Seite 2 Mittwoch, 14. November 1934 Nr. 267 scheu Fraktion, haben am 8. November demissio­niert. Sie haben sich, wie es in ihrer Demissions­erklärung steht, geweigert, die von Doumergue geplante Staatsreforr. in der Nationalversamm­lung zu Versailles unter der zweifachen Drohung der Auflösung oder des Aufruhrs durchzupeitschen. Doumergue mutzte gehen. Aber w i e hat das der »Retter der Republik", der Urheber des Partei­stillstandes, der»Erneuerer der verlotterten poli­tischen Sitten" gemacht! Zwar gab er den Gedan­ken der Bildung einer MinderheitSrcgierung ver- fafsungsmäßig auf. Auch die Lage war für diesen Hand- oder Staatsstreich ungünstig. Uebrigens liegt der prädestinierte»starke Mann", Andrö Tardieu, dessen Wegbereiter und Statthalter Doumergue war, auf dem Krankenbett. Aber Doumergue's Demissionserklärung und seine Ab­schiedsproklamation an das französische Volk ver­raten sein schlechtes Gewissen und klingen eher als Aufruf zum Aufruhr denn als Mahnung zur Auf­rechterhaltung des Burgfriedens. Besonders perfid und insinuierend klingt in dem Abschiedsschreiben von Doumergue der Hinweis auf die Politik sei­ner Vorgänger, d. h. der Regierung von Daladier , die er für das Blutv..-ießen vom ö. Feber ver­antwortlich macht, was übrigens ein rein sach­liches, aber niederschmetterndes Dementi des Vor­sitzenden der parlamentarischen Nntersuchungs- kommission L. Bonnevay veranlasst hatte. Rühmlos muhte der»Retter", der aus der Einsamkeit seines Landgutes geholt wurde, von der politischen Arena verschwinden. Nicht nur wegen seiner Ansprüche vom diktatorischen Schlage, sondern auch wegen der Fruchtlosigkeit seiner all­gemeinen und Wirtschaftspolitik, deren Fazit gleich Null ist. Die Krise wütet nach wie vor, die Arbeitslosigkeit steigt, die auhenpolifische Lage bleibt trotz allen Erfolgen BarthouS schlecht. Was bedeutet der Regierungswechsel in Frankreich ? In erster Linie dass der zweite Vor­fascistische Sturm abgeschlagen ist. Aber der Sieg ist kein fester. Die neue Regierung ist ebenso wie die gestürzte eine Regierung des Burgfriedens, d. h. des Bürgerblocks. Mvar sind die ausgespro­chenen Vertreter des»auwritären" Regiments, Tardieu und General Pötain ausgeschifft worden. Dafür zeigt die Zusammensetzung der Regierung von Flandin eine Erweiterung nach rechts(Geor­ ges Mandel und Pernot). Die widernatürliche Arbeitsgemeinschaft der Radikalen mit den Rech­ten dauert fort. Sie bedeutet die gegenseittge Neu­tralisierung und Lahmlegung. Die politische Krise in Frankreich , die in der Wirtschaftskrise und in der Verschärfung der Klas­sengegensätze ihre letzten Ursachen hat, kann durch keine Zwischenlösungen gelöst werden. Die Neu­orientierung der Radikalen nach links kann allein einen Ausweg aus der Sackgasse ermöglichen. P. G. Vier hat Dollfuß ermordet? Wie der Fey sich um die Verantwortung drücken möchte: Er läßt die Auslieferung Kreislers fordern Vor einigen Wochen ist im Verlag der Nord« böhmischen Druck- und Verlagsanstalt eine Bro­schüre erschienen, mit der wir uns bereits mehr- fach beschäftigt haben. Sie heitztW er hat Dollfuss ermordet? Das Geheimnis des 28. Juli" und ihr Autor ist D r. F r i tz K r e i s l e r» der bis Ende Juli Praktikant am Wiener Landesgericht war. Kreisler hat, wie wir bereits berichtet haben, eine Fülle von Beweis- nraterial zusammengetragen, aus dem eindeutig hervorgeht, dass Planetta zwar einen Schuh, aber nicht den tödlichen abgegeben hat und dass der Putsch vom 23. Juli selbst nicht ohne die minde­stens passive Mitwirkung des Emil Fey gelingen konnte. Die klerikale, mit dem Heimwehrgefindel versippte und verbandelte Presse hat sich nicht etwa die Mühe genommen, die Beweise Kreislers zu entkräften oder zu widerlegen. Sie begnügte sich damit, sein faktisches