Seite 2 Freitag, 21. Dezember 1934 Nr. 298 liche Giftgase zu fabrizieren, neue Gewehre, Ge­schütze, Bombenflugzeuge und Schlachtschiffe in Massen zu bauen und die gesamte Wirtschaft in die Kriegszwangsjacke hineinzupressen, so fordert die Geschichte von der Arbeiterklasse, aktive Kämpferin gegen den Krieg zu sein. Das Ringen um die soziale und wirtschaft­liche Neugestaltung des gesellschaftlichen Lebens führt heran an die Grundlagen der Macht der herrschenden Klaffe, in die die letzten Kriegsursa­chen eingebettet liegen. Je fester, lückenloser die Arbeiterklaffe in ihren großen Organisationen zu­sammengeschloffen ist, je bewußter sie unter ihrer Führung in diesem Ringen vorstößt, desto eher wird sie diese Grundlagen erschüttern und abtra­gen können, und damft ein gesellschaftliches Sy­stem zum Sturz bringen, dessen Existenz den Frie­den bedroht und immer neue Kriege gebiert. Offenes Antwortschreiben des Genossen Reyzl an den Propasandachef Henleins. Herrn Rudolf Sandner »Sie haben in der Nr. 51, derRundschau" einenOffenen Brief " an mich gerichtet, der eine Kritik meiner Rede über dieSudetendeutsche Bolkshilfe" im Budgetausschuffe des Senates dar­stellen soll und der von Beleidigungen und Be­schimpfungen nicht nur meiner Person, sondern auch der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiter­partei strotzt. Auf dieses Gebiet werde ich Ihnen nicht folgen, Sie werden aber die Beleidigungen an anderer Stelle zu verantworten haben. Ihr Wutanfall ist aber der beste Beweis da- für, daß ich mit meiner Kritik derSudetendeut­schen Bolkshilfe" ins Schwarze getroffen habe. Er bestätigt, daß dieSudetendeutsche Bolks­hilfe" nicht nur der Linderung der Not willen ge­schaffen wurde, sondern nur dazu ausersehen ist, den sudetendeutschen Arbeiter in das Garn der Sudentendeutschen Heimatfront" zu locken. An­sonsten hätten Sie sich der Propagandachef Henleins nicht als erster so sehr für ihre Ver­teidigung exponiert. Nehmen Sie zur Kenntnis, daß ich von meinen Ausfiihrungen auch nicht eine Silbe zurückzunehmen habe und bereft bin, in je­der frei zugänglichen Arbeiterversammlung, in Ihrer Anwesenheit, alles das zu wiederholen, was ich im Budgetausschuffe des Senates gesagt habe. Wir wollen dann sehen, ob eS Ihnen gelin­gen wird, meine Ausführungen zu entkräften. Und nun an Sie einige Fragen: Warum vermeiden Sie es in derRund­schau" gefliffentlich, meine Rede abzudrucken, wenn sie so arbeiterfeindlich ist, und warum be­gnügen Sie sich mit einem inhaltslosen Ge­schimpfe? Warum führen Sie auch nicht einen einzigen Satz aus meiner Rede an? Warum weigert sich dieSudetendeutsche Bolkshilfe" überall, die Beiträge, die sie in aller Oeffentlichkett sammelt, den Sozialkommissionen der Gemeinden zuzuweisen, die allein die Gewähr dafür bieten, daß sie an alle Bedürftigen, ohne Unterschied der Person und Partei, gerecht ver­teilt werden?. Warum haben Sie mit Ihren Chef Hen­ lein erst jetzt plötzlich Ihr Herz und Ihr Mitge­fühl für die Arbeitslosen und Bedürftigen ent­deckt, während noch in der programmatischen Er­klärung in Böhm.