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Donnerstag, 1. November 1934
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eine große Solidaritätsaktion im Gange. In diesem Elendsbezirk, in dem die Arbeitslosen keinen Ausweg aus ihrer Not sehen, hängen die Proletarier mit unerschütterlicher Treue an der Partei, von der sie wissen, daß sie ihr Anwalt ist. Was ihnen an Hilfe wird, das danken sie der Partei, was ihnen fehlt, hat die kapitalistische Ordnung verschuldet. Gegen sie gilt es anzutreten, gegen sie und ihre Sachwalter. Darum kommen die Graslitzer Arbeitslosen am Sonntag nach Karlsbad . Die Kampfbereitschaft ist noch größer als vor dem 7. Oktober. Rehr als doppelt soviel wie damals fahren wollten, werden am kommenden Sonntag in Karlsbad sein! Ohne die Kommunisten! Während unseres Aufenthaltes im Parteisekretariat sprach eine kommunistische Abordnung vor. Sie überbrachte einen Brief, in dem sie mitteilt, daß die Kommunisten am 4. November in Karlsbad einen Redner stellen, werden. In dem Schreiben wird die tschechoslowakische Demokratie höhnisch glossiert. Aus ihm spricht die seltsamste Polizeigesinnung: die Henleinbewe- gung möge verboten werden. Mehr als einmal sind unsere Kommunisten im tschechoslowakischen Parlament mit den Nazis gegangen; in Deutschland haben sie gemeinsam mit ihnen gegen die sozialdemokratischen Länderregierungen gestimmt. Jetzt haben sie ihre Liebe zur Polizei entdeckt— freilich vor allem zu dem Zwecke, um wiederum einen sozialdemokratischen„Verrat" aufzuzeigen. Wir setzen den Patentrevoluzzern die Polizei zu wenig ein. Natürlich haben wir auch keinen Einfluß auf sie; ginge sie aber gegen die Henleinfascisten vor, so wäre das den Kommunisten wieder ein Anlaß, die Demokratie zu schmähen. Sie sind keine Bundesgenossen im Kampfe gegen den FasciSmus. Sie, die ihre Massen für ihn präpariert haben, werden auf sozialdemokratischen Kundgebungen keine Redner stellen! Wenn sie sich eingliedern wollen— unter unseren Fahnen, hinter unseren Parolen—, sind sie willkommen. Zur Ausführung der Absicht, unsere mächtige Kundgebung durch die Exzesse eines kom munistischen Redners zum Gaudium der Gegner zu schänden, gibt es jedoch weder Extrazüge noch sonstige Möglichkeiten. Das wurde der kommu nistischen Abordnung von den anwesenden Arbeitern sehr deutlich gesagt. Die Entschlossenheit der sozialdemokratischen Arbeiter, jeden Störungsversuch der Kommunisten und jeden Mißbrauch unserer Kundgebung für deren Parteizwecke zurückzuweisen, ist so stark, daß den bolschewistischen Drahtziehern im Namen der Masse, aus die sie sich berufen wollen, dringend zu raten ist, ihre ' Hände vom Spiel zu lassen: Die sozinldemokra» tischen Arbeiter verstehen da keinen Spaß, auch die Graslitzer Arbeitslosen nicht. Die Partei wächst! Wir schließen unseren Rundgang in Seit» dek ab. Auch hier gibt es glänzende Beispiele der Solidarität: die Angestellten der Gemeinde, des Konsumvereins und der Krankenversicherungsanstalt opfern einen Teil ihres Lohnes, um einigen Arbeitslosen die Fahrt nach Karlsbad zu ermöglichen. In der Partei.und den Gewerkschaften wird gesammelt. Der Bezirkssekretär ist vorsichtig. Er sagt, daß 2000 Leute aus Neudeck kommen werden. Es werden viel mehr fein. Aber er stützt sich auf die bisherigen Anmeldungen. Diese Vor
