Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI

IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TAGLICH FRUH. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. ADMINISTRATION TELEFON 53076. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG .

14. Jahrgang

Freitag, 9. November 1934

Der Ruf der 90.000 darf nicht überhört werden!

Eine Erklärung unserer Parlamentsfraktion

Prag . Als Sprecher unferer Fraktion griff Genoffe Kaufmann am Donnerstag früh in die parlamentarische Aussprache über die Minister- Exposees mit einer wirkungsvollen Rede ein. An die Spise seiner Ausführungen stellte er folgende offizielle Erklärung unseres Barlamentsklubs:

Auch bei der Stellungnahme zu den Exposees, herrliches Beispiel proletarischer die wir in diesem Hause gehört haben, gilt unsere Treue gegeben, sie haben auch den festen Willen dringendste Sorge dem Schicksal der arbeitenden ungezählter Tausende zum Ausdruck gebracht, die Menschen und der Arbeitslosen. Wir stellen in wirtschaftlichen und sozialpolitischen Forderungen den Mittelpunkt unserer Betrachtungen die Fort- der deutschen Sozialdemokratie aktiv zu unter­bauer der Krisennot und wir sehen es als die tüken. ichtigste Aufgabe des Staates an, bierwirksameinzugreifen. Wir haben in einer Beratung unserer Bertrauensmänner in Anffig die Borschläge ausgearbeitet, von deren Berwirklichung wir eine fühlbare Belebung der Produktion und vor allem eine Vermehrung der Arbeitsgelegenheiten erwarten, die den auf ein unerträgliches Minimum gefunkenen Lebensftan dard der Arbeiterklasse heben sollen. Dieses Pro­gramm gipfelt in den Forderungen, die wir auch heute wiederum unterstreichen wollen:

Vermehrung der öffentlichen und privaten Arbeitsgelegenheiten durch Exportförderung Investitionen und Berbesserung der Kredit­organisation.

Sanierung der Selbstverwaltungsförder zur Sicherstellung ihrer sozialen und kulturellen Aufgaben.

Gefeßliche Berkürzung der Arbeitszeit auf borläufig 40 Stunden wöchentlich.

Sicherung der Löhne und Verträge. Regu­lierung des Arbeitsmarktes durch Sicherstellung der freigewordenen Arbeitspläne für die sozial Bedürftigften.

Gesteigerte Fürsorge für die Arbeitslosen­Rettung der arbeitslosen Jugend vor dem physischen und moralischen Verfall.

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Nr. 263

| Toter Marxismus ?

Wenn irgendwo in einer Gemeinde die sozia listische Stimmenzahl einen Rückschlag erfährt, so sind unsere Gegner flugs mit der Deutung zur Stelle, die Sozialdemokratie sei in unaufhalt= samem Niedergang begriffen, die Arbeiter hätten den Marxismus satt und wendeten sich enttäuscht von ihm ab, weil er versagt habe. Das Schicksal, von den Feinden in der Einbildung bei lebendigem Leibe begraben zu werden, hat die sozialistische Arbeiterbewegung seit ihrem Bestande erdulden müssen und sie hat es gut ertragen. Wieder ein­,, Es ist nicht nur in unserer Macht gelegen, mal herrschte in den Organen der bürgerlichen sondern geradezu unsere Pflicht, diesen Menschen öffentlichen Meinung in den letzten Jahren die zu helfen. Die beste und wirksamste Hilfe ist die unumstößliche Gewißheit vom restlosen Zusam­Sorge um die Milderung der wirtschaftlichen und menbruch des Sozialismus überhaupt, weil dieser sozialen Not." in einigen Ländern Mitteleuropas teils durch An­und den gleichen Gedanken spricht das Nadurch zur höchsten Verlogenheit gesteigerte Dema Na= wendung brutalster und blutiger Gewalt, teils rodni Osvobozeni" aus: gogie der Gegner Niederlagen erlitten hat und " Der demokratische Staat ist diesen seinen seine legalen Organisationen vernichtet wurden. Wachposten Arbeit und Brot schuldig. Denn eine Armee darf nicht hungern, wenn fie fiegen soll.

