Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRUH. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. ADMINISTRATION TELEFON 53076. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG .

14. Jahrgang

Genosse Bruno Kalnin

3 Jahre Zuchthaus!

Riga.( Leta.) Das Kriegsgericht fällte am Freitag das Urteil in dem Prozeß gegen die sozialdemokratischen Führer, die vor dem Stauts­streich vom 15. Mai verhaftet worden waren. Der frühere Präsident des Saeima Paul Kalin wurde Mangels an Beweisen freigesprochen, sein Sohn Bruno Kalnin wurde zu drei Ja h- ren Zuchthaus verurteilt. Der frühere Ab­geordnete Co I m s erhielt vier Monate Gefängnis, die durch die Untersuchungshaft als verbüßt gel­ten. Der frühere Abgeordnete II po wurde zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt, von denen vier Monate für die erlittene Untersuchungshaft abgerechnet wurden.

Ribbentrop in Paris Paris

.( Havas.) Der Sonderbevollmäch­tigte des Reichskanzlers Hitler, Ribbentrop, ist Freitag früh in Paris eingetroffen. Er wird von seinem Sekretär begleitet.

*

Die Kommentare der Pariser Presse zu dem Besuch Ribbentrops, der wahrscheinlich nur Privatgespräche mit Laval und Flandin führen wird, sind von Mißtrau en gegen Hit­lerdeutschland erfüllt und wenig freundlich. scheint, daß man an der Seine nicht geneigt ist, sich so einseifen zu lassen wie die Kollegen an der Themse.

Asturien kämpft noch immer!

Oviedo.( Havas.) Da die Bergarbeiter im afturischen Grubengebiet neuerlich einen Auf­stand versuchten, hat die spanische Regierung alle Bergarbeiter Syndikate in Asturien aufgelöst.

Europäische Zustände in Aegypten

Kairo.( Tsch. P.-B.) König Fuad von Megypten erließ am Freitag ein Defret, das die Verfassung außer Kraft sett und das

Parlament auflöſt.

Furcht vor den Memoiren von Ernst

Ein Dokument über den Reichstagsbrand!

Samstag, 1. Dezember 1934

Einzelpreis 70 Woller

( einschließlich 5 Heller Porto)

Nr. 282

Fascismus- das Verderben Auswegloser

Eine Warnung der Genossin Kirpal an die Lehrerschaft

der Schule

Prag. Der dritte Tag der Budgetdebatte pflegt das Haus schon in einer ziemlich a p a= thischen Stimmung zu treffen. Ein Redner nach dem andern wechselt auf der Redner­tribüne ab, und wenn auch oft Wertvolles ausgesprochen wird, so vermag doch nur selten noch ein Redner die zunehmende Ermüdung der nicht allzu großen Zuhörerschaft zu überwinden, und noch weniger aus den Couloirs einen verstärkten Zuhörerkreis in den Saal zu ziehen. Dies ist jedoch am Freitag mittags der Genoffin Kirpal gelungen, namentlich mit jenem Teil ihrer Rede, der sich mit der zunehmenden Fascisierung unserer Schulen befaßte. Nicht nur die eigenen Klubkollegen, sondern auch viele Abgeordnete aus dem Lager der tschechi= schen Linken und darüber hinaus hörten aufmerksam zu und begleiteten ihre Ausführungen wiederholt mit reichlichem Beifall, der sich am Schluß noch stark steigerte, als sie einen flam­menden Appell an die Lehrerschaft richtete, nicht fascistischen Irrlehren nachzu­jagen, sondern tren zur Demokratie zu stehen.

Es war ein Erfolg, wie er im Plenum des Hauses keineswegs zu den Alltäglichkeiten gehört. Wir nehmen deshalb diesen Teil der Rede der Genoffin Kirpal, die sich sonst mit der Sanierung der Selbstverwaltungskörper und der Arbeitsbeschaffung im deutschen Gebiet befaßte sowie ausreichende Hilfsmaßnahmen für die hungernden Schulkinder verlangte, gleich vorweg:

An die Spize ihrer Ausführungen über Demokratie und Schule stellte Genossin Kirpal die Weisung eines Erlasses des Schul­ministeriums vom April 1933, in dem es heißt:

Daher haben sich die Professoren und Lehrer beim Unterricht und überhaupt bei jedem Zusam= mentreffen mit der Schülerschaft jeder partei­

politischen Kundgebung, Bemerkung und Erläute­rung zu enthalten, welche in den Schülern den Eindruck einer nationalen, politischen oder relis giösen Boreingenommenheit des Lehrers eriveden und die Erziehung zur Verträglichkeit schädigen oder gar die Ergebenheit für die Tschechoslowakei bedrohen und untergraben könnten."

