Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI ShowinA als allow IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

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14. Jahrgang

Dienstag, 4. Dezember 1934

Versammlungsschlacht in Saaz  

Gesprengte SHF- Versammlung

/

Brutalitäten der städtischen Polizei Verletzte Arbeiter

risch.

Einzelpreis 70 Heller

( einschließlich 5 Heller Postoj

Nr. 284

Für Freiheit und Brot

Der politische Sonntag

Das innerpolitische Ringen zwischen den demokratisch- sozialistischen und den fascistischen Kräften ist in vollem Gange. Der vergangene Sonntag hat wieder einige Kraftproben geliefert. Die Versammlungsschlacht in Saaz   und die Ge­meindewahl in der Durer Industriegemeinde Křemusch haben die unerschütterliche Wider­standskraft der deutschen   Arbeiterschaft gegen den Henleinfascismus wieder unter Beweis geſtellt. Was lehrt Saaz  ? In dieser Haupt­Bezeichnend für die städtische Polizei von stadt eines überwiegenden Agrarbezirkes bildete Saaz   und ihr Vorgehen ist, daß die Gendarmen sie bei diesem wütenden Angriff zur Vernunft die sozialistische Arbeiterschaft in einer Versamm­mahnen mußten. Es ist sogar vorgekommen, daß lung der Heimatfront die überwältigende Mehr­ein Gendarm einen Polizisten am Schlagen hin- heit. Nach demokratischen Regeln hätte ihr das derte. Die Staatsgewalt benahm sich also den Präsidium der Versammlung gebührt. Die So­Arbeitern gegenüber viel vernünftiger als die zialdemokraten waren entschlossen, die Ausein­städtische Polizeiwache. Die Arbeiter haben meist andersetzung mit den Saazer Anhängern Hen­Verlegungen am Hinterkopfe, ein Beweis, daß die leins in gesitteten demokratischen Formen zu füh Bolizei auf die schon abmarschierenden Arbeiter ren. Deshalb waren zwei ihrer Parlamentarier

Die Henleinfrontler hatten für Sonntag in empfangen. Die Versammlungsmehrheit antwortete bracht hat, taten sich folgende Polizeivachleute be­das Schüßenhaus nach Saaz   eine öffentliche Ber  - mit Pfui- Rufen, die schließlich in Hahnengeschrei" sonders hervor: Stelzig, Rohm, Stönig, Ziegler, We­ſammlung einberufen, zu deren Besuch sie auf übergingen. Unter der Begrüßungsparole, Stifiriti" werka, Friedrich und Kaspar. Eine ganz besondere riesigen Plakaten aufriefen. Die Landarbeiterschaft nahmen die Henleinleute ihre Pläße ein. Die Arbei- Würdigung verdient jedoch der Oberwachmann ter stimmten die ,, Internationale" an und unter des Saazer Bezirkes wollte sich die Gelegenheit, ihren brausenden Klängen gingen die Heil- Rufe der einen berufenen Henleinvertreter zu hören, nicht Nazis völlig unter. entgehen lassen. Unter Führung der Abgeordne ten Kaufmann und Müller hatten schon lange vor Beginn der Versammlung die Massen den Eingang zum Schützenhaus blockiert. Nach der Schätzung des Regierungskommissärs Dr. Hartmann waren 1000 Sozialdemokraten und 450 Henleinfrontler vertreten.

Der Saal ist zu klein, um nur die von unserer Partei gestellten Ver­jammlungsteilnehmer zu fassen. Wenige Minu­ten nach der Oeffnung des Einganges; war der große Saal mit allen seinen Nebenräumlichkei­ten besetzt. Auf dem Stiegenhause wurden die Arbeiter von der Polizei einer Leibesvisitation unterzogen, um das eventuelle Einschmuggeln von Waffen" zu verhindern. Eine große Ordner

gruppe nahm vor der Bühne Aufstellung. Der ganze Anmarsch vollzog sich vollkommen reis bungslos.

