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Sonntag, 28. Oktober 1934
Nr. 253
„Landwirtschaftliche Arbeiter Paris . Der Sonderkorrespondent des„Exel- sior", der im Lager von Janka-Puszta geweilt hat, erklärt, daß dort bereits kein Kroate sei. Er dementiert jedoch die ungarischen Nachrichten, daß die Kroaten, die früher dort geweilt hätten,»landwirtschaftliche Arbeiter" gewesen wären, und erklärt vielmehr, Zeugen hätten bestätigt, daß niemand die kroatischen Terroristen arbeiten gesehen hätte.
auch Pflichte« in sich schließt. Pflichten, die wir gegen den Staat haben, nicht nur der bequemen Art, daß wir ihn bejahen und uns bereit halten, ihn zu schützen, sondern auch i n demhöherenSinne, daß wir ander Entwicklung dieses Staates mit- arbeiten, damit er dem Ideal das seine Gründer anstrebten, immer ähnlicher werde. Wir wissen, daß die Demokratie ihre soli- deste Sicherung in einer gesunden sozia- l e n B a s i s findet. Darum verpflichtet uns das Bekenntnis zum demokratischen Staat zu verstärkter Arbeit und zu unablässigem Kampf in der Richttlng der sozialistischen Ideale. Hunderttausende Staatsbürger hungern an diesem Staatsfeiertag. Ihnen Arbeitund Brot zu schaffen, wäre der größte Dienst, den Parlament und Regierung der Republik leisten könnten. Der demokratische Staat wird von den Mächten der fascistischen Konterrevolution innen und außen bedroht. Wir wollen nicht ablassen, ihn gegen diese Gefahren zu verteidigen, wir haben die Pfllcht, vor diesen Gefahren zu war-, »en, die w i r in der jüngsten Zeit oft eher und besser erkannten als die gewissermaßen„erban- gesessenen" Hüter der Republik . Wir freuen u n s der Tatsache, daß die Republik in ihrem 16. Bestandsjahr endlich ihr Verhältnis zuSowjetrußland regeln konnte, daß herzliche Freundschaft unseren Staat mit der Bundesrepublik der, russischen Arbeiter und Bauern verbindet. Wir sehen darin eine solide außenpolitische Sicherung der Republik und zugleich eine Rückendeckung für das sowjetistische Rußland , an dessen Bestand uns so viel liegt. Wir können nicht ganz so ruhig wie wir nach der Aussöhnung mit Rußland und nach der Erneuerung des herzlichen Verhältnisses zu Frankreich , über die Außenpolitik urteilen, die innerpolitische Lage beurteilen. Hier drohen der DemokratieGefahren, die vor allem deshalb groß sind, weil viele sie nicht sehen wollen. Im nächsten Jahr der Repu blik werden wichtige Entscheidungen fallen. Die Republik , sichern, heißt vor allem dafür kämpfen, daß dieWahlen des Jahres 1985 die wahrhaft staatserhaltenden, die d emokratischen Kräfte stärken, daß nicht leichtfertig ein Anwachsen der fascistischen Kräfte heraufbeschworen wird. Das ist in erster Linie eine Aufgabe der Staatspolitik gegen übe r de n R a»bj e b i'e i e n und der deutschen Arbeiterklasse, die mit Einsatz des Besten, was sie zu geben hat, für die demokratische Republik kämpft. So verbindet sich mit dem Fest für uns die Verpflichtung der Demokratie und der Republik das tägliche Brot zu schaffen, das sie zu gedeihlicher Existenz bedürfen: den sozialen Inhalt, das Maß sozialer. Gerechtigkeit, wirtschaftlicher Stabilität und kulturellen Lebensrau. mes, dessen-die Nationen und zwät die schaffe nden Massen der Völker bedür- fen, um gute Bürger, gute Soldaten, wahre Hüter ihres Staates zp sein! Wir können diese Betrachtung nicht schlie- ßen, ohne des Mannes zu gedenken, in dem sich
für uns alle körperlich, sinnfällig das Ideal offenbart, dem die Republik zustreben muß, will sie blühen und in die Jahrhunderte wachsen, des Präsidenten Thomas G. Masaryk . Ihm gilt unsere Verehrung auch heute.
