Bosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRUH. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. ADMINISTRATION TELEFON 53076. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG .

14. Jahrgang

Mittwoch, 7. November 1934

Zwei Minifterreden

gegen die Wirtschaftskrise

-

Einzelpreis 70 Helter

( einschließlich 5 Heller Porto)

Nr. 261

was in den

bewußt und optimistisch an der Erhaltung des Intelligenz verwenden wird, um europäischen Friedens arbeiten, gemeinsam mit Kräften des Außenministers eines fleineren Staa­Frankreich, mit dem die Tschechoslowakei , wie Be- tes steht.- zu tun und den europäischen Frieden neš sagt, die Einigkeit verbindet in den An- zu sichern. Sowieder Ministerpräsi schauungen über die Weiterentwicklung Europas , dent an der deutschen Sozial die Gemeinsamkeit der Ideale der Freiheit und demokratie einen Bundesgenoss Demokratie und die Gemeinsamkeit des Kampfes sen finden wird, wenn er die De= für die Ziele und Ideale des Friedens und der mokratie gegen alle ihre Feinde Humanität". verteidigen wird, so wird die Wie schicksalsschwer die nächste Zeit sein deutsche Sozialdemokratie, die wird, geht aus der Anschauung des Ministers Be- am 4. November ihre Kraft ge= neš hervor, daß das Jahr 1935 für Europa und zeigt hat, eine sichere und ver für uns immer noch ein schweres Jahr sein und ßliche Stübe für den Außen= daß in diesem Jahre über das Schicksal minister im Kampf um den euro= Europas entschieden werden wird. päischen Frieden und damit für Wir zweifeln nicht daran, daß ein Mann wie die Fortentwicklung der mensch= Beneš seine ganze Kraft. seinen Einfluß und seine lichen Kultur sein.

Demokratische

Malypetr und Beneš über die Politik der Tschechoslowakei Gestern haben in den beiden Häusern des[ betont und es ist richtig, wenn er das heutige Re­Barlamentes sowohl der Ministerpräsident als gierungssystem als das zweckmäßigste und zuver auch der Minister des Aeußern das Wort ergrif- lässigste für den Ausbau der Demokratie und als fen, wobei der Ministerpräsident sich mit den wirt- die beste Sicherung der Republik hinstellt. Wir schafts- und innenpolitischen Problemen befaßte, stehen auf dem Beden der Demokratie", so sagte während die Ausführungen des Ministers Beneš Malypetr unmißverständlich, wir werden sie zu naturgemäß der auswärtigen Politik galten. verteidigen wissen gegen jeglichen Versuch um eine Der Kampf andere Staatsform, von welcher Seite immer er fommen mag". In der Verteidigung der Demo fratie wird der Ministerpräsident die deutschen Die Rede des Ministerpräsidenten war von Sozialdemokraten an seiner Seite finden, die am einem, wenn auch nüchternen Optimismus getra- allerwenigsten gemeint sind, wenn der Minister­gen. Was die Wirtschaft der Tschechoslowakei be- präsident von der Loyalität ohne Vorbehalte ge- Malypetr: trifft, glaubt der Ministerpräsident eine an- sprochen hat. Daß damit nur der getarnte Fascis­dauernde Wendung zum Bessern" beobachten zu mus Henleins gemeint sein kann, liegt auf der fönnen. Er stützt diese Auffassung darauf, daß Hand. während in der Zeit von 1929 bis 1933 die Ver- Mag auch der Ministerpräsident nicht, wie luste der Tschechoslowakei im Außenhandel ver- es ein Sozialdemokrat getan hätte, über die sozial­hältnismäßig größer waren als der Rückgang des politischen Probleme der industriellen Arbeiter­europäischen Handels, das Jahr 1934 eine Wen- schaft und jener Schichten, deren Wohl und Wehe dung gebracht hat. In den ersten sieben Monaten von dem der Arbeiter abhängt, gesprochen hat, er des heurigen Jahres ist nämlich, so führte Maly- hat die Bedeutung der sozialen Notlage der Ar­petr aus, die Ausfuhr Europas gegen dieselbe beiterschaft anerkannt und die Notwendigkeit be­Zeit des Vorjahres um fünf Prozent zurückgegan- tont, den Menschen Arbeit und Brot zu beschaf= gen, wohingegen die Ausfuhr der Tschechoslowakei fen. Darin kommt zum Ausdruck, daß der Mini­( in Golddollars) einen Aufstieg von fast fünf it er präsident als Chef einer Prozent aufweisen konnte. In den ersten Monaten Koalitionsregierung gesprochen 1934 ist die Ausfuhr um fast eine Milliarde hat, in welcher die Sozialdemokra= höher als ein Jahr vorher. Ebenso kann man in ten ihren Einfluß zu wahren der Produktion selbst einen gewissen Aufstieg ver- wien. zeichnen. Von Jänner bis September betrug die Mehrproduktion bei Roheisen 21 Prozent, bei Rohstahl 28, bei Kots 8, bei Steinkohle 1, bei Braunfoble 1.33 Prozent.

