Sette 2 Freitag, 11. Winner 193k> Nr. S Alle und alles für die Freiheit! An die Arbeiter aller Länderi An alle Demokraten, an alle freiheitlich Gesinnten I Außenminister der Kleinen Entente! in Laibach Belgrad.(Havas.) Außenminister I e v t i i ist Donnerstag nach Laibach abgereist, wo er mit den Ministern Dr. Benes   und Titulescu  zusammentrifft. Die drei Außenminister der Klei­ nen Entente   werden voraussichtlich am Laibacher Bahnhofe zusammenkommen. Ihre Unterredung wird sich auf das Ergebnis der Reise Lavals nach Rom   und die Untersuchungen betreffend die unga­rische Verantwortlichkeit für das Marseiller  Attentat beziehen. den Erwerb von Kolonien denken konnte, als aUe hiefür in Betracht kommenden irgendwie wert­vollen Gebiete und Länder von anderen Mächten schon in Besitz genommen waren. Tunis  , das die Italiener wegen seiner Nähe und der geleisteten Kolonisierungsarbeit schon als italienische Kolo­nie sahen, wurde ihnen von Frankreich   wegge­schnappt. Italien   mußte sich mit dem Wüstenge­biet von L y b i e n und zwei nicht erheblich gün­stigeren Streifen an der Ostküste Afrikas   begnü­gen, mit Eritrea   und Somaliland  . Diese Kolonien sind für das Land eine Belastung. Es ist weder daran zu denken, aus ihnen in grö­ßeren Mengen Rohstoffe zu beziehen, noch sie als Aufnahmegebiet für die überschüssige Bevölkerung zu verwenden, noch zu ertragreichen Handelsbezie­hungen zu kommen. Aber Eritrea   und Somali­ land  , die bei einer Bevölkerung von etwa 1,600.000 nur etwa 6000 Italiener aufweisen, grenzen beide an Abessinien an. Ihre Bedeutung für Italien   erhalten sie als A u s f a l l t o r gegen das große afrikanische Reich, das sich bisher als einziges in Afrika  wenigstens formell seine politische Unabhängig­keit erhalten konnte. Der Kampf der Großmächte um die Interessensphären in diesem Lande tobt seit langem sehr heftig, aber Versuche, es militä­risch zu unterwerfen, haben vorher England und später schon einmal Italien   mit schweren Nieder­lagen bezahlen müssen. So haben sie sich nachher auf die»zivilisatorische" Durchdringung be­schränkt, an der sich neuerdings auch I a p a n be­teiligt. Es hat große Gebiete des Landes gepach­tet und versucht Baumwollkulturen anzupflan­zen und Japaner anzusiedeln. Nachdem die imperialistischen Pläne Musso­linis auf dem Balkan   auf zu hartnäckigen Wider­stand gestoßen sind und in Albanien   zu zerrinnen drohen, scheint der italienische Fascismus den Augenblick für günstig zu halten, einen kraft­vollen Schritt zur Verwirklichung des afrikanischen Kolonialreiches zu wagen. Ob dabei ein paar hun­dert aber einige tausend Menschen ihr Leben las­sen müssen und weite Gebiete mit Orten zerstört werden, ist den italienischen Fascisten und Im­perialisten gleichgültig. Sie wähnen den Völker­bund innerlich zu uneinig und zu schwach und hof­fen darum, das Verbrechen ungehindert und un­gestraft begehen zu können. Selbst wenn nach der französisch  -italienischen Verständigung der italie­nische Vormarsch in Abessinien vorläufig abge­stoppt werden sollte, so haben sich die Imperia­listen mit dem neubesetzten Gebiet doch in den Be­sitz günstigerer Ausfallsstellungen gebracht und haben außerdem mit ihrer