Angehörige aller politischen Parteien, mit Ausnahme der Kommunisten, werden sich auch an den diesjährigen Staatsfeiern beteiligen. Darin manifestiert sich zweifellos die breite Basis des tschechoslowakischen Staatsgedankens im Denken und Fühlen der Bevölkerung, Ueber die Abstufungen der inneren Bereitschaft, für den dcmokratisch-repllblikanischen Staat auch in schwersten Stunden mit Taten einzustehen, sei hier nicht gesprochen. Ein offenes Wort aber sei aus diesem Anlaß gesagt, über das Ausmaß der persönlichen O p f e r, die für den einzelnen Bürger je nach seiner Nationalität und sozialen Stellung mit dem offenen Bekenntnis zum Staate verbunden sind.'' In Prag und Brünn ist eS leichter für die Republik rinzntreten, als in Wcipert, Braunau oder Asch. Die deutschen sozialdemokratischen Arbeiter erfahren diese Wahrheit fast täglich am eigenen Leibe. Sie sind die unbekannten Soldaten der Republik . Den 28. Oktober feiern auch weite Schichten des deutschen Bürgertums mit. Aber nicht der eine Staatsfeiertag im Jahre, sondern der politische A l»l t a g ist entscheidend. Und im politischen Alltag sind die deutschen Sozialisten vom giftigsten Haß des deutschen Nationalismus verfolgt wegen ihres Bekenntnisses 4ur demokratischen Republik . Cs liegt ein grotesker Gegensatz vor zwischen den tschechenfreundlichen Redensarten des Herrn Henlein und dem täglichen Vorwurf seiner Anhänger an die Adresse der deutschen Sozialdemokraten, daß sie es mit den Tschechen halten und dadurch das deutsche Volk verraten! Werden deutsche Mittelschulen gesperrt, dann heißt es im Chorus, der bei den Ha- kenkreuzlern beginnt und bei den Kommunisten aufhört: die Sozialdemokraten sind schuld! Werden die Mar g a r i n e- Kontingente ungerecht verteilt, dann brüllt jeder Hen- leinmann: die Sozialdemokraten verraten den deutschen Arbeitsplatz. Wird ein deutscher Rostler abgebaut und ein Tscheche dafür, eingestellt im derAchen Gebiet, dann gehl^vGWre!wtedexios:^sehr, das sit die nätionale Gerechtigkeit, tvesche die Sozis m der Republik eingeführt haben! Kommt ein Revisor der Landesbehörde in die Notstandsgebiete hinaus und streicht unsinnig die Listen der Ernährungskartenbezieher zusammen, dann schallt der Ruf von den Kommunisten bis zu den Nazis:. Da schaut, ihr Roten, das ist die soziale Gerechtigkeit in der Demokratie! Die Beispiele ließen sich endlos verlängern, daß in der heutigen Krisensituation der ganze nationale Haß, die ganze undemokratische Gesinüung der sudetendeutschen Reaktion abreagiert wird in der Form einer täglichen antimarxistischen Hetze. Offen auf die Tschechen und auf den Staat zu schimpfen, wäre zu riskant und der gehässigste Nazi wird lammfromm, wenn er die Mütze eines
ihm als Menschen und als Symbol derRepublik. Ihm gelten unsere Segenswünsche an diesem Tag wie keinem zweiten sicht- baren Repräsentanten der demokratischen Idee und Mission dieses Staates!
Gendarmen auftauchen sieht. So suchen sich die nationalistischen, und fascistischen Stimmungen, die von Deutschland herüberschlagen und die durch den reichsdeutschen Rundfunk täglich genährt werden, einen bequemeren Ausweg. Sie werden auf die deutschen Sozialdemokraten abgeladen in der Hoffnung, daß mit dieser Methode auch die Sympathien des tschechischen Bürgertums zu gewinnen find. Es bleibt nicht bei politischen Argumenten. In unseren Notstandsbezirken überall das gleiche Bild: Dir bravsten, die tapfersten unserer Bertrauensmännrr schon fest Jahre» arbeitslos. Wer kann den schlüssigen Nachweis erbringen, daß diese Menschen aus politischen Gründen entlassen wurden, aus politischen Gründen nicht mehr eingestellt werden? Der Seelenkauf der hit- lerbegeisterten Unternehmer hat seine bewährten Schleichwege. Immer wieder kommen alte, goll>- treue Parteimitglieder in unsere Sekretariate: „Wenn ich der Heimatfront britreten würde, bekäme Arbeit. Was soll ich tun?" Natürlich wird mit solchen Verheißungen viel ftecher Schwindel getrieben. Wenn alle Arbeitslosen zu Henlein gingen, wäre deswegen um keinen Schlag Arbeit mehr im ganzen Land. Kann aber ein Arbeitsloser, der seine Frau jammern hört, seine Kinder dahinsiechen sieht, in solchen großzügigen Maßstäben denken? Besonders exponierte Vertrauensmänner in den Grenzorteck erleiden noch viel mehr sür ihre Gesinnung. Hier der Auszug aus einer Eingabe des Herrmann Strunz, Häusler uNd Holzhauer in F ü r st e n h u t, Bezirk Winterberg : „Durch unbekannte Täter wurde mir vor wenige« Woche« mei« Kartoffelacker verwüstet. Dadurch ist meine Hoffnung auf eine Ernte für meinen Hausbedarf vernichtet worden. Trotzdem die Gendarmerie in dieser Sache Erhebungen pflog, konnten die Titer, welche nur politische Feinde sein können, nicht eruiert werden. Der. mir-«gefügte Schaden beziffert sich auf AL 500..