SrHc 4 Mittwoch, 9. Jänner 1935 Nr.? 84j8hriger Hausverwalter erschlage« und auf die Straße geworfen Der Raubmörder kauft sich Lackschuhe verhaftet und zurückgeschafst. Ob die Flucht mit den Malversationen Dr. Patschs zusammenhängt oder ein bloßes Liebesabenteuer ist, wurde noch nicht geklärt. PodLbrader Badearzt Berlin . Am 4. d. M. gegen 3 Uhr mor­gens wurde der 86 Jahre alte Hausverwalter Hermann Schmidt vor dem Hause Man- tenffrlstraße 87 in Berlin mit zerschmetterten Gliedern tot aufgefunden. Während man zunächst annahm, daß der Greis infolge eines Schwäche­anfalles aus seiner im zweiten Stock des genann­ten Hauses liegenden Wohnung auf die Straße ge­stürzt sei, haben jetzt die Ermittlungen der Mord- inspektton ergeben, daß der alte Hausverwalter einem Raubmord zum Opfer gefallen ist. Die polizeilichen Nachforschungen führten zur Bcrhaf- tnng der Untermieter des Ermordeten, eines jungenEhepaares von denen Tagcsnculgkcltcn Selbstmord im Waffengeschäft In das Waffengeschäft S m o l c in S m i- ch o v kam Dienstag vorm. der 20jährige Bäckern- gehilfe Wenzel Nalezninek aus Neu-BydZow,! der erklärte, einen Revolver kaufen zu wollen. Er ließ sich mehrere Waffen zeigen und deren Mecha­nismus erklären. Seine Wahl fiel auf einen Revolver, dessen Handhabung er sich besonders genau erläutern ließ. Schließlich erkundigt, er sich nach der Art des Ladens und ließ sich das vor­führen. Er nahm die Waffe dann in die Hand, als wollte er sie nochmals betrachten, legte jie plötzlich an die Schläfe und drückte zweimal ab.<"r ivar sofort tot. Nalezninek wohnhaft in Prag I I I. Hroz- nova 8. Er war in sehr schlechten Verhältniffcn. Diese dürften das Motiv zu dem Selbstmord ge­wesen sein. 43 Arbeiter in vieltägigem Hungerstreik Mexiko-Stadt . 43 Arbefter des Schlacht­hofes im Borort Tacubaya befanden sich am Montag mittags seit 125 Stunden im Hunger­streik. Sechs von ihnen sind bereits so stark ge­schwächt, daß Blutungen bei ihnen ein­setzten. Die Streikursach« ist darin zu suchen, daß die Arbeiter bessereArbeitsverträge verlangen, die jedoch von der Verwaltung a b ge­lehnt wurden. Serie der Schiffskatastrophen Sapedro(Kalifornien ). Das briftsche Petro­leumschiffL a C r e S c e n t a" ist über­fällig. Man befürchtet, daß der Dampfer, deffen Besatzung 25 bis 30 Mann zählt, gescheitert ist. Der Kapitän des amerikanischen PetroleumschiffesAthelbeach" teilte auf radio­telegraphischem Wege mit, daß er an der Unfall­stelle derErescenta" kreuzte und die Wahrneh­mung machte, daß das Meer dort mit einer aus­gedehnten Petroleumschicht bedeckt war. Jacksonville . Die letzten Nachrichten über die Havarie des DampfersHavanna " besag-n, daß sowohl die Besatzung als auch die zuerst dir Ehefta« und nach längerem Leugnen auch der Ehemann ein Geständnis ablegtrn. Darnach hat der Ehemann, der 25jährige Bruno Laude» den greisen Hausverwalter am 3. Jän­ner mit einem Hammer hinterrücks erschlagen und in der Nacht zum 4. Jänner aus dem Fenster geworfen, um einen Unglücksfall vorzutäuschen. Einen Betrag von 14 Mark und einigen Pfennigen, die der Hausver­walter als Mietgrld eingenommen hatte, hat das verbrecherische Ehepaar sich angeeignet und für Bergnügnngen sowie für dr« Ankauf von Lackschuhen ausgegeben. Passagiere des Schiffes gesund und unversehrt sind, mit Ausnahme eines Mannes, der einem Schlaganfall erlegen ist. Gdynia . Bei der Halbinsel Hel ist der polni- sche SchoonerStarnia" gescheitert. Ein des Nachts von Gdynia zur Hilfeleistung ausgesandter .'