtigen Posten des Präsidenten und des leitenden Direktors der Anstalt zu beset­zen, von deren guter Auswahl angesichts des Ex- portcharakterS unserer Wirtschaft viel abhängt. Der Ministerrat hat ferner die Durchfüh­rungsverordnung zum Gesetz über die Gru­beninspektion nach langwierigen Verhand­lungen zwischen den einzelnen Ressorts endlich verabschiedet. Es werden acht Grubenin­spektorate errichtet(in P r a g, P i l s e n, Brüx , Karlsbad , Brünn , Märisch- O st rau, Banskä Bystrica und Spi-ska Nova BeS) und 17 Inspektoren bestellt werden, deren Dienstverhältnisse definitiv geregelt werden. Der Ministerrat hat endlich über Antrag deS Arbeitenministeriums wie in den Vorjahren ein« Kohlenaktion zu Gunsten der Arbeitslosen beschlossen. Das Arbeiten­ministerium stellt ans den Staatsgruben rund 7000 Waggons Kohle zur Verfügung und man erwartet, daß auch die privaten Gruben gleich­falls eine entsprechende Kohlenmenge aufbringen werden. Das Eisenbahnministerium wird durch entsprechende Tariferleichterungen daS Gelingen der Aktion fördern, "Tas Fursorgeminisferium sctztfeme Demü- Hungen auf dem Gebiete der produktiven Arbeits­losenfürsorge und der außerordentlichen Hilfs­maßnahmen weiter fort. Die Vorbereitungen zur Aartoffelaktion sind bereits im Gange, die Brotaktion für Arbeitslose läuft in dem er­höhten Ausmaß weiter. Außerdem ist das Mini­sterium bemüht, die eingeleitete Aktion zu Gun­sten der Arbeitsbeschaffung durch die Selbstver­waltungskörper in konkrete Bahnen zu lenken. Mit der Vorbereitung entsprechender Hilfsmaßnahmen zur Linderung der Not im sechsten Krisenwinter werden sich sowohl die einzelnen Ressort- wie auch der Ministerrat noch in reichlichstem Maße zu be­schäftigen haben.

Agrarische Kurzsichtigkeit Wir haben letzthin darauf verwiesen, daß in einem Artikel derDeutschen Landpost" erfreu­licherweise für die Aktivierung der bereits 1926 beschlossenen Sozialversicherung der Selbständigen plädiert wurde. Kaum war dieses vernünftige Verlangen von privater Seite geäußert und begründet, als schon das Gegenteil davon in derDeutschen Landpost" vertreten wurde. Unter dem großmäch­tigen Titel«Soll der Bauer Staatsrentner wer­den?" wird gegen die staatliche Altersversicherung der Landwirte mit allen erdenklichenArgumen­ten" Stellung genommen. Die Notwendigkeit einer bäuerlichen Alters« Vorsorgeversicherung als Ergänzung des ländlichen Ausgedinges wird freilich, meint dieD. L.", überall allgemein anerkannt, der staatliche Zwang aber von den allermeisten Landwirten abge­lt h n t, denn die eigenartigen Verhältnisse in per Land- und Forstwirtschaft verlangen eine ganz andere Behandlung aller sozialen Fragen. Für den Zwang eintreten, heiße den selbständigen Bauern die Entschluß- und Tatkraft zur Selbst­hilfe absprechen, die sie beim Auf- und Ausbau des Genossenschaftswesens hinreichend bewiese« haben.. Run wurde in dem ersten Artikel derD. L." zahlenmäßig nachgewiesen, daß die private Ver­sicherung alsErgänzung des Ausgedinges" praktisch bedeutungslos sei und nur eine allgemeine staatliche Versicherung von Nutzen für die Landwirtschaft sei. Trotz alledem werden die alten abgedroschenenGründe" gegen die staat­liche Versicherung ins Treffen geführt: die Be­amtenzentralen, die staatliche Kontrolle, das scheinbare Geschenk des Staatszuschuffes", ge­ringe Erfahrungen, Gefahr von Schmälerung« kurz dieD. L." quält sich damit ab, chre» Lesern die Wohltat der staatlichen Altersversiche­rung möglichst zu verekeln. Wer dieWohl­taten" des Ausgedinges kennt und weiß, daß für die Mehrheit der Landwirte auch diese zweifel­hafte Fürsorge nicht vorhanden ist, dann staunt man bloß über die Kurzsichtigkeit der Agrarier in sozialpolitischen Fragen.