sicht war überall zu bemerken.„Wir wollen angenehm enttäuschen", sagen die Genossen. Die Arbeitslosen» die die Unterstützung beziehen, bezahlen die Reise selbst. Mst den Kommunisten wollen sie nichts zu tun haben.„Wenn wir uns mit ihnen einlassen, stärken wir nicht die anti- fascistischen Reihen, sondern verlieren ein Drittel unserer Mitglieder. Sie sind nicht ehrlich und wir glauben ihnen nicht." So stirbt unsere Partei: In den- letzten Wochen haben wir im Bezirk Elbogen 300 neue Mitglieder gewonnen; davon allein 111 in dem
Selten einmal hat die Arbeiterklasse des Wahlkreises B.-Leipa, wenn die Partei sie rief, auch nur gezögert/ dem Rufe zu folgen. Immer waren sie da, die Textilproleten des Niederlandes und des Polzentales, die geistig so fortgeschrittenen und nun so schwer von der Krise heimgesuchten Künstler der Glasindustrie von Haida und Steinschönau , die zähen Kämpfer des Leipaer Bezirkes. Die Arbeiter der so verschiedenartig zusammengewürfelten Industrien Bodenbachs und des Eulautales haben manchen harten Strauß bestanden. Die„Chemiker" Aussigs und die Ar- bester des ganzen Elbetales von Leitmeritz bis zur Landesgrenze haben nie versagt. Aber mit einer solchen Präzision, mit einem solchen Elan, so begeistert und opfer- b e r«i t, wie sie die Parole der Partei zum 4. November 1984 ausgenommen haben, haben wir sie schon lange nicht mehr gesehen. Am Freitag, den 26. Oktober, gingen die ersten Weisungen des Kreissekretariats an die Vertrauensleute hinaus, erhalten haben sie sie am Samstag, an welchem Tage auch in der Parteipresse zu Vertrauensmännerversammlungen der Bezirke eingeladen wurde. Am Sonntag, den 28. Oktober, also nur zwei Tage später, tagten nicht weniger als sechs solcher Vertrauensmänner- Versammlungen und am Montag und Dienst^ je eine weitere in Bodenbach und Aussig , die durchgehends einen wahren Massenbesuch aufzuweisen hatten und in denen die Aufforderung zur Beteiligung an der großen Kundgebung mit Begeisterung ausgenommen wurde. Bereits am Montag, den 29. Oktober, 48 Stunden nach der ersten Verlautbarung der Kundgebung, waren im Kreissrkrrtariat in Bodenbach sechs Sonderzüge gemeldet, da es sich bereits am Sonntag in den Bertrauens- männersitzungen als unmöglich herausstellte, mit test fahrplanmäßigen Zügen''vie per''zur Kundgebung eilenden Arbeiter befördern zu können. Heute, Mittwoch, erscheint es fraglich, ob selbst diese sechs Sonderzüge zureichen werden und ob nicht noch ein siebenter oder gar achter angesprochen werden muß. So waren aus dem Aussig -Karbitzer Gebiet zwei Sonderzüge gemeldet. Die Aussiger Genossen rechnen aber mst einer Beteiligung von 8000Personen und es werden daher, wenn nicht ein dritter Sonderzug verkehren wird, die fahrplanmäßigen Züge sehr stark besetzt sein. Aus dem Niederlande haben die Be- zirke Warnsdorf und Rumburg je einen Sonderzug gemeldet. Der von der Krise so hart heimgesuchte Bezirk B.- Kamnitz wird etwa
Bergarbeiterort Altsattl. Dort gab es früher überhaupt keine Frauen in der Partei. Jetzt ist dort eine Frauensektion mit 48 Mitgliedern. In den ersten neun Monaten dieses Jahres sind gegenüber der gleichen Zeit des Vorjahres im Bezirke Neu» dek 400 Parteimitglieder mehr. * Am Sonntag wird das tausendfältige Wirken für die Partei, wird die Treue, wird die Leidenschaft unserer Massen Gestalt gewinnen. Die Hen- leinleute und ihre Freunde mögen kommen. Wir werden es ihnen zeigen! X. X.
