Seite 12. Dienstag, 25. Dezember 1934 Nr. 301 Serenade in Florenz Die Geschichte eines Clowns Mit krummen Beinen, einem viel zu großen, hartschädeligen Kopf, häßlich abstehenden Ohren und einer Nase, würdig eines intriganten Helden in orientalischen Märchen oder der„Opera Buffo ", war Luigi als Sohn eines Geigenbauers in Florenz aufgewachsen. Er konnte nicht die Straße betreten, ohne von geradegewachsenen Knaben, von Mädchen mit roten Lippen gehänselt zu Werden. Man schrie ihm Schimpfworte zu, riß ihn an den Ohren oder an seinem seltsam braunen und sehr langen Haar, durch dessen Schönheit und Gepflegtheit Luigis Vater die Gesichtsfehler seines Sohnes verbergen wollte. Gewohnt, ausgestotzen zu sein, verlacht zu werden, erstaunte er glücklich, als man an einem Nachinittag seine Gesellschaft offenbar suchte, ihn im Kreise der bewunderten und rohen Gefährten duldete. Man spielte, in Erinnerung an einen fahrenden Musikanten,„Bär und Landstreicher". Was war natürlicher, als den krummbeinigen, mißgestalteten Luigi sogleich an einem Stück Tauwerk als Bären voranzuführen? Er war so komisch, heilige Madonna, umhertrollen konnte er, wie ein richtiger schwerer Bär, sein breiter Mund schnappte nach dem Tau, seine Arme wurden Vorderbeine, keiner hätte die Rolle mit solcher Vollendung spielen können. Jahrzehnte später, als sein Bild in vielen Festungen auftauchte, gerieten würdige Bürger und Handwerker der schönen Stadt Florenz in schüttelndes Lachen, ließen ihre Bäuchlein wackeln, klopften sich auf die Schenkel und erzählten allen Bekannten vom Aussehen dieses Bären in Menschengestalt! Zuerst war der Luigi gehüpft, gesprungen, gekullert, lustig hatten seine Augen den Beifall der Runde herausgeholt— und jedesmal, wenn sie ihm zujohlten, trieb er es toller und bunter. Dann aber war es ihnen plötz- lich gewesen, dieser Wechselbalg sei ein wahrer tapsiger Bär. Man wollte an diesem Tage garnicht roh sein— doch der Bär trieb es so, einer mußte die Peitsche holen und an des Bärenmenschen Bestie schlagen. „Hallo, hüpf' rüber, Bär, spring' doch, Luigi!" Der, das verbaute und winkelige Gesicht in Tränen und Enttäuschung verzerrend, wgr gehüpft, Ivar gesprungen, ohne einen Laut, ohne sich zu wehren und ohne zu bitten, um Gnade und Barmherzigkeit, und die Jungen hatten kra- keelt, und die Mädel hatten gejubelt. Dem einen'Jungen, dem mit der Peitsche, waren die Arme lahm geworden, ein, anderer wollte ihn ablösen, um den Bären noch herrlicher, noch komischer springen zu lassen. Wie dem die Ohren brannten, wie der Schopf des selten braunen Haares in der Lust herumwehte, wie seine mageren Hände zitterten und sich seine braunen, krummen Beine immer mehr mit Striemen bedeckten! Der zwette Junge nahm die Peitsche, schlug mit aller Gewalt darauf los— der Bär hüpfte nicht mehr, rührte sich nicht um einen Zentimeter von seinem Platz, ließ das Lederband an seine Beine saufen, weinte nicht einmal. Starr stand er, sah einen um den anderen an, mehr Mitleid mit den Quälern als mit seiner eigenen Mißgestalt im Blick. Wie am Weihwafferbecken, oder, wie wenn ein kranker Hund einen Menschen ansieht, war ihnen allen zumute. Sie waren mit einem Male verschwunden, die Jungen mst der Peitsche und dem Johlen, die Mädel mit dem Kreischen und dem Juchzen und den ersten begehrenerweckenden Formen unter den Leinenblusen, durch deren