Sosialdemokrat
ZENTRALORGAN
DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI
IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK
ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRUH. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. ADMINISTRATION TELEFON 53076. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB. CHEFREDAKTEUR : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG .
15. Jahrgang
60,, Hochverräter"
München . Wie das Deutsche NachrichtenBureau meldet, fand vor dem Obersten Landgericht München seit 15 Tagen ein Hochverratsprozeß gegen 60 Personen statt, die beschuldigt waren, mit Prager SPD - Emigranten in Ver= bindung gestanden und in Nürnberg , Fürth , Re gensburg , Schwandorf usw. geschmuggelte Schriften verbreitet zu haben.
52 Personen wurden verurteilt und erhielten Strafen von fünfeinhalb Jahren Zuchthaus bis zu zweieinhalb Jahren Gefängnis.
Demokratische Kundgebung in Paris Paris.
( Havas) Die sozialistisch- kommunistische Einheitsfront feierte Sonntag die Ereignisse vom 12. Feber des vergangenen Jahres auf der Place de la République. Die heutige Manifestation soll eine Replik auf die Erinnerungsmanifestationen vom 6. Feber auf der Place de la Concorde sein. Die Place de la République war in den Morgenstunden fast menschenleer und wurde nur von Patrouillen der Sicherheitswache passiert. In den Nachmittagsstunden hatte der Blaz ein vollkommen friedliches Aussehen. Die einzelnen Delegationen brachten Kränze aus roten Blumen, defilierten in Ruhe und grüßten mit erhobener geballter Faust. Die Stadt Paris hatte eine aus Mitgliedern der manifestierenden Barteien ausgewählte Mannschaft von Poliize= fommissaren zur Aufrechterhaltung des Sicherbeitsdienstes placiert. Die Stimmung bei der Manifestation war sehr erregt, doch ist es nirgends zu Ausschreitungen gekommen. Um 18 Uhr war der Manifestationsumzug der Sozialisten und Kommunisten auf der Place de la République im Wesentlichen beendet. Bald darauf zogen die Sicherheitsmannschaften ab. Im Laufe der Manifestationen hat sich kein einziger Zwischenfall ereignet.
Womit einer sündigt, daran wird er gestraft!
Berlin. ( Tsch. P.-B.) Der Berichterstatter des Habasbureaus erfährt, daß sich der Reichsfanzler Hitler nach Berchtesgaden begeben. hat, um einen Erholungsurlaub anzutreten, den ihm die Aerzte sehr dringend nahegelegt haben, um den Kehlkopftatarrh zu heilen, an dem er seit längerer Zeit leidet.
Also nach ,, bierrrzzzehn Jaa ahrrreenn...." doch ein wenig verbraucht?
Betonte Freundschaft
Ter
Nürnberg . Wie das DNB meldet, hat it am Montag, von München kommend, dem nationalsozialistischen Parteigenossen und Führer in Franken Julius Streicher aus Anlaß seines morgigen 50. Geburtstages in Nürnberg auf-| gesucht, um ihm persönlich seine Glückwünsche zu überbringen.
Dienstag, 12. Feber 1935
Feberdemonstrationen
Trotz Polizeiterror und Massenverhaftungen in in Wien Wien
. Die kopflofen Maßenverhaftungen, durch welche die österreichische Polizei während der letzten zehn Tage Arbeiterkundgebungen aus Anlaß des Jahrestages des Dollfusblutbades verhindern wollte, haben sich schon Sonntag als vollkommen unzulänglich erwiesen. Obwohl die gesamte Polizei, das Wiener Bundesheer und die Schutzkorps seit Donnerstag strenge Alarm= bereitschaft halten, kam es in den Arbeiterbezirken Wien 3 , vor allem in der Brigittenau, in Meidling und in Favoriten zu großen Kundgebungen, an welchen wie der Bericht der Staatspolizei an das Bundeskanzleramt feststellt. insgesamt acht- bis zehntausend Menschen teilgenommen haben.