Wie sieht es aber in Wirklichkeit aus? Da will ich keineswegs Verdächtigungen aussprechen, wohl aber einige Tatsachen aufzeigen, die in striktem Widerspruch zu diesem Erlaß stehen. Daß der Herd des Fascismus vorwiegend in unseren Mittel­schulen liegt, darüber brauche ich wohl nicht viel fagen.( Genoffe Kaufmann: Das ist ein öf­fentliches Geheimnis.) Genoffin Kirpal: Es ist ein öffentliches Geheimnis, aber ich konstatiere mit größ­tem Bebanern,

daß dieses Geheimnis vielfach in einigen Bürokraten im Schul­ministerium gedeckt wird. Dafür bin ich icderzeit bereit, die Beweise zu liefern!

Einen Beweis will ich Ihnen schon jetzt nicht vorenthalten. Ich habe aus einer Mittelschule die

Der deutschen Revolution! Sturm auf die Barrikaden, Der Tod besiegt uns nur. Wir sind die Sturmfolonnen Der Hitlerdiktatur!

Das sind wir!"

Vor der Ministerbant steht eine Menge von Abgeordneten auch von tschechischer Seite, die ihrer Empörung in allerhand Zwischenrufen Ausdruck geben. Frau Zeminová rust: Wohin ist der Geist der deutschen Frauen gekommen? Die deut schen Mütter sollten nicht schweigen!

Genossin Kirpal: Kein Wunder, nach dem, was ich vorgelesen habe, daß unsere Jugend von solchen Profefforen im fascistischen Geist erzogen wird. Ich bin mir vollkommen bewußt, daß wir auch freiheitliche Lehrer haben, die bewußte Träger der Demokratie sind. Aber unter hundert Professoren genügt vollkommen ein einziger, der Seele und Geist unserer Kinder vollkommen vergiften kann! Wenn so etwas die ständige Lektüre der Lehrpersonen ist, dann wissen wir, wie viel es bereits geschlagen hat!

Den Herren von tschechischer Seite empfehle ich. auch selbst einmal nachzuschauen, ob ihre Jugend wirklich im demokratischen Sinn erzogen wird. Ich weiß, daß auch in den tschechischen und flowakischen Schulen genügend fascistische Herde zu finden sind.

Nationalismus

Henlein und der Hochschulstreit

Der nun hoffentlich beigelegte Streit um den Bart Kaiser Karls des IV. nichts anderes war der Kampf" um die Hochschulinsignien- hat auf beiden Seiten wieder einmal den Nationalis­mus auf den Plan gerufen. Man braucht die Er­eignisse nicht tragisch zu nehmen, die sich aus die­sem Anlaß in Prag abgespielt haben, denn es war daran nur eine verschwindende Minderheit der tschechischen und deutschen Bevölkerung interessiert. Sie haben nur gezeigt und darin liegt ihre Be deutung, daß dunkle Kräfte auf jeden, auch den geringfügigsten Anlaß lauern, das System der nationalen Zusammenarbeit zu zerschlagen und unbefümmert um innere Sorgen und äußere Ge­fahren die Brandfackel der Zwietracht unter die Völker zu werfen. Nachdem die breite Konzentra tion der demokratischen Parteien, auf der die ganze Last der Sorge um die Opfer der Krise und um die wirtschaftliche Zukunft des Landes liegt, diese Belastungsprobe unerschüttert bestanden hat, müssen nun in aller Offenheit die politischen Fol­gerungen gezogen werden.

Die Prager Vorfälle haben der deutschen wie der tschechischen Landesbevölkerung in eindring­licher Form die Ausweglosigkeit des Rationalism u 3 gezeigt. Es ist nicht unsere Aufgabe, der tschechischen Oeffentlichkeit flarzu machen, daß es ein nichtswürdiger Anschlag auf die Intereffen der Republik ist, in der Zeit der europäischen Hochspannung in Prag die Fenster deutscher Kulturinstitutionen einzuschlagen. Das Echo im Auslande möge dafür Beweis und Ware nung sein. Die Sudetendeutschen aber müssen er­kennen, daß in ihrer Lage nichts verfehlter sein fann, als eine Fortsetzung der alten nationalen Prestigepolitik. Wenn ein Teil der Prosessoren und Studenten der deutschen Universität sich anschickte, die Symbole einer im Weltkriege verloren gegan die Symbole einer im Weltkriege verloren gegan­genen Machtstellung gegen die Staatsmacht und um den Preis eines großen nationalen Konfliktes zu verteidigen, so haben sie dadurch nur bewiesen, wie weltenweit entfernt von den wahren Inter­essen des sudetendeutschen Arbeiter und Klein­bauernbolts sie leben. Was war das Ziel ihres