Einschreiten der Bergarbetterverbfinde fttr die Bruderladen-Pensionisten Prag . Am Samstag sprachen die Genoss« Tayerle für die beiden Gewerkschaftszentra- sin, Haa se für die Union der Bergarbeiter und B r o j i k für den Svaz horniku beim Fürsorge­minister Genossen Dr. Meißner vor, um die Wünsche der Bergarbeiter zum 8 126.der Sozial» ve^lcherungsndöelle bckaimtzugeben. Es handelt sich dabei um jene Bestimmungen, nach welchen den Bruderladmrpensionisten, die gleichzeitig auch Rentenempfänger aus der Sozialversicherung find, sowohl die Staats- als auch die Alterszuschüffe entzogen werden, soweit die SozialversicherungS- rente in Frage kommt. Der Minister brachte den Darlegungen der Abordnung größtes Interesse entgegen und erklärte, er werde sofort verfüg«, daß ihm das betreffend« statistische Material vor­gelegt werde, um zunächst festzustellen, auf wel­chem Wege eine Abhilfe möglich wäre. Die Ver­treter der Bergarbeiterorganisationen werd« selbstverständlich dieser Angelegenheft weiter ihr größtes Augenmerk zuwenden.

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BIN TATSACHENROMAN Copyright UM by Michal Kacha Verlar. Prar XIX

BRUNO ADLER : flMPF um POLNA llek=S= BIN TATSACHENROHAN

klage nötige Zeitspanne zwischen der Tat und die­ser Begegnung gewonnen. Vesely ist jetzt völlig überzeugt, daß daS Messer, welches ihm HilSner im Sommer deS vorigen Jahres zeigte, ein Schächtermesser gewesen ist. Aus dem Gefängnis wird Selinger vorgeführt. Er hatte HilSner» An­gabe, ihn an jenem Mittwoch um die kritische Zeit gesprochen zu haben, bestritten. Do er selber sich damals aufgehalten hat, ist unklar. Daß er, dm viele in ein« verdächtigen Zusammenhang mit dem Lerbrechm bringen, nicht in seinem Quartter im Armenhaus gewesen ist, geht auS den Aussagen anderer hervor. Alles das interessiert den Ge- richt-hof nicht. Bemüht, andere zu belasten, er­zählt Selinger, daß etwa 14 Tage vor dem Mord der Handlungsgehilfe Fried auf dem Marktplatz scherzhaft gesagt habe:Zu essen hab ich nicht«, zu stehlen gibt'S in Polna auch nicht«, also muh ich jemanden erschlagen." Der Zeuge PeSäk, von dem sein Schwager zögernd angibt:.... man sagt, daß er lüge," ... wiederholt seine Darstellung. Er hat HilSner an der Gestalt und an den Be­wegungen, und er hat bie Kleidung der drei Leute genau erkannt. Der Angeklagte regt sich auf: Wenn mich einer am 29. März dort gesehen hätte, hätte er e« gleich angezeigt, wäre er gleich gekommen und hätte gesagt:.Ich hab diesm Hilt­ner gesehen, er hat da« getan!' Aber wenn ich schon ein halbe« Jahr eingesperrt bin wenn ich schon in der ganzen Welt ausgeschrien bin jetzt mit einem Male kommt er und sagt, daß er miw beim Bresinawald stehen gesehen hat- auf se<bS- hundert Schritt das ist ein« sichtliche Sache! Er will, daß ich verurteilt werde das ist eine sichtliche Sache;" Peöäk schreit ihn an:«Leug­nen Sie nickit! Ich habe Sie gesehen!" Auch, daß er die Aufträge seiner jüdischen Kunden nicht verlieren wollte und sich deshalb nicht früher ge­meldet habe, wiederholt er. Auf die Frage des Verteidigers, für welche Juden er arbeitete, gibt er eine unverschämte Antwort. Er spricht nur mit

Sie sagten, er war dem Hilsner ähnlich. Sehen Sie ihn genau an! Gleicht er ihm?" Sie überlegt:... der Körper, wie wenn ja das Gesicht nicht." Hilsner muß ein paar Schrftte machen und sich bewegen. Die Zeugin:Das ist alles anders." Klenovec und Sedlak sagen ous, und der Fuhrmann Ein! wiederholt seine Darstellung, um einige kleine Züge bereichert. Wieso er die zwei, die mit Hilsner an ihm vorbei ­liefen, als Fremde erkannte?Ich habe sie von hinten erkannt. Ich erkenne nämlich stark von hinten." Die beiden Begleiter sollen, so be ­hauptete das Rechtskomitee, Fried und Beran ge ­wesen sein. Aber Fried lag damals im Kranken ­haus, und Beran weist jetzt nach, daß er vom 20. bis 30. März im Polnaer Gerichtsarrest saß. Dr. Baxa bittet, die Möglichkeit zu erwägen, daß der Gefangenenaufseher den Arrestanten vorzeitig freigelaffen habe. Und sogleich meldet sich Kleno ­vec: der Aufseher sei wirklich ein sehr leichtfertiger Mensch, der wäre dazu imstande. Aber aus den Akten geht hervor, daß Beran tatsächlich seine Strafe abgesessen hat. Noch drei Tage lang marschiert die lange Reihe der Zeugen auf, deren Aussagen die Akten 'der Voruntersuchung und des Rechtskomitees füllen. Was sie jetzt bekunden, ist bestimmt, den Angeklagten noch schwerer zu belasten. Hatte z. B. die Sobotka ihn zuerst vor 6, als die Sonne noch am Himmel stand, und später nur noch bei schwachem LiM gesehen, so beschwört sie nun, daß die Sonne nicht mehr geschienen habe;'auch sei Hilsner gelaufen. Damit ist die im Sinne der An-' dem Borsitzend«.

