Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI

IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

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15. Jahrgang

Mittwoch, 30. Jänner 1935

Nr. 25

Ein Hilferuf der Geschwister Hitlers Drang nach dem Osten Hilgenreiner startet

Matthias Rakosis

Verhütet einen Mord!

Molotow: Sowjetrußland wird daraus die Konsequenzen ziehen! zum Wahlkampf

Wir erhielten Dienstag ein Tele Boltsfommissäre der Sowjetunion Molotow Moskau. Der Vorsitzende des Rates der gramm aus Moskau , in dem die Brüder berichtete auf dem kommunistischen Parteifongres Matthias Rakosis, Franz und Zoltan über die Bilanz der Außenpolitik der Sowjets feit Rakosi , die Hilfe der Welt- Deffentlich dem im März 1931 abgehaltenen Kongreß. Er keit für ihren Bruder anrufen, der vor stellte dar, welche Anstrengungen die Sowjetunion dem Budapester Ausnahmsgericht etappenweise für die Erhaltung des Friedens ſteht und dem die Horthy- Diktatur unternommen hat, und gab eine Uebersicht der offensichtlich ein furchtbares Schicksal diplomatischen Beziehungen zu den wichtigsten zugedacht hat.

In dem Telegramm wird ange­führt, daß R akosi durch Disziplinar strafen je de Möglichkeit der Verteidigung genommen ist und daß man ihm dauernd das Wort entzieht. Eine Schwester des Ange. klagten wurde zum Prozeß nicht zuge laffen, eine zweite aus dem Saal ver­wiesen.

Die ganze Prozeßführung, an sich schon rechtswidrig und eine Kultur­schande, deutet darauf hin, daß die blutbefleckten Henker, die Ungarn re­gieren, ein neues Erempel statuieren und einen Justizmord begehen wollen. Es liegt an dem zivilisierten Europa , seine Stimme laut werden zu laffen, um die magharischen Henker. Ravaliere an der Vollendung ihrer verbrecherischen Absicht zu hindern!

Arbeitszeitverkürzung

auch in Frankreich ?

Ländern.

Ueber Deutschland sagte Molotow: Man kann die Augen nicht vor den Aenderun gen verschließen, die in den Beziehungen zu Deutschland Tatsachen geworden sind, als der

Sowjetunion und zum Ostpaktprojekt erklären. Die Deutsche Presse" behauptet in ihrer Auf diesen Umstand werden wir Rücksicht nehmen Ausgabe vom 29. Jänner, daß sich im deutschen und daraus für uns die Kon- Lager ein ,, besonderes politisches Interesse" der sequenzen ableiten. christlich sozialen Partei zuivende, und zwar, ohne daß sie sich darum bemüht hätte. Bezüglich Japan 3 erklärte Molotow Daran ist richtig, daß in verschiedenen Kombina unter anderem:

Wir haben keinen Grund, uns über triebenen Hoffnungen hinzugeben. Die An­griffs- und Kriegselemente werden die Waffen nicht niederlegen. Von einem Krieg gegen die Sowjetunion wird in Japan bereits längere Zeit offen gesprochen und bisher ist kein Anzeichen zu sehen, daß diese Agitation eine Abschwächung er­

Nationalsozialismus zur Macht gelangt ist. Wir fahren würde. hatten und haben keinen anderen Wunsch, als

weiterhin gute Beziehungen zu Deutschland zu Rote Armee verstärkt

haben. In die Beziehungen der Union zu Deutsch­ land haben sich jedoch in der letzten Zeit ernste Schwierigkeiten angehäuft.