Wir verlangen mit allem Nachdruck, daß die" Widerstandes"? Was wollten sie damit errei­Zeitschrift für Deutschkunde" entlichen. Lehrer, denen wir unser größtes Gut, unsere Kinder, chen? Die böswilligen Drahtzieher werden auf anvertrauen, bewußte Träger der Demo- diese Fragen die Antwort schuldig bleiben; aber fratie, des Fortschrittes, des Friedens auch ihr mißbrauchter Anhang wird darauf keine und der Freiheit fein müssen. bernünftige Erklärung zu finden vermögen.

die in Leipzig erscheint. Eine hiesige Mittelschule hat sie abonniert. Eine kleine Kostprobe will ich hier vor­leſen. Da heißt es u. a.:

Die marschierenden braunen Kolonnen der A trugen als Bekenner der neuen Lebens­anschauung Hitlers Idee in die entlegenste Hütte, waren aber zugleich auch in ihrer Straffheit und Schlichtheit sichtbarstes Sinnbild für die Bucht, die die Vorausseßung aller Aufbauarbeit im Innern ist. Gerade durch die Vermittlung dieser Braun­Ich möchte von hier den Mahnruf ertönen laffen: Hemden, die durch die gemeinsame Tracht, die gleiche Ihr alle, denen wir unser größtes Gut, unfere Kin­Grußform, das gleiche Symbol des Hakenkreuzes, der, anvertrauen, seid dessen bewußt, was der Fa­die gleiche Geste und die gleichen Rufe, kurz durch scismus bedentet! die gleiche Haltung Gemeinschaft schaffen, hat der große Volkspsychologe Hitler wohl am wirkungs­vollsten zu den breiten Boltsmassen gesprochen, thre seelische Verfassung von hier aus sehr stark beeinflußt." Erregte Zwischenrufe auch auf tschechischer

Allerdings bin ich mir dessen bewußt, daß viele. Der Nationalismus ist in der biele Lehrpersonen sich ihrer jetzigen Freiheit nicht Sackgasse. Bester Beweis dafür ist das Ver­bewußt find. Die jungen Lehrer kennen die Kämpfe halten der Heimatfront und ihres Führers Hen- nicht mehr, die die Sozialdemokratie für die Freiheit lein in dieser Affäre. Großsprecherisch verkün­der Lehrer geführt hat, die älteren haben dies viel- dete Henlein in B.- Leipa, daß er die stärkste fach schon vergessen. Berlin

.( AP) Mit äußerster Besorgnis fieht man in Regierungskreisen der Veröffent­lichung der Aufzeichnungen des ermordeten SA­Führers Ern st entgegen, die sich in Verwahrung bon Georg Branting in Schweden befinden. Nachdem es den Agenten Papens nicht gelungen ift, diese Dokumente zurückzukaufen, wird man jekt versuchen, sie, sobald sie in England erschei­nen, als Fälschung hinzustellen. Dies wird aber sehr schwer sein, da u. a. Original- Dokumente vorhanden sind, so z. B. ein Brief von Ernst an seinen Freund Heines, in dem er diesen auffordert, falls er, Ernst, verhaftet oder besei­figt werden sollte, feinerseits für Veröffentlichung Seite. Genoffin Kirpal fährt fort: der Dokumente über den Reichstagsbrand zu sor­

gen.

Sie sind jetzt schon bei dieser kleinen Kostprobe Aus den Aufzeichnungen von Ernst geht entrüstet, aber ich will Ihnen hier noch eine stärkere dokumentarisch einwandfrei hervor, daß der Dofis vortragen, einen Teil eines Auffages Das Reichtstagsbrand von Goering und Goeb- bolitiſche Kampflied der Gegenwart im Unterricht". bels ausgehecht und vorbereitet, von Ernst Lassen Sie sich eines dieser Kampflieder vorlesen: und seinen Freunden, wie schon mehr beschrieben, ausgeführt worden ist. Es geht weiter daraus

hervor, daß Goering und Goebbels vor dem Reichsgericht in dem Reichstagsbrandprozeß un­richtige Angaben gemacht haben. Es ergibt sich aber auch weiter, daß Hitler tatsächlich von der Brandlegung bis zu ihrer Vollendung nichts gewust hat und auch nichts gewußt haben kann. Die Tatsache der drohenden Ver­öffentlichung authentischer Dokumente spielt momentan eine große Rolle bei den Erörterungen| darüber, ob Goering Reichswehrmini-| fter werden kann. Man will sich nicht der Situa­tion aussehen, daß die Veröffentlichung gerade er­scheint, wenn Goering foeben zum Reichswehr­minister ernannt worden ist. Ein solcher Angriff würde der Reichswehrgeneralität für die Reichs­ wehr als völlig untragbar erscheinen.