Fetzen schon runde Schultern lugten. Luigi, der verprügelte Bär und Spaßmacher, stand allein in der dqjnmernden Straße. Irgendwo sang eine Frau oder ein Mädchen eine Serenade. Der war er nachgegangen, niemand hatte wieder etwas von ihm gehört, nicht sein Vater in der verstaubten Werkstatt des Geigenbauers, nicht die Jungen, nicht die Mädchen. Sogar seine Geige hat Luigi in der Werkstatt gelassen. Sie wurde gepflegt, um da zu sein, wenn er sie einmal holen würde nach seinen Reisen um die Welt, von denen bis hierher schon die Kunde ging. Ja, alle Welt wußte es— und wie hätte es anders kommen können? Luigi, der krummbeinige Sohn des Geigenbauers aus der schönen .Stadt Florenz in Italien , wurde in der ganzen Welt bejubelt und belacht. Er galt als Größe auf seinem Gebiet. Einige wollten wissen, er dürfe Verträge und Gagen einfach diktieren, jeder Direktor reiße sich um seine Gunst, sein Name allein fülle jeden Zirkus, jedes Variett, und es gäbe keinen zwesten gleich begehrten Clown... Run werde er, wie die Zeitungen verkündeten, ein Gastspiel in. Florenz geben. In den Gassen um den Laden deS Geigenbauers rotteten sich Gruppen von Männlein und Weibleip, schüttelten die Leute erstaunt ihre Köpfe über die Berichte jener Mutigen, die versucht hatten, sich Karten zu beschaffen und enttäuscht durch die geradezu fürstlichen Preise zurückgekehrt waren. Es sprach sich herum, Beppo, der Makkaronihändler, einst Besitzer der Peitsche, der Luigi in die Welt hinausgetrieben hatte, trug eine Karte bei sich. Eine ganze Äocheneinnahme Ivar draufgegangen, gewiß, aber dafür war er der Held des Viertels; wenige Stunden' nach Bekanntwerden seines Leichtsinns häuften sich die Minzen in seiner Kassa. Jeder kam, kaufte und wollte wissen, wie teuer die Karte gewesen ist, welche Genüsse sie versprach und weshalb er, Beppo, wie ein reicher Mann mit dem Gelde umsprang, nur um in einen Zirkus gehen zu können und den berühmten Clown, den Sohn des Geigenbauers, zu sehen... Unter der Kuppel im Zirkus fangen sich die Geräusche tausender Stimmen. Wagen sind vorgefahren, sogar viele der herrlichen Autos, in denen heutzutage dir ganz Reichen sitzen, warten vor dem Eingang, und Kutscher und Chauffeur« streiten sich um die Gunst der Portiers, unter deren Schutz man /festlich des Vorhanges in die Menge blicken kann. Dann holpert, trudelt, kichert es herein, zwei Bündel: Menschen, grotesk schon im Aussehen — ein Mann ist dabei, krummbeinig, weit unter normaler Größe. Unter einem sehr hohen, spitzen Hut schiebt sich eine freche, große, lächerliche Nase in die Welt— seht nur, wie er mit den knallroten Ohren wackeln kann, wie sich feine krummen Beine immerfort ineinander verwickeln, so daß er fällt— und sebt, wie er fällt! Nein, das ist entsetzlich komisch! Stühle sind für ihn nur da, um sie nicht zu finden, wenn er. sich setzen will, eine Leiter, um herunterzupurzeln, ein Tau, um sich mit Händen, Füßen, Nase und Ohren darin zu verknoten und dann jämmerlich und lachhaft gehenst zu werden. Und was läuft da neben ihm auf vier Beinen umher? Ein Mensch? Ja, jetzt kann man es sehen: eine Frau wird es sein, allerdings eine komische Frau! Sie trägt einen Höcker, ihre Nase scheint ins Gesicht zurückzuwachsen, anstatt, wie bei richtigen Menschen, daraus hervor. Auch ist sie klein und gebärdet sich schnurrog wie ein Kaninchen, das