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Samstag, 29. Dezember 1934
14. Jahrgang
IENTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK
Ehmipreis 70 IMter (ehnchliefiüdi 5 HdiNloto)
BESCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung präg xii„ fochova a. telhon sm. Administration teiefon sm. HERAUSGEBERt SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEURi WILHBJA NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEURi DR. EMIL STRAUSS, PRAG .
Wir machen nochmals alle Kolporteure und Abonnenten darauf aufmerksam, daß unsere Ausgabe am2. Jänner entfällt, da am Neujahrstag nicht gearbeitet wird. Die Verwaltung.
Schacht beseitigt auch Darrä Berlin . Die Stellung des Reichswirtschaftsministers und Reichsbankpräsidenten Dr. Schacht wird immer mehr die eines Wirtschaftsdiktators. Daran dürfte jetzt auch der Reichsernährungsminister Dr. Walter Darre glauben müssen. In unterrichteten Kreisen wird behauptet, daß Dr. Darre infolge wiederholter Zusammenstöße mit Dr. Schacht vorläufig beurlaubt worden ist. Schacht wendet sich insbesondere dagegen, daß Darre die radikale Politik, die er auf landwirtschaftlichem Gebiete verfolgt, auch allgemein ausgedehnt wissen will. Die Hauptzusammenstöße bezogen sich auf die Regelung der Marktpreise. DarrL habe zwar noch nicht seine Demission gegeben, da er vom radikalen Teil der Partei stark unterstützt wird. Deshalb hält er seine Polstik auch noch nicht für gefährdet und er hat auch einen Neujahrsaufruf an die Bauern erlaffen, in welchem er sie ermahnt, in der Erzeugungsschlacht auszuharren.
Französische Blätter konfisziert Das Hava s-Düro meldet auS Berlin , daß Donnerstag fast sämtliche französischen Blätter in Deutschland beschlagnahmt wurden. Dir gestrigen französischen Blätter veröffentlichten nämlich neben den Artikeln über die Mafsenver- haftungen und die Unruhe in Deutschland auch den Hinweis, daß der Reichskanzler in seinem Buch„M ein Kampf" die Frankreich beleidigenden Absätze abändern will.
405.000 Arbeitslose in Frankreich Paris . Die Zahl der Arbeitslosen in Frank reich beträgt nach einer Statistik des Arbeitsministeriums Ende Dezember 405.000 Personen. Davon sind 323.000 Männer und 82.000 Frauen. Es ist dies die bisher höchste Arbestslosenzahl während der letzten Krise.
Neue Spuren der Blondine von Marseille Paris . Blättermeldungen aus Marseille zufolge wurde die Spur der gesuchten Blondine, der Genoffin der kroatischen Terroristen, bekannt unter dem(offenbar falschen) Ramen Bon» d r a L e k, gefunden. Sie soll eigentlich Alsatz heißen Ihre Spur wurde in Dieppe und Berlin , in Oesterreich , Italien und in der Schweiz gesunden.
Latente Kabinettskrise In Spanien Madrid . Der Ministerrat hat im Einvernehmen mit dem Staatspräsidenten das bereits vor einigen Tagen eingereichte Rücktrittsgesuch des Unterrichtsministers Billalobos genehmigt und an seine Stelle den Abgeordneten der liberal-demokratischen Partei Dualde berufen. In unterrichteten Kreisen nimmt man an, daß demnächst noch weitere Veränderungen im Kabinett erfolgen werden, da zwei Ministerien vertretungsweise von anderen Ministern mitverwaltet werden.
Azafta freigesprochen Madrid. (HavaS.) Der Oberste Gerichts hof sprach mangels an Beweisen A z a L a frei, der beschuldigt wurde, an der katalanischen Aufstandsbewegung teilgenommen zu haben.
