Nr. 264 Samstag, 10. November 1934 Seite 5 Die Httler-Meife« von Äion Der Bremer   HKro-eV von Hans Rheinländer Bis in die zehnte Auflage seines Buches Mein Kampf  " hat Adolf Hitler   den Satz stehen lassen, daßder Deutsche leine Ahnung habe, wie man ein Boll beschwindeln muß, wenn man Mas­senanhänger gewinnen will". Das ist der Kernsatz der neudeutschen Hitlerbibel gewesen. Die engeren Freunde Hitlers   haben den Satz gestrichen, nach­dem die NSDAP   auf dem Wege über das Gut Neudeck zur Macht gekommen waren. Zu den Hauptschwindeleien der Nationalsozialistischen  Partei gehörten die immer wieder neu gedruckten und verbreiteten angeblichen Protokolle der Wei­ sen von Zion  . Unter den nicht analphabetischen Anhängern des demnächstigen BolkskaiserS Hitler  ist nicht einer, der an die Echtheit dieser Protokolle glaubt, aber auch nicht einer, der ihre agitatorische Wirkung auf breite BoltSmaffen angezweifelt hätte. Wiederholt sind diese Protokolle, denen zu­folge den Juden die unheimlichste Macht über alle Regierungen der Welt und die Gerichte, sowie die Freimaurerei, angedichtet»verden, als Fälschungen n ach gewiesen worden. Trotzdem werden sie immer wieder neu verbreitet. Jetzt ist es inB e r n (Schweiz  ) gelungen, die Frage, ob die Protokolle echt oder gefälscht sind, vor ein Gericht zu brin­gen, von dem angenommen werden darf, daß es objektiv prüft und dann seine hieb- und stichfeste Entscheidung fällt. Kläger   sind die Präsidenten des Israelitischen Gemcindebundes und der Ber­ner Kultusgemeinde. Angeklagter ist ein Architekt Fischer als Führer der Nationalen Front, die in der Schweiz   der Deutschen   Nationalsozialistischen  Partei entspricht. In der Anklageschrift wird er­klärt, daß es sich den Klägern lediglich um die endgültige und gerichtsordnungsmäßige Entschei­dung der Frage handle: Sind die Proto­kolle echt oder sind sie eine Fäl- s ch u n g? Den Beweis dafür, daß es sich um eine Fäl­schung handelt, bieten die Kläger an durch die Vorlage des Originals einer französischen politischen Streitschrift aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts, die also etwa 40 Jahre vor dem ersten Zionistenkongreß stammt und aus der ganze Stücke wörtlich überfetzt sich in den Protokollen wiederfinden. Andere Teile sind einem alten englischen Roman ent­nommen. Das Gericht hatte zahlreiche Zeugen, die don beiden Teilen genannt worden waren, zuge- laffen. Der von dem Beklagten alsSachverstän­diger" vorgeschlagene deutsche   ReichstagSabgeord- nete Pfarrer Münchmeyer, ein sprichwörtlich be­kannter übler Zeitgenosse, toar in Deutschland   nir­gends aufzufinden. Er hat Angst, vor einem un­abhängigen Gericht zu erscheinen, deshalb verbirgt er sich. Abgesehen von den zugelaffenen Zeugen will der Gerichtshof selbst besondere Sachverstän­dige zu Rate ziehen. Seitens der Kläger   wurde Prof. Dr. Baumgarten-Basel genannt. Zum offiziellen Experten des Gerichts wurde der christ­liche schweizerische Schriftsteller C. A. Loosli- Vern berufen. Unter den Zeugen der ersten Sitzung befand sich der Führer der Zionisten Dr. W e i z m a n n. Er erklärte, daß der Baseler Zionisten-Kongteß von 1897, dem er beigewohnt habe, mit den Pro­tokollen der Weisen von Zion nichts zu tun habe. Dasselbe erklärte der ehemalige russische Geheim­rat Dr. Sliosberg, ebenso der bekannte Dok­tor Mayer-Ebner   aus Czernowitz   und das frühere Mitglied der russischen Duma Paul Mil­jukow. Alle Zeugen sagten aus, daß es sich bei den Protokollen um Fälfchungen handelt. Doktor Ehrenprei s-Stockholm bekräftigte diese Aus­sagen am schlagendsten durch die Vorlage des echten Protokolls. Zu Gunsten der Beklagten hat sich bishernichteineinzigerZeuge aus­gesprochen. Es ist denn auch kein Wunder, daß im Verlaufe der dritten Sitzung auf Bitten des Be­klagten der Prozeß vertagt wurde. Die