Molotow zitierte hierauf aus Hitlers Buch ,, Mein Kampf " seinen Ausspruch über Rußland tet werde. Molotow stellte die Frage, ob noch immer

neuen Ausgaben sehr stark in Deutschland verbrei­tet werde. Molotof stellte die Frage, ob noch immer Hitlers Ausspruch von der Notwendigkeit des Ueberganges zur Bolitik der territorialen Eroberungen in Oftenrosa und der Ausspruch, daß, wenn die Nationalsozialisten von neuen Gebieten in Europa fprechen, fie in erster Reihe Rußland und die R and sta a ten im Sinne haben, in Geltung bleibe. Diese Aussprüche Hitlers , führte Molotow weiter ans, bleiben offenfimtlich in Gel­tung, denn nur so können wir vieles aus dem hentigen Verhältnis der deutschen Regierung zur

Schließlich wandte Molotow in seiner Darlegung seine Aufmerksamkeit auch den Fra­gen der Verteidigung zu:

tionen, bei dem Mandatsschacher der bürgerlichen Parteien und in den Kommentaren der Provinz­presse über die sudetendeutsche Tragikomödie die christlichsoziale Partei oft genannt wird. Unrichtig ist, daß sie selbst nichts dazu getan hätte. Ganz im Gegenteil: mit der Rührigkeit eines Goebbels bemüht, die Aufmerksamkeit von allen anderen ab­ist der christlichsoziale Parteivorsißende seit Wochen und auf sich und seine Partei zu lenken. Es ges

schieht auf Kosten des Restes von politischer Seriosität, über den die Christlichsoziale Partei nach der Ministerschaft Mahr- Hartings und der folgenden Oppositionsära Hilgenreiners noch ver­fügte, aber das scheint Herrn Hilgenreiner nichts auszumachen. Es ist auch nicht der Vorteil der Unabhängigkeit", dessen sich die Christlichsozialen erfreuen, wie die Deutsche Sucht, sich um jeden Preis in das politische Kräfte­Presse" glaubt, sondern es ist die krampfhafte

Es war notwendig, an eine verlässliche Ver­teidigung zu denken und in den letzten Jahren wurden entsprechende Befestigungsmaßnahmen an der West- und Ostgrenze durchgeführt. Die Sow- spiel einzuschalten. ietslotte wurde vermehrt, insbesondere wurden Der Wah I fa mpf oird geführt Untersee boote eingereiht. Die Tapfer - werden zwischen Henle in, als dem feit der Artillerie der Tanks und des Fliegertorps Treuhänder des deutschen Fascismus, dem Stell­wächst. Die mechanische Ausrüstung der Armee vertreter Hitlers auf böhmischer Erde, und der feit dem letzten Rätekongreß ist gewachsen. Wir deutschen Sozialdemokratie. mußten auch den z a h Ienmäßigen Stand der roten Armee erhöhen. Das alles war weder leicht noch billig. Unser Budget zur Erhaltung der roten Armee und der Verteidigung ist in der letz­ten Zeit stark gewachsen.

Edith Kersbach noch in Böhmen ?

Paris . Der Ministerrat traf einige Ent­scheidungen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Wendung im Mordfall Formis U. a. soll es den Staatsangestellten verboten werden, neben ihrer staatlichen Anstellung einer privaten entgeltlichen Beschäftigung nachzugehen. An diejenigen Arbeitgeber, die Arbeitslose anftel­len, werden Prämien in der Höhe eines be­stimmten Prozentsatzes der Arbeitslosenunterstüt­zung ausgezahlt werden, die den eingestellten Ar­beitern vor ihrer Anstellung ausgezahlt wurde.

Weiters wurde über die Her abschung der Arbeitszeit in Berufszweigen und Gebieten beraten, in denen die Mehrzahl der Ar­beitgeber eine kürzere als die achtstündige Ar­beitszeit gutheißen.

Belgische Arbeitslose beim König

Brüffel.( Havas.) Der König der Bel­gier empfing am Dienstag eine Delegation der Arbeitslosen unter Führung Vanderveldes.

Tumulte im Unterhaus

Scharfe Worte gegen Macdonald

London. Das Unterhaus verhandelte Mon­tag abends über die Forderung der Regierung nach Bewilligung eines Zusatzkredits in der Höhe bon 5 Millionen Pfund Sterling, mit denen ein neuer Hilfsfonds für jene Arbeitslosen gespeist werden soll, die keinen Anspruch auf Erwerbslo­jenunterstützung besigen und bisher auf die öffentliche Wohltätigkeit angewiesen waren.

