Nr. 303
Seite 2 Samstag, 29. Dezember 1934
sind, daß sich dort gefährliche Explosivstoffe ansammeln, daß das System der hermetisch abgesperrten Sicherheitsventile den Dampf im bolschewistischen Kessel auf den kritischen Druckpunkt gebracht hat. Die erste Reaktion des'stalinistischen Apparates auf die Verzweiflungstat Nikolajews zeigt, daß die herrschende Parteibürokratie die Gefahr Wohl erkannt hat, daß sie aber weit davon entfernt ist, die einzig richtigen Konsequenzen aus dieser Erkenntnis zu ziehen. Anstatt das unerträgliche Unterdrückungssystem resolut zu lockern, anstatt die Sicherheitsventile zu öffnen, hat Stalins „Politbüro " eine neue grausame Terrorwelle entfesselt. 103 Personen, die mit Nikolajew nichts zu tun hatten, wurden erschossen. Drakonische Bestimmungen, die darauf hinzielen, jeden„Verdäch
tigen" ohne Untersuchung» ohne jegliche Gerichtsgarantien, ja ohne Begnadigungsmöglichkeit sofort erschießen zu lassen, wurden erlassen. Ungeheure, unwahrscheinliche Anschuldigungen gegen die „Sinowjew-Opposition" werden aufgestellt,„Verschwörungen" werden fabriziert, die den Borwand zu neuen Erschießungen gÄben sollen. Neue Ströme von Blut werden im vielgeprüften Sowjetland fließen. Diesmal nicht mehr das Blut der„Klassenfeinde", wie in der Zeit des „roten Terrors" 1918 bis 1919, sondern das Blut der eigenen Parteigenossen Stalins . Dieses neue Blut wird aber die Schwierigkeiten der bolschewistischen Revolution nicht lösen, die Wunden des russischen Proletariats nicht heilen. Im Gegenteil: Die russische Revolution tritt in ein neues gefährliches Stadium ein.
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Das im Schatten der Bedeutungslosigkeit ' dahinwelkende Blättchen der KPE macht den lächerlichen Versuch, uns„an den Pranger" zu stellen, weil wir uns erlaubt haben, an den schimpflichen Methoden der Abwürgung der bolschewistischen Opposition durch die Stalinbüro- kratie berechtigte Kritik zu Wen. Nach den verlogenen Einheitsfront-Schalmeien findet die „Rote Fahne" wieder die gewohnte Tonart. Sie bezeichnet uns als„Sprachrohr der Mordterroristen" und will den sozialdemokratischen Arbeitern beweisen,„daß ihre Führer haßerfüllte Feinde des Arbeiter- und Bauernstaates sind". Dazu ist zu sagen, daß uns solche dumme Beschimpfungen von unserem grundsätzlichen Standpunkte nicht um Haaresbreite abbringen können, sondern eher veranlassen, ihn zu unterstreichen. Die„Rote Fahne " behauptet, wir nähmen „die Weißgardistischen und trotz- kistischen Terroristen" in Schutz. Sie möge zur Kenntnis nehmen, daß es eine für jede proletarische Zeitung unerhörte Schändlichkeit ist» Trotzki , den Sieger der Oktoberrevolution, den Schöpfer der roten Armee, den Todfeind der russischen Konterrevolution mit weiß- gardistischen Terroristen auf eine Stufe zu stellen. Wenn Trotzki gewillt Wäre, den Richtungskampf in der bolschewistischen Bewegung mit der Waffe des Kameradenmordes zu führen, dann hätte er als Kriegsminister der Sowjetunion dazu bessere Gelegenheit gehabt, als ein von Land zu Land ge- hetzter„Einigrant..,..., handgreiflich«‘Siige-der