Beklagten haben verlangt, daß man nunmehr noch den Sachverständigen" Fleischhauer, einen ehe­maligen Oberstleutnant in Erfurt   vernehmen soll. Das Gericht ging auf diesen Verschleppungsan­trag sofort ein, und erklärte für den Fall, daß die­ser Experte annehme, ihm die Akten einen ganzen Monat lang zur Verfügung gestellt werden sol­len. Was dieserSachverständige" über die Schwindelprotokollc weiß, wird sich Herausstellen, falls er wirklich annehmen sollte. Es ist hundert GpazierftSeke Der Knüppel diente den Primitiven zur ein­fachsten Wehr. Mochte er sich auch zu mancherlei kunstvollem Gerät entwickeln, so verschwand doch die Urform des Stockes nie aus dem Leben der Völker. Versah man ihn auch mit Zierat und gab ihm den Rang eines Ehrenzeichens in erster Linie blieb er als Stütze dem Alter erhalten. Es gibt berühmte Stock-Sammlungen, fana­tische Liebhaber dieses Gegenstandes und ich habe wahre Kunstwerke von Stöcken gesehen. Die Tchäferstäbe des galanten Zeitalters, mit Blumen­sträußchen und Tcidenbändern aeschmückt, wo be­sonders die Frauen diesen Attribut der Mode hul­digten, die kostbaren Sazierstöcke der französischen  Kavaliere und Könige, mit Elfenbeingriffen und goldenem Knauf, der schmucklose Krückstock Friedrichs des Großen Symbol eines Zeit­alters!, ja auch Szepter und Feldherrnstäbe, sie alle vermitteln uns ein anschauliches Bild der Jahrhunderte und ihrer Sitten. Sie alle sind Zweige des Knüppels, den sich Pithecanthropus ereetus, der aufrechtgehende Affenmensch von Java, oder der Homo neandertalensis abbrach und damit vielleicht eine der ersten Handlungen voll­brachte, die ihn zum Homo sapiens werden ließ. Wir selbst haben in der kurzen Zeitspanne unseres ErdenwallenS schon viele Metamorphosen des Stockes mitgemacht, die allerdings zumeist seine äußere Form, nicht aber seine. Verwendung betrafen. Gerade in unseren Tagen wird von Rückwärtsreformern in manchen Ländern eifrig dafür geworben, den Stock wieder als ZÜch- tigungSmittel zu verwenden! Natürlich dachten sie nicht an die teueren Spazierstöckel Schon die Tat­sache der Diskussion dieses Themas muß alle, die auf eine Weiter- und Hinaufentwicklung der Menschheit hoffen, mit Scham und Trauer er­füllen. Was nützt es, über Ozeane hinweg sprechen zu können, wenn dich der nächste nicht versteht? gegen eins zu wetten, daß auch er seine Wissen­schaft nur aus den antisemitischen Hetzschriften geschöpft haben kann. Die absolute Niederlage der Antisemften in Sachen ihrer gar nicht existierenden Weisen von Zion steht jetzt schon bombenfest. Es ist deshalb da­mit zu rechnen, daß die Beklagten einen Vergleich anbieten werden. Hoffentlich lassen die Kläger sich unter keinen Umständen auf ein solches Manöver ein. Gerade in der Schweiz   mit feinen unabhän­gigen Gerichten muß gerichtsnotorisch gemacht werden, daß die Antisemiten der ganzen Welt jahrzehntelang bewußtermaßen gelogen haben. Der Schwindel mit den Protokollen gehört zu den Quadern der Grundmauern des Nazismus in Deutschland  . Dief« Grundmauern bestehen überhaupt nur aus Schwindel. Die Quadern sind: Die Weisen von Zion, Die Novemberverbrecher, Der Reichstagsbrand, Die Rassentheorie und alles andere nationalsozialistische Agitationsmaterial. Auf diesen Grundmauern des Lugs und Trugs konnten die der ganzen Welt bekannten Ergebnisse des Nationalsozialismus erzielt werden. Wie lange die Arbeit des Nafionalsozialismus auf die­sen Grundmauern fortgesetzt werden kann, wird qbhängen von der Geduld der gesamten gesitte­ten Welt. Und wenn ein kleiner lebloser Stock vollends die Verkümmerung der Seelen enthüllt? Ihrer uner­sättlichen Gier genügt nicht mehr derhumane" Tod durch den elektrifchen Stuhl, den Galgen, das Beil und die kommenden Gaskriege, sie wollen sich auch für kleinste Vergehen wieder der körperlichen Schmerzen des Täters