Die ersten Provokationen

Versammlung aufgelöst

Die Henleinleute versuchten immer wieder vorzubringen, ohne daß die danebenstehende Po­fizei eingeschritten wäre. Schließlich setzte der Regierungsfommissär eine fünfminutige Frist, während welcher die Ordnung hergestellt werden sollte. Als diese Frist nußlos verstrich, kam es tat­sächlich zur Auflösung.

Sturmangriff der Polizei

Nach der Auflösung begannen die Arbeiter den Saal zu räumen. Für die Massen war ein einziger Ausgang vorhanden, so daß sich der Ab­marsch etwas verzögern mußte. Die abmarschie­renden Arbeiter wurden von den Henleinfront­lern beschimpft. Es kam zu neuerlichen Zusam

menstößen.

Was sich jetzt abspielte, war das Werk eini­ger schier toll gewordener Polizeiwache: Wie die Wilden stürzten sie über die bereits bis in die

einschlug.

Und die Henleinleute?

als Gegenredner zur Stelle. Die Arbeiter wuß­ten aber, daß die Redefreiheit nur dann verbürgt Als der Saal bereits geräumt und nichts sei, wenn aus der Versammlung selbst ein Prä­als ein wüstes Trümmerfeld übrig geblieben war, sidium gewählt wird. Sie verlangten mit vollem standen die Henleinleute immer noch im Saale. Recht, daß in dieser Form der ruhige Verlauf der Die Polizei hatte sich ja für sie gerächt". Erst Versammlung gesichert werde. Die Macher der dann wurden diese Leute höflich ersucht, den Saal Heimatfront verweigerten auch in Saaz   die pri­zu räumen. Von den Gummifnütteln der Polizei mitivsten Erfordernisse der Versammlungsdemo­hat man dann nichts mehr gesehen. Das war die tratie, wie überall, wo sie einer peinlichen Dis­

Saazer Polizei.

Die eigene Versammlung

fuffion ausweichen wollen. Diese ihre Weigerung trägt an den Zusammenstößen die Hauptschuld. Alles andere fällt auf das Schuldkonto der Saazer Stadtpolizei. Sie hat sich

leistete sich der Bezirksleiter der Henleinfront stürzten Tische und Stühle um und begannen in abhielten, war massenhaft besucht. Die Massen einfach schändlich benommen. Ihr

Karl Bod, seines Beichens Obsthändler. Als er ganz aufgeregt und ohne Atem zu einem Neben­eingang hereingestürzt kam, verlangte er von un­seren Funktionären, daß der Saal für die An­hänger der Henleinbewegung frei gemacht werde. Für die Arbeiter sei Plaz genug im Rauchzim­

Hälfte des Saales zurückgewichenen Arbeiter her, die unsere Genossen anschließend in der Turnhalle standen bis in das Treppenhaus. Die Stimmung gegen die städtische Knüppelgarde war außer Kommando hat versagt. Ohne ein Kommando ordentlich erregt. Es sprachen die Genoffen des Vorgesetzten hat sich ein Teil der Polizisten aufmann, Müller und der Kommunist einen Ra u ferzeß geleistet, der vor das Ehrlich. Den Vorsitz führte Genosse U HI. Strafgericht gehört. Man fühlt sich Genosse Kaufmann war dann noch beim Ve- beim Durchlesen des Berichtes wieder in die Vor­

blinder Wut auf die Arbeiter einzuschlagen. Alte Leute, die wegen körperlichen Gebrechen nicht rasch genug weichen konnten, wurden mit den Gummiknütteln über die Köpfe geschlagen, so daß sie ernste Verlegungen davontrugen.

Bei diesem brutalen und überflüssigen Angriff

mer und in den Nebentrakten. Genosse Kaufmann auf wehrlose Arbeiter, der, wie heute feststeht, insge- zirkshauptmann, wo er die Vorfälle zur Sprache friegszeit versetzt, wo die deutschnationalen Ge­teilte diese Forderung der Henleinfrontler unseren ſamt 15 Verletzte auf ſozialdemokratischer Seite ge- brachte und Abhilfe verlangte.

