Nr. 29

15. Jahrgang

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Einzelpreis 70 HiHei (M»chli»Biich 5 Heller Perfol

1EHTRALORGAN PER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSQSINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung mag xiueocmova& teufon m ammnkwation telefor sok. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB . CH EFREDAKTEUR i WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR DR. EMM. STRAUSS, PRAG . I* Sonntag, 3. Feber 1935

Eine Alarmvorrichtung in Zähori die nickt in Tätigkeit gesetzt werden durfte In Zahori hat die Gendarmerie am Frei­tag die beiden Stubenmädchen einvernommen, in deren Gesellschaft der Kellner Flieger am Mordabend war. Es wurde sichergrstellt, daß Flieger, der auf die Schüsse hin in den ersten Stock geeilt war, bei seiner Rück- tchr erzählte, daß sich dort eine Tragödie ab­gespielt habe» die Kersbach erschossen sei und ein Mann mit einem Revolver ihn verfolgt habe. Flieger wollte anfangs aus dem Fenster klettern, überlegte sich dir Sache aber und verbot den Mädchen ausdrücklich, die elektrische Alarmvorrichtung zu betätigen, die von seinem Zimmer aus zu bedienen war. Durch die Alarmglocken wäre wahrscheinlich der Hotelier aufmerksam geworden, der einige Jagdgewehre und auch einen Revolver besaß. Das eine Stubenmädchen hatte sich erbötig gemacht, nach oben zu sehen, aber Flieger ließ auch das nicht zu. Am Samstag wurde nochmals ein Lokal- RRgenschein vorgenommen. Demnach dürfte Jng. Formis doch im Zimmer Nr. 4 angrfallen wor­be« sei«. Ein Hieb gegen de« Kopf scheint ihn nicht ganz betäubt zu haben, Formis konnte noch seinen Revolver ziehen und schießen;; ein Pro- iektil wurde auch in diesem Zimmer gefunden. Nach einem läugrren Kampf wurde Formis nach Ansicht der Gendarmerie in sein Znmmer Nr. 6 »rfchleppt und dann erst durch Schüsse gelötet. Modernisierung der Gendarmerie vom Innenminister angekündlgt Prag . Innenminister Dr. E e r n h gab im Vollzugsausschuß der tschechischen Agrarier im Zusammenhang mit dem Fememord von Zahori die Erklärung ab, daß die innere Sicherheit des Staates die Voraussetzung seiner ungestörten Politischen und wirtschaftlichen Entwicklung sei und deshalb überall und unter allen Umständen gewährleistet werden müsse. Ein wichtiges Problem sei vor allem die Sicherheit in der P r o v i n z, wo die Gendar­merie fast ausschließlich das Sicherheitsorgan sei. Soll, sie ihren Aufgaben vollauf genügen, so darf man nicht die modernen Errungenschaften unbe­achtet lassen. Heute sind 2288 Gendarmerie­stationen, d. s. 86 Prozent, an das Telephonnetz angeschlossen, darunter bis auf ganz wenige Aus­nahmen, die noch heuer behoben werden sollen, sämtliche Genharmerieposten an der Grenzt Bezüglich der ununterbrochenen Verbindung auch in der Mittagspause und des Nachts schweben schon sett längerer Zeit mit dem Postministerium Verhandlungen. Das Mini­sterium wird ferner eine weitere Motori-! sierung des Gendarmeriedien­stes in Angriff nehmen; auch der rasche Aus­bau der Stratzenpolizei ist schon! sür die nächste Zeit geplant. Keine Terrorwahlen Minister Dr. Eernh gab ferner bekannt, daß in den nächsten Tagen in einer Reihe von Ge­meinden, sowohl in den historischen Ländern, als auch in der Slowakei und in Karpathorutzland, Wahlen ausgeschrieben werden. Die Wah­len, sagte er, werden Wahlen der De­mokratie und n i ch t des Terrors sein. Man wird keine Extreme dulden, keine Sturmtruppen. Jede Störung öffentlicher Kund­gebungen wird kompromißlos bekämpft werden, es wird gegen die strafwürdige Beunruhigung der Bevölkerung gekämpft werden.

viese Woche keine Ministerempfänge Pra g. Das Ministerpräfidium gibt bekannt, baß die Mitglieder der Regierung in der nächsten Woche, d. i. vom 4. bis S. Feber, keinerlei Be­suche empfangen können.