versichern. Denn die In­stitution der Strafe ist nicht mehr. Mittel zur Besserung und Bekehrung, sondern Selbstzweck, Rache und die Möglichkeit, sadisfischen Neigungen zu frönen. Bei dieser Gelegenheit erinnere ich mich an den handlichen Rohrstock in der Schule, mit dem ich zum Beispiel die rechten Nebenflüsse der Donau  auf Freytags riesiger Wandkarte zeigen mußte, der aber auch hie und da brennend rote Streifen auf die Handflächen des unaufmerksamen Schü­lers zog. Der Professor nannte dies: spartanische Erziehung... Und ich denke auch an den grauhaarigen Requisiteur eines kleinen Stadttheaters in Süd­ mähren  , der mir antwortete:Das ist do ganz einfach: Vor Christi Geburt Sandalen und Pilgerstab, nach Christi Geburt Riiterstiefel und Schlvert! Und moderne Sachen muaß der Schau­spieler selber hab'»... I" Womit er die gefor­derten Rokokostöcke meinte. Uebrigens hat schon Goethe in seinen Regeln für die Schauspieler auf den Unfug der Spazier­stöcke hingewiesen, die die Bewegung des Dar­stellers hemmten. Derzeit gestattet die Mode eigentlich nur den dunkel getönten, dicken Bambusstock, der dem Träger eine männliche, sportliche Note verleihen soll. Der Spazierstock gerät immer mehr ins Hin­tertreffen und wer ihn benützt, tut dies vielfach nur aus Gewohnheit. Die Jugend will von ihm nichts wissen. Bor einigen Jahren hatte mein Vater seinen 60. Geburtstag. Auf der Suche nach einem paffen­den Geschenk beschloß ich. von der üblichenKra­watte"(Tradition aus KindheitSiagenl) Abstand zu nehmen. Ich entschied mich für einen Spazier­stock, den mein Vater, wie ich mich zu erinnern wußte, gern mochte. Damals ioar er noch ein rüstiger Mann. Das Urteil der blonden Verkäu­ferin im K. D. W.(Kaufhaus des Westens) in Berlin   bewog mich, einen sehr teuren, glatten Manila  -Rohrstock zu kaufen, mit einfach geboge­nem Griff, um dessen Hals sich ein geflochtener Silberreif schlang. Es war ein vornehmes Stuck, das beste in seiner Art und ich ließ es sogleich nach Wien   schicken. Beim Verpacken fragte ich scherzend das Mädchen:Hoffentlich ist der Stock was wert?!" Sie lachte:Da könn' Sie ganz unbesorgt sein! Mit dem kann ihr Herr Vater bis uff die Berje Nettem!!".... Damit ist es nun leider nichts geworden. Und ich bin glücklich,, wenn der Mann, seit der schweren Krankheit um vieles gealtert, Schritt für Schritt bis zur nächsten Bank im nahen Part humpelt. Dann schaut er unendlich traurig auf die Sonnenkringel des Weges und die spielenden, hetzenden Kinder und sagt, mühsam sich setzend: Ich glaube, das wird sich bei mir nicht mehr bestem..." Unsinn! Paß auf, wir werden, nochmals auf di? Berge klettern!", tröstete ich ihn. Er lächelt müde. Und der Silberring des Spazier­stockes blinzelt mich an, als erinnert er sich an die Worte des blonden Madels im K. d. W. Vielleicht hätte ich damals doch lieber eine Krawatte schicken sollen? Hanns Leo Reich. MMan iihI wm Russische Ausfuhrsorgen Die Ausfuhr von Raphthaprodufien aus Sowjetrußland hat im ersten Halbjahr 1934 ge­genüber der gleichen Zeit des Vorjahres einen nicht unbeträchtlichen Rückgang erfahren. Vom Jänner bis Juni 1033 hatte sie 2,555.429 Tonnen betragen. In den gleichen Monaten des Jahres 1934 war sic auf 2,136.050 Tonnen zurückge­gangen. Nach den wichtigsten Abnehmerländern gestal­tete sich die Ausfuhr so: Stillesung der oberschlesischen Zinkhütten? Man rechnet mit einer völligen Stillegung der ostober- schlcsischen Zinkhütten, die bisher.80 Prozent ihrer Produktion nach Duetschland ausführten, da Deutsch­ land   erklärt, aus Devisengründew den Zink nicht zahlen zu können, und die Magdeburger   Zinkhütte den Bedarf decken wird. Damit werden 7000 Arbei­ter brotlos. Jänner-Juni 1938 Tonnen Jänner-Juni 1934 Tonnen Frankreich  381.534 400.438 Italien  580.759 354.148 Spanien  178.755 261.405 England 390.487 256.643 