Stalins bürokratte, daß das Attentat auf Kirow in irgendeiner Gemeinschaft von Weißgardisten und Trotzkisten durchgeführt wurde. Warum wurde der wahre Tatbestand nicht in öffentlicher Gerichtsverhandlung aufgeklärt. Warum wurden Menschen hingerichtet, die zur Zeit des Attentates in den Gefängnissen saßen? Dagegen, daß Werführte Mörder und ihre Komplizdn schwersten Strafen verfallen» kann kein Einwand erhoben werden. Wir sistd die letzten, die das Notwehrrecht des Sowjetstaates gegen polittsche Terroristen verneinen würden. Daß Wer unter dem Borwand proletarischer oder sozialistischer Interessen staatlich organisierte Massenabschlachtüngen durchgeführt werden, daß gleichzeitig die bolschewistische Parteiopposition mit den Methoden zaristischer
Persekution niedergetrampelt und obendrein verleumdet wird, muß das Rechtsgefühl jedes Sozialisten tief verletzen. Es ist nicht wahr und kann wirklich nur von „käuflichen Burschen" behauptet werden, daß diese Blut- und Rachepolitik den Interessen der Sowjetunion dient. Sie besudelt vielmehr däs große Werk der russi schen Revolution vor den Augen der zivilisierten Welt. Sie erschwert auch den sozialistischen Freiheitskampf gegen die bluttriefenden fascistischen Henker, die sich bei der physischen Ausrottung ihrer politischen Gegner künftig auf das Beispiel Sowjetrußlands berufen können. Sehen die Kommunisten, soweit sie nicht direkte Kostgänger der Stalinbürokratie sind, nicht ein, daß es ein Widersinn ist, gegen die Hitler und Göring Braünbücher herauszugeben und gleichzeitig die Nachahmung des 30. Juni in Rußland gutzuheißen? Die Hetze gegen Trotzki hat aber noch eine viel ernstere Seite. Sie ist ein Verbrechen an der kommunistischen und sozialistischen Emigration. Ob nun in Paris offen oder indirekt die Ausweisung Trotzkis aus Frankreich verlangt wurde, ist nebensächlich. Das Hineinziehen Trotzkis und seiner Richtung in die Kirow-Affäre ist ein abscheulicher Versuch, einem Manne sein letztes Asyl zu rauben, vor dem einst die ganze Komintern auf dem Bauche gelegen ist. Bisher war die Emigrantenhetze ein Privileg der fascistischen Parteien. Setzt die kommunistische Presse ihre verlogene Hetze gegen den Emigranten Trotzki fort, dann gefährdet sie dadurch alle antifascistischen Kämpfer, die dus^Mrstkeckst" demokratischer Länder' in An? sprüch genommen^häben. Die„Rote Fahne " hat die sozialdemokratischen Arbester aufgefordert, gegen unsere Kritik an der Verleumdung und Verfolgung der bolschewistischen Opposition Proteste einzusenden. Da kann sie lange warten. Die sozialdemokratischen Arbeiter haben schon eindeutig zu erkennen gegeben, daß sie fester zu ihrer Partei und Presse stehen als die Kommunisten, die in Hellen Haufen die KP§ verlassen. Wenn die jüngsten Gemeindewahlen noch picht deutlich genug gezeigt haben, daß die kommunistische Phrasendrescherei hierzulande nicht der Arbeiterschaft und der Sowjetunion dient, sondern der Stärkung der Konterrevolution, dann wird die .Rote Fahne" diese notwendige Belehrung in Zukunft noch deutlicher empfangen.