Beteiligung an der französisch-abessinischen Bahn ihre Position für weiteres Eindringen in Abessinien gestärkt. Bei der Sprunghaftigkeit der fascistjschen Diktatoren, bei der Unkontrollierbarkeit ihrer poli­tischen Pläne sieht sich das italienische Voll dauernd der Gefahr eines neuen opferreichen Kolonialkrieges ausgesetzt. Der Kampf zwischen Demokratie und Fascis­mus ist in eine neue, vielleicht für lange Zett ausschlaggebende Phase getreten. Niemand kann sich dem Gefühl verschließen, daß die allernächsten Jahre über das Schicksal des europäischen   Kon­tinents entscheiden werden. In den Ländern der Demokratie muß alles daran gesetzt werden, um die Freiheitsrechte des Volles zu behaupten und zu verteidigen. Auf die Dauer wird die Demokra- tie nur siegreich bleiben, wenn es gelingt, dem Gedanken der Freiheit in den jetzt fascistischen Ländern aufs neue Geltung zu verschaffen. Das Jahr 1934 hat in einer ganzen Anzahl von Ländern neue Vorstöße des Fascismus ge­bracht. In Deutschland   und in Italien  hält die Dittatur mit dem furchtbarsten Terror die Freiheitsregungen ihrer Untertanen nieder. Der unterirdische Kampf der Arbetter gegen den Fascismus, der einzige, der ihnen möglich ist, for­dert immer neue Opfer. In Oesterreich   hat die blutige Feber­schlacht den llerikalen Austro-Fascismus an die Macht geführt. In einer großartigen Hilfsaktion hat die internationale Arbeiterklasse durch den In­ternationalen Gewerkschaftsbund und die Soziali­stische Arbeiter-Internationale den Opfern der Kämpfe Hilfe gebracht. Aber so gewaltig und groß- artig diese Anstrengung der Solidarttät gewesen, noch immer sind neue Mittel notwendig, um die Familien der Opfer zu unterstützen und den Tap­feren, die sich nun zu neuer Aktion in Oesterreich  gesammelt haben, und ständig von Kerker und Konzentrationslager bedroht sind, beizustehen. In L e t t l a n d hat der Staatsstreich vom 15. Mai die führenden Männer der Arbeiterbe­wegung ihrer Freiheit beraubt. Hunderte sind noch in Konzentrationslagern. Das Kriegsgericht, das das Licht der Oeffentlichkeit scheut, verhängt schwere Kerkerstrafen auf Grund von Anklagen, deren Verlogenheit handgreiflich zu Tage liegt. Die Familien der Eingekerkerten sind in Not, sie bedürfen der solidarischen Hilfe. Aber noch unvergleichlich größer ist die Zahl der Opfer in Spanien  . Der große Oktober- Aufstand gegen den drohenden Kleriko-Fascismus wurde von der Reaktion in Blut erstickt. In Madrid   allein zählt man wenigstens 50 Tote, die Kommune von Asturien   beklagt weit mehr als 3000 Todesopfer, die den Kanonen der Kriegs­schiffe und den Bomben der Flugzeuge, dem Ge­metzel der spanischen   Kolonialtruppen zum Opfer gefallen sind. Die Gefangenen zählen nach Zehn­tausenden, ohne zede konkrete Anschuldigung wer­den Massen in die Konzentrationslager geworfen, in denen schon die Ueberfüllung die schwersten physischen Qualen hervorrust. Tausende und Abertausende Familien sind des Ernährers be­raubt, dem Hunger ausgeliefert. Noch niemals trat die Notwendigkeit inter­nationaler Solidarität fiir so viele Länder zu glei­cher Zeit auf, noch niemals war die Notwendig­keit für eine große Hilfeleistung so dringend. Der Internationale