-Leipa kein Wort von der Ar- beitslo ennot enthalten war und die Sorge für die Arbeitslosen immer nur den Sozialdemokraten ganz allein überlassen blieb? Warum setzen sich gerade die maßgebenden deutschen Unternehmer so warm für dieSude­tendeutsche Bolkshilfe" ein, jene Unternehmer, die nie einen Heller für die Arbeitslosen übrig hatten, obwohl sie in den Zeiten der Konjunktur riesenhafte Gewinne aus den Arbeitern preßten, jene Unternehmer, die sogar die Borlage des Für­sorgeministers Dr. Czech über den so mäßigen Notfond für die Arbeitslosen zu Fall brachten? Ist Ihnen bekannt, daß gerade jene Kreise, die sich jetzt so warm für dieSudetendeutsche Bolkshilfe" einsetzen, es sind, die die MtionD e- mokratie für das Kind" sabotieren? Ist es nicht verdächtig, wenn z. B. die Kre­ditanstalt der Deutschen für dieSudetendeut­sche Bolkshilfe" XL 100.000. spendet, dieselbe Bank, die für eine überparteiische Weihnachts­aktion für arme deutsche Kinder nur XL 10., sage zehn Kronen, übrig hat? Sie wagen eS in IhremOffenen Brief " vomGipfelpunkt der Demagogie und dem Höchstmaß verantwortungsloser und skrupelloser Parteipolitik" zu sprechen. Sie, deffen Partei bei den"sonntägigen Sammlungen in einigen Städ­ten den Passanten durch die bestellten Sammler Aufnahmsscheine derSudetendeutschen Heimat­front" aufgedrängt hat. Auch wurde allgemein verschwiegen, daß die Sammlung für dieSude­tendeutsche Bolkshilfe" durchgeMrt wird. Auf Anfragen wurde, frei nach Hitler , nur geantwor­tet: für die Winterhilfe, für die Arbeitslosen. Wollen Sie leugnen, Herr Sandner, daß die gesammelten Gelder für dieSudetendeutsche Bolkshilfe", die von dergesamtenOffent- l i ch k e i t stammen, ohne öffentliche Kontrolle verteilt werden sollen und sind Ihnen die Stimmen aus Ihren Kreisen nicht bekannt, die ausdrücklich davon sprachen, daß durch dieSu­detendeutsche Bolkshilfe" nur nichtmarxi­stische Bedürftige beteüt werden? Ist Ihnen bekannt, daß SHF-Leute in Zos­ sen (Schlesien ) zu den dortigen Landwirten gin­gen und sie veranlaßten, eine Erllärung zu un­terschreiben, wonach das von diesen gesammelte Getreide für dieSudetendeutsche Vollshilfe" an sozialdemokratisch« Arbeitslose nicht verteill werden darf? Wollen Sie leugnen, daß durch dieSude­tendeutsche Vollshilfe" die Arbeitsloftn-Für- sorgeaktionen der Gemeinden, die' auf Itnpartei« sicher Grundlage aufgebaut sind, schwer geschädigt werden, weil sie nur auf Sammlungen angewie­sen waren, deren Ergebnisse nun um die Beträge verkürzt wird, die derSudetendeutschen Bolks- hilfe" zufließen, wo sie ganz willkürlich ohne öffentliche Kontrolle, wahrscheinlich nach politi­schen Gesichtspunkten verteill werden? Wollen Sie leugnen, daß schon bei der Gründung derSudetendeutschen Bollshilfe" weniger die Sorge um die Arbeitslosen und Be­dürftigen, als vielmehr der von derSudeten­deutschen Heimatfront" Henleins inaugurierte, ganz nach dem Muster des Hitlerfascismus orga­nisierte Kampf gegen denMarxis- muS" ausschlaggebend war? Sie verdächtigen, Herr Sandner, mich und meine Partei, daß wir uns gegen ein soziales! Hilfswerk stellen, obwohl ich eS in meiner Rede ausdrücklich begrüßt habe, daß nun endlich wei­tere Kreise deS deutschen Bürger- und Unterneh­mertums etwas für die Arbeitslosen tun wollen. Allerdings verlangte ich, und das werden wir auch weiter mft vollem Rechte verlangen, daß die von der Allgemeinhell gesammelten Gelder durch eine unparteische, der öffnttlichen Kontrolle unterlie­gende Instanz, verteill werden. Noch eine weitere Frage: Ist es richtig, daß von den am Orte gesammelten Gelbe nur ein Teil im Orte verwendet wird und der andere Teil abgeführt werden muß? Wasgeschieht mit diesem Gelbe und wer verfügt dar­über? Ich habe hiemll an Sie, Herr Sandner, eine Anzahl Fragen gerichtet, deren Beantwor­tung sicher die ganze fudetendrutsche Oeffentlich- keit interessieren wird. Ich hoffe, daß Sie, der mich und meine Partei in einemOffenen Brief " beschimpft hat, nun auch die journalistische Ehre und den Mut besitzen werden, meinOffenes Ant- wortschreiben" ebenfalls in derRundschau" zu veröffentlichen. Es könnte Ihnen sonst, nachdem