700 bis 800 Personen ebenfalls mittels Sonderzug nach Bodenbach entsenden und aus dem Elendsgebiet Haida kommt über B.-Leipa gleichfalls ein Extrazug. Natürlich werden nicht alle die Züge benützen. Die Genossinnen und Genossen des ",.A tu!" haben alle eigenen Veranstaltungen abgesagt und ihre Mitglieder verpflichtet, an der Kundgebung teilzunehmen. Es darf daher mit etwa 1000 Radfahrern gerechnet werden, die per Rad in Bodenbach eintrekfen. Der„A t u s" hat ein Spiel- und Turnvcr- bot erlassen und beteiligt sicki in Turnerkleidung an der Kundgebung. Jugendliche,' Naturfreunde, Gewerkschaften, Freidenker, kurz alle Zweige der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung habm sich ir- herrlicher Einmütigkeit hinter die Parolen der Partei gestellt und der kommende Sonntag wird den eindeutigen Beweis erbringen, daß es mit dem „sterbenden Marxismus " noch gute Wege hat. Konrad.Henlein hat am 21. Oktober in B.- Leipa nach den Angaben der in seinen Diensten stehenden Presse 20.000 Menschen nach wochenlanger unerhörter Propaganda und aus dem ganzen deutschen Siedlungsgebiete von Asch bis Rei chenberg zusammengetrommelt. Nach den Zählungen unvoreingenommener Personen waren es jedoch nur 12.000. Wir werden unter Beweis stellen, daß die deutsche sozialdemokratische Arbeiterpartei dieses einzigen, nordböhmischen Wahlkreises in einem Zeitraum von acht Tagen die gleiche Anzahl Menschen, aber politisch geschulte, Aar denkende und von ihrer Idee überzeugte und durchdrungene Arbeiter in Bewegung zu setzen vermag. , Wie tief im Herzen muß den Arbeitern der Gedanke des Sozialismus sitzen, die in der Zeit der schwersten wirtschaftlichen Bedrängnis, Opfer des Kavitalismus,.Arbeitslose, Kurzarbeiter, zu solcher Begeisterung entflammen! Welche Partei " deV Bürgertums kann sich rühmen; von ihren Anhängern ein Gleiches aufzuzeigen? An B.-Leipa„Ordner", die mit 30 X£ Taggeld und Verköstigung für ihren„Dienst" entlohnt wurden, 800 Gendarmen, die die Veranstalter dieses Oktoberrummels angefordert haben und die ihnen 80.000 XL kosteten. In Bodenbach werden 1000 RW-Männer ohne jede Entschädigung ihre Pflicht erfüllen. In B.-Leipa eine Rede, die ein armseliges Spiel mit Worten, keinen einzigen positiven politischen Gedanken enthielt, der Verlogenheit entsprungen, hier eine disziplinierte, von einer großen Jdeegetragene, begeisterte, kampfentschlossene Bewegung einer Klasse, die tausend Schlachten geschlagen hat
Auch die Jugend marschiert! Alle Mitglieder des Sozialistischen Jugendverbandes beteiligen sich am kommenden Sonntag, an den antifascistischen Kundgebungen der Partei, BiS zum Sonntag helfen alle Jugendgenossen und -Genossinnen bei den Vorarbeiten. Niemand schließe sich auS! Der Kampf gegen den FasciSmus ist ein Kampf für die Jugend und muß darum ein Kampf m i t der Jugend sein. Der BerbandSvorstand des Sozialistischen JugendverbandeS. und die in opferreichen Kämpfen, trotz mancher Niederlage, vorwärts strebt und das Antlitz der Welt verändert. In diesen Tagen wurden wir auch Zeugen von Beweisen herrlicher Solidari- t ä t: Weder unsere Partei, noch die Gewerkschaften, noch die anderen unserer Organisationen verfügen über die Mittel, um die Zu- und Abfahrt der Teilnehmer zu bezahlen. Kein Fabrikant stellt uns Auto und Barmittel zur Verfügung. Soweit sie noch in Arbest stehen, wird dies ja, lvenn auch nicht allzu leicht, möglich sein. Aber die Arbeitslosen... Sollen die fernbleiben, sollen sie deshalb, weil sie aus dem Produktionsprozeß ausgeschieden wurden, nicht mit ihren Klaffengenossen marschieren und ihren Willen kundgeben? Nun; die oft bewährte Solidarität sozialdemokratischer Arbeiter hat auch heute noch ihre Geltung, trotz Not und Krise, und in den wenigen Tagen seit dem verflossenen Sonntag trat sie leuchtend in Erscheinung. Die Kreisleitung richtete an die in Arbest stehenden Genossen den Appell, wenigstens für einen Arbeitslosen die ganzen oder teilweisen Kosten der Bahnfahrt zu übernehmen. Der Erfolg war beispiellos Überraschend: Sonntag, den 28. Oktober, fand die Ber- tranensmännerkonferenz in B.-Kamnitz statt. Am nächsten Tage meldete B.-Kamnitz- daß bereits für 250 Arbeitslose die Kosten der Bahnfahrt sicherge- stellt seien«nd daß die Aktion fortgesetzt wird.