Hie„Unabhängigkeit der HallcnlsdKii Kolonie Ocstcrrcldi
Eben propagiert die römische Politik wieder einen neuen Plan zur Sicherung der österreichischen„Anabhängigkeit". Frankreich und die Kleine En tente sollen gemeinsam mit Italien und allenfalls auch mit Deutschland und Angarn Oesterreichs Anabhängigkett garantieren. ZnWahrheitgibtes diese AnabhSngigkeit nicht. 3« Wien regieren nur die Beauftragten Mussolinis, Oesterreich ist nichts als ein großes Außenwerk der Waffenstar- renden Festung Italien . Das geht mtt aller Deutlichkett aus einem Artikel des in Luzern erscheinenden Schweizer Blattes„Vaterland" hervor, mtt dem fich das heutige „Prävo Lidu" ausführlich beschäftigt. Das katholisch- konservative„Vaterland" ist über Oesterreich stets ausgezeichnet informiert, sei» Wiener Berichterstatter ist niemand geringerer als der Ehesredaktenr der Reichspost, Dr. F« n d e r. In dem Schweizer Blatt erschien nun ei» Artikel, in däm dargetan wird, daß Oesterreich seit dem Freundschaftsvertrag von Rieeione mtt Italien auch eine regelrechte Militärkon- v e n t i o n hat. Auf Grund dieses Abkommens gehen die Heimwehroffiziere zur Ausbildung nach Italien , während italienische Offiziere unter Führung
ortskundiger Helmwehroffiziere das Terrain an der jugoflawischen Grenze studiere«. 3« der Hirtenberger Patronenfabrik des Herr« Mandl(Finanziers des Starhemberg) find drei ttalienische Sachverständige beschäftigt. Während Flugzeuge und Geschütze von Italien geliefert werden, erzeugen die österreichischen Fabriken selbst in großen Massen Stahlhelme, Gasmasken, MG- Schutzschilde und Handfeuerwaffen. Das Schweizer Blatt macht die Rachbar» Oesterreichs darauf aufmerksam, daß zwischen Italien und Oesterreich die engste Zusammenarbett auf militärischem Gebiet besteht. Besonders die Geldgeber Oester reichs mögen untersuchen, was mtt ihrem Gelde gemacht wird. Das„Prävo Lidu" fieht in dem Ar- tikel des Luzerner katholischen Blattes, der fich offenfichttich gegen die Regierung Schuschnigg-Starhemberg richtet, einen Angriff des anti-italienisch en Fl ügelL der Christlich s o z i a l e n auf de« Kurs der Heimwehr und der Vaterländischen Front. Es schließt fich der Meinung an, daß die militärische Zusammenarbeit Oesterreichs mit Italien die größte Beachtung aller interesfierten europäische« I Staatskanzleien finden müsse.
Der moralische Verfall des Nationalsozialismus
Kultusminister Rust; 10 Millionen und eine Villa
Der„Neue Vorwärts"bringt in seiner letzten Ausgabe wieder'haarsträubendes Material über die Bonzen-Korruption im Dritten Reich. Im Zuge der Maßnahmen gegen die nationalsozialistische Opposition wird den Gauleitern auch der geschäftliche und politische Einfluß auf die Parteizeitungen entzogen. Da diese Blätter fast durchwegs Privatunternehmungen der Gaubonze« waren— ein Zustand, der in der sozialdemokratischen Bewegung überhaupt nicht denkbar ist— werden die Pg. Gauleiter mit horrenden Summen abgefunden'. Wie sich dieses Geschäft für die Nazibonzokratie rentiert, darüber werden im Falle des Kultusministers Rust aufreizende Ziffern bekannt. Rust gründete zusammen mit einem gewissen Behrendt vor einigen Jahren in Hannover ein nationalsozialistisches Käseblättchen. Zu dem Stammkapital per 18.000 Mark steuerte Rust 7000 und Behrendt 6000 Mark bei. Der Betrieb wurde nach der nationalen Revolution bedeutend erweitert, nachdem er sich den ganzen gestohlenen Maschinenpark des sozialdemokratischen»Volkswille" einverleibte. Diese Wertsteigernng wurde nun auch bei der Uebernahme des Razivlattes durch die Partei berücksichtigt und Rust erhielt die nette Summe von 1,200.000 Reichsmark(über 10 Millionen K£) als Entschädigung. Der braune Kultusminister erwies sich bei der Transaktion aber als ein gediegener Geschäftsmann, denn er zahlte seinem Kompagnon treu und bieder— 6000 Mark zurück. Behrendt, ein»alter Kämpfer", eilte wutschnaubend zum Stellvertreter des Führers, Heß, und verlangte seinen vollen Anteil an der Beute. Heß intervenierte in diesem Sinne bei Rust , aber erfolglos. Behrendt mußte sich mit den 6000 Mark begnügen
und schlug darob Krawall. So hat die nette Geschichte auch ihren Weg in die sozialdemokratische Auslandspresse gefunden. Rust bekommt auch eine Villa Kultusminister Rust— der neugebackene Millionär— findet, daß seine Dienstwohnung zu klein sei. Er läßt sich eine Villa bauen, natürlich auf Staatskosten. Die Möbel für diese Villa werden aus staatlichen Schlößern beschafft. Röhms Nachfolger Lutze läßt sich eine große Villa bauen. Kosten 250.000 Mark, dazu 100.000 Mark für die Inneneinrichtung. Lutze hat sich dagegen gesichert, daß ihm dieser Aufwand einmal zum Vorwurf gemacht werden könne wie Röhm— er hat sich die Zustim- mung des Führers dazu verschafft. Die Wohnungen dieser beiden Parasiten kosten ungefähr das Doppelte der Summe, die in Berlin am»Tage der nationalen Solidarität" eingegangen ist. Die Geber wissen nun wenigstens, wofür sie gezahlt haben.