Gewerkschaftsbund   und die Sozialistische Arbeiter-Internationale haben in gemeinsamer Tagung die Lage in den verschie­denen Ländern des Fascismus und der Diktatur eingehend beraten. Die Mittel der zentralen ge­werkschaftlichen und sozialistischen Organisatio ­nen in den einzelnen Ländern reichen bei weitem nicht aus, um das zu tun, was getan werden muß. Eine Sammlung in weit größe­rem Umfang als jemals früher i st notwendig. Der Matteotti  -Fonds des I G. B. und der S. A. I., ursprünglich gegrün­det, um den Opfern des italienischen Fascismus zu Hilfe zu kommen, hat im Laufe der Jahre als Zentralinstitution und daneben durch seine Unter­komitees in einzelnen Ländern weit über vier Millionen französische Franken für die Länder ohne Demokratie aufgebracht. Als besondere Ak­tion, aber in gleichem Geiste, wurden die Hilfs­akttonen für Oesterreich organisiert, für die der I. G. B. über 6.5 Millionen französische Fran­ken, die S. A. I. über eine Million französi­scher Franken aufgebracht hat. Der Matteottt- Fonds hat im Jahre 1930-31 eine große Aktion für die Opfer der Pilsudfti-Diktatur, im Jahre 1933 für die Opfer der Hitler-Diktatur durchge­führt. Es wurde beschlosien, dem internattonalen Charakter, den dieser Fonds stets hatte, auch im Namen Rechnung zu tragen. Er soll künftig hei­ßen: Internationaler Solidaritäts-Fonds des I. G. B. und der S. A. I. für die Länder de- Demokratie(Matteottt-Fonds). Wir rufen alle Freiheitsliebenden, alle die internationales Solidaritätsgefühl besitzen, auf, ihr Teil dazu beizutragen, damit der Fonds in die Lage versetzt wird, unverzüglich und ausreichend Hilfe zu leisten. Jede Gabe ist willkommen. Not­wendig ist die großzügige Organisation der Sammlung für den Internationalen Solidaritätsfonds in allen Län­dern. Einzelspenden und Sammlungsergebnisie sind einzusenden mit dem Vermerk»Interna­tionaler Solidaritäts-Fonds" an folgende Adresie: Internationaler Gewerk- schastsbund Paris  (7e) 9, Avenue d'Orsay, oder direkt auf das Konto Nr. 834 des Credit Lyonnais (Agence Z S) Paris  (7e) 2bis, Avenue Bosquet j Bosquet  . Die Männer und Frauen, die für unser ge­meinsames Ideal, für die Freiheit gekämpft haben und weiter kämpfen, dürfen nicht schutzlos bleiben. Aus der Hölle des Fascismus, aus den Kerkern der Diktatur ertönt der Appell an die internatio- nale Solidarität. Er darf nicht«ngehört verhallen. Arbeiter, Demokraten, auftechte Männer aller Linder, euer aller Pflicht ist es, Hilfe zu leisten! Pari« und Z ü r i ch, im Jänner 1885. Walter M. Citrine, Vorsitzender des I. G. B. Emile Bandervelde, Vorsitzender der S. A. I. Walter Schevenels, Generalsekretär des I. G. B. Friedrich Adler  , Sekretär der S. A. I. Leon Jouhaux  , Vorsitzender der C. G. T  .' Frankreichs. Paul Faure  , Sekretär der Sozialistischen Partei (S. F. I. O.). Corn. Mertens, Generalsekretär der Commission Syndicale Belgiens  . Joseph Ban Roosbroeck» Kassier der S. A. I. H. Jacobsen, Kassier der Gewerkschaften Dänemarks  . Alsing Andersen  / Sekretär der Sozialdemokratischen Par­tei Dänemarks  . Marttn Meister, Sekretär des Schweiz  . Gewerkschaftsbundes. Robert Grimm  , Schweiz  . Sozialdemokratische Partei. E. Kupers, Vorsitzender des