Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

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15. Jahrgang

Diktaturen

Sonntag, 10. Feber 1935

Bedeutungsvolle Rede Dr. Beneš' in Iglau

eine vorübergehende Krankheit

Sie führen zu unlösbaren Situationen und zur Katastrophe

Iglau . Außenminister Dr. Beneš hielt Samstag abends im Legio­närhaus in Iglau vor etwa 1500 Personen einen Vortrag über Die Krise der Demokratie und der Kampf um die autoritativen Regime", der in eine vernichtende Verurteilung aller autoritativen Regime und in den unerschüt terlichen Glauben an den Endsieg des demokratischen Staatsgedankens ausklang und wiederholt begeisterte Zustimmung auslöste.

allein eignet.

An die Spitze seiner Ausführungen stellte Dr. ist ein Regime, in dem die durch das wahrhafte Beneš den Satz: Ich bin demokratundver- menschliche Empfinden geheiligte Vernunft siegt! teidige die Demokratie. Wenn ich für die Diktatur und Unfreiheit kann viel Demokratie spreche, so deshalb, weil ich über­eugt bin, daß dies das Regime ist, welches sich leicht wohl hie und da Mängel der für die Tschechoslowakei einzig und Demokratie für eine Weile beseitigen. Am häufigsten wird jedoch eine Situg tion geschaffen, die um vieles ärger ist, Der Strieg war eine große moralische, politische und in der Mehrzahl der Fälle ist fie and soziale Weltrevolution, und alle unerhörten unlösbar und endet mit einer Rata darin, daß wir uns immer noch in einer vollen Re- strophe. bolution als Folge des Krieges befin Die autoritären Regime find Systeme, die den. Im Krieg waren die demokratischen Staaten 3 wangsläufig mit allen Folgen der unfreien fiegreich; etiva vor acht Jahren trat ein Umschung Regine leben, d. i. durch die Unterdrüdung ein: Es entstehen die Massendiktaturen der politi- der Preisefreiheit, der freien schen Parteien und der kollektiven Volksbetvegun- Meinungsäußerung, durch alle Arten gen. Diese sind bewußtantide motra bon materiellem und sittlichem Drud tisch und betonen dies. Unser tschechoslowakischer auf den einzelnen und ganze Bürger muß sich entscheiden, welchen Weg er ürgergruppen. gehen will.

Ich gebe für meine Person eine klare Antwort: prinzipiell, folgerichtig und kompromislos halte ich es mit dem demokratischen Regime und verteidige es. Den Kampf gegen die Demokratie und den Fall der Demokratien werte ich als Soziologe als die Symptome des abnormalen, krankhaften Nachkriegs­zustandes verschiedener Staaten und Gesellschaften, als Kundgebungen einer unrichtigen politischen Ideologie und eines zeitweisen Chaos im Denken des Nachkriegsmenschen.

Unsere Generation ist zu diesem schweren, ja

verzweifelten Kampf um die Erhaltung der Revo­lutionserfolge bireft verurteilt. Ein ruhiges Leben wird sie nicht haben. Dieser Kampf ist ihr Echidial, sie muß ihn zu Ende kämpfen und muß ihn gewinnen!

nehmlich die Pressefreiheit, darf nicht Anarchie, Bös­willigkeit, Rachsucht, das Feilschen mit der öffents lichen Meinung und Verkäuflichkeit bedeuten. Dieses Problem überhaupt ist gleichermaßen eine Lebensfrage der Diktaturen wie der Demokratie.

Die Demokratie darf nicht leichtsinnig die Autorität der Führer vernichten, sie soll nicht nei­disch und mißtrauisch, und ihren Führern gegenüber nicht ungerecht sein. Mistranen ist eine der größten Schwierigkeiten des demokratischen Systems. Ich bemühe mich, meinen politischen Partnern zu ver­trauen, und habe das niemals berent.

Der Demokrat ist gegen die politische Diktatur und wird daher auch gegen die wirt= fchaftliche Dittatur sein!