Beweismaterial, seine Indizien als böswillige Erfindung zu erklären und von vorhandenen, aber nicht namhaft gemach­ten Gegenbeweisen in echt jesuitischer Manier zu lügen. Dabei behauptet sie z. B., das gewisse Tat­sachen, die seinerzeit in den amtlichen Wiener Berichten zugegeben wurden, erlogen seien, so daß die Kinder Gottes in ihrer Herzenseinfalt sich sellst der Lüge zeihen! Die österreichische Regierung, beziehungs­weise der berühmte Held Emil Fey hätten zweierlei Möglichkeit, die angeb­lichenVerleumdungen" Kreislers zu widerlegen. Zunächst einmal erklärt Kreisler in seiner Bro­schüre, dass er bereit sei, nach Wien zurückzukehren, wenn die österreichische Bundesregierung folgende Verpflichtungen übernimmt: 1. Daß alle auf de» Putsch bezüglichen Prozeß, alten und ebenso die Namen allerhundertfünfzig bis zweihundert" Putschisten veröffentlicht werden, damit ich die Akten studiere» und mich verteidigen kann. 2. Daß mir gestattet werde, zu meiner Ver­teidigung ausländische Verteidiger heranzuziehen, da die österreichischen Verteidiger unter Terror stehen. Daß mir Gelegenheit gegeben werde, mich ausreichend mit der Verteidigung zu besprechen. 3. Daß das Verfahren gegen mich ein ordentliches ist, also kein Militärgerichts- verfahren, und daß es in allen seinen Phasen öffentlich in vollstem Sinne des Wortes ist. 4. Daß ich aus dem Auslände, wo ich jetzt weile, ohne Umweg über Polizei- und Heim­wehrkaserne» in die Strafhaft des LandeSgerichteS überführt werde,»nd daß dir Regierung die Ver­pflichtung übernimmt, daß keinerlei Mißhandlun­gen, Folterungen und Selbstmorde an mir vor­genommen werde». Kurz gesagt, ich verlange für mich, zum Unterschied von den nationalsozialistischen Putschisten freie« Geleit nach Oesterreich , in die Strafhaft des LandeSgerichteS. 6. Die österreichische Bundesregierung müßte ihre Verpflichtung nicht vor dem deutschen Ge- sandten, sondern vor de» Gesandten jener Länder übernehmen,' bei denen sie jetzt um Kredite für j ihre brave Exekutive bettel« geht. Die österreichische Regierung hätte allo in ausreichendem Matze Gelegenheit, den Dr. Fritz Kreisler der Lüg« zu überführen, wenn sie die Bedingungen erfüllen würde. Daran denkt sie natürlich nicht, denn ein derart dnrchgeführter| Prozeß würde den nicht mehr zu erschütternden Beweis für die Mitschuld hoher fascistischer Wür­denträger an dem Juliputsch und der Ermordung des Dollfuß erbringen. In dem Augenblick, da dieser Prozess beginnen würde, wäre das österreichische Regime nicht eine Stunde mehr regierungsfähig. Aber die Fey und Konsorten haben noch eine zweite Möglichkeit, sich zu rechtfertigen. Sie können den Dr. Fritz Kreisler vor den Pressesenat Dr. Fritz Kreisler Wer hat Dollfuß ermordet? Eine kriminalistisch-politische Be ­trachtung über den 25 Juli 1934 Die Wahrheit über die Machenschaften der Heimwehr Ein unerläßliches Hilfsmittel des Agitators Argumente für den Refe­renten Die Enthüllung der christlichso­zialen Moral! Zu beziehen durch die Zentralstelle für das Bildungswesen, Prag XII., Slezska 13 des Kreisgerichtes in Leitmeritz zitieren. Die Bro­schüre ist in Bodenbach erschienen. Der zustän­dige Gerichtsort ist das tsche­choslowakische ordentliche Ge­richt, Auch diesen Gerichtsstand fürchtet der Fey . Er will es billiger haben. Die österreichische Regie­rung fordert von der Tschechoflowakei die Auslieferung des Dr. Fritz Kreisler , der Dienstag in Haft genommen «nd nach Pankräc überstellt wurde. Das Prager Landesgericht prüft jetzt die Rechtslage»nd die Stichhaltigkeit des österreichischen Ausliefe­rungsbegehrens. Den Fey und Schuschnigg und nicht minder ihren hierländischen Kumpanen könnte das so pas­sen, dass die Affäre Fey mit der Verurteilung Kreislers vor einem Wiener Ausnahmegericht und mit dem Verschwinden