Arbeitern mit. Ein stürmisches Hohngelächter war die Antwort. Daraufhin verzog sich der Bock und erschien bald darauf mit einer größeren Anzahl bon sogenannten Ordnern" wieder, die in der Zwischenzeit in den unteren Gastzimmern wahl­los die Armbinden ausgefolgt erhielten. Diese Knüppelgarde der Henleinfront, unter der fich viele Komotaner befanden, kennen wir schon aus der Zeit, da sie noch die braunen Nazihem­den anhatten. Nun verlangte Herr Bock, daß die Arbeiter wenigstens den Plak vor der Tribüne 3 räumen hätten, damit seine Leute postiert werden können. Auch dieses Verlangen wurde natürlich abgelehnt und selbst dem Eingreifen

Rätselraten

um deutsche Ministerreden

Goering  : Wenn der Nationalsozialismus... den Winter überdauert Goebbels  : Deutschland   wird den gewagtesten Versuch unternehmen... Sonntag sprachen Goering   in Rhein­An beide Reden knüpfen sich viele Deutun mende ernste Krisen des Regimes hin­weisen wollte und daß auch Goebbels   diese Krisen

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meindepolizisten ungestraft in die von den Völki­schen provozierten Arbeiter hineinprügeln konn­ten. Die Schuldigen werden zur Kenntnis nehmen müssen, daß wir nicht mehr im Jahre 1908 leben. Wir lassen uns nicht gefallen, daß Leute, die jahrelang den kommunalpolitischen Einfluß der Sozialdemokratie zur Verbesserung ihrer Anstellungsverhältnisse auszunützen wuß­ten, nun ihre Uniform zur Anwendung haken­freuzlerischer Prügelmethoden mißbrauchen. Die reaktionäre Parteilichkeit der Saazer Polizei ist erwiesen. Sie hat wohl sozialdemokratische Ver­sammlungsbesucher nach Waffen durchsucht, nicht

des Regierungskommissärs gelang es nicht, eine hausen und Goebbels   in Stettin  . Die Reden gen. Man vermutet, daß Goering   auf to maber die Henlein- Fascisten, die vor nicht allzulan­

Einigung zustande zu bringen.

Die Absichten der Henleinfrontler

beider Minister haben großes Aufsehen erregt. Goering   betonte die Notwendigkeit der deutschen  Rüstungen und verstieg sich zu der Behauptung,

ger Zeit noch im braunen Hemd herumgelaufen im Sinne habe. Auch in Berlin   fragt man sich, find. Sie hat die Arbeiter aus dem Saal geprü­

Es ging den getarnten Fascisten darum, daß Deutschland   jetzt wieder etwas in der Welt welche Probleme Goebbels   im Sinn hatte. In den gelt, während die Stoßtrupps der Heimatfront ein größeres Kontingent von ihren Leuten vor gelte und daß jeder Auslandsdeutsche es wieder Reihen der extremen Nationalsozialisten sind oft ungeschoren im Saal bleiben und schadenfroh die ribüne zu bringen. Da man nach einer um als große Ehre und großes Glück empfinde, Prophezeiungen

eines

Aer: ßerung des Herrn Zippelius gar nicht einem wieder respektierten und starkem Volke an Abenteuer3" nach dem Saarplebiszit zu- Mißbrauch der Amtsgewalt ist noch nirgends deran dachte, mit der Mehrheit der Versammlung zugehören". Dazu kann man nur sagen, daß Ehre ren, das ermöglichen soll, daß sich die Begeistes vorgekommen, wo der Sicherheitsdienst durch über das Präsidium und die Redezeit zu verhan- und Glück der Auslandsdeutschen heute wohl vor rung der Nationalsozialisten austobe. An amts staatliche Organe versehen worden ist. Wirer­deln, wäre ihnen die Aufgabe zugekommen, bei allem darin liegen, daß sie nicht in dem Reiche lichen Berliner   Stellen werden derartige Gerüchte warten zunächst von der Stadt dem Versuch eines sozialdemokratischen Redners, leben müssen, in dem Goering   herrscht und in dem von einem ausländischen Abenteuer natürlich Saaz  , daß sie in ihrem autono­zu Worte zu kommen, den entsprechenden Kla- sie daher keine Sekunde ihres Lebens sicher wären. kategorisch zurückgewiesen".

mauf zu machen.