Deutschland  280.052 239.319 Schweden  131.673 96.451 Belgien  136.958 88.412 «MI Der Zwischenfall im Staatstheater Ein Beitrag zu Deutschlands   Schiller  -Feier Von Pierre Schon am Tage vorher hatten die Zeitungen, natürlich gleichlautend, geschrieben: Die morgige repräsentative Schiller-Feier des StaatStheaterS wird ein Ereignis werden. Das verflossene liberalistisch-marxistische System hat den deutschesten der deutschen   Dichter nie im Innersten verstanden, nie recht verstehen können. Das BolkStumhafte, das Feurig-Nationale, das Leidenschaftlich-Heroische dieses großen Dichter» stieß sie ab, sie formten sich ihren eigenen papie­renen Schiller, der ihnen parlamentarische Ge- dankenfreibeit und den Bulgär-Marxismus der raubenden und mordendenRäuber" gab. Der Schiller, den wir erlebm, das ist der Schiller der patriotischen Ekstase, der seinerzeit seine Zeitgenossen mit jenem Aufschrei andonnerte, der uns allen in die Herzen gebrannt ist:Nichts­würdig ist die Nation, die nicht ihr alles freudig setzt an ihre Ehre!" Diese Ehre, die uns Marxi­sten und Juden, Artfremde und Landesverräter ge­raubt haben sie wollen wir»ns wieder­holen l" * Im Foyer, auf den Treppm, vor dem Thra­ker war«in unablässiges Kommen und Gehen... Die Türhüter, in ihrer neuen gold- und silber- durchwirkten Uniform, standen majestätisch an den Eingängen und prüften jeden Neuankömmling auf Herz und Nieren. Wer keine persönliche Einladung des Mini« steriums vorweisen konnte, wurde unerbittlich ab- gewiescn. Die Herren kamen in Frack, die Damen krugen große Abendtoilette. In das festliche Schwarz-Weiß des Zivils mischten sich die bunt« dcrzierten Uniformen der hohen SS- und SA  - Führer. Es waren Uniformen von fast orien- kalischer Pracht! Litzen und Streifen, Gold­borten und Silbertroddeln auf dimkelbra>mcm Unterton. Vor dem Theater standen große Ve«itschaft« der SS und der Schutztzolizei. Kurz vor 7 Uhr wurde der Theaterplatz in weitem Um­fang abgesperrt. Schwarzuniformierte SS mit Karabinern sicherte alle Zugangsstraßen, riegelte die Seitengasten ab, ließ Scheinwerfer spielen.,. Die Minister wurden erwartet. Kurz vor 8 Uhr kamen sie, in vier in schnellstem Tempo vor­fahrenden Autos. Born und hinten Detektive, SS  -Leibgardisten... im zweiten und dritten Wagen Go«ring und Goebbels  , Dr. Frick und der Führer... Die Theaterdiener standen stramm, Polizi­sten und SS  -Leute salutierten, eine dünne Welle von Heil-Rufen stieg auf, die im Lärm deS Herbst­abends in ein vielfaches, murmelndes Echo zer- flatterte und schon war alles vorbei. Knapp, daß noch die Photographen knipsen konnten. Keiner warf einen Blick zur Seite, nur Goering   hatte sich, neugierig und kindlich eitel lächelnd, zu den Photographen umgedreht. Er trug, unter dunk­lem Feldherrnmantel, der lose, aber malerisch um die Uniform geschlungen war, sein weißes Flieger» kostüm. Als die Photoleute knipsten, schlug er den Mantel für«inen Augenblick zurück, die Sturz­flut der Orden wurde sichtbar, auf denen sich die Lichter der Bogenlampen in tausend Strahlen zu brechen schienen. * Der Zuschauerraum zeigte so sagten wenigstens die Blätter am nächsten Tag ein überwältigendes Bild. Von den Logen, aus den hohen, breitausladenden Rängen rieselte viel- meterlangeS Hakenkreuzband auf die Erde hernie­der, an der Stirnwand der Bühne war ein riesi­ger, goldbronzierter Reichsadlsr angebracht, der auf den ausgebreiteten Schwingen in silbernen Buchstaben die Worte trug:Gemeinnutz geht vor Eigennutz!" Als der Vorhang aufging, grüßte fast über die ganze Bühnenwand hinweg, ein Oelbild des Führers, in seiner charakteristischen Pose: die rechte Hand am Koppelschloß seiner SA-Uni» sorm. Zu Füßen deS Bildes stand, auf halbhohem Sockel, eine Büste Schillers, des Jubilars, dessen Gedenken dieser feierliche Abend gewidmet war. Lorbeerreiser