von einem Hunde rund um di« Menge gehetzt wird. Sie ist's, die seine Leiter hatten muß, sie ist's, die ihm die Stühle unter dem Hintern wegzieht, über sie stolpert er, er will sie mit dem Fuß treten und trifft seine Nase, von der ein ganzes Stück wegfliegt. Man muß sich den Bauch halten, so entsetzlich komisch ist es... Da bringt die Verwachsene dem Clown ein: Geige. Eine richtige Geige. Er ist erstaunt, sieht sie von allen Seiten an Die lachenden Menschen denken, das gehört in seine Nummer hinein— aber er ist wirklich, in seinem Herzen überrascht, er spürt das leichte Holz in seinen Händen, das er vor vielen Jahren in dieser Stadt einmal liebte. Sein Vater muß wohl hier sein, daß er ihm das Instrument schickte Die heimatliche Gasse steigt vor ihm auf er spürt neu die Peitschenhiebe an seinen Beinen und hört dann ganz fern, eine Stimme, eine Serenade, der er nachgegangen ist... * Mü geneigtem Kopf steht der Clown in der Manege, sein Hut ist schräg gereckt wie ein Finger. Die Menge wartet mit angehaltenem Atem aus den nächsten Witz. « Damals war es. In die Straßen fiel langsam das Dämmer Bor einem Wagen auf dem Marktplatz saß dies bucklige Mädchen mit der sanften Stimme. Er wollte fliehen, als er ihr entstelltes Gesicht gesehen batte— und er blieb, bis der letzte Ton verzstterte. Bis spät in der Nacht sprachen sie, die beiden Wechselbälge, in Florenz vor dem Wagen det fahrenden Leute. Irgendwo im Wagen fand sie eine Geige, die brachte sie. Als er ihr darauf vorspielte, knarrte eine Stimme,«in dicker Mang stand vor ihm: „Ei, da hat unsere Fiametta gar einen Geiger entdeckt! Herrlich, junger Herr, Sie find ein Genie! Bleiben Sie bei mir, ich mache einen großen Künstler aus Ihnen, alle Welt wird Ihnen zu Füßen liegen, Frauen werden kommen in Samt und Seide und küssen Ihre Hände." Künstler— das klang verlockend! Keine Prügel mehr, nicht den Bären spielen zum Ueber- müt der Jungen, mcht mehr verlacht werden, Am Morgen, der Dunst der Frühe stieg kaum aus den Feldern vor Florenz , war er mit ihnen gefahren, auf dem Bock nchen dem Jmpressario, der die verlotterten Pußtapferde lentte. Jahre in Bitternis um Armut kamen für sie. Er arbeitete und er lernte bei vielen Meistern die Kunst der Violine, er wurde als ein kommender Paganini gepriesen, sein Jmpressario erging sich in Lob. Die Augen Fiamettas hingen an ihn in Furcht und Glauben. Schließlich stand er in der Garderobe hinter einem herrlichen Saal. Biele Menschen waren darin, um den großen Künstler zu hören, man war bereit, einen Genius zuzujubeln, denn die Kunst der Violine war lange gestorben in dem schönen „Dai Junge Volk“ erscheint am 1. Jänner „DaS junge Volk" ist die Zeitschrift bet fortschrittlichen jungen Generation. Es gehört in die Hand jedes jungen Arbeiters, Angestellten und Studenten. Bestellungen sind zu richten an die Verwaltung Prag XII., Fochova 62. Land Italien . Fiametta saß auf einen Stuhl im Bühnenzimmer und wagte nicht, sich zu rühren, während der Jmpressario nochmals die weiße Schleife an Luigis Hals zurechtzupfte. Ungelenk trat er durch die Tür, verbeugte sich ein wenig zu tief, so sah man in diesem verhängnisvollen Augenblick seine krummen Beine. Nock blieb es achtungsvoll still im Saal. Er setzte die Geige an, suchte auf dem Notenblatt den Anfang, und seine Augen fanden darüber hinweg die erste Reihe des Parketts, in