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Die Blitzdemonstrationen begannen schon in der Nacht von Samstag auf Sonntag in Meidling , obwohl gerade dieser Bezirk unter besonders verschärfter Bewachung stand, da die Polizei scheinbar durch Spitel von den geplanten Demonstrationen erfahren hatte. Die Polizisten, die Meidling wie ein Heerlager besetzt hielten, hatten aber nicht damit gerechnet, daß gegen ein Uhr nachts plötzlich in einem Bezirksteil das Licht verlöschen werde. Im nächsten Augenblick schon herrschte volle Verwirrung unter den Wachmannschaften. Ihre hilflosen Sirenensignale schollen durch das Dunkel, aber sie wurden übertönt von den Sprechchören, die plötzlich in weitem Umkreis die Straßen bevölkerten und in immer stärker anschwellendem Chor, dem sich sehr rasch Stimmen aus den dunklen Häusern anschlossen, die Parolen des Febertages verkündeten: Achtung, Achtung! die Noten sind da!"„ Schluß mit Schusch nigg , Schluß mit Fey, das rote Wien wird wieder frei!"„ Die Febertoten rächen die Noten". Es dauerte gegen vierzig Minuten, bis das Licht wieder aufflammte. Ueberfallsautos der Polizei, die inzwischen an Ort und Stelle erschienen waren, fanden weit und breit keinen Menschen auf der Straße. Hingegen waren die Straßen dick besät mit tausenden roten Flugzetteln, auf denen die Parolen der Sprechchöre und andere Agitationsparolen gedruckt waren. Die Polizei nahm die ganze Nacht über und auch den folgenden Sonntag in allen umliegenden Häuserblocks Maffenverhaftungen und Hausdurchsuchungen vor, ohne das gewünschte Beweismaterial gegen irgendwelche„ Rädelsführer" zu finden.
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In Brigittenan hatten die Arbeiter, ohne das Licht abzufchalten, förmlich vor den Augen der Polizei, überall gleichzeitig Blitzdemonstrationen von Gruppen zu zwanzig bis fünfzig Personen veranstaltet. Auch sie demonstrierten mit Sprechchören und Flugzetteln gegen das Fascistenregime. Da es im Bezirk etwa sechzig bis achtzig solcher Blitzdemonstrationen genau zur gleichen Zeit gab, war die Polizei ihnen gegenüber fast machtlos. Kaum stürzten sich die Polizisten auf eine Demonstrantengruppe, tauchte schon zweihundert Meter entfernt eine neue auf. Aus einigen Gruppen konnten einige Teilnehmer, insgesamt etwa 8 0 im ganzen Bezirk verhaftet werden.
Die Nervosität der Polizei, die schon seit Tagen im Steigen begriffen ist, scheint nach diefen Demonstrationen nun ihren Höhepunkt erreicht zu haben. Obwohl seit dem 20. Jänner in Wien allein bereits gegen 5000 Sozialisten verhaftet wurden, hat die Polizei Sonntag und Montag neuerlich mehr als 1200 Leute, die sie im Verdacht illegaler Betätigung hat, planlos und ohne den geringsten Beweis verhaftet, da sie offenbar eine Fortsetzung der Kundgebungen befürchtet.
Vor dem Krieg um Abessinien?
Italienische Rüstungen Ein Ultimatum droht /
Es scheint, daß Mussolini nach den verhäng-| zeichnet. General Graziani wurde mit dem nisvollen Zugeständnissen, die ihm Laval ge- Kommando der Truppen in Erythrea betraut. macht hat, faltblütig seinen Plan weiterverfolgt, den italienischen Kolonialbesitz in Aethiopien auf Kosten Abessiniens zu erweitern.
wi Zunächst einmal wird ein neuer 3 w i= fchenfall gemeldet, der in der Version der Agencia Stefani natürlich als abes
Der Eindruck, daß Italien den Krieg gegen Abessinien vorbereitet, ist aber nicht zu verwischen. Der britische Gesandte hat dem Kaiser von Abessinien geraten, auf die Genfer Vorschläge einzugehen.