Frankreich verlangt: Gemeinsame Abwehr eines deutschen Luftangriffes Genaue Daten über die deutschen Rüstungen

London . Während Reuter noch Freitag nachts eine Meldung veröffentlicht hatte, daß England volle Rücksicht auf die Lage in Deutsch­ land zu nehmen wünsche und bereit sei, sich für das Zustandekommen solcher Maßnahmen einzu­sehen, denen Deutschland beitreten könne, ohne hiebei einen Prestigeverlnst zu erleiden» hat sich am Samstag vor­mittags die Lage anscheinend geändert. Am Vormittag traten die englischen Mini­ster plötzlich zu einer inoffiziellen Plenarsitzung zusammen, ein für Samstag Vormittag ganz ungewöhnliches Ereignis. Gegenstand war, wie Reuter andeutet, die aufsehenerregende Schätzung der deutschen Mili­tär st reitkräfte» wie sie von den franzö­ sischen Ministern mitgeteilt wurde. Letztere sollen ihre britischen Kollegen über die Akten des fran- zösischrn Generalstabes betreffend die deutsche« Rüstungen ausführlich informiert haben. Rach Reuter haben bei den Bera­tungen ar» Vormittag die Darlegungen Lavals einen große» Teil eingenom­men, der den Standpunkt des franzö­ sischen Generalstabs zur derzeitigen mi­litärischen Lage in Deutschland zum Ausdruck brachte. Demnach besitzt Deutschland militärische oder halbmilitärische Formatio­nen, die zahlenmäßig den französischen Formationen gleichkomme« oder sie vielmehr noch übertreffen. Soweit es sich um das Kriegsmaterial handle, stehe Deutschland hinter Frankreich zu­rück. Rach einer Havasmrldimg solle« die aus­führlichen Enthüllungen, welche Minister Laval in Angelegenheit der deutschen Rüstungen den britischen Ministern vorlcgtr, einen großen Eindruck auf diese gemacht haben; die brüi- schen Minister find hinsichtlich des Standpunktes in Verlegenheit, der eingenommen werden müßte, falls Deutschland die Rückkehr zum Völkerbünde und die Mtarbrtt an der Abrüstungskonvention a b l e h n t. Nach den Aeußerungen gewisser eingeweihter Kreise sei es zn der plötzlichen Beratung der bri- ttschen Kabinettsmitglieder infolge der nachdrück­lichen Forderung der französischen Minister ge­

kommen, die verlangk hätten, daß Großbritan­ nien die Garantien in Angelegenheit der Abrü­stung verstärke, denn die Franzosen hielten die bisherigen Garantien, die auf Grund der Lo­carnoverträge gegeben wurden» unter den heuti­gen Verhältnissen nicht für hinreichend, spezielll was das Flugwesen anbelangt. Die Franzose« kamen mit dem Ar­gument, daß im Falle eines Angriffs von Setten einer europäischen Macht ein Abkommen, das Konsultation vorschreibt, absolut unzuläng­lich wäre, was das Eingreifen Groß­ britanniens anbelangt, da es sicher ist, daß es fast ganz bestimmt zu einem A n- griffausderLuftkäme, so daß der Zeitfaktor hier von vitaler Wich­tigkeit ist. Die einzige wahre Sicher- hettsmatznahme wäre also nur dieje­nige, die im Falle eines Angriffs ein e sofortige Gegenaktion in der Luft vorschreibt. Arn Schluß der Beratunsen noch nicht sanz fertig Die Besprechungen wurden um 20 Uhr Londoner Zeit beendet. Außenminister Sir John Simon erklärte zu den Journalisten:Wir find noch nicht ganz zu Ende gekom­men, die Stimmung ist aber die beste." Allgemeine Assentierungen in Deutschland ? Amsterdam.(Havas.) Nach Berichten ans Kreisen, die über die deutschen Angelegenheiten gewöhnlich gut informiert sind, wurden alle deut­ schen Staatsangehörigen der Jahrgänge 1900 bis 1918, sowett sie körperlich geeignet sind, auf­gefordert, sich auf zwei Monate^ dauernde militärische Uebungen vorzuberei­ten. Das Deutsche Reich wolle die für die Ein­führung der Milttärdienstpflicht erforderlichen Kredite ab 1. April d. I. in das nächstjährige Budget einsetzen.

