ZENTRALORGAN DER DEUTSCHEM SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME OES MONTAG TÄGLICH FRÜH, redaktiq« und Verwaltung präg xii fochova«r. telefon sm. Administration Telefon 53074. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG . EhmlfTBis 70 Heller (emschlieBlich 5 Heller Porto) 15. Jahrgang Freitag, 11. Jänner 1935 Nr. 9 Rabb'ner Rulf von Goebbels In dieDeutsche Front** eingeladen I Saarbrücken.(Havas.) Wie die »Volksstimme" meldet, verhandelte der Bevoll­mächtigte der deutschen Regierung König auch mit den Vertretern der jüdischen Bevölke­rung im Saargebirt, insbesondere mit dem Rabbiner Rulf. König habe Rulf er­klärt, er handle im Namen des Reichs- Sropagandaministcrs Goebbels, und habe ihn aufgefordert, in dieDeutsche Front" einzutreten. Rulf habe geantwortet, die Juden würden in dieDeutsche Front" unter der Bedingung eintreten, daß ihnen versprochen werde, daß sie in dem Falle, daß das Saargebiet an Deutschland zurückfiele, nicht beunruhigt wer­den würden. König habe dies zugesagt, habe aber di« Verhandlungen nicht mehr fortgesetzt. Vorwahlbeteiligung weiterhin sehr schwach Saarbrücken . Bisher haben 1034 Wähler, davon 480 in den Spitälern befindliche Kranke, 104 Häftlinge und 360 öffentliche Angestellte, über das künftige Schicksal des Saargebietes ab­gestimmt. Ihre abgegebenen Stimmen werden Pom Plebiszitinspektor in geschloffenen Umschlagen bis zum Sonntag aufbewahrt, an welchem Tag bei dem Skrutinium auch diese Umschläge werden geöffnet werden. Das Ergebnis der ersten drei Abstimmungs­tage, nämlich des 7., 8. und 8. Jänner zeigt, daß die Wahlbeteiligung verhältnismäßig sehr schwach war. Es wurden insgesamt nur 1034 Stimmen abgegeben, obwohl die Zahl der Wähler, die berechtigt waren, schon in diesen Tagen ihre Stimmen abzugeben, 2200 betrug, n. zw. noch ohne die in den Krankenhäusern befindlichen Personen. Rundfunk-Burgfrieden von Deutschland abgelehnt Die Abstimmungskommission hatte sich am Sonntag telegraphisch an den Saarbevollmäch­tigten des deutschen Reichskanzlers und an das französische Ministerium des Aeußern mit dem Ersuchen gewendet, in den letzten Tagen vor der Wahl keine Abstimmungs-Propaganda über die deutschen , beziehungsweise französischen Rund­funksender stattfinden zu lassen. In einem am 10. Jänner von der Kommis­sion empfangenen Brief teilt der Saarbevollmäch­tigte des Reichskanzlers mit, daß er unter Hin­weis auf den Inhalt"der Reden der Herren Pfordt und Braun, die am 6. Jänner über den Straßburger Sender verbreitet wurden, lei­der auf keine Vereinbarung eingehen könne» die zum gegenwärtigen Zeitpunktdie deutschen Sender gleichsam zu Vertragspartnern des Straßburger Senders machen würden". Neutral« Wahlkommissäre eingetroffen Donnerstag abends trafen in Saarbrücken Sonderzüge ein, die 368 Holländer und 300 Schweizer nach der Stadt brachten, die in den Wahlkanzleien den Vorsitz führen werden. D-r Vorsitzende der Plebiszitkommission wird diesen Funktionären heute die notwendigen Weisungen erteilen. Symphonie der Liebe** in Berlin unwillkommen Berlin . Bei der Tonnerstag-Abeudvorfüh- rung des tschechischen Films.Symphonie Ser Liebe" war zwar ein starkes Polizeiauf­gebot erschienen, da man offenbar erlvartet hatte. Saß cs zu irgendwelchen Kundgebungen kommen werde. Die Polizei bekam jedoch nichts zu tun und Sie Vorstellungen wurden in beiden Theatern nicht gestört, Immerhin geht die Meinung dahin, daß der Film nichtzu lange gezeigt werden dürfte, da bisher auf solche Angriffe der national­sozialistischen Presse, wie sie der.Angriff" brachte, meist bald ein Verbot folgte oder eine freiwillige Absetzung vom Spielplan. Englische Einladung von Berlin Keine deutsche Beteiligung an der Saar -Entscheidung Im Völkerbundrat abgelehnt Berli n. Das amtliche Deutsche Nach­richtenbüro meldet: Der englische Botschafter Sir Erie Phipps