Die Polizei greift ein

Weiter sagte Goering  , Deutschland   habe sich durchgesetzt, es könne keine Weltpolitik ohne Deutschland   gemacht werden. Als besonders auf­

"

men Wirkungsfreis gründlich Wenn man die vielbesprochenen Reden nüch- Remedur schafft. Wir werden unter kei­tern liest, ergibt sich, daß beide auch eine harm lose Deutung zulassen. Goering   wollte viel- nen Umständen die Gemeindepolizei zu einem

und schob zwischen die Bühne und die sozialde- standen, man müsse für einen Erfolg der Winter- einen großen Sieg hinstellte, einen billigen Erfolg methoden mißbrauchen lassen.. In diesem Augenblick griff die Polizei ein schlußreich wird aber der Ausspruch Goerings ver- Teicht, indem er die leberwindung des Winters als Instrument der hakenkreuzlerischen Prügel­mokratischen Versammlungsteilnehmer eine Kette. Hilfe sorgen, damit der Nationalsozialis vorwvegnehmen. Goebbels   hat oft große Worte ge

Die Erregung über die fortgesetzten Provokatio- m u 3, nen der Henleinleute wurde immer größer, um so mehr, als ihre Ordner unter dem Schuße der Polizei nunmehr den Versuch unternahmen, un­

wenn er den Winter überstehe, den Beweis er­bringe, daß der den Kampf gewonnen habe. Goebbels   machte eine Anspielung auf für die noch nicht die Zeit gekommen sei, und fügte

Die Gemeindewahlen, die am Sonntag in macht, ohne sich viel dabei zu denken. Křemusch und in nordböhmischen Gemeinden Andererseits ist es denkbar, daß beide, durchgeführt wurden, zeigen die granitene Goering und Goebbels  , auf den seit langem an- e stigkeit der sozialdemokrati­gekündigten neuen 30. Juni hinweisen wollichen Positionen. Niemand möge fich ein­

sere Leute zurückzudrängen. Wieder waren 3u fünftige Ereignisse und sprach über Bestrebungen, ten, der zur Erledigung von Rosenberg, Darré, bilden, daß jemals ohne und gegen die Sozial­

sammenstöße, bei denen einige Henleinlente schlecht abschnitten, unvermeidlich, denn unsere Leute wichen feiten Schritt zurück.

Ein heiteres Zwischenspiel folgte, als die Redner der Henleinfront mit ihrem bekannten Stab erschienen. 3ippelius aus Teplik- Schönau und der Redner Ing. Peschka wurden von ihren Anhängern mit lauten Heilrufen

hinzu,

daß Deutschland   den gewagtesten Versuch unternehmen werde, den die Geschichte bisher fennt. Die Regierung, die Geschichte zu machen beabsichtigt, fagte Dr. Goebbels  , muß den Mut Jaben, große und gewagte Entscheidungen zu treffen.

Streicher ist, daß die gerten latiacich dem Aus- demokratie fudetendeutſche Politik gemacht wer.

scheinlich tatsächlich land drohen wollten.

Rosenberg fordert in einem Artikel neuerlich die Verwirklichung des nationalen So­zialismus. Auch das würde darauf hindeuten, daß sich die Gegenfäße im Nationalsozialismus neuer­lich zufpitzen.

den kann, solange die Deutschen   in diesem Staate überhaupt etwas mitzureden haben. Im Kampfe der Ideen wird die deutsche Arbeiterbewegung stets ehrenvoll bestehen. Wenn wir nach einem halben Jahrzehnt fürchterlicher Krisennot in den notbedrängtesten Industriegemeinden auch die