Um so weniger darf die Armee der Kämpfer für die Demokratie in so schweren Zeiten dem Hun ger preisgegeben werden."

haben.

Wird jeder unserer Rückschläge von unseren schäft des Totsagens der verhaßten Sozialdemo Gegnern weidlich ausgenüßt, um damit das Ge­fratie zu betreiben, umso zurückhaltender sind jie Und der Ruf dieser Zehntan= sende darf nicht überhört werden! bei sozialistischen Wahlerfolgen. Von solchen Er darf um so weniger überhört werden, als sich Wir quittieren diese Aeußerung mit Dank als nimmt die bürgerliche Presse kaum Notiz, das diese Menschen in stürmischer Zeit durch Wort und Ausdruck jener republikanischen Solidarität, auf würde ihr antimarristisches Konzept, in dem die Arbeit als die verläßlichsten Stützen die wir uns auf unseren Kundgebungen berufen sozialistische Arbeiterbewegung nun einmal als tot und begraben gilt, bedenklich stören. So wis derdemokratischen Republik erwiesen Wir freuen uns auch, feftitellen zu können. fen die Kreise, die ihre Informationen über das baben. Wenn wir den Anspruch dieser Menschen auf Brot und Arbeit anmelden, so sprechen wir daß die Darlegungen des Herrn Ministerpräsiden- Weltgeschehen aus dieser Quelle beziehen, kaum damit nur eine Selbstverständlichkeit aus. Wir en die Notwendigkeit plan mäßiger wirt- etwas davon, daß in den jüngsten Wochen in allen befinden uns hiebei in voller Uebereinstimmung fchaftspolitischer Eingriffe unter: Ländern, in denen die Staatsbürger noch frei mit der fortschrittlichen tschechischen Oeffentlichkeit strichen und auch die Notwendigkeit einer Reihe wählen können, ohne befürchten zu müssen, für Wir berufen uns auf die Stimme der Lidové fozialpolitischer Maßnahmen betont ihre politische Willensbekundung in einem Kon­Noviny", die am 6. November in Beschreibung haben. Wir wollen für die Verwirklichung die- zentrationslager monatelang gefoltert zu ver­unserer Kundgebungen schreiben: ser Maßnahmen all unsere Kraft einsetzen!

Arbeitszeitverkürzung reif zur Verwirklichung

Genosse Kaufmann verlangt energisches Einschreiten der Regierung

Prag . Im Anschluß an die Erklärung unseres Klubs, die wir an anderer Stelle veröffentlichen, ging Genoffe Kaufmann in der Parlamentsdebatte zur Besprechung der großen wirtschaftlichen Probleme über, von deren gerechter Lösung angesichts des sechsten Krisenwinters in hohem Maße das Wohl und Wehe der arbeitenden Massen und damit nicht in letter Linie auch das Schicksal des Staates und aller seiner Bevölkerungsschichten abhängt. Genoffe Kaufmann stellte namentlich die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung in den Mittelpunkt seiner Rede, da es sich jetzt zeigt, daß trotz der Wirtschaftsbesserung fast keine Neueinstellungen in die Betriebe zu verzeichnen sind. Da kann nur die Arbeitszeitverkürzung helfen, und wenn die Unternehmer wieder halsstarrig bleiben, dann muß eben die Regierung durch Verordnung eingreifen!