der würdige Herren steif und gelangweilt saßen, neben sich schlanke Frauen in blitzenden Kleidern. Eine saß gerade vor ihm, jung und schön, die lachte ihm ins Gesicht hinein, als sie seine Bewunderung spürte. Ihr Lachen fraß sich in sein Spiel, der Bogen zitterte, sobald er kraftvoll streichen sollte, und zerriß zum Schreien... Es war aus. Man hatte gelacht und getrampelt und auf seine krummen Beine, auf seine brennenden Ohren — ohne Scham vor der Vernichtung eines Menschen— gezeigt... Fiametta küßte nach dem Unglück seine Hände: „Nun bleibst du doch bei mir, Luigi, ich bin so glücklich...!" Der Jmpressario arbeitete Wester und machte aus ihm den größten Clown des Jahrhunderts! Die reglose Gestatt des Clown bannt den Zirkus zur Ruhe. Einmal hört man ein altes Husten, es bricht, über sich selbst erschreckt, ab. Er spielt, die Serenade. Seine Schminkmaske zuckt unter tausend Bildern, die sein wirkliches, häßliches, menschliches Gesicht bewegen. Er spielt die Serenade mü der Zärtlichkeit des größten Clowns, den das Jahrhundert kennt, anfangs allein; zögernd. Erstaunt und beglückt begleitet ihn dann die Sttmme Fiamettas, der Buckligen. Starr sitzen Tausende, reglos unter ihnen Beppo, der Makkaronihändler. Eine Hand legt sich auf dessen Kopf, preßt sein Gehirn, daß es nur eines denken kann: Da, da, so hat er zugeschlagen, immer an die krummen Beine. Diese— Augen haben ihn und alle getroffen, damals. Sie liegen wieder auk ihm. sie bohren sich in ihm hinein, und der Clown hat das Gesicht eines Toten, eines von Beppos Peitschenhieben Getöteten... Es ist ein großer Erfolg. Jetzt muß Luigi, der Clown, jeden Abend seine Serenade spielen. Wenn er die Geige ans Kinn setzt, glauben die Menschen ein Zucken des Lächeln urster der Schminkmaske, eine Anklage in seinen Augen zu sehen. Beides lieben sie. Sie sagen, hier werde ein Clown zum größten aller Künstler und Katschen nachher wie toll. Beppo, der Makkaronihändler, sündigte hinfort nicht mehr... Walter P e r s i ch. Alois Rasin Nun hat auch Alois Rasin , einer der„Männer des 28. Oktober" und erster Finanzminister der Republst seinen Biographen gefunden. Vor wenigen Tagen ist aus der Feder des Journalisten und Schriftstellers Dr. Karel Hoch ein Buch erschienen, das auf 400 eng bedruckten Seiten eine Darstellung von Rasins Leben gibt.*) Alois Rasin ist aus kleinbürgerlichen Verhältnissen hervorgegangen, als das siebente Kind eines Bäckers ist er in Nechanic in Ostböhmen am 18. September 1867 zur Welt gekommen. Die politische Erziehung fing bei ihm schon im Elternhause an. der Vater war in der Selbstverwaltung tätig—- kurze Zeit bekleidete er auch ein Abgeordnetenmandat— und erzählte insbesondere dem wißbegierigen Jüngsten vieles aus seiner Tätigkeit. In der Volksschule und auf dem Gymnasium las und lernte der Junge ungemein eifrig, auch die deutsche Sprache. Er ging ein Jahr lang ins deutsche Gymnasium in Braunau und hat später als Hochschulstudent den Riesengebirgsdialekt erlernt, den er im Verkehr mit den Bewohnern geschickt handhabte. Ins öffentliche Leben trat er zu Beginn der neunziger Jahre als Student der Rechte in Prag ein. Es war eine Zeit, da die Generation der alttschechischen Politiker abtrat und neue geistige Ströme das tschechische Leben befruchteten. Einerseits stießen die jungen Jntettektuetten aus die soziale Frage, die sich ihre Aufmerksamkeit erzwang, andererseits gewann im Widerstand gegen die allzu kompromißbereite, loyale alttschechische Politik— hatte doch Rieger von den Brosamen gesprochen, die man unter dem Tische aufheben müsse— der nationale, fortschrittliche, antihabSburgische Nationalismus die Oberhand. Eine Reihe von Männern, die später in der tschechischen Politik eine *) Dr. Karel Hoch: AloiS Rasin. cketto Livot, cki'o a doba(Sein Leben, Werk und seine Zett). 