—.”. Kurz» Zeit später ging es mir mit meinem angebaute« Hafer ebenfalls so. Auch hier haben unbekannte Täter während der Nacht ihr Zer» störungSwerk durchgeführt, nur um mich neuer» lich um AL 300.— zu schädig«:. Hiezu will ich noch erwähnen, daß mir vor der Heuernte auf meiner Wiese ebenfalls von unbekannten Tätern abgebrochen« Stahlstangen von Regenschirme» ins GraS gesteckt worden find, um mir einerseits daS Mähe» zu erschweren und anderseits mei» Bieh zugrunde zu richte«. Diese unbekannten Täter find nur in Politische» Feinden»n suchen, welchen ich durch mein Eintreten sür Demokratie und Republik unbequem geworden bin. Wenn ich nicht durch di« schwere ArbeitS- lostgkeit so geschädigt wäre, so würde ich auch jetzt
nicht mit der Bitte herantreten, mir in diesem Falle eine außerordentliche Zuwendung zuteil l werden zn kaffe « und mir z« helfen, diesen Scha- den zn überwinden. Aber nachdem ich im Borjahre wie auch Heuer kaum j« 40 Arbeitstage mit einem durch- i schnittliche« Verdienste von 10 biS 12 AL zusammenbringe und davon eine Familie erhalten soll, ferner eine Hypo- thekarschuld verzinse» muß, so bin ich durch dies« Bubenstreiche wirtschaftlich sehr schwer betroffen, nachdem Hafer und Kartoffel die einzigen Produkte find, welche in unserer Gemeinde auf dem kargen Boden wachsen." Soweit entnehmen wir die Darstellung einem Ansuchen um Hilfe aus dem Fonds für Ele- mentarschäden, welche vom Landeskulturrate aus formalen Gründen nicht gewährt werden konnte. Der Bericht entstammt einem Grenzorte, wo sich die Hakenkreuzler durch die unmittelbare baye rische Nachbarschaft noch immer sehr sicher fühlen und vor keinem Terror zurückschrecken. Solche Fälle sind nicht vereinzelt. Wir verweisen nur auf den Sprengstoffanschlag, welcher im Frühjahr auf das von einem sozialdemokratischen Pächter bewirtschaftete Hotel Schwarzenberg in K u schwär d a durchgeführt worden ist. Unsere Vertrauensmänner in den Grenzorten stehen ständig unter Terrordrohungen, die sich jeden Augenblick bis zur ernstesten Gefährdung ihrer persönlichen Sicherheit steigern können. Die Namen und Adressen der im Grenzgebiete tätigen Sozialdemokraten sind schon längst nach Deutschland gemeldet und dort z. T. öffentlich affichiert worden, wie in S e b n i tz bei Rumburg . Diese Männer und Frauen, die verfolgt von Hunger und Gefahr ihrer Gesinnung treu bleiben und dem gewalttätigen Geist des HitlerismuS täglich tapfer die Stirne bieten, sie sind die unbekannten aber auch die treuesten Soldaten der Republik . Es ist leicht und gefahrlos, in Prag philosophische Betrachtungen anzustellen, ob nicht in der Henleinfront doch irgend ein positiver Kern steckt. Schwerer ift es, im Hexenkessel der nationalen und reaktionären Leidenschaften seinen Mann zu stellen, unter Aufopferung von Existenz und Familicuglück die.Sache der, Demokratie zu vertreten. Wenn es keine kämpferische deutsch « Sozialdemokratie gäbe, dann hätte es Henlein garnicht notwendig, um das Vertrauen der tschechischen Oeffentlichkeit mit honigsüßen Reden zu werben. Dann hätte der Hitlerismus mit keiner ideologischen Gegenwirkung im deutschen Volke mehr zu rechnen und er könnte die Maske lüfteil. Wir bleiben auf der Wacht! Wir stelle» uns zum Kampfe. Der unbekannte Soldat der Republik und des demokratischen Sozialismus soll aber auf seinem schweren Posten den Rückhalt der republikanischen Soli- Parität aller genießen, die zu Schützer« der Republik berufen find. Wer diesen Rückhalt zerstört oder schwächen'will, leistet den Todfeinden der letzten Demokratie in Mitteleuropa willkommenen Helfersdienst.