Wir sind die Sturmfolonne, Wir greifen mutig an. Wir sind die ersten Reihen, Wir gehen drauf und dran. Im Arbeitsschweiß der Stirn Der Magen hungerleer,

Die Hand voll Ruß und Schwielen Umspannet das Gewehr! So steht die Sturmkolonne Bum Rassenkampf bereit, Erst wenn die Juden bluten, Erst dann sind wir bereit.

Kein Wort mehr vom Verhandeln,

Was nichts mehr nüßen kann, ia fann. Mit unserem Adolf Hitler

Wir greifen mutig an, Mit unserem Adolf Hitler. Es lebe Adolf Hitler!

Und wir marschieren schon, Wir stürmen mit dem Zeichen

politische Gruppe" des Sudetendeutschtums ver­trete. In ihrem Namen gab er Erklärungen ab, machte nach der tschechischen Seite hin Angebote. Doch siehe da: schon beim nächsten kritischen Zeit­mord, das heißt für die deutschen Lehrer: dem mitsamt ihrem Führer einfach tot! Wer hat in Fascismus, das heißt Euer aller Selbst- punkt stellte sich die stärkste deutsche Gruppe" deutschen Schulwefen das Grabfch an- den bewegten Tagen etwas von der Heimatfront feln. Wir warnen Euch alle von dieser Stelle aus, gehört? Wo blieb Konrad Henlein? Warum ging und diese Warnung gilt auch für die anderen Na- er nicht wegweisend voran? Warum überließ er tionen, ehe es aufpät ist! Diejenigen unter den Lehrern und Lehrerin: Ungeschicklichkeit einiger Professoren? Man er­seinen studentischen Anhang der Ratlosigkeit und nen, die so dem Fascismus huldigen, möchte ich fragen, ob sie auch wirklich Urfa che haben, Träger spare sich die Ausrede, daß die Heimatfront man­des Fascismus zu sein? Ein ganz kleiner Blick über gels einer parlamentarischen Vertretung nicht in Die Grenze, und schon ſieht man, wie es mit der Erscheinung treten konnte. Sie verfügt in Prag Freiheit der Lehrerschaft bestellt ist: Alle freiheit über ein Presse quartier, das schon bei lichen und demokratischen Lehrpersonen find ihrer weit geringfügigeren Anlässen die Zeitungen mit Stellung enthoben, Taufende müssen im Konzen Erklärungen fütterte. Henlein hat sich schon mehr­trationslager schmachten. Der ganze Lehrerstand fach zu Interviews mit tschechischen Blättern her­wird vom Hakenkreuztum verunglimpft. Ich will

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nur einen einzigen Satz aus einer Rede des Gan- abgelassen, als er damit seinen Partei inter­führers von Sachsen, des Herrn Mutschmann essen zu dienen glaubte. Ausgerechnet dann, als anführen: Lehrer sein ist organisierter Müßig- Voltsinteressen auf dem Spiele standen gang!" wir meinen damit nicht etwa die Insignien, Meine Herren, wem solche Reden und sondern die politischen Weiterungen bei deren solche Methoden gefallen, dem steht der Ueberführung Weg ins Dritte Reich vollkommen der Heimatfront verstummt. Wenn schon bei so steht der Ueberführung waren sämtliche Sprachrohre offen!( zurufe: Ausgezeichnet! Beifall.)

rauhen Winterſtürmen funktionieren?

mildem Novemberwetter die Posaunen der Henlein Auch ein Blick nach Oesterreich genügt, um und Sandner einfrieren, wie werden sie erst in fich zu bergegenwärtigen, was ein modernes Schul­wesen für den Fascismus den Stein des Anstoßes bildet. Die ganze Welt hat auf das herrliche mo­derne Schulwesen in Wien mit Bewunderung ge­Elict, von überall her kamen Pädagogen, um dieses Schulwesen zu studieren. Es mußte die brutale ( Fortsetzung auf Seite 2.),

So sehr diese Herrn den Marrismus auch hassen und bekämpfen, fie tasten das Privileg der Sozialdemokratie nicht an, in Zeiten nationaler Erregung eine faltblütige und besonnene Sprache zum eigenen Volte zu führen. Führer wollen sie