-

Die Außenpolitik

Nach dem Ministerpräsidenten sprach Außen­minister Beneš, diesmal etwas fürzer als sonst, Freilich hat der Ministerpräsident aus diesen denn über viele der Probleme, die der Außen­Feststellungen feine übereilten Folgerungen gezo- minister nur gestreift hat, wird noch verhandelt gen. Er ist sich dessen bewußt, daß diese geringe und wir verstehen es sehr gut, wenn Beneš nicht Besserung ihn als verantwortlichen Staatsmann mit der Ausführlichkeit, wie sonst über alle aus­nicht sorglos machen darf, sondern daß weitere wärtigen Fragen gesprochen hat. Man denke an Anstrengungen notwendig sind, um eine durchgrei- die Auswirkungen des Marseiller Attentates, an fende Besserung der Verhältnisse zu erzielen. Er das Verhältnis zu Polen , an das Saarproblem, hat zugegeben und das ist für einen bürger- an Oesterreich. lichen Politiker immerhin schon etwas daß der Eine Reihe dieser Fragen sind für die Zu­freie Stapitalismus selbst nicht imstande ist, die kunst Europas und für den Frieden der Welt wirtschaftlichen Verhältnisse so zu gestalten, daß nicht unwichtig. Der Gefahrenherd die Menschen dabei leben können. Er hat hervor Europas für die nächsten Mo- gehoben, daß eine Regulierung der Erzeugung und na te ist wohl das Saargebiet. des Absatzes notwendig ist und hat hiebei in erster Wenn auch Minister Beneš sowohl in der österrei­Linie auf den Bergbau hingewiesen, weil nur so chischen, als auch in der Saarfrage an eine fried­eine stärkere Beschäftigung der Bergarbeiter mögliche Lösung glaubt, muß er doch zugeben, daß der lich ist. Er hat von der Notwendigkeit der Arbeits- Kampf um die Saar in naher Zeit Komplikatio= beschaffung gesprochen, wobei man den Arbeitern nen ernstesten Charakters hervorrufen" könnte. An und Angestellten angemessene Löhne und Gehälter anderer Stelle spricht er davon, daß die in­geben muß und er hat gesagt, daß die Bekämpfung ter nationale Situationernst ist." der Arbeitslosigkeit die erhöhte Aufmerksamkeit Beachtung werden auch die Ausführungen und zähes Bestreben aller Verantwortlichen" er- Benes's über Polen hervorrufen. Es ist seit der heischt. Für uns besonders bemerkenswert ist das Gründung der Tschechoslowakei wohl noch nicht Zugeständnis des Ministerpräsidenten, man müsse vorgekommen, daß der Außenminister unseres dort helfen, wo es den Menschen am schlechtesten Landes Polen gegenüber den Ausdruck der gegen­geht und wo die Krise am längsten gewütet habe, seitigen politischen Reserviertheit" gebraucht. Er bas auf den größten Teil des deut will zwar über Polen nicht zu Gericht sizen, weil ichen Siedlungsgebietes der Rees die Politik seiner Interessen, wie es sie ver­bublif zutrifft. Es wird die Aufgabe der steht, verfolgt" aber er betont, daß auch die Tsche­Partei und ihrer Vertreter in der Regierung und choslowakei jene Politit machen werde, die ihr das in den öffentlichen Körperschaften sein, mit aller Lebensinteresse und die Würde des Staates Kraft sich um die Verwirklichung dessen zu bestre befehlen. ben, was hier der Ministerpräsident versprochen| Neben den Schattenseiten der internationa hat, zumal er selbst an jener Stelle seiner Rede, len Situation hat der Minister auch ihre 2 i ch t- toe er von der Notwendigkeit der Verkürzung der seiten hervorgehoben. Dazu zählt er, was wir Arbeitszeit gesprochen hat auch das wollen wir besonders erfreulich finden, den Beitritt So= zustimmend zur Kenntnis nehmen erklärte, to je trußlands zum Völkerbund, den er man müsse von den Worten zu Ta als den Eintritt der Sowjetunion in die Gesell­ten übergehen. Ebenso finden sich in der schaft der übrigen Völker" charakterisiert und dem Rede des Ministerpräsidenten Stellen, wo er die er die Bedeutung zumißt, daß nun Rußland an Notwendigkeit der Regelung der Verhältnisse auf der europäischen Politik teilnehmen werde. Das dem Arbeitsmarkte, der Arbeitsbeschaffung für die ergibt auch eine Annäherung zwischen der So­Jugend, der Erhöhung der Bautätigkeit, der Re- wjetunion und der Tschechoslowakei, die wir auch gulierung der Verhältnisse auf dem Kreditmarkte zugibt, alles Maßnahmen, die in unserem Aussi­ger Kampfplan enthalten sind und wofür 90.000 Deutsche am 4. November demonstriert haben. Für die Demokratie