Niederländischen   Gewerkschafts ­bundes. I. W. Albarda, Vorsitzender der Parla­mentsfraktion der Soz. Partei Hollands  . Edvard Johanson  » Vorsitzender des Schwedischen   Gewerk- schastsbundes. Rickard Lindstrom  , Sozialdemokra­tische Partei Schwedens. R. Taverle, General­sekretär des Gewerkschastsbundes der Tschecho­ slowakei  . Antonin Hampl  , Vorsitzender der Sozial, demokratischen Partei der Tschechoslowakei  . W. Kran, Vorsitzender des Britischen   Gewerkschafts­bundes. W. A. Robinson, Vorsitzender der Arbei­terpartei Großbritanniens  . George Lansbury  , Vorsitzender der Parlamentsfraktion der Arbeiter­partei Großbritanniens  . James Middleton, Sekre­tär der Arbeiterpartei Großbritanniens  . L<on Blum, Vorsitzender der Parlamensftaktton der Sozialistischen Partei Frankreichs  . Siegfried Taub  , Sekretär der Deutschen Sozialdemokrati­schen Arbeiterpartei der Tschechoslowakei  . Louis de Brouckere  , Vorsitzender der Kommission für die Untersuchung der Lage der politischen Gefangenen. Kunschak   buhlt um die sozialdemokratischen Arbeiter Wien  . In einer Versammlung in Ottakring  sprach Stadttat Kunschak über die politische Lage und erklärte u. a., es wäre ungerecht, der Re­gierung oder dem toten Bundeskanzler Dr. Doll­ fuß   einen Vorwurf zu machen, daß sie die Dinge zu den Ereignissen im Feber geführt hätten. ES wäre aber ebenso ungerecht zu sagen, daß die so- zialdemottatischen Massen es gewollt hätten, daß es zu einem Zusammenstoß komme. Gewollt wurde dieser von keiner Seite. Es muß bei die­ser Gelegenheit auf die Tatsache verwiesen wer­den, daß in der großen entscheidenden Ber- ttauensmännerkonferenz 51 Prozent der Stim­men für den Generalstreik und 49 Prozent der Stimmen dagegen abgegeben wurden. Einen Generalstreik durste man aber nicht mit einer Stimme Mehrheit machen. Ich möchte aber doch einen Unterschied machen zwischen den Feber- und den Juli-Ereignissen. Im Feber haben Men­schen den Kampf ausgenommen; im Glauben an ihre Ideale haben sie sich in die Bresche gestellt und haben geglaubt, für ihren Stand zu kämpfen. Und vor einem solchen Kampf darf man,.wenn man ihn gerecht beurteilt, Respekt haben. Ich bin überzeugt, daß sich sehr bald ein Finden und ein Zusammenarbetten mit den sozialdemokra­tischen Brüdern im Dienste unseres Standes, unseres Volkes und unseres Vaterlandes ergeben konnte. Prozeß um die Goldklausel Washington. Vor dem Oberbundesgericht begann am Mittwoch der erste von fünf Pro­zessen, in denen die Verfassungsmäßigkeit del Entschließung deS Kongresses vvM'Juni 19'33 angefochten wird, die die Goldklausel in den Schuldverschreibungen(Bonds, Hypotheken, Ver- ttagsurkunden usw.) aufhebt. Im heutigen Pro­zeß llagt der Inhaber eines Bons der Baltimore» Ohio-Eisenbahn, der die Goldklausel enthält, auf Auszahlung von 38.10 Dollars gegenwärtiger Währung auf einen Zinsschein von 22 Golddollar. Der Generalstaatsanwalt Chummings machte geltend, daß der Kongreß berechtigt sei, Zah­lungen in Gold zu verbieten. Sollte das Gericht zugunsten deS Klägers entscheiden, so würden bei einem Gesamtbetrag von etwa 100 Milliarden Dollars, die mit der Goldklausel in Obligationen Angelegt sind, die Kapital- und Zinszahlungen um etwa 