Neben diese stellte er die Konzeption

Nr. 35

| Tag des Gedenkens

Ein Jahr ist es her, seitdem Desterreichs tapfere Proletarier einen Kampf auf Leben und Tod geführt haben und noch zittert in uns die Er­regung nach, die wir empfanden, als die österrei chischen Schußbündler den Kampf begannen und wir Tag um Tag um das Schicksal der proletaris schen Revolution in Oesterreich bangten. Wir wer den diese Tage voller Hoffnungen und Befürch tungen niemals vergessen, wir werden niemals diejenigen vergessen, welche für die heilige Sache des Sozialismus und der Freiheit der Arbeiter flasse ihr Leben gewagt und geopfert haben.

Die Erhebung des Proletariats Oesterreichs tam am 12. Feber 1934 nicht unerwartet. Seit langem hatte es Oesterreichs Bourgeoisie darauf abgesehen, die Arbeiterklasse mit Gewalt niederzu­werfen. Alle Versuche der herrschenden Parteien Desterreichs den Einfluß der Sozialdemokratie auf die Arbeiterschaft zu brechen, waren vergebens. Von Wahl zu Wahl konnte sich die Partei der Ar­beiter behaupten, ja noch Mandate hinzugewinnen. Alle Anstrengungen der Herrschenden den Einfluß der Sozialdemokraten vor allem im Wiener Rat­hause auf legal- demokratischem Wege zu brechen, waren nicht gelungen. Durch eine ordentliche Finanzwirtschaft, durch sozial gestaffelte Abgaben, durch Wohnbauten und durch ein soziales Hilfs­werk, welches die Aufmerksamkeit der ganzen fort­schrittlichen Welt auf sich zog, hatten die Sozial­demokraten in Wien ihren Einfluß so tief veran= fert, daß sie durch Wahlen nicht zu besiegen waren. Auf der anderen Seite sah die Bourgeoisie, wie die Berjebung in ihren eigenen Reihen immer weiter um sich griff. Die christlichsoziale Partei hatte die Mehrheit in der Bevölkerung und im Parla­ment verloren und immer größeren Einfluß ge= wannen auf die kleinbäuerlichen, ja sogar bäuer= lichen Schichten die Nationalsozialisten.