die

-

=

Auch an dem, was der Ministerpräsident über Zustände in der Innenpolitik gefagt hat, wol­len wir nicht achtlos vorübergehen. Es ist selbst­verständlich, daß der Vorsitzende einer Koalitions:

für die Wirtschaft unseres Landes nutzbar machen müssen. Als ein weiteres gutes Zeichen der inter­nationalen Situation bezeichnet Beneš die Zu­sammenarbeit zwischen England und Frankreich, von welcher er nicht weniger erhofft, als die Rettung des europäischen Friedens.

Für den Frieden

In ein Bekenntnis zum europäischen Frieden regierung die Notwendigkeit des Ausgleiches der klang auch die Rede des Ministers aus. Troß aller Interessen der verschiedenen Bevölkerungsflaffen Gefahren, die Europa bedrohen, will Benes ziel

Zusammenarbeit

Pra g. Die beiden Exposees des Ministerpräsidenten und des Außenministers, die am Dienstag vormittag im Abgeordnetenhaus und nachmittags im Senat vorgetragen wurden, fanden in beiden Häusern aufmerkſamſte Zuhörer und wiederholten reichlichen Beifall, gegen den vereinzelte kommunistische Zwischenrufe völlig bedeutungslos blieben. Eine politische Würdi­gung der beiden bedeutungsvollen Kundgebungen finden unsere Lefer an leitender Stelle. Im Abgeordnetenhaus wurde sofort die Debatte auch über das fürzliche Exposee Dr. Traple eröffnet, in der bereits Koalitions redner der ersten Garnitur, darunter der tsche­chische Genosse Ham p 1, zu Wort kamen. Die Debatte wird Mittwoch fortgesetzt und foll Donnerstag so beendet werden, daß am selben Tag auch noch der Budgetausschuß die Ver­handlung des Budgets aufnehmen kann, zu deffen Verhandlung dem Abgeordnetenhaus ins gesamt nur knapp ein Monat zur Verfügung steht.

-

Der Senat wird die Aussprache über die Erposees am Mittwoch nachmittag aufnehmen. Der politische Teil der Rede Malypetrs, in dem er zunächst die Friedensbereitschaft un= feres Staates betonte- nicht ohne die Notwendigkeit ausreichender Maßnahmen zu seiner eventuellen Verteidigung zu unterstreichen, sei zunächst vorweggenommen:

-

Außen wie innenpolitisch benötigen wir eine| Die Demokratie ruft Gruppierungen je nach friedliche Entwicklung: den politischen, wirtschaftlichen, nationalfulturellen und sozialen Interessen hervor, welche Entwicklung wir nicht behindern wollen. Wir wollen aber festere politisch- rechtliche Grundlagen durch das Gesetz über Registrierung der politischen Par teien und der Wahlgruppen schaffen, wobei ihre innerparteiliche Entwicklung, ihre demokrati­sche Ordnung und ihre zentrale ent cheidende und politische Führung ge= sichert wird. Insofern dazu Aenderungender a hlordnungen und Aenderungen in den Gefeßen notwendig sein werden, werden diese auch berwirklicht werden müssen.