69 Milliarden Dollars erhöht werden. Copyright by Pressedienst B. Prager-Verlag, Wien  Sie sehnte sich nach einem Stückchen Leben ohne Komödie und ohne Scham. Einmal erwar­tete"er sie; sie schickte Germaine geflissentlich um ihren vergessenen Pelzkragen in den Probensaal und fuhr mit Lucien eilends fort; zwei Menschen ohne Gewissen. Germaine kam mit dem Pelz. Ratlos stand sie nun da. Babiolas Parfum stach ihr das erstemal aufdringlich und widerlich in die Nase. Sie fuhren in Babiolas neuem Wagen. Ba- biola sagte Lucien offen, daß in ihrer Wohnung ein Abendessen auf sie warte. Sie saßen im Speisezimmer. Bahiola zog die dichten Vorhänge vor, damit kein Lichtschein der Gasse verrate, daß sie zu Hause sei. Sie brannte in Erwartung kommender Dinge. Im Grunde war es peinlich, wie wenig sie einander zu sagen hatten. Babiola bot an:»So nehmen sie doch, Lucien." Sie kam sich in diesem Augenblicke selbst widerlich vor und fühlte eine Aehnlichleit mit Germaine. Plötzlich dachte sie: warum sitzt dieser fremde, gleichgültige Mensch eigentlich hier? Schon jetzt fürchtete sie die Enttäuschung. Beim Eis fiel ihr ein, daß sie sich eigentlich wie eine Dirne benehme. »Herr Lucien, was wollen Sie eigentlich hier?" Er war verblüfft und stotterte die einzig mögliche Antwort: Sie haben mich doch eingeladen, Made­moiselle Cloture." »Aber Sie haben diese Einladung heraus­gefordert." Sie sah so ernst aus, daß er zu essen aufhörte. »Sie sollen sehr hübsche Kinder haben", Herr Lucien." Er war es offenbar nicht gewöhnt, sich seiner Kinder an fremden Tischen zu erinnern; er ant­wortete nicht. Warum wollen Sie außer Ihrer Frau jetzt auch Germaine betrügen?" Lucien erhob sich. Sie haben seltsame Launen, Mademoiselle Cloture  . Gestatten Sie, daß ich gehe." Sie fühlte eine kraftlose Oede in allen Glie­dern. Im Nebenzimmer wartete die Tinte und? ein neues, eben begonnenes Buch; vor den Fen­stern lauerten die Ansprüche der ganzen, großen Stadt. Sie waren beiVagabond" zu Gaste. Nicht bei Babiola Cloture." Sie reichte ihm einige Blu­men aus der Vase, die auf dem Tische stand. Lucien verbeugte sich und ging. Am folgenden Tage sagte sie zu Germaine: Ich danke dir für den Pelz. Lucien wird dich heute abholen. Ich habe ihn dir gestern für zehn Minuten entführt. Er bat mich, ihn bei dir zu entschuldigen." Germaine brach in Tränen aus:wenn er nur wiederkommt ich dachte, daß" Heule nicht; du hast keinen Grund dazu." Sie war froh, Germaine offen in die Augen sehen zu können. Und damit du weißt, wovon wir sprachen: ihr müßt aufhören, einander in Hotels zu tref­fen. Die Ehre zweier Frauen steht auf dem Spie. Felicien mutz für euch eine kleine Wohnung su­chen." Germaine konnte vor Glück nicht sprechen. Felicien erhielt am gleichen Tage einen Brief: ich habe in deinem Namen versprochen, du würdest fiir diese beiden Narren einen geeigneten Unterschlupf finden. Die Liebe ist angeblich eine> große Sache, Felicien. Ihre Diener sollen es gut haben. Lucien war kühl und ständig zerstreut. Als ihm Germaine mitteilte, daß ihnen Babiola eine eigene, kleine Wohnung versprochen habe, wurde er brennend rot. Er ärgerte sich, weil sie das an­genommen hatte. Sie hatte gedacht, er habe doch mit