Dr. Beneš kam sodann auf die Beziehungen der nationalen Idee zum Internationalismus zu spre chen, verwies auf die Il e bertriebenheit des Nachkriegs nationalismus und Chauvinismus und stizzierte die richtige Synthese der nationalen Idee mit der inter­nationalen Solidarität und Zusammenarbeit im Geiste ber Sumanitätsidee. Er betonte im gleichen Sinne die Notwendigkeit der militärischen Verteidi­gung des Staates und des Volkes. Ausführlich be­schäftigte sich sodann der Minister mit der Entwid­lung, Funktion und Mission des moder­nen Staate 3. Er zeigte die Entwicklung Die allgemeine Unzufriedenheit ist die notwen des Staates von der Phase des primitiven Absolutis­Durch den Sieg Hitlers am 30. Jänner 1933 dige letzte Folge dieses Zustandes. Aber die schärf- mus über den mittelalterlichen Staat zu den moder- wurde die Angriffslust der Nationalsozialisten in ſten Kritiker der Diktaturen beurteilen sie nicht nen Konsutitutionsstaaten, zum heutigen fascisti- Desterreich immer mehr gesteigert. Der Anschluß allein vom sittlichen und geistigen Gesichtspunkte aus. fchen, Totalitäts- und kommunistischen Staate auf. an Deutschland wurde nun die Parole der natio­nalsozialistischen Reaktion. Die österreichische So­Sie blicken hauptsächlich auf das Wirtschaften und die Finanzen der Diktaturen. In dieser Hinsicht aber des demokratischen Staates, der zialdemokratie, einst die entschiedenste Vorfämp­befinden sich die heutigen Diktaturen im Vergleich in der gegenwärtigen zerrütteten Zeit die Synthese ferin für den Anschluß an Deutschland , erkannte, mit den westeuropäischen Demokratien im großen eines richtigen Maßes individueller Freiheit mit daß die Selbständigkeit Desterreichs nunmehr eine Nachteil. Prüfen wir doch in dieser Hinsicht finan- dem richtigen Maße öffentlicher Disziplin und Notwendigkeit für die österreichische Arbeiterklasse ziell und wirtschaftlich England, die skandinavischen Autorität des Staates zu schaffen sich bemüht. Er geworden war und war bereit gemeinsam mit dem Staaten, Belgien , Holland und Frankreich ! zeigte auch, daß die politische Demokratie fich not. nichthitlerischen Teil des Bürgertums Oesterreich Wesentlich aber ist, daß alle diese wendigerweife heute auch in der sozialen und vor. gegen die nazistische Gefahr zu verteidigen. Aber nehmlich in der wirtschaftlichen Demo­Desterreichs Bourgeoisie und seine herrschende neuen Regime schwer um ihre Existenz fratie auswirkt im Sinne der 21 an 1- Partei, die Chriftlichsozialen, waren zu klaffenbe kämpfen, fich gegen ihre alten Gegner fchaft und daß heute eigentlich bas antwußt, um ein Bündnis mit der Arbeiterschaft verteidigen müssen, sich selbst allmählich problem ber demokratischen Re- gegen die Nationalsozialisten einzugehen. Die Nie­anpassen und ändern, in dem sie ihre sierungen und Regime iſt. Die derwerfung der Arbeiterklasse erschien ihnen zur Schwächen fühlen und nolens volens erfolgreiche Lösung dieses entscheidenden Problems Durchsetzung ihrer Klasseninteressen geboten. So mit der Zeit gezwungen sind, Wege zu wird auch über den Erfolg der modernen Demo- riefen die bewaffneten Scharen der österreichischen Bourgeoisie, die Heimwehren, Provokation auf irgend einem neuen Regime größerer fratie entscheiden. Für uns, für die Tschechoslowakei , erklärte Dr. brud besetzt, es begann die Besetzung der übrigen Provokation hervor. Ende Jänner wurde Inns Freiheit zu suchen. international, politisch und wirtschaftlich, das e in- sehen, da die Heimwehr auch in Wien mit Gewalt Beneš abschließend, ist die Demokratie innerlich und Landeshauptstädte und es war der Tag vorauszus aig mögliche Regime. All das, was die Macht an sich reißen würde. Als in den Mor ich über die Krise der Demokratie gesagt habe, ist eigentlich der Kampf um ein neues Europa , um den neuen Europäer, um den neuen Menschen. Damit wird auch das tschechoslowakische Ideal das Ideal des neuen Europa .

Wir müssen den Mut haben, anzuerkennen, daß die fascistischen, nationalsozialistischen, kommunisti schen , ständischen u. alle übrigen Reaktionsarten an bielen Stellen vor allem durch das Nichtvorbereitet Die Entwicklung Europas geht und wird den sein der Demokratien auf große Umwälzungen u. auf Weg zur Anpassung und Angleis die großen Kriegs- und Nachkriegsaufgaben, am chung der verschiedenen Regime gehen. Auf der häufigsten auch durch die Unfähigkeit ihrer Parteien anderen Seite wird die Demokratie aus den autori­und Leute verursacht wurden. Trotzdem war ich, bin tativen Regime viele Lehren ziehen ich und werde ich kein Steptiter und Pes- müssen. fimist sein, was die weitere Entwicklung der Demokratie betrifft.

Vor allem muß sich jeder Demokrat bewußt sein, daß die Voraussetzung einer richtigen und ge­funden Demokratie die parteipolitische Toleranz ist, die vernünftige Zusammenarbeit der Parteien.

Die jetzige Krise der Demokratie erfließt u. a. daraus, daß das moralische Problem der Demokratie und ihre inhaltliche Seite nicht hinreichend verstan- Jeder von uns muß systematisch an der Ein den wurde. Sie zeigt sich am konkretesten in der schränkung der Dede der politischen Kämpfe arbeiten. Agitation, Hehe, im Verbreiten von Haß, Lei- Politische Verhebungen vergiften den Geist einer denschaften und gegenseitigem Neid, dadurch, daß die ieden Demokratie. Das bedeutet noch nicht, sich Fehler des Parlamentarismus und der politischen gegen die Kritik der politischen Parteien und Ber­Parteien vergrößert und unrichtiger Weise eine Korsonen zu stellen, aber es muß eines a chi che, ruption der mitregierenden Leute verallgemeinert objektive, anständige, sittliche wird, dadurch daß eine demagogische Presse und ehrliche Kritik sein. Die Freiheit, vor­fich ausbreitet und die Erschung einer Partei durch eine andere Partei oder Kaste mit Hilfe der Diktatur oder des Putsches verkündet, wobei man in lügenhafter Weise vom neuen Re= gime das Blaue vom Himmel ver­fpricht, wiewohl aus der Struktur und der Krise der heutigen neuen Welt hervorgeht, daß diefes nene Regime im wesentlichen nichts 3 verbessern vermag.