finischer lleberfall" erscheint. Dem amtlichen Noch nicht, aber... italienischen Bericht zufolge
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Nr. 36
Hilgenreiner- Faulhaber
Die katholische Kirche hat eine fast zweitausendjährige Tradition hinter sich und man sagt, daß der Vatikan in Jahrhunderten denkt. Es wäre aber eine Uebertreibung, zu behaupten, daß die Politik des Katholizismus in Mitteleuropa von Konsequenz getragen und von weiser Voraussicht gelenkt wird. Besonders der deutsche Katholizismus bietet dermalenein Bild beispiellofer Zerrissenheit und Verwirrung. Im Dritten Reich steht er in Opposition. Politisch hat er das Schicksal der Arbeiterbewegung geteilt. Seine bedeutendsten Führerpersönlichkeiten sind ermordet, wie Schäffer, Stühl und Clausener, oder sie leben im Eril, wie Wirth und Brüning. Der reichsdeutsche Katholizismus ringt um die letzten Reste seiner tonfessionellen Organisationsfreiheit, gegen die ,, neuheidnischen" Tendenzen des Nationalsozialismus, gegen den braunen Totalitätsanspruch auf dem Gebiete der Jugenderziehung. Der Münch ner Kardinal Faulhaber, selbst schon das Objekt von Mordanschlägen, die zunächst mißlungen find, erhebt in seinen Predigten die Stimme der katholischen Opposition. Am Sonntag wieder hat er gegen das Verbot von Elternversammlungen, in denen Geistliche als Redner auftreten sollten und gegen die Beschlagnahme von kirchlichen Briefer wohl in der schärfsten Form Stellung genom men, die im heutigen Deutschland noch denkbar ist. Faulhaber bedrohte die Machthaber des dritten Reiches, in erster Linie wohl den Katholiken Hitler , unverhüllt mit Er kommunika tion. Der päpstliche Nuntius wohnte demonstrativ dieser Predigt bei, was anscheinend bedeuten soll, daß der Vatikan mit seiner ganzen Autorität hinter den Drohungen Faulhabers steht. Wenn auch in Bayern die katholische Opposition mehr im monarchistischen Fahrwasser segelt nach der Faulhaber- Predigt gab es Hochrufe auf den Wittelsbacher Rupprecht, so steht doch außer allem Zweifel, daß der deutsche Katholizismus seine Existenz nur behaupten kann, wenn die Zwangsjacke des braunen Totalitätsstaates abgeworfen und wieder ein Stück demokratischer Gesinnungsfreiheit hergestellt wird.
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In Deutschland muß also der Katholizismus aus Gründen der Selbsterhaltung gegen den Totalitaisansprud) des Nationalsozialismus ankämpfen, im benachbarten Oesterreich strebt er selbst mit vollen Segeln zum klerofascistischen Totalitätsstaat hin. In Deutschland ruft der Kleritalismus nach Gesinnungsfreiheit, die er in Desterreich selbst vernichtet. In Deutschland bevölkern auch Katholiken die Konzentrationslager, in Desterreich die Sozialdemokraten und Nationalsozialisten.In letzter Zeit sind wieder Tausende von österreichischen Arbeitern verhaftet und einDie mobilisierten zwei Divisionen umfaffen geferfert worden, nur weil sie das Verbrechen be,, hat der durch die ständige Zusammenziehung nach amtlicher Auskunft etwa 25.000 Mann. Die gingen, ihrer sozialistischen Gesinnung treu zu von bewaffneten abessinischen Truppen hervor Sammlung der beiden Divisionen soll in Flo bleiben. In Desterreich gibt es keine Freiheit des gerufene Druck im Gebiete von Nalual und in renz und in Messina erfolgen. Die Ver- religiösen Bekenntnisses mehr die Konfessionsder Umgebung einen