Seit dem Bürgerblock sind fünf schwere

In Besprechung der Voranschlagsziffern stellt Redner fest, daß der gemäßigte Optimismus des Finanzministers bezüglich der zu erwartenden wirt­Der vorige Sonntag hat gezeigt, daß sich die schaftlichen Besserung eine Stüße in den bisher be­deutsche arbeitende Bevölkerung unseres Landes fannten Wirtschaftsziffern für 1934 hat. diese Forderungen zu eigen gemacht hat und daß He vergangen, die die tschecho= zu ihnen steht. Die Kundgebungen, die unsere slowakische Wirtschaft fast vollkommen lahmgelegt am vergangenen Sonntag in Karlsbad und haben. Troßdem haben wir in dieser schweren Beit Bodenbach , in Teplik und Komotau , in Jägern schritte auf allen Gebieten durchzusetzen, und dorf und Mährisch Schönberg veranstaltet hat, es haben mit einer nicht zu übersehenden Eindring nahmen zu vermeiden gewesen, wenn wir nur die lichkeit die äußere Stärke und die innere Kraft durch die Steuerreform und die Steuerabſchreibungen Unserer Bewegung aufgezeigt. Sie haben bewie- des Bürgerblocks verloren gegangenen Milliar= wer berechtigt ift, im

Partei

fen,

es vermocht, sozialpolitische Fort=

wären viele Härten der Personal- Sparmaß­

den, der Sozialismus höchst kräftige Lebenszeichen gegeben hat: in Australien , in Schweden , in Frankreich , in Norwegen und neue= stens in England.

In Australien haben die bürgerlichen Parteien bei den Parlamentswahlen verzweifelte Anstrengungen gemacht, um die Arbeiterpartei zu schlagen, es ist ihnen nicht im entferntesten gelun gen. Die australische Labour Party hat tapfer dem vereinigten Ansturm standgehalten und sie hat. sogar zu ihrem Besiz noch mehr als ein Dußend neuer Mandate gewonnen, so daß die Regierung die Mehrheit im Parlamente verloren hat. Bei den französischen Kantonalwahlen hat die sozialistische Partei ihre Stellung gut be­hauptet und sogar verbessert, obwohl ihr Zusam mengehen mit den Kommunisten zu einer ver­schärften Heße Anlaß gab und sich eher ungünstig als günstig auswirkte. Auch die zunehmende Ar­beitslosigkeit und die Not der Landbevölkerung warf ihre Schatten, dennoch blieben die sozialisti­ schen Positionen unerschüttert. Die Bedeutsamkeit ist in den Betrieben noch keine Steige des Sieges der Sozialdemokratie bei den nor rung des Personal standes wegischen Gemeindewahlen wurde zu verzeichnen. Nach den Ziffern der Zentral- jüngst hier gewertet. Einen herrlichen Auftakt für fozialversicherungsanstalt waren im Jahre 1932 die kommenden Parlamentswahlen in Eng noch 1,805.000 Leute beschäftigt, im Jahre 1933 and bilden die vor wenigen Tagen durchgeführ­nur noch 1,619.500 und hener im Durchschnitt ten Gemeindewahlen, bei welchen die Arbeiterpar der ersten acht Monate 1,611.000 Personen. Das tei über 750 neue Mandate erobert hat. Höchft zeigt, daß die Unternehmer keine neuen beachtenswert ist auch der große Erfolg der Leute einstellen, solange der bis­herige Personalstand bei voller Ausnüßung der schwedischen Sozialdemokratie bei 48stündigen Arbeitszeit noch ausreicht. den Landtagswahlen. Sie hat als weitaus größte Partei des Landes mit einer Stimmenzahl von

Der Rüdgang der Arbeitslosenziffer von

625.000 im Auguſt 1933 auf 572.000 im Auguft 682.000 ihre Mandatszahl von 469 auf 503 zu 1934 ist zum Teil wohl darauf zurückzuführen, daß steigern vermocht. Es ist dies ein imposantes Be­sich ein Teil der Ausgesteuerten nicht mehr zur Regi- kenntnis der Arbeiter, Handwerker, Gewerbetrei­Masse des Boltes zu sprechen! Und dabei sind waltungsreform des Bürgerblocks hat ja nicht zu Gelegenheitsarbeiten beschäftigt ist. Die sichere Arbeit Staatsführung, der es gelungen ist, das Land meite Teile unſeres: Organisationsgebietes, Dist- ichweren Belastung der Admini- betrieben ist aber höchstens nur noch kleiner zu steuern und aus ihm ein Land des Wohlstandes und der geordnete Verdienst in den Industrie- durch die schweren Krisenzeiten glücklich hindurch böhmen und der Böhmerwald , in Mähren die strative und des Personalbudgets geführt. Wahlkreise Brünn und Iglan gar nicht zu Wort