.emorqueur konnte wegen der herrschenden Dun« lelheii und des Sturmes das Segelboot nicht retten. Doch gelang es, die B e s a tz u n g in Sicherheit zu bringen, indem an Bord des gescheiterten Schiffes ein Strick hinabgelassen wurde, mit besten Hilfe die Gefährdeten aus der Gefahr befreit wurden. Die Affäre des Notars Patsch Der Bürovorsteher des Notars auf der Flucht verhaftet. Die Unterschlagungen, welche der Wilden­schwerter Notar Dr. Patsch begangen hat, sind immer noch Gegenstand der Untersuchung, da stän­dig neue Anzeigen einlaufen. Die Schadenssumme dürfte zwei Millionen weit übersteigen. Montag früh wurde festgestellt, daß der Bürochef des Notars, der 33jährige I. D u f e k, verschwunden ist. Mit ihm hatte die Frau des Wil­denschwerter Gastwirtes Rehak die Stadt ver­losten. Die beiden Flüchtlinge wurden Dienstag von seinem Schwiegervater erschossen Dienstag vormittags suchte den Arzt Dr. Josef Weiner in Podkbrad sein Schwiegervater I. Wolf auf. Nach kurzem Streit zog Wolf einen Revolver und schoß den Arzt nieder. Dann richtete er die Waffe gegen sich selbst und verletzte sich schwer. Die Gründe der Tragödie dürften in Familienangelegenheiten liegen. Der Tod im Radio. Es geht nichts über die Wunder der Technik! In USA hat eine Radio- gesellschaft ein einzigartiges Experiment vorge­nommen. Sie hat eine Sterbende i>ns Mikrophon sprechen und so die Schmer­zensschreie der verendenden Kreatur an die Ohren von Hundcrttausenden gelangen lasten. Die Radiogesellschaft ist noch stolz auf ihren genialen Einfall. Sie nannte ihn einepsychologische At­traktion von ganz eigenem Reiz", die zeige, wie sehr der Mensch, selbst der zu 99 Prozent tote, die Technik beherrsche. Also selbst im Sterben gönnt man dem armen und gehetzten Menschen keine Ruhe. Ueber allem Empfinden steht der Nervenkitzel und das nackte Grauen ist den Ma- nagern gerade gut genug, daraus eine neue, an­genehm gruselige Pointe zu machen. Leider schei­nen aber die Abonnenten des famosen Unter­nehmens den seltenenGenuß" ruhig hingenom­men zu haben, statt diejenigen, die solche Sensa­tion ersannen, aufzufuchen und windelweich zu prügeln. Fahrlässige Tötung. Am Sonntag, an dem der Weihnachtsabend der orthodoxen Kirche ge­feiert wurde, putzte in dem Orte-Dubrovka, Be­zirk UZhorod , der 24jährige Michalek P l e s k o die R e p e t i e r p i st o l e, die er sich vom Mi­litär mitgebracht hatte. Plötzlich ging ein Schuß los und traf die 18jährige Stief- s ch w e st e r Pleskos, Marie F e d a k o v ä, die vor dem Spiegel stand und sich kämmte, in den Kopf. Die Getroffene war auf der Stelle tot. Plesko wollte sich aus Verzweiflung hierüber in den Brunnen stürzen, ließ sich aber von den Nach­Blutige Eisenbahn 23 Todesopfer in Rußland Drei Tote bei Stettin Berlin . Das DNB meldet aus Leningrad : Nach amtlicher Mitteilung sind bei dem Unglück auf. der' Oktoberbahn 17 Personen auf der Stelle ums Leben gekommen; sechs Schwerverletzte star­ben im Krankenhaus, so daß die Gesamtzahl der Toten 23 beträgt. 56 Personen liegen mit schwe­ren Verletzungen darnieder, 23 haben leichtere Verletzungen erlitten. Die Katastrophe ist daraus zurückzuführen, daß der Führer des einen Schnellzuges die Haltesignale nicht beachtet hat, sondern mit unverminderter Geschwindigkeit aus den wegen eines geplatzten Schienenstranges hal­tenden zweiten Schnellzug auffuhr. Der Berliner Reuterkorrespondent meldet, daß die Ursache des Unglücks der ungewöhnlich schlechte Stand der Signalisierung auf dieser Strecke war. Die Bediensteten meldeten bereits monatelang, daß die Signale nicht funk- ti o n i er en, forderten jedoch vergeblich von der Eisenbahnverwaltung eine Beseitigung dieser, Mängel. In den letzten Tagen wurde der Dienst nurmehr auf einem Geleise aufrechterhalten, weil das zweite Geleise durch den ungewöhnlichen Frost