neuen Zwischenfall hervor schiffung dieser Truppen wird vorerst nicht losen werden rücksichtslos um ihre Existenz gegerufen". In der Frühe des 29. Jänner über vorgenommen werden, die zuständigen Stellen bracht, keine Spur von Organisationsfreiheit fielen bewaffnete Abessinier den bewaffneten treffen jedoch alle Vorbereitungen, oder Wahlfreiheit. italienischen Posten Afdub, südlich von Nalual. um im Falle einer weiteren Häufung der ZwiEs entstand ein Gefecht, in deffen Verlauf schenfälle und der Verschärfung der Beziehungen" In der Tschechoslowakei aber begeistert sich 5 Italiener getötet und 6 verwundet wurden. diese vollständig ausgerüsteten Truppen sofort in Herr Hilgenreiner für die SaarabDie Verluste der Abessinier stehen nicht fest, die Grenzgebiete von Italienisch- Ostafrika ent- stimmung, er will den, status quo" beseiti Berlin . Der berühmte deutsche Historiker Prof. Dr. Herrmann On den bat seine Vorfollen aber größer sein. Die italienische Ge- fenden zu können, wo an den Hauptpunkten begen, er schwärmt für Gleichberechtigung. Dafür sandtschaft in Abeba hat Anweisungen erhal- reits seit längerer Zeit Material hat er den rauschenden Beifall aller geerntet, die Lesungen an der Berliner Universität eingestellt. ten, wegen diefes neuen Zwischenfalles bei der und Proviant für große Truppenverbände ange- aus unserer demokratischen Republik eine Filiale Damit tritt ein Konflitt offen zutage, der Regierung von Abessinien formellen Protest zu sammelt worden sind. bor kurzem durch ein Vorspiel in der nationaldes Dritten Reiches machen wollen. Dadurch ererheben." Von italienischer Seite wird größter Wert auf mutigt, machen die deutschen Christlichsozialen sozialistischen Presse eingeleitet wurde. Der nationalsozialistische Historiker Profeffor Walter j Die italienische Presse spricht eine scharfe die Feststellung gelegt, daß die getroffenen Maß der Heimatfront Bündnisangebote, woran fie Frant hatte nämlich in einem spaltenlangen Sprache, droht mit einem 1 Itimatum und nahmen ausschließlich vorbereitenden nicht einmal hindert, daß Herr Henlein in Böhm. Artikel im„ Völtischen Beobachter" die wissen gründlicher und endgültiger Bereinigung der und Abwehr charakter tragen und daß dar- Reipa mit hinreichender Offenheit für den Anüber hinaus weder über diplomatische Schritte schluß Desterreichs an das nationalsozialistische schaftliche Betätigung Ondens angegriffen. Er be noch über eine militärische Aktion etwas Bestimm= zeichnete ihn als Konjunkturpolitiker und bezwei-| felte auch seine Objektivität. Von amtlicher deutAmtlich wird zugegeben, daß zwei Divisionen tes gefagt werden könne. Was die Möglichkeit Deutschland eingetreten ist. Dem Herrn Hilgendurch Einberufung des Jahrganges 1911 auf eines II ti ma tu m 3 betrifft, so wird versi- reiner scheint auch nichts daranzuliegen, daß er fondern erklärt, daß Onden, der im Oktober Kriegsstärke gebracht und mobil gemacht wurden. chert, daß zur Zeit keine derartige Absicht be- mit einer solchen Schwenkung alle Brücken zur alt wird, wegen Altergrenze von seinem Lehramte zurück- gen, die sich in Unter- talien einschiffen sollen, fchlossen, daß Italien im weiteren Verlaufe in der Front der demokratischen Parteien befin
Professor Oncken
zum Rücktritt gezwungen
tritt.
Affäre.
als bloßer Austausch von Kolonialtruppen bes zu iesem Verfahren greifen werde.