- Das Notstandsgebiet Z w i ck a u-R ö h r s- d o r f hat 100 Teilnehmer gemeldet, davon sind 75 arbeitslos. Für diese 75 Arbeitslosen haben die anderen Arbeiter di« Fahrkosten aufgebracht. Di« kleine Ortschaft D ch w o i k a meldet von 13 Teilnehmern zwölf Arbeitslose. JnRumburg kam unter den Textilarbeitern der Beschluß zustande, die Fahrtkosten für 400 arbeitslose Textilpro- leten aufzubringen. In Bodenbach sorgen die Arbeiter durch Sammlungen unter sich dafür, daß die Arbeitslosen von auswärts und im eigenen Bezirke, und wenn sie in noch so großer Zahl kommen, e i n warmes und ausgiebiges Mittagessen erhalten. Und darin liegt die Garantie des Erfolges enn 4. November: In der Begeisterung für die Idee und in der Solidarität der nordböhmischen Arbeiterklass« E. A. 9
ereltschaft und Solidarität
Das Nordböhmische Proletariat In Aktion
36 BRUNO ADLER : IFAMPF um POLNA llv<= EIN TATSACHENROMAN Copyright 1934 by Michal Kacha Verlar. Prag XIX Als Schneider seine Zitate aus dem „Talmudjuden" fortsetzt und einzelne Stellen hebräisch vorbringt, erweckt er schallende Heiterkeit. Die Stimmung des hohen Hauses ist gehoben. Verfemt Masarhks Broschüre, durch die Interpellation immunisiert, erscheint deutsch im Verlag der „Zeit" und erregt großes Aufsehen. Die Antwort erfolgt unverzüglich. Die Wie ner und die tschechischen Antisemiten fallen vereint über den Verfasser her. Schon einmal, als er sich an die Spitze der Gelehrten stellte, die das nationale Heiligtum der Königinhofer Handschrift als Fälschung entlarvten, stand sein Volk geschlossen gegen ihn. Er war ein Verräter, ein Bandit, ein von den Freimaurern bestochenes Subjekt, mit Millionen gedungen, dem Volk Schmach anzutun. „Geh zum Teufel, schändlicher Verräter!" fluchten ihm damals die„Närodni Listy",„und schließe dich mit deiner zweifelhaften geistigen Wenigkeit uno mit deiner moralischen Armseligkeit an, an wen du ixillst. Nur wage es nicht mehr, unsere geheiligte Sprache zu gebrauchen und sie mit deinem niederträchtigen Geist und vergiftenden Atem zu verunreinigen! Geh zu dem Feind, dem du dienst, vergiß, daß dich eine tschechische Mutter geboren hat, daß du auf tschechischem Boden schrfttest! Wir scheiden dich aus unserm Volkskörper auS wie ekligen Eiter. Geh und flieh aus diesem heiligen Land, bevor es sich unter dir öff- pet, dich zu verschlingen!" So wie damals fluchen
sie heute. So wie damals seine Ernennung zum ordentlichen Professor abgelehnt wurde, wie er sich, persönlich diffamiert, mit seinen politischen und wissenschaftlichen Gegnern vor den Gerichten herumschlagen mußte, so stehen sie heute wieder alle wie ein Mann gegen ihn, einen Mann. Die katholischen Blätter der Tschechen und die Wiener LoS von Rom-Presse gehen in einer Front gegen ihn vor. Schon am Samstag, den 11. November, kündigt das„Deutsche Volksblatt" an:„Professor Masaryk wird in seiner nächsten Vorlesung eine unangenehme Ueber- raschung erleben. Die tschechische Studentenschaft wird ihn nach allen Regeln der studentischen Kunst auspfeifen." An den Prager Hochschulen werden Zettel verteilt:„Montag Masaryk in der Praktischen Philosophie auspfeifen I" Die Montag-Vorlesung muß entfallen, weil Masaryk sich nicht wohl fühlt. Da er nun nicht zu den empörten Studenten kommt, kommen sie zu ihm. Etwa siebzig junge Leute marschieren zu seiner Wohnung auf der Kleinseite und füllen den großen Hof des alten Hauses der Thungasse. Plötzlich erscheint Masaryks Frau unter ihnen und lädt sie ein, in die Wohnung zu kommen, wenn sie den Professor sprechen wollten. Er selbst tritt auf die Pawlatsche, den offenen Gang, der innen um jedes Stockwerk der alten Prager Häuser läuft. Die Demonstranten bringen es nicht über ein paar schüchterne Proteftruse und verdrücken sich. Erst die Zeitungen müssen ihnen Mut machen. Sie geben die Adresse von Masaryks Wohnung an, beschreiben, welche Fenster zu ihr gehören und welcher Weg zu ihr führt. Für Dienstag 4 Uhr beruft der Mlstudentische Ausschuß eine Sitzung ins Karolinum ein. Auf das Programm wird ein aktuelles politisches Thema gesetzt, doch allgemein ist bekannt, daß die Polna -Broschüre den Gegenstand der Versammlung bilden soll. Bor ihrer Eröffnung wird sie vom Rektor verboten. Nun ziehen die Teilnehmer geschlossen auf die Kleinseite. Vor dem Radetzky-Denkmal wird gepfiffen.