Die Flucht in das Sektierertum. Die deut schen Blätter berichten als Symptom für die religiösen Zustände und den Drang zum Sektterer- tum, daß es in Hamburg 894 verschie- dene Religionsbezeichnungen gebe. Seft 1925 seien 214 neue aufgetaucht und 123 ältere wieder verschwunden. Dabei zählen nur elf von ihnen Wer 1000 Anhänger, alle übrigen 383 haben weniger, oft Nur ein oder zwei Dutzend. Bemerkenswert ist, daß die Gruppe derer, die sich als religionslos bezeichnen, 175.000—16 Prozent zählt und nach den Protestanten die größte ist. Spitzeloffensive der Gestapo im Ausland. Wie wir erfahren, überschwemmt die Gestapo in jüngster Zeit das Ausland mit ihren Spitzeln. Insbesondere soll die Offensive sich gegen die Zentralen der Schwarzen Front in Prag und Ko penhagen richten. Die Leitung der Schwarzen Front teilt Mit, daß von ihren Mitgliedern sich nur jene im Ausland aufhalten, die sich mit einem von Dr. Otto Strasser handschriftlich gezeichneten Ausweis legitimieren können. Wer diesen Ausweis nicht besitzt, kann mit größter Wahrscheinlichkeit, sofern er sich für ein Mitglied der SF ausgibt, als Spitzel angesehen werden. Die Schöpfer des Bersailler Vertrages für Hitler. Mehrere ftanzösische Blätter befassen sich mit der inneren Lage Deutschlands . Das natio- nalistische Blatt„Le Figaro " schreibt: Unter der Bedingung, daß wir imstande sind, durch unsere moralische und materielle Kraft jeden unWerleg- ten Versuch abzuschlagen, hWen wir ein g r ö ß e- res Interesse daran, eine Verlängerung des Hitler -Regimes zu erleben, da die französische Außenpolitik sich damit unendlich leichter gestaltet. 200.000 indische Textilarbeiter im Streik. In Ahmedabad (Indien ) brach ein Konflikt zwischen den Textilarbeitern und den Industriellen aus, die eine Lohnreduttion in der Höhe von zehn Prozent durchführen wollten. Etwa 200.000 Textilarbeiter sind daraufhin in den Streik getreten. Wie nunmehr bekanntgegcben wird, hat sich Gandhi in einer öffentlichen Erklärung offen auf die Seite der Textilarbeiter gestellt. Die Türkische Große Nationalversammlung sttmmte ihrer eigenen Auflösung bei und ging auseinander. Die Neuwahlen zur Großen Nationalversammlung finden entweder im Jänner oder Feber 1935 statt. Das bisherige Parlament zählte 817 Abgeordnete, die bis auf drei nentrale Abgeordnete zur Bolkspartei, der einzigen politischen Partei in der Türkei , gehörten- Das neue türkische Parlament wird 370 Mitglieder zählen, darunter 10 Frauen, denen erst unlängst das aktive und passive Wahlrecht zum türkischen Parlamente verliehen worden war. „Das Junge Volk“ erscheint am 1. Jänner „Das junge Volk" ist die Zeitschrift der fortschrittlichen jungen Generation. Es gehört in die Hand jedes jungen Arbeiters, Angestellten und Studenten. Bestellungen find zu richten an die Verwaltung Prag XU-, Fochova 02.