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Englands Weg zur Wahl Obgleich der Termin der nächsten englischen Parlamentswahlen noch nicht festgesetzt ist, rech­nen alle englischen Parteien damit, daß sie i m Herb st dieses Jahres stattfinden wer-, den, und die»nationale" Regierung Macdonald- Baldwin, deren Schicksal diese Wahlen besiegeln sollen, hat mit der Wahlpropaganda schon den An­fang gemacht. Wie nötig die gegenwärtige eng­ lische Regierung, die vor vier Jahren von den Konservativen und der von der Labour-Party ab­gefallenen Macdonald- Gruppe gebildet wurde, eine besonders zugkräftige Wahlkampagne hat, war deutlich aus den Ergebnissen der englischen Gemeindewahlen und Parlaments-Nachwahlen im vergangenen Lahre zu ersehen. Die L a b o u r- P a r t y, die bei den Wah­len von 1931 eine schwere Niederlage erlitt«» hat, ist inzwischen ein höchst gefährlicher Gegner des jetzigen Regimes geworden. Das Ausscheiden Macdonalds und Snowdens ist ihr nicht zur Kata­strophe, sondern zum Beginn eines Reinigungs­prozesses geworden, und ihr Programm ver sozia­len Gerechtigkeit, der Arbeitslosenhilfe, der Wehr­reform, der Entmachtung des Oberhauses und der organisierten Abrüstung hat ihr immer neue Wäh­ler zugeführt. Das Vordringen der Arbeiterpar­tei war auch durch^die wirtschaftspolitischen Teil­erfolge der»nationalen" Regierung nicht aufzu­halten: das geglückte Experiment der Pfund-Ent­wertung ohne Preissteigerung, die Ausbalancie­rung des Budgets,durch Chamberlain und die acht­prozentig« Steigerung des englischen Außenhan­dels im letzten Jahre haben nichts daran geän­dert, daß die Popularität der Regierung rapid gesunken ist.. Die Unzufriedenheit mit der Regierung reicht bis in die Reihen ihrer parteimäßigen An­hänger.' Von den Liberalen, die durch den Außenminister Sir John Simon in der Regie­rung vertreten sind. Hat sich schon vor längerer Zeit eine opposttioneNe Gruppe unter Herbert Samuels Führung abgespalten, der alte libe­rale Heros Ll o y d G e o r g e hat sich völlig von seiner einstigen Partei losgesagt, bei den Konser - vattven gibt es einen starken rechten Flügel, der die Mitarbeit Macdonalds und Simons an der Regierung als Belastung empfindet und der durch seinen Widerstand gegen Baldwins indischen Ver­fassungsentwurf einen offenenKonflikt in der Par­tei herbeigeführt hat. Und in der»Nationalen Labour-Party" Macdonalds ist die Unzufrieden­heit soweit gediehen, daß es bei den letzten Reden des Premierministers vor seinen Anhängern zu lärmenden Zwischenrufen kam. Man kann also feststellen, daß der Sieg von 1931 den Siegern sehr schlecht bekommen ist, während die damals geschlagene Labour-Party heute alle Aussicht auf eine Rückkehr zur Macht hat, und zwar zu einer größeren Macht, als sie jemals zuvor besaß. Es liegt durchaus im Bereich der Möglichkeit, daß sie bei den kommenden Wah­len die absolute Parlamentsmehrheit gewinnen wird, denn sie hat nicht nur die Arbeiterschaft Englands hinter sich, sondern auch weite Kreise des Mittelstandes und der Intelligenz, die unter den Wirkungen der Krise und dernationalen" Regierungspolitik den Gedankengängen des labou- ristischen Programms zugänglich geworden sind. Dieses Programm, das voriges Jahr auf der Parteikonferenz von Southport beschlossen wurde und in den nächsten Wochen vom Generalrat der Gewerkschaften und dem Exekutivkomitee der Par­tei noch einmal für die Wahlkampagne revidiert werden wird, ist(auf Wunsch der Gewerkschaften), so wenig»abstrakt? wie nur möglich gebalten. Es will ein konkretesSofortpro- gramm sein, das von einem Parlament mit sozialistischer Mehrheit in aller.Kürze verwirk­licht werden kann. Seine Hauptforderungen sind: die Verstaatlichung der Bank von England , der Bergwerke, der Rüstungsindustrie, der Wasser- und Elektrizttätsversorgung, eine planwirtschaft­liche Staatskontrolle für die gesamte englische In­dustrie, die Herabsetzung der Arbeitszeit ohne Lohnsenkung, die Verbesserung der Arbeitslosen­fürsorge, die Entmachtung des reaktionären Ober­hauses, die Beseittgung des Wohnelends durch Häuserbau und der Angriff auf jene drei Krisen­erscheinungen. die der Labour -Führer Lansbury vor wenigen Tagen in einer großen Rede auf die Formel gebracht hat: das brachliegende Geld, das brachliegende Land und die brachliegende Arbeit,