schmückten die hohe, zergrübelte Sttru, dis lütte Hand lag, wie überlegend, am' Kinn, in der rechten hielt der Dichter einen Fah- n-nstock, an dem ein seidenes Hakenkreuz-Fähn­chen befestigt war. Das Programm begann mit Rezitationen Schillerscher Gedichte. AoeringS Favoritin, die Schauspielerin Sonnemann, sprach dieGlocke" in einer zeitgemäßen Bearbeitung von Richard Euringer  . Als sie am Schluß, ekstatisch verzückt, in das überfüllte Haus rief: »Die Glocke tönt! Wer hat das Werk ge­schafft? Die Antwort kennt Ihr! Unsres Führers Kraft!" rauschte jubelnder Beifall auf und brandete an der Fürstenloge empor, in der, ernst und unbe­weglich, der Führer mit seinem Gefolge saß. Danach spielte ein eigens ausgewähltes Ensemble desNS-BühnenvolksbundeS" die Räuber" in einer neuartigen, gewiß originellen Auffassung. Es war eine Inszenierung vom Standpunkt des Rassenprinzips aus; sie rollte die ganze Familiengeschichte der Moors auf. Franz Moor, die Kanaille, entpuppte sich hier als Richt­arier und der alte Moor, der im feucht-schaurigen Verlies mit den Ketten rasselte, war zur symboli­schen Figur geworden, Symbol des Deutsch­ lands   der Vorbitlerzeit, das die Schmach des Systems in Pansen geschlagen hatte... Dann kam der Höhepunkt des Abends, des Führers große Schiller  -Rede. Die Hörer, fie­bernd vor Erregung, hatten sich don ihren Plätzen erhoben,«üs der Kanzler des neuen Deutschen   Rei­ches mit langsamem, getragenem Schritt die Stu­fen zur Bühne«mporklogun. Direkt unter seinem Bild, das fast die ge­samte Bühnenwand einnahm, stellte er sich auf, di« Hände hatte er wie segnend auf den Kopf des marmornen Schiller gelegt. Zwei Minuten stand er, stumm und Unbe­weglich: Keine Miene zuckte in seinem gestrafftem Gesicht. Die Meng« stand noch immer. Dann aber begann er, während es im Theaterraum so still war, daß. man eine Stecknadel hätte zu Boden fallen hören: «Vottsgenojje« und Votkögenosjinnen! Fried­ rich von Schiller   unser Nationaldichter) Nickt der Schiller volksfremder jüdischer Dekadenzler! Nicht jener Schiller der knochenweichen Verräter, die von Menschenrechten und Gedankenfreiheit faseln und Zuchtlosigkeit und ehrfurchtslosen Autoritätshaß meinen, ist unser Schiller! Der Schiller, der unsere Herzen entzündet zu heller, opferfroher Flamme, das ist der Schiller, der hervorwächst aus dem Kämpfen, Lcken und Sterben meiner SA. Jener erzene, waffenklir­rende Schiller, jener rauhe Kämpfer des geistigen Worts, der...." Du lügst!" schrie da plötzlich eine Sttmme. die nicht von dieser Erde zu sein schien,du lügst! Hinweg mit diesen Fahnen, deren Rot nicht das Rot der Liebe, sondern das Rot des vergossenen Blutes gemordeter Menschen-Brüder ist! Eure Ehrung ist meine Schändung, Euer Ge-, denken ist meine Entehrung. Was habe ich ge­mein mit Euren Konzentrationslagern, Euren Kulturpogromen, Eurem Blutwahn und Eurem Kriegsgeschrei?! Euer Schiller   daS bin nicht ich! Das seid Ihr! Ihr in Eurer gaitzen gren­zenlosen Erbärmlichkeit!" Ein unbeschreiblicher Tumult brach los. Woher kam die Stimme? Entsetzlich. Sie schien direkt zu den Füßen des Führers aus der Erde aufzusteigen Als der Saal in panikartiger Erregung ge­räumt war es erwies sich als unmöglich, die festliche Veranstaltung programmgemäß zu Ende zu führen machten die Beamten der Gestapo  eine höchst merkwürdige Entdeckung. Im Innern der Schiller  -Büste fanden sie einen winzigen Grammophonapparat mit aufge­legter Platte. Die Platte war mit den eben gehörten, 'schmachvollen Worten besprochen. Die Täter hatten, höchst sinnvoll und raf­finiert, den Kofferapparat an das elektrische Licht­netz angeschlossen, ein Lautverstärker war ebenfalls eingebaut- Den Zeitungen wurde, wie sich versteht, ver­boten, über den ungewöhnlichen Vorfall beim Schiller  -Abend des Staatstheaters auch nur mit einem Wort zu berichten.