Mitteilungen hervorgeht, ist die Tatsache, daß gewisse Elemente unter den Mitgliedern der russischen Kommunisttschen Partei in ihrer Verzweiflung Wer die falsche Politik der Führer sich zu Terrorakten entschlossen hatten. Und es waren, moralisch gesehen, sicher nicht die Schlimmsten, die zur Verzweiflung getrieben wurden. Die Bolschewist haben oft auf den merkwürdigen Unterschied hingewiesen, der in einer gewissen Beziehung zwischen der russischen jäkobini- schen Revolution und den anderen großen Revolutionen, z. B. der französischen besteht. In Frank reich haben die Revolutionsführer> einander auf die Guillotine geschickt, in Rußland haben sie sich bisher damit begnügt, einander in eine mehr oder weniger komfortable Verbannung zu schicken. Selbst der gefährlichste Nebenbuhler Stalins t- Trotzst, wurde, nicht erschossen, sondern ziemlich behutsam ins Ausland befördert. Mtt dieser Tradition, daß die russischen Kommunisten sich wohl W und zu bekämpfen, sich Wer nie gegenseittg erschießen, ist jetzt gebrochen worden. UW das kommt zweifellos dWon, daß die immer härter uW enger werdende Diktatur der kommunistischen Oberführer der kommunistischen Masse jede Möglichkeit des offenen Meinungskampfes nahm, daß die Arbeiter, selbst die kommunistischen, immer mehr jeder politischen Bewegungsfreiheit, jeder Möglichkeit der freien MeinungS - und Willensäußerung beraubt wurden. Jeder Versuch, selbst innerhalb der herrschenden Partei eine andere Meinung als die Stalins zu vertreten, wurde rücksichtslos niedergekämpft, als konterrevolutioikür hingestellt, mit allen Mitteln der Repression und Gewalt unterdrückt. Keine Opposition wurde geduldet, keine Gegenkandidatur bei Wahlen von Parteifunktionären zugelassen, keine Broschüre mit abweichenden Meinungen zur Veröffentlichung erlaubt, kein Resolutionsentwurf der Minderhett in den Zeitungen zum Abdruck gebracht. Daraufhin versuchten die Oppositionskommunisten verschiedener Richtungen, rechte und linke, ihre Gegnerschaft gegen Stalins Politik in der Form von geheimen Kreisen und Frattionen zum Ausdruck zu bringen. Das wurde natürlich erst recht als„konterrevolutionäre Verschwörung" hingestellt und entsprechend geahndet. Die Gefängnisse Rußlands füllten sich mit„Oppositions-Kommunisten". Und so entstand in den letzten zwei.bis drei Jahren der sonderbare Zustand, daß in einer Millionenpartei, wie die Kommunistische Partei Rußlands eine ist, jeder innere Meinungskampf aufhörte und jedes geistige Leben erstarb. Man diskutierte über nichts mehr, höchstens über belanglose technische Kleinigkeiten; man behandeüe keine Probleme mehr, ja es gab überhaupt keine „Probleme" mehr für die russischen Kommunisten: der geniale„Führer"(der es für geschmackvoll hält, sich in seinem eigenen Zentral- organ täglich in Dutzenden von Zuschriften uW Begrüßungen als„das größte Genie aller Zeiten" als den„geliebten Führer des russischen und des internationalen Proletariats" preisen zu lassen, und dessen Namen in der Zeitung nur in Fettdruck gebracht wird!) entscheidet und die Millionen Mitglieder der Kommunistischen Partei, mit ihnen das ganze Volk, haben nichts anderes zu tun, als diesen Entscheidungen des FWrers begeistert zuzujubeln und sie als den Ausdruck der letzten und endgültigen Wahrheit hinzunehmen l Nikolajews Schuß hat nun eine tragische Korrektur zu diesem„idyllischen" Bild gebracht. Es zeigt sich nun, daß gewisse Teile der kommu nistischen Massen von einer tiefen Gärung erfaßt
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Roman von Olga Scheinpflugovä