Sie schon an mich einen»^Offenen Brief" richte­ten, ohne den Lesern derRundschau" den In­halt meiner Rede zur Kenntnis gebracht zu ha­ben, der Borwurf der Feigheit nicht erspart blei­ben. Ich schließe mit Ihren Worten, Herr Sand­ner; es kommt der Tag, an dem der sudeten­deutsche Arbeiter Ihnen und Ihrer sudetendeut­schen Heimatfront die Antwort geben wird, die Ihnen gebührt. Josef Reyzl. Weihnachtsferien in beiden Häusern Wahlaufschub angenommen Prag . Am letzten Tage vor den Weihnachts­ferien erledigten beide Häuser der Nationalver­sammlung noch die Borlage über den Auf­schub der Wahlen in die Landes- und Bezirksvertretungen. Im Abgeordnetenhaus gab der Nationaldema- krat I e Z e k dem Protest seiner Partei gegen den Auffchub der Wahlen Ausdruck und bemühte sich im übrigen, nachzuweisen, daß seine Partei unb womög­lich auch der Herr Stiibrntz echte Demokraten seien, während die Regierungsparteien antidemo­kratisch handelten und einerfascistischen Psychose" verfallen seien. Dabei gab eS stürmischen Wtterspruch bei der tschechischen Linken. Den Ab­schluß der Debatte bildete eine kommunistische Rede, worauf der Referent D a n i t erklärte, Jezek möge nicht so viel von der Furcht der Koalition vor deg Wahlen reden; vielleicht werde sich noch zeigen, daß die, die am meisten davon sprechen, aus den Wahlen am schwächsten hervorgehen werden. Nach der Annahme ging die Borlage sofort an den Senat, wo sie in der Pause zwischen zwei Sitzungen vom Ausschuß angenommen und dann sofort ohne schriftlichen Bericht nach§ 35 der Ge­schäftsordnung dem Plenum unterbreitet wurde. Referent war der Nationalsozialist Riedl In der Debatte erging sich der Thristlichsoziale Reil in den üblichen Angriffen gegen die Regierungspar­teien, die angeblich die Wahlen fürchten, bis ihm schließlich der Landbündler Kahler darauf aufmerk­sam machte, daß man das alles schon in seiner Presse gelesen habe. Reil zerbrach sich weiters den Kopf, Saarbrücken. (Havas.) Die Demission des Obersten Hemsley, des Inspektors der saarländi­schen Polizeikräfte, wird amtlich bestätigt. Sein Nachfolger wird der englische Kapitän H r n n e s sy. Schweizer Voranschlag angenommen. Dec schweizerische Nationalrat hat in der Schlußabstim­mung den eidgenössischen Voranschlag für das Jahr 1935 mft großer Mehrheit angenommen. Eine Spur des vermißten Fliegers Ulm ? Bei Honolulu wurden im Meer Trümmer eines Flugzeuges gefunden, von dem man annimmt, daß sie zu der Maschine des vermißten Fliegers Ulm gehörten. Die Sachverständigen sind mit der Nach­prüfung beschäftigt.(Mm ist bekanntlich am 4. Dezember zu einem Ozeanflug gestartet und wird fest dieser Zeit vermißt.) Reuter meldet aus New Mark, die Annahme, daß es sich bei dem in der Nähe von Honolulu aufgefundenen Flugzeugtrüm­mern um Neberreste der Maschine des vermißte» Fliegers Mm handle, hätten sich als irrig heraus­gestellt. was mit dem Senat geschehen werd«, dessen Funk­tionsperiode ja um zwei Jahre länger ist. Der tschechisch« Rattonalsozialist Hubka er­klärt die Novellierung der Gesetze aus dem Jahr« 1927 über die Selbstverwaltung für unausweichlich; die Neuregelung der Verhältnisse der Selbstverwal­tung müsse nach dem neuen Jahre die nächst« Aufgabe der Regierung sein. Nach der Annahme der Borlage in beide« Lesungen wurden dem Abgeordnetenhause ver­schiedene Fristverlängerungen bewilligt. Der Vorsitzende Dr. Soukup zog zum Schluß in län­gerer Rede die polittsche Bilanz des abgelaufenen Jahres und erörterte die Probleme, di« im nächsten Jahre der Lösung harren. Seine Rede klang in die obligaten Weihnachtswünsche und in eine Hul­digung