hat Donnerstag den Reichs­minister des Auswärtigen Freiherr« von Neu­rath aufgesucht und angeregt, daß Deutschland als Ratsmitglied an der bevorstehenden außer­ordentlichen Ratstagung des Völkerbundes teil­nehme, auf derdieEntschließungenüber das Saargebirt auf Grund der Ergebnisse der Abstimmung gefaßt werden sollen. Der Reichsminister hat den Botschafter wissen lassen, daß die Reichsregierung, nachdem sie ihren Austritt aus dem Völkerbund erklärt habe, sich aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in der Lage sähe, dieser Anregung Folge zu geben. Gleichzeitig wnrde der englische Botschafter darauf hingrwiesen, daß Nachrichten hier vor­liegen, wonach die endgültige Entscheidung über das Schicksal des Saargebietes erst in einer späteren Ratstagung erfolgen sollte, daß aber nach Auffassung der Reichsregierung ernste Bedenken dagegen bestünden, dir Entschei­dung über das Schicksal des Taargebietes hinaus- zuzögern, da es insbesondere für die saarländische Wirtschaft schwcaiviegendr Schädigungen mit sich brächte, wenn der ungesunde Zwischenzustand mit all seinen Unsicherheitsfaktoren über das Maß des dringend Notwendigen hinaus verlängert würde. London nicht überrascht London.(Havas.) Die Berliner Meldung, daß die deutsche Reichsregierun rsabgelrhnt habe, ihren Vertreter in den Völkerbundrat zn entsenden, hat an amtlich britischen Stetten nicht überrascht. Die Verantwortung dafür, daß die britische Initiative gescheitert ist, fällt»ächt auf London . In Londoner politischen Stellen ist man der Ansicht, daß die deutsche Regierung durch diese kompromißlose Geste in keiner Weise die Er­öffnung der Verhandlungen betreffend die Ein­schränkung der Rüstungen erleichtere. * An Pariser informierten Stellen wird mit­geteilt, daß die britische Regierung sowohl die fran­zösische als auch die italienische Regierung von dieser ihrer Intervention vorher verständigt !hat. Sicherung gegen Putschgelüste Die internationalen Truppen in Bereitschaft Saarbrücken. (Havas.) Das PolizeiKorps und die internationalen Streitkräfte im Saargebiet sind in jeder Hinsicht vorbereitet, falls diese oder jene Partei am Tage vor dem Plebiszit einen gewaltsamen Umsturz versuchen würde. Vorderhand wurden ab Don­nerstag bis zur Verkündung des Ple- biszitergebniffes sämtliche Versamm­lungen untersagt. Die Führer der Einheitsfront Max Braun und Pfordt teilten der internationalen Presse mit,' daß sie tri der Regierungskommisfion des Saargebietes, bei der Plebiszitkommission und beim Völkerbund eine Intervention unternahmen, damit ihren Anhängern ein wirksamer Schutz gegen die wiederholten Gewalttätigkeiten seitens der Nationalsozialisten zuteil werde. Sie fügten hiirz«, wenn die Bölkerbundstrnppen nicht zu ihrem wirksamen Schutz eingelangt wären, wären sie selbst auf die Straßen gegangen und hätten den status quo bis zu ihren letzten Kräften ver­teidigt. Das Resultat im Rundfunk Die Abstimmungskommission hat grundsätz­lich beschlossen, das Abstimmungsergebnis am Montag abends durch Rundfunk der Welt bekannt zu geben, und zwar durch den Mund des Vor­ sitzenden Rhode . Ilm aber dem Völkerbund nicht vorzugreifen, wird ausdrücklich erklärt werden, daß es sich nicht um das amtliche Wahlergebnis handelt. Voraussichtlich werden bei der etwa 40 ! Minuten dauernden Verkündung des Wahlergeb­nisses sämtliche Telephonverbindungen zwischen dem Saargebiet und der Außenwelt abgeschnitten j werden. Nur herrrelnspaziert, meine Herrschaften, liebe Saarländer , in das modernste, komfortabelste Zuchthaus der Weltl | Mussolinis Krieg Seit einigen Tagen sind die Meldungen über die Kriegshandlungen, zu denen es in Afrika zwischen italienischen Truppen und Abessinien gekommen ist, spärlicher geworden. Die Erklärung dafür wird wohl darin zu finden sein, daß Mus­ solini als Höflichkeitsbeweis für den französischen