Im Verlaufe der Debatte bezeichnete der Anhänger des linken Flügels der Labourparty Buch an an diese Aushilfe als ungenügend und

Sensationelle Angaben eines Lobositzer Wachmannes

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,, A- Zet" berichtet über die Aussagen des Lobositer Wachmanns Hermann Böhm , die, wenn sie sich nicht als Irrtum herausstellen, die Ereignisse nach dem Mord in neues Licht stellen. Böhm sagt ans, daß er am 13. Jänner einem reichsdeutschen Wagen mit der Erkennungs­marke I 48259 also dem Auto der Mörder- den Weg nach Prag gewiesen habe. Im Wagen saßen damals zwei Männer und eine blonde Frau. Böhm merkte sich die Nummer, da er sich für Automarken interessiert und niemals vorher eine solche Erkennungsmarke gesehen hatte. Am 24. Jänner passierte dasselbe Auto die Stadt Lobosit. Wieder erkundigten sich die Fahrer bei Böhm nach dem Weg, diesmal aber nach der Straße nach Aufsig. Sie lehnten es ab, den Weg über Teplik zu nehmen, wie Böhm ihnen riet. Diesmal saßen im Wagen nur die beiden Männer, nicht mehr die Frau.

Hier ist die entscheidende Front des Ringens, das noch in diesem Jahre ausgetragen wird. Kommt es zu einem völligen Bruch zwischen den Agrariern und der SHF, so wird die Front eine Verlänge rung gegen das Land zu erfahren. Damit sind die Hauptprobleme des Wahlkampfes und der Wahl­entscheidung erschöpft. Was zwischen den Fronten steht, was sich mit dem Vorteil der Unabhän gigkeit im politischen Niemandsland herum­treibt, hat die beste Chance, allseits abzufallen und die Rechnung zu bezahlen.

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Die Christlich sozialen sind in der unangenehmen Lage, z wischen den Fronten und heute schon im Kreuzfeuer beider Lager zu stehen. Sie haben von 1926-1929 Regierungspolitik gemacht, wer soll also ihrer grundsätzlichen Opposition, ihrer natio­nalen Kompromißlosigkeit Glauben schenken? Sie waren unter den ersten, die den Aufstieg Hitlers zur Macht als Zeitenwende und Wiedergeburt der deutschen Nation begrüßten, waren aber nicht fonsequent genug, dem braunen Gangster- Regime auch die Katholiken nachzusehen, die ob ihres Katholizismus über die Klinge springen mußten. Wollte man sie aber auf die Ablehnung der braunen Mordsitten festlegen, so entschlüpften fie mit dem Hinweis, daß es in Rußland im Grunde schlimmer sei, und daß der braune Terror, so weit er die Roten trifft, auch von ihnen freudig gebilligt wird. Da sie gegen eingetretene Nieren, zerfekte Frauenrüden, ausgeschlagene Augen und gegen jegliche Bestialität des Dritten Reiches aus ihrem christlichen Gewissen im allgemeinen nichts, sondern nur im besonderen Falle das einzu­wenden hatten, daß die Betroffenen gute Katho­lifen waren, da sie in einem Atem für Hitler und gegen ihn waren wer sollte sich von solcher ,, Unabhängigkeit" imponieren lassen?! Kaum hatten sie dem Dritten Reich falbungsvolles Lob gespendet, zwangen sie die österreichischen Vorfälle, gegen die Urheber des Dollfuß - Attentats Stellung zu nehmen. Nun sind aber alle echten Hitlerianer, die Henleinleute vor allem, im Punkt Oesterreich überempfindlich. Ein Wort zugunsten der weiß­bergrünen Stonkurrenz des braunen Gangstertums eingelegt, erledigt in den Augen der echten Nazi jeden halbschlächtigen Mitläufer. So gelten die

Die Annahme der Polizei, daß bei der Schießerei im Hotel die Kersbach verwun= det wurde, würde sich demnach bestätigen. Die Aussage Böhms wirft aber ein neues Problem auf. Wo blieb Edith Kersbach? Wurde sie bei Helfershelfern in der Tschechoslowakei ver­borgen oder ließ man sie unterwegs irgendwo liegen, nachdem sie ihrer Verwundung erlegen war? Oder wurde sie von Schubert und Müller ermordet, um den beiden beim Ueberschreiten der Grenze nicht hinderlich zu sein? Es wird nicht leicht sein, diese Fragen zu klären, jeden­falls muß die Polizei entlang des Weges, welchen die Mörder nahmen, genaue Nachforschungen anstellen.