Babiola stellte fest, daß Papa Bonnetter heute nicht so widerlich war wie sonst. Sie spürte, daß ihm viel daran gelegen war, sie wiedergefunden zu haben. Sie bot ihm Zigaretten und Likör an und fragte nach seinen Geschäften. Mama wurde mit keinem Worte erwähnt. Beide hatten ihre Gründe dafür. Er wußte, daß BWy seinetwegen manchen bösen Tag durchlebt hatte. Sie gestattete ihm, sie hie und da zu besuchen. Sein schüchternes Angebot, ihr mit Geld zu helfen, nahm sie jedoch nicht an. „Bringen Sie mir eine kleine, geschmackvolle Krawattennadel," sagte sie schließlich.„Ich schulde jemand ein Gegengeschenk." Bonnetier machte ein unglückliches Gesicht. Als er gegangen war, schlug sie mtt sicherem Instinkt das Buch, das auf dem Tische gelegen hatte, auf. Dort lagen zehntausend Franken, ein ungeheurer Reichtum für ein Mädchen, das gelernt"ttte, zum Nachtmahl Kaffee zu trinken. Und ch wurde ihr bei diesem Funde nicht ein bina>.. schwül. Sie entschloß sich sofort, das Geld zu behalten. Papa Bonnetier war schließlich ein alter reicher Herr. Und sie war durch seine Schuld Demütigungen ausgesetzt worden. Die Buße war gerechtferttgt. Sie kaufte sich ihrer Schönheit würdige Kleider und erwarb für den Abend einen Parkettsitz im Theater. Sie sehnte sich breni.end darnach, sich von jemand bewundern zu lassen und fühlte mit Befriedigung, daß sie alle Männer ansahen. Wäre Felicien hier gewesen, sie hätte ihren Arm in seinen geschmiegt und hätte ihm erzählt. Dann wären sie gemein
sam Wer den Boulevard geschlendert, hätten gemeinsam ein Kaffeehaus betreten und vielleicht — vielleicht hätte sie sich heute das erstemal in seinem Atelier als Weib gefühlt. Sie hatte ein kleines Theater gewähü; man spielte Ibsen , dem man für diesen Abend verzieh, daß er kein Franzose war. Sie besuchte Schauspiele sehr selten. Aber heute war sie wie gebannt. Selbst in der Pause blieb sie sitzen. Das Theater schien mtt ihr von Geburt an verwcmdt zu sein. Ein rätselhaftes Empfinden Aerkam sie, wie einen Menschen, der das erstemal ein« fremde Stadt besucht und das Gefühl hat, hier bin ich doch schon einmal gewesen. Ibsen rollte das Problem der Krankheit auf. Ihr eigenes Buch mit den Krankenproblemen widerte sie jetzt an. Nach der Aufführung ging sie bewegt heim unfreute sich erst jetzt Wer die zehntausend Franken, die es ihr ermöglichten, ost und ohne rechnen zu müssen, das Theater zu besuchen. Vor dem Hause ging Felicien auf und W. Sie erkannte ihn schon von weitem. Man sah seinen müden Schritten an, daß er schon lange gewartet hatte. Sie wäre ihm am liebsten entgeaengelaufen, aber es war ihr erstes Wiedersehen seit dem unglückseligen Besuch bei seinen Eltern Er stürzte auch nicht auf sie zu, wie er es sich vorgenomme.. hatte. Er hatte sich während seines zweistündigen Wartens damit gequält, wo sie gewesen sein mochte. Im Hotel Monaco hatte er I ihre neue Wohnung erkundet und als er ihre neue Toilette sah, w> rde auch die zu einem belastenden Umstande. „Im Theater? So, so." Felicien vergaß ganz, daß er sie, der Herzensruhe seiner Mutter wegen, vier Monate lang in Paris allein gelassen hatte. Männer, die lieben, begreifen nie, daß sich ihnen die Frauen nur leihen und nicht schenken. Stumm blickte er in ihrer Wohnung umher; die war einfacher als die Toilette. Sie kleidete sich im Nebenzimmer um. Er hörte das Rauschen ihrer Kleider; das Warten