Außenminister, der eben in Rom zu Besuch>var. > die Weisung zur einstweiligen Einstellung der Gewalthandlungen gegeben haben wird. Denn cs war selbstverständlich, daß bei einer Aussprache zwischen dem französischen Außenminister und Mussolini auch über die i talienischen Ko- lonialpläneinAfrika gesprochen werden würde. Das Ergebnis von Rom bestätigt diese An­nahme, es bestätigt insbesondere, daß das fasci - stische Italien mit besonderem Nachdruck auf die Ausweitung seiner Interessensphäre in Abessinien bedacht ist. Nach den italienischen Meldungen sollte cs Anfang Dezember zu den kriegerischen Zwischen­fällen deswegen gekommen sein, weil die Begleir- mannschast einer englisch -italienischen Grenzkom­mission das Gebiet der englischen Kolonie Soinali- land betreten und die italienischen Kolonialtrup­pen überfallen habe. Die Italiener hätten sich zur Wehr gesetzt und dabei die Abessinier auch aus I abessin n Gebiet verfolgt. Bomben seien aus italier i Flugzeugen nur abgeworfen worden, weil sich in der Nähe der Grenze abessinische Ban­den versammelt und zu einem Vormarsch auf ita- lienisches Gebiet-gerüstet hätten. - Nach dieser Darstellung, hätte also-die abes- j fi»ische Regierung vollkommen unrecht mit ihrer Behauptung, daß sich die Grenzkommission nur auf abessinischem Gebiete bewegt hätte, daß aber italienische Truppen abessinisches Land beseht ge­halten haben. Sie hätte weiter Unrecht, tvenn sie ! sagt, daß die italienischen Truppen bis 100 Kilo- ! Meter weit in Abessinien hinein mit Tanks. Flug­zeugen und anderen modernen Kriegswaffen vor­marschiert seien und verschiedene Orte mit Bomben belegt hätten. Sie kann ihre Behauptungen aller­dings mit ein paar unwiderlegbaren Argumen­ten stützen: mit Blindgängern italienischer Bom­ben, mit dem Hinweis auf das durch Bombenab­würfe zerstörte Gebiet und mit den Opfern, die unter den Abessiniern schon in die Hunderte geben. Selbst wenn diese Tatsachen allein die ita­lienischen Lügendarstellungen nicht genügend er­schüttern sollten, so blieben sie doch unglaubhaft angesichts des Verhaltens Italiens gegenüber den Bemühungen der Regierung von Abessinien, den Konflikt sofort wieder in friedliche Bahnen zu len­ken. Sie hatte unverzüglich den Vorschlag gemacht, das in dem italiensch-abessinischcn Freundschaftsvertrag von 1928 für Streitfälle vorgesehene Schiedsgericht xinzusetzen und den Konflikt untersuchen und bei- legen zu lassen. Italien le h n t e ab. setzte den Krieg fort und drang weiter in das Innere Abessiniens vor. Es zwang damit die Regierung von Abessinien, bei dem Völkerbund Protest da­gegen einzulegen und ihn schließlich zu ersuchen, auf Grund des Artikels 11 die VölterbundSmaschi- nerre zum Schutze des Friedens in Afrika in Be­wegung zu setzen. Nur äußerlich gesehen ähnelt dieser Konflikt dem, den vor einigen Jahren Japan mit keinem gelvaltsamen Einmarsch in die Mandschurei mit China beraufbeschwor. Es ist dabei nur immer wieder auffällig, mit welcher Eisenstirnigkeit die gewalttätigen Imperialisten ihre unzweifelbaste Schuld an dem Beginnen neuen Massenmordens auf die überfallenen Völker abwälzen wollen. Ob­wohl Mussolini viele Male die uferlosen Phanta­sien eines gewaltigen italienischen Kolonialreiches in Afrika vorgetragen hat, obwohl die Eroberung neuer Gebiete zu einem wichtigen Bestandteil des fascistischen Programms seit Anbeginn gehört, soll die Welt jetzt glauben, daß nicht das zum Opfer ausgesuchte Land, sondern das arme fascistjsche Italien der Angegriffene ist. Man muß vollkommen klar sehen: m i t dem Angriff auf Abessinien, des­sen Bevölkerungszahl beinah.' ebenso groß ist, wie die der Ticke- ch o slowakischen Republik, sollen die langgehegten Kolonialpläne der italienischen Nationalisten ihrem Ziele ein großes Stück näher gebracht werden. Die geschichtliche Entwicklung Italiens bedingte eS, daß es erst an