1834 OrbiS-Berlag Prag . Rolle gespielt haben, wurden die Führer der Stu- dentenschaft: Baxa und Klofäk, Hajn und Pravo - flav Vesech, Fr. Soukup und Fr. B. Krejtt. Sie bildeten die„fortschrittliche Bewegung", welche sich als ihre Aufgabe„das Studium der sozialen Frage und ihre Vereinigung mit der nattonalen Frage" erwählte. Rasin selbst hat damals dargelegt, daß er auf Seite der Arbeiterschaft stehe, well diese „ausgebeutet und unterdrückt" sei und daß er deswegen Verbindung mit dem Proletariat suche. Freilich hat sich schließlich sein nattonaler Radikalismus stärker erwiesen als sein Interesse für soziale Probleme, aus dem heraus er eine englische Schrift über den Achtstundentag ins Tschechische übersetzte, und während eine Reihe seiner Kollegen den Weg ins Lager der Arbeiterklasse fanden, ging Rasin zu den Jungtschechen, aus denen später die Nationaldemokratie hervorwuchs. Im rfeber 1894 wegen Teilnahme an der tschechischen Jugendbewegung(Omladina) zu zwei Jahren Kerker verurteilt, verbüßte er seine Strafe im Gefängnis in Prag , betätigte sich eine Zeitlang als Journalist und zog sich, da ihn die Berufsarbeit stärker in Anspruch nahm, von der aktiven Politik zurück. Erst in den Wahlrechts« kämpfen näherte er sich den Jungtschechen und als es gatt, die Partei ftir den Wahlkampf von 1907 zu rüsten, Machte Kramäk den energischen, leidenschaftlichen Mann zum Generalstabschef der Parteiorganisation. Damit rückte er in die erste Reihe der Politiker der jungtschechischen Partei, für die er bei einer Nachwahl 1910 in der Prager Neustadt ohne Erfolg kandidiert hatte und 1911 bei den allgemeinen Wahlen ein Mandat errang. Im Reichsrat machte er die positive Politik der Jungtschechen mit und hat auch seine Stimme für die Mehrvorlagen der Monarchie abgegeben. Er ist damals mit Entschiedenheit für den nattonalen Frieden eingetreten.„Der große Gedanke der Versöhnung der zwei entwickeltesten Nationen in Oester reich hielt und hält jedermann in diesem Reiche im Bann", so sagte er in einer seiner Reichsratsreden. Diese positive Polittk weiter Schichten des tschechischen Bolles(sowohl der Bourgeoisie wie des Proletariats) wurde unterhöhlt durch die imperialistische anttflawische Außenpolitik sett 1908 und durch den Weltkrieg. Rasin gehörte zu jenen, die sich schon im Herbst 1914 gegen Oesterreich wandten und der mit einigen Gesinnungssteun- den den jungtschechischen Kreis der Maffia bildet«. Im Juli 1918 wurde er verhaftet, es wurde ihm zusammen mit Kramär der Prozeß gemacht und am 3. Juni 1916 wurde er zum Tode verurteilt. Dieses Urteil wurde am 16. Dezember von Kaiser Karl in eine zehnjährige Kerkerstrafe verwandett, von der ihn jedoch schon am 10. Juli 1917 die Amnestie befreite. Der Aufenthaü im Kerker hat ihn nicht gebrochen, sondern den harten Mann noch härter gemacht. Er verwendete seine Muße zu tteferem Eindringen in die wirtschaftlichen