war ihm peinlich. Und Babiola, die sich noch vor kurzem nach Felicien gesehnt hatte, dachte jetzt, da er im Nebenzimmer saß, mit keinem Gedanken an ihn. Ihr Kopf war voll vom Theater und der Vorstellung, die in ihr Schrecken und Sehnsucht aufgewühlt hatte. Endlich trat sie ins Zimmer. Felicien saß da wie ein durchgefallener Schüler. Er war auf dem Lande ein wenig derber geworden. Sie sagte sich, daß er im Vergleiche zu seinem Können eigentlich zu bescheiden sei. Er hatte wieder Kopfschmerzen, roch zu englischem Salz und seine Augen waren gerötet. Da ging sie ins Badezimmer und befeuchtete ein Handtuch, das sie auf seine Stirn legte; auch verdunkelte sie das Zimmer, damit ihn das Licht nicht störe. Felicien schwieg und seufzte nur hin und wieder und Babiola erzählte mit gedämpfter Stimme: „Papa Bonnetier hat mich entdeckt; stelle dir vor: er war in der Redaktion des„Progreß". Ja, und das wichttgste habe ich dir noch nicht erzählt. Mein Buch erscheint,„Bois des Malades". Tausend Franken Vorschuß hWe ich bereits erhalten." Sie erzählten ihm das alles, obwohl es ihn eigentlich nichts mehr anging. Er hatte volle vier Monate bei seiner Mutter verbracht, die ihr ihre Abneigung deutlich gezeigt hatte. Er hatte sich vier Monate lang nicht um sie gekümmert; sie hätte Hungers sterben können. Sie schämte sich ihres geringen Stolzes diesem kranken Muttersöhnchen gegenüber. Felieiens Kopfschmerzen hörten auf. Er stand auf und küßte Babiola. „Was macht deine Mutter, Felicien?" Er überhörte diese Frage. Sie war schön wie immer. Babiola spielte sich im Geiste die Rolle der Heldin des heutigen Stückes in eigener Auffassung vor. Und Felicien küßte und ttißte sie. Der Roman des„Vagabond" erschien. In allen Auslagen war er zu sehen. Sie brachte Felicien ein Exemplar und schenkte ihm auch die Krawattennadel, die Papa Bonnetier zu kaufen nicht vergessen hatte. Ein überströmendes Gefühl erwärmte dWei ihr Herz. Er ttißte sie dankbar.
Nun wußte er: sie liebt mich. Es war schön, ein Mädchen wie Babiola zu besitzen. Die Widmung Wer schien ibn nicht besonders zu erfreuen— wohl der Mutter halber. Das enttäuschte sie. „Du scheinst keine Freude zu haben?„Bois des Malades" ist doch mein erstes Buch." Papa Bonnetier bekam auch ein Exemplar, Es dürfte aber keine eigenhändige Widmung tra- gen, da Rama die Taschen ihres Gatten manchmal in ihre ehelichen Rechte einbezog. Sie bat Papa Bonnetier, nur nachmittags zu kommen. Zu dieser Zeit weilte Felicien in seinem Atelier und es schien' ihr nicht notwendig, Papa mehr zu offenbaren. „Papa, Ihr letzter Besuch hat sich gelohnt." Mit diesem Satz stattete sie ihm den Dank für zehntausend Franken ab. Er machte ihr keine Geldgeschenke mehr. Wer sie wußte: er werde ihr Geld geben, wenn sie es verlange. Er zeigte für ihre Arbeit Verständnis. Er fragte, wieviel sie für ein Exemplar bekomme und versprach, das Werk gelegentlich seiner nächsten Erkrankung, die ihn ans Bett fesseln würde, zu lesen. Er schenkte ihr Bonbons, Wein, Tücher und Pelzwerk. FelicienS Entwicklungssturm war unterbrochen. Er hatte einige Bildwerke für die Ausstellung tn_ Arbeit, kam aber nur langsam vorwärts. Hätte Babiola nicht geschrieben, wäre er dauernd in ihrer Gesellschaft gewesen. Er freute sich, weil die Zeitungen den„Bois des Malades" lobten; einige grobe Kritiken versteckte er vor Babiola. Er las das Buch und sein Respekt war eine Woche lang sehr groß. Eines Tages sagte sie zu ihm und wischte die Tinte von den Fingern und den Ernst von der Stirne: „Ach Felicien, ich bin ja glücklich darüber, daß ich dich habe; weshalb sind wir aber immer nur allein." (Fortsetzung folg:.)