des Anklägers in einer der Folterkammern der Heimwehrbanditen endet. Der Grund, weshalb es den Herrschaften in Wien mit der Causa Fey so dringend ist, dürste darin zu suchen sein, daß die seit Wochen andauernden Packeleien der Ne­gierung mit.den Nazis dir endgültige Liquidierung der Juli-Zwischenfälle erheischen. Run, da die Auftraggeber der Rintelen, Holzweber, Wächter und Planetta sich mit den Schützern und Freunden der Fey , Karwinsky«nd Rabl offen verständigen, soll nicht- mehr störend' zwischen sie treten und die Frage nach dem Mörder des Dollfuß die einträchtige Stimmung der schwarz-braunen Brüderschaft nicht trübe». Darum soll Kreisler beseitigt und ein für alle­mal die Tatsache totgeschwiegen werden» daß dem Bündnis Schuschnigg- Reinthaler im Juli bereits das eines Rintelen-Fey-Frauen­feld-Ha dicht vorauSgegan- gen war, dem Dollfuß selbst zum Opfer fiel. Der Kampf um die Verkündung der Wahr­heit über den 25. Juli, den Kreisler ausgenommen hat, ist gerade heute der Kampf gegen die neueste Phase in der Gleichschaltung Oesterreichs mit dem Hitlerfascismus! Der sechzehnjährige Prochaska trägt mit eminenter Selbstsicherheit seine Beobachtungen vor: daß aus dem Kamin bei Hilsner Kleidungs­stücke geflogen seien, daß der Mörder und seine Mutter sich hebräisch unterhalten haben. Zeugen, auf die er sich beruft, nennen ihn einen Lügner, eS kommt zu hitzigen Kontroversen. Johann Auf­recht geht mit drohender Gebärde auf Hilsner los:Na, du Erzgauner, hast du's getan oder nicht?" Er beschimpft ihn so lange, bis ihn der Vorsitzende hinausschickt. Mutter und Tochter Bross wiederholen die von ihnen belauschten Ge­spräche der Juden, unter grossem Lärm erklären die Betroffenen alles für Erfindung. Deutlich tritt das rituelle Moment wieder in den Vordergrund, und wiewohl sich Vorsitzender und Staatsanwalt, den vom Ministerium ergangenen Richtlinien ge­mäss, scharf dagegen wenden, beherrscht der Ri­tualmordgedanke bereits alle Köpfe. Nach der ersten Woche sehen die Journalisten schon den Triumph des Geistes von Kuttenberg voraus. Masaryk schreibt: es handle sich nicht mehr um einen einzelnen Juden, auch nicht um den Mord; der Hilsnerprozeh ist zum Schlachtruf zweier lvirtschäftlicher Parteien geworden, in deren Lager sich die verschiedensten politischen Gruppen sammeln. Die Wahlpropaganda wird diesmal mit Gerichtssaalberichten gemacht. Für den Fall Klima interessiert man sich weniger, weil dabei die Blutfrage keine Rolle spielt. Die Zeugenvernehmung wird unterbrochen, als ein eleganter junger Mann den Saal betritt. Der Präsident begrübt feierlich den Erbprinzen Lobkowicz, den Sohn des Oberstlandmarschalls von Böhmen . Und sogar ein echter Japaner, der anscheinend europäische Kultur studiert, erscheint und möchte zuhören. Anton Lang, mit hektisch ge­röteten Wangen und glänzenden Augen unter niederer Sttrn, erzählt seine Erlebnisse. Weder Vorsitzender noch Staatsanwalt verhehlen ihre Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit. Ein heiteres Intermezzo bildet Wassermann, der nur um eines bittet: ihn aussprechen zu lassen, was ihm freilich nicht gestattet wird.Sei nicht traurig und halt dich an Gott !" rät er dem Angeklagten, und beim Weggehen will er ihm etwas Geld geben. Auf Schadenersatz verzichtet er gern:.hilsner ist ja ein armer Teufel, und das Gericht trifft keine Schuld. Was er über mich gesagt hat, verzeih ich ihm. Gott verzeiht ja auch allen Sündern." DerCas" befasst sich mit der erblichen Be­lastung Hilsners. Sein Vater, Sohn eines arischen Forstadjunkten, war ein Säufer und Strolch. Alkoholismus und Vagabondage bei Juden sei ein allgemein gültiges Kennzeichen geistiger Anor­malität. Seine Tante ist blöd, die Großmutter und zwei andere Verwandte waren Epilepttker. Bon einer geisttg