Jener Dr. Bulova hat noch eine andere bedeutsame Feststellung gemacht. Er ist in Kutten berg gewesen und hat sich von dem Untersuchungsrichter die Kleidungsstücke der Ermordeten zeigen lassen. Dr. Baudysch, der Ritualmordtheorie nach wie vor unzugänglich und immer noch auf eine Klärung der vielen ungelösten Fragen hoffend, empfing den Arzt und dessen Frau in Gegenwart zweier Zeugen und zeigte ihnen die corpora delicti, ohne sie allerdings aus der Hand zu geben. Den Besuchern fiel etwas auf, was er selbst bisher , übersehen hatte. Das Jäckchen, das nach der Anklage„an beiden Armen über die Ellbogen hinaufgestreift" war, war zugeknöpft. Nicht rin einziger Knopf war aufgegangen und beschädigt. Wie verträgt sich das mit der Annahme der Anklage, daß die Dkörder ihrem Opfer die Jacke in größter Haft über die Brust und den Köpft gezogen haben? Und noch etwas: Frau Bulova, als Inhaberin einer Nähschule sachverständig, konstatiert, daß das Hemd mit einer Schere durchschnitten worden ist. Die Täter müßten demnach die Schere in den Wald mitgenommen haben... AuS all dem ergibt sich dem Kritiker mit größter Wahrscheinlichkeit, daß der Mord nicht im Walde, sondern in einer Wohnung erfolgte, und zwar zu einer Zeit, als Agnes entkleidet war. Dafür spricht übrigens auch, daß an ihren Fingern und Handflächen nur Blut und keine Spur von"Erde gefunden worden war, wiewohl doch der Frühjahrsboden des Waldes weich und durch Regen aüfgelockert gewesen sein mußte. Man hat den Leichnam bekleidet in den Wald gebracht und
bei dem TransportEürd'en die Glieder in der beschriebenen Form verkrümmt. Was nun die Art des Mordes betrifft, so geht aus dem,Befund unzweideutig hervor, daß Agnes nicht„geschächtst" oder„unterschnitten", sondern erstochen wurde. Mit einem spitzen Meffer wurde sie in den Hals gestochen, und von diesem Stich ist der Schnitt verursacht worden. Ein Schäch- termeffer hätte die Wunde, wie sie wirklich war, nicht beizubringen vermocht. Nur weil Anklage, Zeugen und Gerichtsärzte unter der Suggestion des Ritualmordes standen, konnte der Tatbestand verkannt werden und der Aberglaube triumphieren. Und wie kann der Staatsanwalt von einem heimtückisch, in größter Eile und mit besonderer Grausamkeit verübten Meuchelmord sprechen? Die Beschreibung des Fundortes allein läßt den Schluß zu, daß die Mörder sich reichlich Zeit ließen und die Oeffentlichkeit geradezu auf sich aufmerksam machten. Den Platz haben sie herausfordernd hergerichtet, die Tücher säuberlich zusammengelegt, die Jacke sorgsam zugeknöpft, den Korb und das Geldtäschchen den Blicken des Finders auffällig dargeboten; und vor allem: sie wählten einen von Polna aus sichtbaren Ort, nach dem sie durch die Stadt erst im Galopp gelaufen waren. Was sie nur tun konnten, um die Entdeckung des Verbrechens zu provozieren, haben sie getan. Wenn es tatsächlich einen Ritualmord gäbe und wenn ein solcher vorläge, so hätte sich das Ritualmord- synedrium just den dummen Hilsner und zwei ebenso alberne Individuen ausgesucht, die eS einfach darauf anlegten, daß ihre Tat so schnell wie möglich anS Licht kam. Aber alle sogenannten Ritualmorde stehen ja in Widerspruch mit den Voraussetzungen, welche die Ritualmordtheorie selbst zur Bedingung macht. Gin Kapitel für sich bilden die Zeugenaussagen. Masaryk stellt die zahlreichen Widersprüche fest, an denen sich die Anklage keineswegs stößt; vielmehr macht sie sich immer nur diejenige Darstellung zu eigen, die ihrer vorgefaßten Meinung entspricht. Bedeutungslos ist auch die vom Gericht