gesprengt worden war. * Stettin . Auf dem Bahnhof Altdamm dei Stettin entgleist« rin Güterzng mit der Lokomotive, zwei Wagen Bieh und dem Packwagen. Hiebei wurden der Lokomotivführer, der Loko- motivheizer und der Zugsschaffner getötet und ein Zugsführer verletzt. Die Schuldfrage ist noch nicht geklärt. Die Leichen und die Signaleinrichtungrn waren in Ordnung, das Einfahrtsignal zeigt« freie Fahrt. barn schließlich überreden und stellte sich der Gen­darmerie in Seredni. Er wurde vorläufig in Frei­heit belassen. Wegen 30 Kronen halb zu Tode geschlagen. Auf der Staatsstraße bei K r c a v a überfielen zwei unbekannte Männer in den frühen Morgen­stunden den Jan K o m ä r aus Horüa und raub­ten ihm 30. Die^Räuber schlugen ihn so blu­tig, daß er auf der Straße bewußtlos liegen blieb. Komär schleppte sich unter Aufbietung seiner letz­ten Kräfte nach Krcavä und meldete den Vorfall der Gendarmerie, worauf ihm ärztliche Hilfe zu­teil würdig Während der Nachforschungen verhaf­tete die Gendarmerie Michael Patras aus Krkava, der bereits einmal wegen Raubes vor­bestraft ist. Mit Blut bezahlt... Im Tivoli-Villen­viertel im 12. Wiener Gcmeindebezirk wurde vom Äardinal-Fürsterzbischof eine neux Kirckie geweiht. Es ist dies d i e 23. neugebaute oder umge­baute Kirche in Wien im Zeiträume von 1934 auf 1935. Auch in der Umgebung von Wien wurden im vergangenen Jahre neue Kirchen und Kapellen errichtet. Im Frühjahr dieses Jahres wird eine neue Kirche auf der Rax-Alpe einge- weiht werden. Ja einem Budapester Postamt wurde Dienstag abends ein dreister Raubüberfall verübt. Kurz vor Schluß der Amtszeit erschien im Postamre ein Mann vor dem Schalter einer Beamtin, die gerade mit der Abrechnung der Tageskasse beschäftigt war. Der Mann schleuderte der Beamtin das vor dem Schalter befind­liche schwere Tintenfaß gegen den Kopf, so daß die Frau das Bewußtsein verlor. Dann riß der Räuber von dem Geld«, das die Beamtin vor sich liegen harte, 4000 Pengö an sich und ergriff die Flucht. Mehrere Personen, darunter ein Polizist, nahmen die Verfol­gung auf und es gelang ihnen, den Täter, der sich auf einem Baugrunde versteckt hatte, zu fassen und der Polizei zu übergeben. Der Räuber ist mit dem 32jährigen arbeitslosen Schuhmachergehilfen Josef Sepeczan identisch. Das geraubte Geld wurde bei ihm vorgefunden. Inhaber von Jugendfürsorge-Lose« Achtung? Die Ziehung der Jugendfürsorge-Lotterie findet am 16. Jänner statt. Gewinnen können aber nur solche Los«, die bis spätestens 15. Jänner 1935 bezahlt sind. Verlost werden 6184 Gewinst«, darunter die Haupt- tteffer zu 100.000 und 20.000, di« auf Wunsch auch in Bargeld ausbezahlt werden können. Auf ein Los der Jugendfürsorgelotterie können auch mehrere Treffer enffallen! Wer daher im Besitze von noch nicht bezahlten Jugendfürsorge-Losen ist, send« den Bettag sofort«in, bevor es zu spät ist. Preis eines Loses 5 Kc. Vom Rundfunk aus«ton Programm««: Donnerstag: Prag , Sender L.: 10.05: Deuffche Nachrichten, 11.05: Konzert des Salonorchesters, 12.10: Schall­platte«. 15.55: Blasorchesterkonzert, 16.55: Kinder­stunde mit Musik, 17.55: Deutsche Sendung: Ju­gendstunde, 18.20: Machunze: W i e lebt der sudetendeutsche Arbeiter? 