einer Entlastung, sondern zu einer weiteren

Daß der wirtschaftliche Optimismus des Herrn

sekommen. Auch dort wußten wir zehntausende Finanzministers einer realen Grundlage nicht ent-| Kämpfer, die mit gleicher Treue und Kampfent- behrt, zeigen, wie Genosse Kaufmann an Hand bon fchlofenheit zu unserer Sache stehen.

Statistiken darlegt, die Ziffern des Außenhandels, aber auch die sinkende Zahl der Konkurse und Aus­gleiche, das Anſteigen der Produktionsziffern der wichtigsten Zweige der Schwerinduſtrie, der Fertig­

warenausfuhr usw. Auch bei den Bahnen können wir

Wir fühlen uns verpflichtet, von dieser Stelle aus unseren treuen Freunden noch einmal für die feit zu danken, die sie an den Tag gelegt haben. stellen. Dagegen ist bei der Kohle eine nennenswerte bewunderungswürdige Hingabe und Opferfreudig eine bedeutende Steigerung des Güterverkehres fest­Diese Männer und Frauen haben trok Wind und Veränderung nicht eingetreten und die Produktions­Kälte, trok Not und Elend in ihren Familien, troh ziffern fast gleich geblieben. mangelhafter Bekleidung und unzureichender Nah­rung stundenweiten Weg nicht gescheut und ihre letzten Spargroschen hergegeben, um sich selbst und ihren arbeitslosen Brüdern die Teilnahme an den Randgebungen zu ermöglichen. Sie haben ein

Trotz Wirtschaftsbesserung keine Neueinstellungen!

Trotz der Steigerung der Produktion und der Besserung des Waren- und Handelsverkehre

geworden.

Daher: Arbeitszeitverkürzung!

Aus diesen Gründen ist die Frage der Arbeitszeit verkürzung außer­

ordentlich dringlich geworden. Der frühere Für forgeminister Dr. Czech hat schon 1931 eine Vor­lage zur Verkürzung der Arbeitszeit auf 40 Stun­den vorgelegt. Nach einer Debatte hier im Hause wurde aber der Entwurf auf ein Nebengeleise ge­schoben.

zu machen. Dieser prächtige Wahlerfolg hat die Auffassung widerlegt, die Regierungstätigkeit oder die Teilnahme einer sozialistischen Partei an der Regierungsmacht führe unter allen Umständen zu ihrer Diskreditierung bei den Volksmassen.

Diese Erfolge verdienen um so höhere Be achtung, weil sie inmitten der ärgsten Krise errun­gen wurden, welche das kapitalistische Zeitalter jemals erlebt und von der die Nußnießer der heus tigen Gesellschaftsordnung erwarten, daß sie un Seinerzeit haben die Unternehmer den Stand- weigerlich zur Schwächung der sozialistischen Front punkt eingenommen, daß die Frage der Arbeitszeit führen müsse. Dies, weil in der Zeit der wirtschaft­erst mit Beginn einer besseren lichen Zerrüttung und der sie begleitenden Maffen­Konjunktur geregelt werden könnte, während arbeitslosigkeit die Abwehrkräfte der Arbeiter­wir von dieser Stelle aus die Frage der Arbeitszeit flasse gegen die Verelendungstendenzen des Kapi­talismus geschwächt sind und alle Mühe der Par­

( Fortsetzung auf Seite 2.)