Die Erfahrungen aus anderen Ländern be­lehren uns geradezu anschaulich von der Schäd­lichkeit der politischen Leidenschaften und von der Notwendigkeit einer bedächtigen und vernünftigen Politik, die vor allem um das Staatsintereffe be­sorgt und die auch auf die ausgleichende Gerechtigkeit bei den verschiedenartigen Interessen wirtschaftlicher, kultureller und sozialer Natur bedacht ist. Wir halten dieses Prinzip der Zusammenarbeit für das zweckmäßigste und für das zuverlässigste für den Ausbau der Demokratie und für die beste Sicherung der Republik.

das tschechoslowakische Volk aus eigener Kraft seine Selbst wenn wir niemals vergessen werden, daß Unabhängigkeit erneuert und diese Republik errich tet hat und daß dieses Volt den Staat für die ganze zukunft erhalten will, so begrüßen wir doch die 3usammenarbeit unserer natio nalen Minderheiten, von denen wir nichts anderes verlangen als Iobale Anerkennung dieser historischen Tatsachen. Sie müs­sen aber auch alle Bestrebungen und Versuche auf geben, um eine Aenderung dieser Tatsachen herbei­

zuführen.

An Henlein u. Comp.

Wir stehen auf dem Boden der Demokratie und wir werden sie zu vertei­digen wissen gegen jeglichen Versuch um eine an­dere Staatsform, von welcher Seite immer er kommen mag. Wir werden dies von allen denjenigen verlangen, die auf Grund unserer demokratischen Ordnungen die Gleichberechtigung im politischen Leben besitzen. Wir werden aber auch keine anderen Versprechungen der loyalen Zufam­

Wir hoffen, daß diese Bestrebungen um die Sicherung des Staates und der Demokratie bei dem daß sich die Bevölkerung durch keine noch so hoch Großteil der Bevölkerung Verständnis finden und gespannte Agitation oder durch Demagogie beirren lassen wird.

*

Man muß weiter sparen

Einleitend betonte der Ministerpräsident, daß

das dritte Budget seiner Regierung nach dem Prin­zip der möglichsten Sparsamkeit zusammen­gestellt wurde. Die Zeit des ständigen Rückganges

des Wirtschaftslebens haben wir schon überwunden. Der Rechnungsabschluß für 1934 wird bereits eine wesentliche Milderung dieses Niederganges bringen und die weiteren Jahre werden dann schon eine a n= dauernde Wendung zum Besseren auf­weisen.

Die Regierung hat immer wieder erklärt, daß sie zu den Ersparungen im Personaletat nur dem absoluten Zwang gehorchend gegriffen hat und daß sie eine Milderung durchführen wird, fobaldes dietatsächlichen Verhält. niffe nur einigermaßen gestatten.

*

menarbeit anerkennen als nur biejeni Wege aus der Krisennot

gen, die an keine besonderen Vorbehalte und Bedingungen geknüpft sind.( Beifall.)

Parteiregistrierung

Die Arbeitslosigkeit der Jugend bildet aber in der ganzen Welt nur einen Teil der Arbeitslosig teit überhaupt. Auch die Wirtschaftstrije ist fein blog einheimisches, sondern ein Weltproblem, Um die ruhige Entwicklung zu sichern, wird die das der Ministerpräsident in seinen weiteren Aus­Regierung den gefeßgebenden Körperschaften Ge- führungen einer ausführlichen Analyse unterzieht. sebesvorlagen und Maßnahmen vorlegen, durch die Die Krise hat einen Staat verschont. 1933 wurde der Mißbrauch der demokratischen Rechte zu jeder bei uns der Tiefpunkt erreicht und seit heuer sind die Art von Zerseßung des Staatslebens, zur Bedrohung Außenhandelsziffern größer als 1933; namentlich der verfassungsmäßigen territorialen und legislati- die Ausfuhr von Fertigwaren, in denen so ven Einheit des Staates, seine republikanische viele Löhne enthalten sind, weist gegen das Vor­Staatsform sowie zur Zersplitterung der politischen jahr einen Aufstieg um 758 Millionen oder rund Kräfte berhindert werden foll. 26 Prozent aus. Aus den angeführten zablenmäßi­