19.15: Wir lernen russisch, 20: Liederkonzert, 20.20: Pirandello; Jeder hat Recht, Komödie, 22.15: Tanz- nmsik. Sender S.: 14.20: Junge sprechen, 15: Deutsche Sendung: Schalltklatten, 18.20: Tanzmusik. Brünn 13.85: Deutscher Arbeitsmarkt, 17.55: Deutsch « Sendung: Arbeiterfunk: Fritz Rosenfeld : Soziale Legenden, 19.30: Saxophonsolo. Mährisch-Oftra« 12.35: Orchesterkonzert, 17.55: Deutsche Sendung: Der Satyriker Lichtenberg und wir, 18.30: Schranunelmusik. Preßburg 17.20: Violinkonzert. Louise Michel Zu ihrem dreißigsten Todestag Von Hermann Wendel Als im Dezember 1894 ein anarchistischer Propagandist der Tat eine Bombe in die franzö­ sische Kammer warf, holte derMattn" durch einen Ausfrager die Meinung von Louise Michel ein, die, Rebellin in jeder Faser ihres Wesens, allgemeindie rote Jungfrau" hieß. Leuchtenden Auges billigte sie diese sinn­los blutigen Gewalttaten, da sie nach ihrer Ansicht Regierung und Bourgeoisie mit Schrecken erfüll­ten und die einzig wirksamen Mittel sozialen Kampfes waren. Dieselbe Louise Michel beschrieb in ihren Memoiren ein rührendes Idyll aus ihrer Kindheit:In einer Ausbuchtung der Garten­mauer stand eine Bank, auf der sich im Sommer i ach der Tageshitze meine Mutter und meine Großmutter gern nicderließen. Meine Mutter hatte diese Ecke deS Gartens mit Rosenstöcken aller Art bepflanzt. Während die beiden Frauen plau­derten, lehnte ich mich über die Mauer. Der Gar­ten lag in der Frische deS Abendtaus. Ein Ge­misch von Wohlgerüchen stieg wie von einem Strauß auf; Geisblatt, Reseda, Rosen hauchten süße Duftwollen aus, denen sich der durchdrin­gende Einzelgeruch jeder dieser Blumen gesellte." War nun die Schwärmerin für Nitroglyzerin oder die für Rosen die eigentliche Louise Michel ? Müßige Frage! Denn es gab nur einerote Jungfrau", bei der sich auch scheinbare Wider­sprüche in der großen Einhett ihres Wesens auf­lösten. Sicher würde ihr, die gern Männerklei- dung trug und sich 1871 in Rationalgardenuni- form am wohlsten fühlte, heute die Wissenschaft von den sexuellen Zwischenstufen gerecht werden. Ihrer Zeit galt sie als Weib», aber dem Manu gegenüber empfand sie nicht als Weib; nicht die kleinste Liebesgeschichte ist von ihr überliefert. Da­für war ihr ganzes Leben eine einzige große Lie­besgeschichte, Geschichte der Liebe zur Menschheit, zu den Armen und Getretenen, zu denen, die da litten und duldeten vieltausendfältig. Der Besitzer des Schlosses Vroncourt an der Grenze Lothringens und der Champagne, wo sie als uneheliches Kind einer Kammerfrau am 29. Mai 1830 zur Welt kam, Demahis, wahr­scheinlich ihr Großvater, vielleicht ihr Vater, hatte, Voltairianer und alter Siebzehnhundertdreiund­neunziger, die Leidenschaft für die Menschheit schon dem empfindsamen Kinde eingepflanzt. Wenn Louise als kleines Mädchen bereits alles, was ihr unter die Finger geriet, den Bedürftigen gab, so blieb ihr dieser Grundzug, fanatisches Mitleid, überströmende Güte, bedingnugslose Hilfsbereit­schaft, trotz vielen Enttäuschungen bis ins Alter treu. Mit Besorgnis sahen ihre Freunde sie in einem neuen schwarzen Kaschmirkleid auf eine Agi­tationsfahrt gehen, denn mit einiger Sicherheit ließ sich Voraussagen, daß sie im Unterrock zurück­kehren werde; das Kleid hatte sie unterwegs in jäher Aufwallung einer Armen geschenü, die.es nötiger brauchte als sie selber. Doch obwohl sie fast stets mit Mangel und Not zu kämpfen hatte, genügte Louise Michel diese immer auf der Lauer liegende Freigebigkeit nicht. Beherrscht, tyrannssiert wurde sie Tag und Nacht von dem Drang, nicht nur ihr bißchen Habe, son­dern sich selbst, ihr Blut, ihr Leben, der Sache zu opfern. Seit sie als Siebenjährige über Lamen- nais'Worte eines Gläubigen" Tränen vergossen hatte, gehörte sie der Masse, glaubte sie an die Revolution, träumte sie von der Märtyrerkrone. Als Lehrerin an einem Pariser Mädcheninstitut machte sie unter dem Kaiserreich aus ihrem repu­blikanischen Herzen kein Hehl» aber da sie allezeü nationalökonomische Lehren mitzachttte, soziale Theorien verwarf und über die langsame Austlä- rungsarbeit etwa der Sozialdemokratie die Achseln zuckte, schlug ihre