Probleme, schrieb ein kleines Lehrbuch der Nationalökonomie und befaßte sich insbesondere mtt jenen Wirtschastsfra- gen, die mit der Schaffung des tschechoslowakischen Staates entstehen würden. Wieder in Freiheit, ergriff er mü fester Hand die Leitung der„Närodni Lisch", verdrängte dort die opportunistisch-loyatt Richtung und schrieb— so weit es die Zensur möglich machte—- in radikal antiösterreichischem Sinne. Je mehr die Zersetzung der Monarchie fort- schritt, desto entschiedener wurde seine Sprache, desto größer sein Einfluß. Am 28. Oktober 1918 gehörte er zu den vier Männern, welche im Namen des tschechischen Bolles die k. k. Statthalterei übernahm und als die erste Regierung der Republll gewählt wurde(16. November 1918) fiel ihm das Ressort des Finanzministers zu. In dieser Funktion hat er zweifellos Dauerndes geleistet. Seine bedeutendste Tat war die Loslösung der tschechoflowakischen Währung von der österreichisch-ungarischen und die Gesetzwerdung der Vermögensabgabe, was er mit der ihm eigenen Entschiedenheit und Rücksichtslosigkeit durchführte. Am 4. Juli 1919 trat er mit den übrigen nationaldemokratische» Ministern zurück, nachdem in den Gemeindewahlen die Stellung seiner Partei erschüttert worden war. Er ging in Opposttion und bekämpfte heftig seinen Nachfolger Professor G n g l i s, der als Finanzminister in der Regierung Tusar die Vorlage über die Honorierung der Kriegsanleihen einbrachte.— Rasin hielt damals die heftigste Rede, die er im Parlament je gehalten, er griff in maßloser Weise die Deutschen an, die Erregung war so groß, daß die Sitzung auf zwei Stunden unterbrochen werden mußte. Nach dem Sturze Tusars vertrat er seine Partei in der Pktka und wurde am 7. Ottober 1922 abermals Minister in der Regierung Svehla. Wiederum fiel ihm das Finanzreffort zu. In dieser Zeit stieg die tschechoslowakische Krone in raschem Tempo, die Warenpreise ftelen etwas und Rast» verkündete nun die Notwendigkeü der Herabsetzung der Löhne und der Einkünfte der Staatsangestellten. Kaum hatte die arbeüende Klasse nach den Jahren des Kriegselends ein halbwegs erträgliches Dasein gewonnen, sollte ihr wieder genommen werden. Das rief den heftigen Widerstcmd gegen den Finanzminister hervor. Auch mü den Legionären geriet Rasin , der ihnen den Vorwurf gemacht hatte, sie wollten für ihr« Opfer im Kriege belohnt werden, in einen schweren Konflikt. Die Legionäre ercklär- ten, sie würden es verhindern, daß Rasin ein tschechischer Mussolini werde und Nagten chn masst nhast wegen Ehrenbeleidigung. Bevor es aber zum Prozeß kam, schoß am 8. Jänner 1923 ein Neunzehnjähriger auf den Minister, nach wenigen Wochen erlag Rasin den erlittenen Verletzungen. Dieses reiche Leben eines harten, unbeugsamen, leidenschaftlichen Menschen, eines der schärfsten Gegner, den die tschechoslowakische Ar- beüerschast je gehabt hat, schildert Hoch sehr ausführlich, wobei er die politische Entwicklung, in der Rasin lebte und wirkte, sehr eingehend darstellt. So hat uns der Autor nicht nur ein biographisches Werk gegeben, sondern er hat die historische Literatur, welche die letzten Jahrzehnte der Monarchie und die ersten Jahre der Republll.behandelt, um ein gründliches Weill bereichert S. st.
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14 (25.12.1934) 301
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