veranstaltete Sehprobt, wiewohl sie die Bekundung des Kronzeugen Pesäk entwertet. Dessen Aussagen sind von denen der Vomela und anderer beeinflußt. Ungelöst sind die Differenzen, in welchen sich die Angaben der Zeugen hinsichtlich der Zeit, bewegen: man sah Hilsner um 5 Uhr 10 Minuten an verschiedenen Stellen der Stadt, um 5 Uhr 15 Minuten auf dem Hügel bei der Bre- sina, zwischen 5 und 6 wiederum in Polna . Er und seine Komplizen rannten unbekümmert herum, obgleich der Auftrag, in dem sie handelten, ein geheimer, wohldurchdachter, gefährlicher Mordplan gewesen sein soll. Und welche Rolle spielten die grauen Hosen? Am 2., April wurden sie bereits gefunden, jedoch nicht beschlagnahmt. Vom 7. April an war in den Zeitungen von ihnen die Rede. Hilsner und seine Mutter vernichteten nun das gesuchte Indiz keineswegs, sondern ließen es drei Wochen später vom Untersuchungsrichter' nochmals finden. Den zu der Hose gehörigen Rock suchte man nicht yrehr. Wie und wann die angeblichen Blutflecken auf die Hose gekommen sind» bleibt ebenfalls dahingestellt. Die Sachverständigen erklärte«, die Flecken seien entweder alt und abgewetzt, oder sie seien gewaschen worden— die Anklage hielt sich lediglich an die zweite Möglichkeit. So ungenau und mangelhaft ist die ganze Anklage aufgebaut, so sind die Befunde abgefaßt, so die Spuren untersucht. Zeugenaussagen, welche in das von der Anklage entwickelte Bild nicht passen, werden von ihr ignoriert oder korrigiert. Während die Vomela HilSners Identität mit dem Unbekannten, der sie ansprach, bestreitet, läßt der Staatsanwalt diese Identität just auf Grund eben ihrer Aussage gelten. Während die Zeugin Sobotka behauptet, HilSner vor 6 oder um 6 herum gesehen zu hchben, legt ihr der Ankläger die bestimmte Aussage in den Mund, eS sei viertel sieben gewesen. Widersprüche, in die sich der Staatsanwalt notwendigerweise ver- wickelt, bleiben ungeklärt. Bekundungen wie die, Welche auf die Blutspuren vor der Entdeckung deS Mordes Hinweisen, werden nicht zur Kenntnis ge
nommen. Dagegen beruft sich die Anklage daraus, daß die Bolksstimme gegen Hilsner gewesen sei, verschweigt aber, daß es ebenfalls die Volksstimme war, die erst auch einen anderen verdächtigt hat. Ja der Staatsanwalt geht so weit, aus dem Sektionsgutachten einen Vordersatz zu zitieren. und den Nachsatz zu unterschlagen, dessen Inhalt jenen völlig aushebt. Masaryk vermutet auch einen Zusammen.« Hang zwischen den Mordfällen Hruza und Klimq, einen andern allerdings, als ihn das Volk und seine Wortführer unentwegt behaupten. Sich dar« über öffentlich zu äußern, unterläßt er; dagegen faßt er seine kritischen Bedenken in einer Niederschrift, die zur Publikation bestimmt ist, zusammen, nachdem er in allen Fragen, für deren Beantwortung ihm sein eigenes Wissen nicht genügt, das Urteil von Fachautoritäten eingeholt und verwertet hat. Seine Freunde warnen ihn. Es sei nicht klug, sich in einer Sache zu exponieren, die ihm den Haß des ganzen Volkes eintragen müsse. Auch die Juden würden ihm zuletzt keinen Dank wissen. Aber er ist nicht zu beirren.„Ich kann in dieser Lust nickt leben. Ich muß sprechen." Auch andere sind tätig Aukednikek ist in Wien , und findet in einem Kreis ehrenhafter und kultivierter Menschen, zu denen Männer des Adels und bedeutende Geister gehören, Unterstützung. Auch das Ausland meldet sich zum Wort. In den Preußischen Jahrbüchern verurteilt der hervorragende Historiker Delbrück „den wahnwitzigen Aberglauben des Ritualmordes. Blätter, die ihn auch nur als eine Möglichkeit hinstellen, sollen sich ihrer Unwissenheit schämen." Aber weder^ das„Bayerische Vaterland" und das „Deutsche BoUsblatt" in München , noch das Wie ner Blatt desselben Namens, oder das feudalistische„Vaterland" und die„Ostdeuffche Rundschau" lassen sich von Delbrück imponieren oder gar bekehren. «Fortsetzung folgt)