Zwei Hinrichtungen

,, Verrat militärischer Geheimnisse"

Berlin . Die Justizpressestelle Berlin teil!

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genstunden des 12. Feber die Heimwehren das die Arbeiter Wiens ihre Linzer Freunde nicht, im Heim der Linzer Arbeiterschaft besetzten, wollten Stiche lassen und erhoben sich, um ihre Freiheit und Zukunft zu verteidigen.

Neaktionen gegen diesen Geist in den so­genannten ,, autoritativen" Systemen sind vor- bündler in den Kämpfen gegen die Erekutive be­Ueber den Heldenmut, welchen die Schutzs übergehend, sind nach meiner Auffassung wiesen haben, sind die Urteile der Welt einhellig Krankheitssymptome, die Europa nach dem Kriege durchlebt. Der Sieg der ad. Mur sind eingegangen in die Heldengeschichte ganz Die Feberhelden von Wien , von Steyr, von Bruck demokratischen Ideale nicht nur politisch, son- des sozialistischen Proletariats. Wenn der Kampf dern vor allem auch sozial und wirt- verloren wurde, lag das nicht an dem Mangel an fchaftlich liegt in der Logik der euro - Mut, den die Kämpfer bewiesen haben, sondern an päischen Entwicklung und in der Gesetzmäßigkeit der politischen Stellung Desterreichs in Europa der sozialen Entwicklung des modernen euro- und an dem wirtschaftlichen Niedergang, den das päischen Menschen. Land seit Jahren durchgemacht hatte.

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Schon 1918 und 1919 haben Oesterreichs Arbeiter mit zusammengebissenen Zähnen und ges Rakosis Verurteilung ballten Fäusten sehen müssen, wie der Mangel an widerspricht dem Friedensvertrag Nahrungsmitteln und Rohstoffen das Land zu Konzessionen an die europäische Bourgeoisie gea Paris . Die Linkspresse verurteilt in scharfer zwungen hatte. So war Oesterreichs Arbeiterschaft mit: Die vom Volksgerichtshof am 9. August bzw. Weise die Verurteilung Rafosis u. verlangt, daß die nicht imstande die revolutionären Errungenschaf am 16. Ottober 1934 wegen er rates mili- Attion der internationalen Proteste gegen die un- ten jener Jahre durch wirtschaftliche und politische tärischer Geheimnisse zum Tode ver- garische Justiz fortgesetzt werde. Der sozialistische Maßnahmen zu sichern. Seit dem Regierungsana Wir sehen es an der Revolution in einer Reihe urteilten Kurt Böhm aus Ludwigshafen und" Populaire" weist auf die Illegalität tritt des Kanzlers Dollfuß war das Land vollkom europäischer Staaten, daß der Nachkriegsmensch sein Baul Merz aus Stuttgart sind, nachdem der des Urteils gegen Rakosi hin, da Ungarn sich im men unter den Einfluß Italiens geraten und der geistiges und fiftliches Gleichgewicht verloren hat, Jührer und Reichskanzler von seinem Begnadi- Friedensvertrag von Trianon verpflichtet italienische Großstaat stüßte so die arbeiterfeind ideell vollständig desorientiert ist. Aber schließlich gungsrecht keinen Gebrauch gemacht hat, Samstag hat, teine politischen Taten aus den Jahren 1919 liche Regierung. Dazu kam noch, daß Oesterreich fiegi doch wieder die Vernunft und die Demokratie früh hingerichtet worden. Junter den Wirkungen der Weltwirtschaftskrise noch

und 1920 zu verfolgen.