Babiola selbst darüber gesprochen. Nun war er ganz verwirrt. Eine ganze Woche blieb Germaine allein. Lucien entschuldigte sich schriftlich: er war erkältet. Babiola lud sie nicht ein. Verweint und erschreckt irrte sie durch die Gassen, in denen sie ihm zu be­gegnen hoffte. In Lucien aber brannte eine un­glückselige Liebe zu Babiola. Babiola gab ein Gastspiel in der Provinz und blieb eine Woche Paris   fern. Lucien nahm Ger­maine wieder in Gnaden auf. Sie saßen in einem Gartenrestaurant und aßen ein einfaches Abendbrot. Es war Herbst und der Park duftete nach verwesenden Blättern. Die feuchte Luft kroch über den Gartentisch und löste Germaines Locken. Sie war unsäglich dankbar, weil sie sah, daß er ihrer begehrte. Rings um sie vereinigte geheime Liebe einige Pärchen. Hier vor der Stadt war man sicher. Der Student ne­benan küßte eine Frau, die älter war, als er. Einige Tische weiter saßen zwei Dreißigjährige, ermüdet durch eine lange Liebe, für die sie kein Ende finden konnten; sie schwiegen und die Feuch­tigkeit kroch über ihr Gesicht und in ihre Gedanken. Luzien bezahlte und Germaine hatte nicht den " ut, zu fragen, wohin sie gehen wollten. Sie Mhm sein Tun wie ein unabänderliches Urteil auf. Sie fuhren; sie schmiegte sich im Auto eng an ihn, erfüllt von einem verzweifelten und bedrohtem Glück. Er schwieg und sah starr vor sich hin. In der Dämmerung erschien sein Gesicht wie aus Stein gemeißelt. Die Lichter der Häuser und La­ternen huschen darüber hin. Bor einem Hotel, nicht dem allgewohnten, vor einem fremden Hotel hielt der Wagen. Lucien zahlte. Demütig ging sie hinter ihm her. Das Hotel stand in einem Seitengäßchen und hatte ein enges Treppenhaus. Im Zimmer prangte ein ewig offenes Bett. Die rote Tapete mit blassen Ringen und eine Zweifrankenvase mit Engels­köpfen sollten Stimmung machen. Ober dem Bett hing das Bild eines Mädckiens mit offenem Haar aus der Zeit der Oeldrucke. So lange diente die­ses Stundenhotel schon der Liebe. Alles war vorbereitet; die Vorhänge waren zugezogen. Sonst pflegte Lucien Germaine zu küssen, um sie die häßliche Umgebung vergessen zu macken. Er summte eine Melodie. Dann legte er sich äuf's Bett und rief: Germaine!" Das klang, wie wenn man ein Hündchen zum spielen ruft. Mit gläsernen Augen starrte sie ihn an und wußte: alles ist vorbei. Er hatte ihr lange kein Zusammensein geschenkt und jetzt sah sie: es ist vorbei. Er hatte sie nur deshalb hierher ge­bracht, weil es ihm peinlich war, nach so vielen Jahren einfach zu sagen: geh nach Haus; es ist nichts mehr. Tränen fielen auf ihre Hände. Sie wußte, was sie nie und nimmer glauben wollte: das letzte Mal... Sie las es aus der Starrheit sei­nes Körpers, aus seiner Gedankenversunkenheit, daß er weit von ihr entfernt war, daß seine Sinne nicht mehr für sie sprachen. Es fiel ihr ein, wie sich jetzt ihr Leben weitergestalten werde, wie die Tage ohne ihn sein könnten und wie furchtbar ein Le­ben ohne Hoffnung ist... Komm, Germaine." Ich komme schon." Sie ging zu ihm mit zögernden Schritten. Ratlos setzte sie sich auf die Bettkante und ihre Hände fielen müde in ihren Schoß. Tann   sagte sie mit müder, hoffnungsloser Stimme: Es ist fürchterlich." (Fortsetzung folgt.)