Hitler kriecht zu Kreuze Berlin . Z« der bereits gemeldeten Absicht des Reichskanzlers Hitler , in der nächsten Ausgabe des Buches„Mein Kampf " gewiffe Aendrrungen vorzunehmrn, verlautet weiter» daß vor allem das Borwort ganz umgearbritet werden soll und daß jetzt Adolf Hitler in demselben die Wichtigkeit einer französisch-deutschen Annäherung unterstreichen wolle. Hitler werde in dem Borwort weiter erklären, er sei zu der Nebrr- zrugung gelangt, daß eine Wiederversöhnung zwischen den beiden Völkern für das Werk des Friedens notwendig sei.
i Logik des Terrors Von R. Abramowitsch Wie ein Blitz aus heiteren Himmel kam das Attentat auf Kirow, den Diktator von Lenin grad , den zweiten Mann nach Stalin . Hoch stand der Sowietstern am diplomatischen Himmel'und Litwinow feierte seine höchsten Triumphe. Auch die Ernährungssorgen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten schienen überwunden zu sein. Wenigstens erklärte die Sowjetregierung, in der Lage zu sein, das Lebensmittelkartensystem abzuschaffen und, gestützt auf die riesigen Getreidevorräte, die sie angesammelt hatte, die reibungslose Versorgung der Bevölkerung mit Brot zu gewährleisten. Nicht minder glänzend schien die finanzielle Lage der Sowjetunion nach außen hin zu sein: günstige Handeübilanz infolge großer Goldausfuhr, lockende Kreditangebote von verschiedenen Seiten. Rußland schien wieder, wie in den Glanzjahren der Zarenzeit, zum Schiedsrichter Europas zu werden. Und gerade in diesem Augenblick der höchsten Erfolge zieht ein junger Kommunist seinen Dienstrevolver und erschießt einen der höchsten Funktionäre seiner Partei, einen der»vergötterten Führer" seines Sowjetstaates. Vergeblich waren die Bemühungen der Sowjetpresse, ihre Bestürzung und Verlegenheit hinter donnernden Tiraden über»Klasienfeinde" und«ausländische Verschwörer" zu verstecken. Der Attentäter Nikolajew ist kaum 30 Jahre alt. Als die bolschewistische Revolution ausbrach, war er kaum 13 biS 14 Jahre alt. Er gehörte offenbar auch nicht den»kapitalistischen Klassen" an, denn wäre er ein Sprötzling einer Adels- oder Bourgeoisfamilie, so würde man das sofort veröffentlichen: die Sowjetbehörden haben sonst nicht die Gewohnheit, die kapitalistische Abstammung ihrer Feinde zu verschweigen! Also es steht fest: Niko lajew war ein Arbeiter- oder Bauernsohn, der sich in ganz jungem Alter ohne Zögern auf die Seite der bolschewistischen Revolution stellte, Mitglied der Kommunistischen Partei wurde und einen Posten in dem wichtigen Kommissariat der »Arbeiter- und Bauerninspektion" bekleidete. Warum hat nun dieser proletarische Revolutionär und Kommunist auf den Kommunistenführer Kirow geschossen? Einige ausländische Blätter, die gewöhnt sind, überall»cherchez la femme", haben die Vermutung ausgesprochen, es handelte sich in dem Konflikt zwischen Kirow und Nikolajew um eine Weibergeschichte. Natürlich sind auch die»eisernen Bolschewiken" der Liebe und der Eifersucht zugänglich. Aber wenn es sich wirklich um einen rein persönlichen Konflikt handelte, warum sollte die Sowjetpreffe von»Sendlingen der Klassenfeinde" sprechen, warum mußte die Sowjetregierung 103 vollkommen unbeteiligte Personen erschießen lassen? Dann wäre es doch das einfachste und auch für die politischen Zwecke der Söwjetregierung das Günstigste— einfach den vollkommen unpolitischen Charakter der Leningrader Tragödie festzustellen. Ach nein, das in Leningrad war keine Eifersuchtstragödie. Nicht aus Rivalität um die Liebe einer Frau erschoß der Kommunist Nikolajew den Kommunisten Kirow. Die Hintergründe sind rein politisch gewesen. Das unterliegt jetzt keinem Zweifel mehr, das mußte nun auch die Sowjetregierung nach drei Wochen verlegenen Schweigens endlich zugeben. Nikolajew soll nach den nunmehrigen sowjetoffiziellen Mitteilungen einer kommunistischen Oppositionsgruppe angehört habe«, die die Politik der Parteiführer durch Terrorakte zu bekämpfen suchte. Man braucht nicht jedes Wort der offiziellen Sowjetmitteilungen als die heilige Wahrheit zu betrachten. Wit wissen ganz getiau aus eigener traurigen Erfahrung, wie die GPU »Tatsachen" und„Zeugenaussagen" zu fabrizieren versteht.(Siehe»Menschiwikiprozeß" 1930.) Wir brauchen daher nicht unbedingt daran zu glauben, daß der vorsichtige Kamenew , der noch auf dem letzten Parteikongreß eine begeisterte Lobrede auf Stalin hielt, und per notorische Feigling Siiiowjew tatsächlich terroristische.Verschwörungen" organisierten. Höchstwahrscheinlich gab es überhaupt keine»Verschwörung", keine terroristische Organisation im eigentlichen Sinne des Wortes. Aber was unbestreitbar aus den amtlichen