für Masaryk aus, die mft langandauerndem Beifall beantwortet wurde. » In der vorauSgegangenen ersten Sitzung hatte der Senat das Nachtragsbudget des Fürsorgeministeriums und die novellierte Verlängerung deS Par­teienauflösungsgesetzes genehmigt. Diätenkonflikt bereinigt. Am Donnerstag nahm das Parlamentsplenum auch noch die strit­tige Vorlage über die Diätenkürzungen in der Fassung des Senates an, so daß es also bei den bisherigen Abzügerk bleibt. DerReferent Berg­mann wies darauf hin, daß auch der Senat die sozialen Gründe, die den Budgetausschuß zu der Staffelung der Abzüge führten, ausdrücklich aner­kannt habe. Daraus einen offenen Konflikt zwi­schen den beiden Kammern zu konstruieren, werde der Opposftion nicht gelingen. Der Ausschuß habe seinerzeft die Aenderung nur Wer ausdrück­lichen und begründeten Wunsch der Abgeordneten aus der Slowakei und Karpathorußland vorge­nommen. Der Referent gab der Erwartung Aus­druck, daß es in absehbarer Zett zu einer gerech­ten Lösung dieser Frage kommen werde. Nach der Annahme der Borlage ging das HauS dann nach den Weihnachtswünschen deS Borsitzenden in die Ferien, über deren Dauer noch nichts bestimm­tes bekannt ist. Copyright by Pressedienst X. Prager-Verlag. Wien Er hieß Felicien, das hörte sie, wie er sich vorstellte. Paris , für deffen laue Lust das Meer und der Himmel sorgen, gab dem Abend eine wunderbare Milde. Sie gingen durch Straßen, die nicht nach Hause führten. Babiola machte fleinere Schritte als sonst. Der Boulevard des Jtaliennes bekämpfte mtt der Dioptrie des Lichtes die nächtliche Kurzsich­tigkeit. Sie setzten sich in ein zweites Kaffeehaus. Feliciens Krawatte saß um 15 Grad zu wett links. Seine Hände schienen gierig nach dem Le­ben greifen zu wollen. Babiola sah in sein blei­ches Gesicht und fühlte traurig, daß es schwer sein werde, dieser Bläffe einmal Lebwohl zu sagen. Er sprach anders» als junge Leute seines Alters. Er sagte:Sie dürfen nicht glauben, daß es mich besonders glücklich macht, daß ich Ihnen in den Weg gelaufen bin. Sie sind zwar schön und süß; aber ich bin überzeugt: wäre der heuttge Abend nicht mein Leben würde einfacher ver­laufen." Wollen Sie durchaus einfach leben?" Ja. Ich bin nicht gesund." Seine Bläffe hatte ihr das bereits erzählt. Sie dachte:Mensch, lieber armer Mensch, was soll ich tun, um deine Bläffe zu verscheuchen?" Felicien zahlte und sie gingen durch Stra­ßen, in denen Straßenkehrer ruhig ihres Amtes walteten. Die Nacht ließ sich liebend von den gol­denen Krinolinen der Straßenlaternen zurück­drängen. Sie sprachen Dummheiten, Worte und Wört­chen, Nichtigkeiten und Wichttgkeiten für das Ar­chiv der Erinnerungen. Als er ihre Hand faßte, drückte sie seine Finger mit der verwegenen und erfahrenen Geste einer Frau. Wie anders find die Straßen, wenn man zu zweit geht. Es war gleichgüllig, wo sie die Droschke bestiegen, die Felicien auch bezahlte. Und als er hörte, daß Baby im Hotel Monaco wohnte, sagte er laut:Ach Gott ." Ihr fiel ein, daß ihm, der in guten Berhält- niffen lebte, ihre Armut vielleicht peinlich sei. Der MdM Protest des Proletariers gegenüber diesemAch Gott" wurde in ihr geweckt und weil Künstler stolz sind, erflärte sie ihm:Ich würde mich schä­men, anderswo zu wohnen. Bonnetier, Großkauf­mann, ist mein Papa. Bonnetter, vom Boulevard des Capucines, wohnhaft im gelben Palast mit den aufgeflebten Putten. Fünf Leute hatte ich zu meiner eigenen Bedienung. Im Hotel Monaco mutz ich mich wenigstens nicht schämen. Er blickte auf ihre Zähne, die schmal und scharf wie die eines Raubtieres waren. Es war gleichgültig, woher sie kam