Das Audftorium fühlt sich vom zweiten Tag an im Schwurgerichtssaal heimisch. Aussagen, die ihm gefallen, werden mit lautem Beifall ausge­nommen, Auseinandersetzungen oder entlastend« Bemerkungen erregen Unwillen und Widerspruch. Wenn der Verteidiger entschied« eingreift, gibt eS lauten Lärm. Der Präsident bezeichnet diese« Verhalten al« unartig und de« Gericht» unwürdig. Dr. Aükednikek hält eS nicht für möglich, auf die Entfernung» in der sich PeSäk befand, genaue Wahrnehmungen zu machen. Er beantragt, daß der ganze Gerichtshof mit dem Zeugen Pesäk einen Versuch an Ort und Stelle unternehme. Der Zeuge muß nicht wissentlich die Unwahrheit ge­sprochen haben. ES kann ein Irrtum sein. Ganz Polna steht unter einer Suggestton. Dafür haben die Zeitungen gesorgt. Es wäre denkbar, daß der Zeuge sich selber den Gedanken suggeriert habe, HilSner sei der Mörder. Der Staatsanwalt hält die Sehprobe für überflüssig, auch Dr. Baxa ist dagegen. Die Geschworenen beschließen, dem An­trag des Verteidiger- keine^olge zu leisten. Doch soll ein Mitglied deS Gerichts einige Feststellungen vornehmen. Tags darauf macht der Adjunft Baudysch eine Probe. Mit einigen Leuten nimmt er dm Standort des Pesäk ein, drei andere, di« er kennt, werden auf die von Petäk angegebmen Plätze ge­bracht. Die Entfernung beträgt in der Luftlinie 876 Meter. Bei Sonnenuntergang ist die Be­leuchtung am günstigsten. Man konstatiert, daß die an HilSnerS Stelle stehende Person als Silhouette gut zu sehen, die zwei andern nur schwer zu unter­scheiden sind. Bei keinem der drei sind die Umrisse oder Züge des Gesicht- zu erkennen, und ganz unmöglich ist es zu unterscheiden, ob der eine dicker oder älter als der andere und ob rin Anzug gut oder schäbig ist. Mit Sicherheit kann man nicht einmal eine bekannte Person erkennen, solange sie sich, nicht bewegt; sie müßte sich schon durch be­sonders charakteristische Gesten auSzeichnen, um erkannt zu werdm. In Kuttenberg

wird weiter verhandelt. Di« Mutter HilSnerS, auf dem Weg zum Gericht von Hunderten verfolgt und verflucht, begibt sich au» Furcht ihres Aussagerechtes. Seine Dante, Hen­riette Bodansky, wird aufgerufen, und kommt verkrüppell, fast kriechend, in den Saal. Sie be­schwört, daß Leopold am 29, März zu Hause ge­wesen sei. Zwischen 5 und 6 Uhr nachmittags habe sie ihm Kaffee gekocht. Der Staatsanwalt be­antragt die sofortige Verhaftung der Zeugin wegen Meineidsverdachtes. Dem Antrag wird stattgegeben, und das Auditorium ist sehr zu­frieden;So ist's recht! Rur einsperren I" Die Sachverständigen des Gerichts behaup­ten, daß die Flecke auf den grauen Hosen mit größter Wahrscheinlichkeit von Menschenblut her» rühren. Stürmischer Beifall und lebhafte Zustim« mungSrufe des Auditoriums begleftm ihre Aus­einandersetzung mit dem Verteidiger, der auf eine begründete eindeutige Aussage drängt. Als er be­tont, daß die Professoren Kratter in Graz und Mautner in Wien anderslautende Gutachten ab­gegeben haben, rufen die Zuhörer:Juden! Juden!" und lärmen so lange, bis der Vorsitzende eingreift:Ich bftte die Herren, sich aller Kund­gebungen zu enthalten. Das ist eine Unart." E« erscheint der Redakteur Hans Schwee aus Wien. Der Verteidiger hält ihm den im Deutsches Volksblatt" erschienenen Bericht über die Aussage, die Moritz Hilsner bei dem Groß- Meseritscher Gelage gemacht haben soll, vor. Schwer beschwichtigt ihn lächelnd:Wissen's, Herr Doktor, das iS' alles net wahr. Der ganze Arttkel is' a Frozzelei."Wie ist das mög­lich?"Bei uns in Wien is' so was schon möglich..." Der Vorsitzende:Merkwürdig, daß man in so ernsten Dingen, die die ganze Oeffentlichkeit interessieren, und wo eS sich um ein Menschenleben handelt. Arttkel schreibt,' die der Schreiber selber nachher als Frozzelei be­zeichnet."(Fortsetzung folgt.)