gesunden, erblich nicht belasteten Familie könne man demnach trotz dem Gutachten eines Gerichtsarztes nicht sprechen. Weiter befaßt sich das Masarykblatt mit dem noch immer nicht behobenen Verdacht gegen die HruzaS. Auch der Vater Hruza soll geisttg nicht normal gewesen sein. In einem Interview erklät der berühmte Verfasser derPsychopathin sexualis", Prof. Krafft-Ebing in Wien , die Fälle Klima und Hruza wiesen bestimmte unverkennbare Merk­male von sadistischem Fettschismus auf; daß der Täter ein normaler Mensch sei, sei völlig aus­geschlossen. Bei der Konfrontatton des Lang mit den von ihm beschuldigten Juden kommt es zu erreg­ten Szenen. Was Lang vor dem Sterbebett des jungen Brettisch zurückgenommen hat, behauptet er jetzt, nach dessen Tod, unter Eid. Das Publikum genießt mit Gelächter und Mißfallens- bemerkungen die Vorstellung. Der Präsident ent­schliesst sich endlich energisch dreinzufahren, und schmollend lassen die Damen die Operngläser sin­ken. Der Kaufmann Anton Brettisch, der seine Zeugenschast'selbst angeboten hat, behauptet offen, dass Johann Hruza der Mörder sei, und nennt die Personen, die das beweisen können.»Ich bin nicht schuld," soll Johann gesagt haben,»schuld ist die Mutter. Für mich wäre es das beste, wenn ich mich aufhängen würde." Dr. Baxa behält sich vor, den Zeugen gerichtlich zu verfolgen.»Das können Sie ruhig tun!" Dxr ganze Saal ist in Aufregung. In Pisek versteht man nicht, dass sich das Gericht noch immer mit den Zeugen befasst. Es steht ja in den Faltungen, dass die Schuld HilSnerS längst erwiesen ist. Tas Publikum will Blut. Die Prager klerikalen und chauvinistischen Zeitungen berichten, die jüdischen Zeugen hätten den Eid nicht in der vorgeschriebenen Form abgelegt. Die Pro­zessberichte der Wiener Antisemitenpreffe arbeiten das unausgesprochene Ritualmordmotiv plastisch heraus und kommentieren entlastende Momente hämisch gehässig. Ein Artikel MasarykS in der Wiener »Zeit" verfällt der Beschlagnahme. Nach zwei Wochen erhält der Vorsitzende Winter einen anonymen Brief mit der Mitteilung, dass Marie Klima lebt. Sie sei von zu Hause weg­gelaufen, weil sie sich mit den Eltern nicht vertrug, habe in Znaim gelebt und sei jetzt in Mannheim im Cafö Imperial in Stellung. Die Polizei in Znaim bestätigt, dass ein Mädchen dieses Namens, der allerdings nicht selten ist, dort gemeldet war. Zuständig war sie nach Cerna. So heißen acht Dörfer, eins davon ist unweit von Polna . Eine Zeitung meldet sich telegraphisch an das Mann­heimer Cafe. Sie erhält die Antwort, daß Marie Klima nie in Polna gewesen, IS Jahre alt,» Haltet den Dieb! Die Emigrantenhetze de:* Klerikalen Das JägerndorferV o I k", ein christlich­soziales Blatt und daher in engster Geistes- und tziesinnungsgemeinschaft mit,dem Fey und ähn­lichen Gipfelerscheinungen der Entwicklung von der Humanität zur Bestialität, hetzt gegen die Kreisler-Broschüre»Wer hat Dollfuß ermordet?" und versteigt sich in seiner Naivität dabei zu fol­gender Forderung: Die Broschüre»Wer hat Dollfuss ermordet?" ist in der Tschechoslowakei gedruckt. Der Umstand, dass dann gegen führende Staatsmänner Ocster- reichS die ungeheuerlichsten Beschuldigungen er­hoben werden, müsste genug Anlass zum Einschrei­ten sein. Gerade die Vorgeschichte deS Attentäters von Marseille beweist, daß eS höchste Zeit ist, den Emigranten scharf auf die Finger zu gucken und ihren Umtrieben durch allgemeine internationale Abkommen ein Ende zu setzen. Die Vorgeschichte des Attentäters von Mar­ seille beweist aber doch gerade, daß nicht die österreichischen Emigranten, sondern die österreichischen Regierungsparteien in nächster Stachbarschaft des Mordkomplotts zu suchen und zu finden sind! Herr Generaloberst Sarkotii ist Mitarbeiter derReichspost" und ein Liebling