Auffallend ist, daß Böhm seine Beobachtungen erst Dienstag meldete. Er erklärt es damit, daß er die Beschreibung des Autos erst an diesem Tage aus den Zeitungen erfahren habe. Diese aus dem Munde eines Wachmannes bedenklich klingende Aussage wird hoffentlich die Polizei­behörden zur Mitteilung veranlassen, was unternommen wurde, um den eventuellen Aufenthalt der Mörder auf ihrem Wege zur Grenze festzustellen. Wenn es möglich ist, daß ein Wachmann in Lobosit, also direkt auf dem normalen Wege zur Grenze, vier Tage nach dem Mord die Num­mer des Autos nicht kennt, so liegt zweifellos eine schwere Unterlassung der Polizei vor.

Verhaftet und ausgewiesen

Die Prager Polizei verhaftete einen gewissen fritisierte in scharfen Worten den Premiermini- ildebrand, der nach seinen Angaben aus ster Macdonald, von welchem er sagte, man sollte Deutschland fliehen mußte, weil er aus der ihn auspeitschen und aus

tun gehabt haben sollte, doch Spikeldienste für das Dritte Reich leisten sollte. Hildebrand wurde ber­hört und aus der Republik ausgewiesen.

Elne Zeugin des Mordes?

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dem NSDAP ausgeschlossen und auf die schwarze Liste Verschiedene tschechische Blätter behaupten, Christlichsozialen den echtblütigen Nazis als öffentlichen Leben davonjagen." gefeßt worden war. In der Tschechoslowakei be- daß der Mord an Formis eine Zeugin gehabt habe. Waschlappen und Parteigänger der landesver= Als ein weiterer Redner der Labourparty mühte sich Hildebrand, der nicht mit dem nach Ein Mädchen aus der Nachbarschaft des Hotels räterischen" Wiener Regierung, jedem menschlich das Wort ergriff und Kritik an der Regierung Deutschland zurückgekehrten Sekretär Otto Stras- Záhoři", zu dem Formis in Beziehungen gestan- fühlenden und demokratischen Zeitgenossen aber übte, riefen Männer und Frauen von den Busers zu verwechseln ist, mit dem Führer der den sein soll, habe von einer erhöhten Stelle" vor dreht sich der Magen um, wenn er die Eröpächter blikumstribünen: Weg mit der Sun Schwarzen Front Berbindung zu bekommen. Es dem Hotel das Zimmer des Emigranten beobachtet, der christlichen Weltanschauung ihren Kotau vor gerregierung!" Als sich die Unruhe auf wurde ihm nachgewiesen, daß er auf der deutschen um zu sehen, ob Formis sie nicht mit der Kersbach den Henkern des Dritten Reiches machen sieht, den Tribünen steigerte, wurden zahlreiche Stö- Gesandtschaft in Prag war, für einen deutschen betrüge. Dabei habe sie genau gesehen, was sich ganz abgesehen von ihren Sympathien für das rer abgeführt. Schließlich wurde das Publikum Emigranten etwas ungewöhnliches. Der Verdacht im Zimmer abspielte. Die Meldung, welche viel österreichische und das spanische Gemezel. auf den Tribünen froß seiner Proteste gezwun- ist nicht von der Hand zu weisen, daß Hildebrand, unwahrscheinliches enthält, wird man mit großer gen, das Parlament zu berlassen. wenn er auch nicht mit dem Mord in Záhoři zu Zurüdhaltung aufnehmen müssen. Mit der Stellung zum Stande staat ist es nicht anders. Wer ihn ganz und ohne viel