und wie sie gelebt hatte. Er sagte: ,;Das Leben bleibt manchmal stehen wie ein Kalender, den man abzureihen vergaß. Es genügt aber ein Augenblick, um ihn zu ändern." Und dann küßte er Babiola. Beim zweiten Kuß wehrte sie sich ein wenig; sie gönnte ihm die Freude des UeberwindenS. Je­der Mann zeigt doch gerne an der Schwäche des WeibeS seine Kraft. Sie bog und wand sich ge­ziert unter seinen zupackenden Händen. Sie war verlegen, well sie so gar nicht verlegen war. Sie ahnte, daß der Anspruch geliebt zu werden im Ge­ben von Illusionen lag. Wer keine hat, muß sie vortäuschen. Sie erschrak wie vollkommene Wirk­lichkeit ihre Lüg« war. Sie konnte ihm in atem­los scheinender Erregunggute Nacht" sagen und schamhaft ihren zerküßten Hals in den Kragen ihres Mantels hüllen. Sie nahm zwei Stufen auf einmal und schloß die Türe, als ließe sie jemand draußen stehen. Sie fiel auf ihr Bett, biß dis Zähne in die Kissen und erstickte ein nervöses La­chen. Felicien / der war eine männliche Frau Bonnetter. Er* nahm sie mit, weil sie so lieb war und weil sie mitgenommen werden wollte. Felicien war ein Mensch, dem daS Schicksal ein bequemes Dasein beschert hatte. Er war in die weiche Wiege reicher Eltern gefallen und sein Lächeln wurde von vielen Tanten bewundert. Das Ehepaar Giraud war reich und lebte ruhig. Es war eigentlich erstaunlich, daß der einzige Sohn dieser Menschen nicht verwöhnt war. Er sollte Medizin studieren und tat es mit der Langsamkett des Bewußtseins, nicht arbeiten zu müffen. Seine Mutter, die mehr Herz als Verstand hatte, sagte, wenn sie ihn blaß bei seinen Büchern sitzen sah: Du hast es doch nicht notwendig, dich so zu pla­gen." Schon als Knabe hatte er aus Brot allerlei geknetet: Elefanten, Hunde. Als die Familie ein­mal in Bichy weilte, formte er aus Brot ein Denkmal, das dort im Parke stand. Er stellte es vor des Vaters Teller und der Vater konnte vor Bewunderung nicht essen. Er kam in der Medizin nur bis zu den Hä­morrhoiden; dann hatte er genug. Und damit seine Mutter ob seines Gesinnungswechsels nicht allzu­sehr erschrecke, formte er ihre Büste. Und er wurde Bildhauer. Seine Blldhauerei begann mit Denk­malen für Katzen und Vögel, hie man im hei­matlichen Garten begraben hatte. Das Gut der Girauds war sehr groß. Felicien sagte sich: die Sicherheit meines Lebens mißt so und soviele Quadratmeter Erde . Er lernte nie den Hunger, die treibende Kraft der Künstler kennen. Ehrgeizig war er auch nicht. Mer in den Jahren, in denen der Mann sein Knabentum wegwirst wie einen Detettivroman, faßte ihn der Wunsch der Notwen­digkeit, jemand zu fein. Er besuchte die Akademie zu Paris , ließ aber schon bei Kursbeginn ange­widert seine Arbeit in Sttch. Erst später suchte und fand er den Ausdruck der ihm gemäßen Art. Dieser blaffe Bursch, mit den melancholischen Augen des reichen Bettlers kam sich unsäglich arm vor; wenn er König gewesen wäre, er hätte sich an den Wegrand gestellt und das Leben um ein Almosen angefleht. Mann nannte ihn Felicien Charneux, well er Lieder von Fleisch in seinen Stein komponierte. Vielleicht war er seme Unbe­rührtheit, die die Hüsten und Schenkel seiner Mar­mormädchen formte. Eine seiner achtunggebieten­den Arbeiten wurde ausgezeichnet; Seine Männer hatten Muskeln und seine Frauen Körper. Er wurde bald bekannt und im Zimmer seiner Mut­ter zierten Lorbeerkränze und Auszeichnungen die Wände. Er liebte seine Mutter unendlich. Sie mühte sich seit seinem ersten Atemzug» ihm den Weg eben und leickit zu machen. Aber er fühlte die Zwecklosigkeit des Erfolges und sein Ches d'oeuvre widmete er dem Tod.(Forts, folgt.)