die«Närodni Listy" werden mit Heilrufen geehrt. Die„Katolicke Listy "«wer melden, daß Masaryk erst Donnerstag wieder zu lesen gedenke, und daß ihm die Studentenschaft bei dieser Gelegenhett ihre Gesinnung beweisen werde. Andere Blätter sind der Meinung, der unbeliebte Lehrer werde sich hüten, seine Vorlesungen wieder aufzunehmen. Als Masaryk , noch nicht wiederhergestellt, am Donnerstag in einer Droschke, begleitet von seiner Frau, zum Klementtnum kommt, haben etwa zwölfhundert junge Leute, zum großen Teil nicht der Universität angehörig, den Hof und den Kollegsaal besetzt. Seine Anhänger bahnen ihm den Weg. Sobald er den Raum betritt, bricht ein Höllenlärm los. Er kann nicht zu Wort kommen. Masaryk , nach vergeblichen Versuchen, sich anders verständlich zu machen, schreibt mft Kreide an die Wandtafel: „Ich habe mich nicht gefürchtet zu kommen, ich bitte ums Wort." Der Lärm geht weiter, und Masaryk schreibt weiter: „Ich erkläre: 1. Die Bezichtigungen aller Zeitungen, daß ich bestochen sei, sind erlogen, desgleichen 2. die Bezichtigung, daß ich meinen Namen für eine fremde Arbeit geliehen habe. 3. Ich bin aufgetreten, weil ich den klerikalen Antisemittsmus erkannt habe und ihn für ein nationales Uebel halte. 4. Gewissenhafte Studien haben mich überzeugt, daß die Durchführung des Polnaer Prozesses geradezu ein Attentat auf Vernunft und Menschlichkeit ist. Ich habe die Freiheit des Denkens und Fühlens vetteidigt, ohne Diplomatie, und werde sie immer verteidigen. Was habt Ihr Demonstranten also dagegen? Nennt mir Eure Gründe, ich werde sie respektieren, wie ich auch von Euch Respekt verlange." Keine Antwort als neuerliches Toben. Masaryk schreibt weiter:
„Ich habe den tschechischen Studenten und alle seine Mottve stets geachtet. Ich stehe ihm hier Rede und will jede Frage beantworten. Ich hoffe noch immer auf die Mannhaftigkeit der Gesinnung und daß jemand persönlich, nicht cmonyiN das Wort nehmen wird." Auf diese zweite Aufforderung hin ttitt ein Student zur Tafel und schreibt: „Wir haben gegen Masaryk einzuwenden, daß er in so bewegten Zeiten, wo es notwendig ist, daß das Volk geschloffen gegen die feindlich« Regierung stehe, eines Juden wegen das ganz« Volk spalten und somit schwächen will. Er arbeitet dem expansiven Germanismus in die Hände. Wir haben gegen ihn ferner einzuwenden, daß er behauptet: ich muh recht haben, mag auch das, was ich behaupte, nicht wahr sein. Aus ihm würde kein Hilsner einen Tropfen tschechische» Blutes herausschneiden. Fiala." Masaryk antwortet auf der Tafel: „So bewegte Zeiten haben wir immer, hauptsächlich deshalb, weil eine korrumpiert« Journalistik einen Teil der denffaulen Intelligenz anführt. Ich verlange Fatten und keine spitzigen Phrasen." „Faktum ist die Broschüre, die beweist, daß 'Masaryk lieber den Juden hilft als dem eigenen Volk." „Da habm Sie die Broschüre eben nicht gelesen— wie also diskutieren?" Eine Verständigung ist unmöglich. Das anhaltende Gebrüll und Pfeifen zwingt den Lehrer, den Saal zu verlaffen. Die Hörer, die nicht hören wollen, drängen sich an ihn heran, beschimpfen, stoßen und zerren ihn, vergreifen sich sogar an seiner Frau. Die Anhänger sind zu schwach, ihn zu schützen. Endlich ist der Wagen erreicht, der im Hof» von zwei jüngeren Kollegen des Professors bewacht, gewartet hat. (Fortsetzung folgt.)'