große Stunde, als 1871 die Kommune die rote Fahne aufs Pariser Rat­haus pflanzte. Mit der Flinte in der Hand focht sie«rhittert gegen die Versailler und war unter dem letzten Häuflein, das den X Friedhof Mont- martte gegen die eindringendcn Regierungstrup- pen verteidigte; ganz in ihrer Nähe fuhr, dicht bei dem Grabe Henri Murgers, des Verfassers der Boheme", eine Granat« durch die Maienbüsche und überschüttete sie mit Blüten. In den Händen der Versailler tat sie das Menschenmögliche, an die Mauer gestellt zu werden, schickte den Machthabern Schimpfverse, bekannte sich in der Verhandlung fälschlich als Mordbrennerin und rief dem Kriegs­gericht zu:Da es scheint, daß jedes Herz, das für die Freiheit schlägt, nur auf ein Stückchen Blei Recht hat, verlange ich mein Teil... Wenn Si? keine Feiglinge sind, töten Sie mach!" Vergebens, es reichte nur zur Deportation nach Neukaledonien . Zwölf Jahre spater, aus dem Bagno zurück­gekehrt, stand sie vor den Pariser Geschworenen unter der Anllage, bei einem Aufmarsch von Ar­beitslosen unter Schwenken einer schwarzen Fahne zur Plünderung von Bäckerläden aufgereizt zy haben. Statt die haltlose Beschuldigung zurückzu­weisen, ereiferte sie sich:Man teilt mir die Rolle der Hauptangeklagten zu. Ich nehme sie an. Ja­wohl, ich bin die einzige Schuldige, ich habe alle meine Freunde fanatisiert, mich muß man tteffen, mich allein!" Diesmal gab es sechs Jahre Zucht­haus, die Louise Michel mit Wollust bis zum letz­ten Tage absitzen wollte; die vorzeitige Begnadi­gung machte sie unglücklich. Glücksgefühl wärmte dafür ihr Herz, als ihr 1888 während eines Vor- ttages in Le Havre ein von Reaktionären aufge­putschter Trunkenbold«ine Revolverkugel in den Kopf schoß. Himmel und Hölle setzte sie in Be­wegung, um den Attentäter der Justiz aus den Fängen zu reißen, aber nicht lange nach ihrer Heilung wählte sie London als Wohnsitz, weil sie fürchtete, man wolle sie in einem Irrenhaus un­schädlich machen, das einzige Märtyrertum, dem sie keinen Geschmack abgewann. Die stets für die Schwachen gegen die Star­ken Partei ergriff, hatte von früh an die Tiere als unterdrückte Kreaturen ins Herz geschlossen. Auf Vroncourt betreute sie eine ganze Menagerie: während der Kommunekämpfe rettete sie unter eigener Leibesgefahr ein Kätzchen aus dichten« Gc- wehrfeuer; auch in ihrer Londoner Wohnung schnurrten Katzen, sttich eine halbblinde Hündin umher, krächzte ein melancholischer kahler Pavngei von seiner Stange:Vive l'Anarchie!" Aber seine Herrin drängte es immer wieder aus ihren vier Wänden hinaus, den gleichen Ruf:Hoch die Anarchie!" in die Massen zu schleudern. Harte die magere alte Jungfer mit der spitzen Nase den, offenen kurzen Haar und den feurigen Augen manchesmal neben Sozialisten wie Guesde, La- fargue und Baillant auf der Rednertribüne ge­standen, so erwartete sie doch bis zum Schluß nur von den Losungen der Bakunin und Kropotkin das Heil und blieb unfähig, mit einer Partei in Reih und Glied zu marschieren. Gefühlsrevolutionärin wie nur je, sprach sie in englischen Meetings für die Zerstörung aller Autorität und malte in Ver­sammlungen auf französischem Boden verzückrle temps ou tous auront du pain",die Zeit, da alle Brot haben". Auf einer dieser Agitattons» reisen starb Louise Michel am 9. Jänner 1905 in Marseille , immerhin ganz bürgerlich im Bett, immerhin nahezu fünfundsiebzig Jahre alt. And dieses, daß sie nicht weit früher auf der Barrikade oder vor dem Standrechtspeloton endete, daß sie um den revolutionären Opfertod geprellt wurde, den sie als Erfüllung ihres Lebens so heiß, so aufrichtig ersehnt hatte, ist wohl die wahre und große Tragik derroten Jungftau".