der Chrisüichsozialen, aber auch der Protektor der kroatischen Verschwörer und einer der Väter von Janka Puszta. Der Sekretär der Vaterländsschea Front und Propagandachef der österreichischen Regierung, O b e r st A d a m, ist der intimste Freund des SarkotiL. Es wäre wirklich gut, den Verbrechern auf die Finger zu gucken und ihnen das Handwerk zu legen. Aber man muß sie d o r t suchen, wo sie sind, und das ist, allem ver­logenen Geschrei zum Trotz, in dernächsten Nähe der Christlichsozialen und aller ihrer Filialen! Ein Renegat DieArbeiterzeitung" schreibt: »Zu den ärgsten Ueberläufern gehört der Herr Pinter. Die Arbettersänger haben dem Rene­gaten, der sich gleichschalten wollte, den verdienten Fusstritt gegeben. Aber in der Versicherungskasse für kaufmännische Angestellte kann er weiter fein schmähliches Unwesen treiben. Anlässlich der Sammlung fiir das Dollfußdenkmal hat er die schimpflichsten Erpressungen an den Angestellten versucht. Zuerst erließ er einen Ukas, in dem er zwar vorschrieb, wieviel ein jeder je nach seine« Einkommen zu spenden habe, aber hinzufügte, die Spenden seien»freiwillig". Als aber dann wirk' lich ein Teil der Angestellten die ihm zugemutete Spende verweigerte, erflärte der Ehrenmann Pinter, nur Mehrspenden über den angeordneten Betrag seien freiwillig! Wer dem angeordneten Benag nicht spende, der. werde hinausgeworfe» werden! Zu solchen Erpressungen gibt sich ein Mann her, der, solange es für ihn einträglich war, sozialdemokratische Gesinnung geheuchelt hat! Man lernt jetzt alle Lumpen, die sich in die Arbei­terbewegung eingeschlichen hatten, kennen und wird sie sich merken." Pinter war Obmannstellv ertveter des Oester- reichischen Arbeitersängerbundes und war in wei­ten Kreisen auch unserer Sängerbewegung gut bekannt. Um. so notwendiger ist es, der Oeffent- lichkeit den wirklichen Charakter Pinters aufzu­zeigen^ Pinter stand, solange radikal sein fein* persönlichen Opfer verlangte, immer auf de« radikalen Flügel in der Arbeitersängerbewegung I Oesterreichs. hübsch, klein und untersetzt sei. Die Vermißte wac älter, groß, mager und unschön. Das Beweisverfahren wird abgeschlossen, dis Schuldftagen werden gestellt, tzer Staatsanwalt plädiert. Er hält sich an die bisherige Argumen­tation seiner Anklageschrift, trägt das belastend* Material umsichtig zusammen, alle sich aus de» Aussagen ergebenden Zweifel und Unklarheiten tut er leichthin ab, und aus der Schlinge der auf­fälligsten Widersprüche zieht er sich, indem er ihr* Lösung den Geschworenen überlässt. Gegen die Ritualtheorie nimmt er ausdrücklich Stellung, die Untaten führt er auf sexuelle Perversität zurück- Indem er aber die Normalität des Angeklagten nicht anzweifelt, kommt das verpönte Motiv doch wieder zur Geltung. Ihm folgen die Vertreter der Privatbeteil'gf ten. Vaxas Rede handelt nur von dem einen, u« das sich der ganze Prozeß dreht, wie er behauptet- vom Motiv deS Mordes. Unbedenklich erklärt er das Fakultätsgutachten für ein phantastisches Ge­bilde, und furchtlos spricht er es aus: hier wurde erwiesen, daß es Menschen gibt, die das Blut unserer Christenmädchen brauchen! Seine Zeugen sind Lang, Prochaska, die BroZ; und Hilsner selbst, der ja gestanden hat, daß das Blut der christlichen Jungfrau Agnes in einem Blech­geschirr aufgefangen wurde.Das ist die grosse Wahrheit!", ruft er aus, und keiner ist, der es nicht versteht. Er spricht nur eine Stunde, aber diese Stunde streicht den Sinn der zweiwöchigen Beweisaufnahme aus. Während ihn der Vor- sitzende gewähren ließ, wird Dr. Pevny, der ein* Geschichte des Ritualmordes geben will, so lang* unterbrochen und zurechtgewiesen, bis er, aus dein Konzept gebracht, vorzeitig schliesst. Die Verteidi­ger sollen am nächsten Tag sprechen. k Fortsetzung folgt. 1