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Sonntag, 17. Feber 1935

Tt. 11

Versteckspiel desVenkov Unter dem TitelVersteckspiel" beschäftigt sich das Hauptorgan der tschechischen Agrarpartei mit den Zuständen im sudetendeutschen Lager. Es sucht die Angriffe auf die Henleinfront dadurch abzuschwächen, daß es darlegt, die anderen deut­ schen Parteien seien ebenso vom nationalen Ra­dikalismus erfüllt wie die Henleinfront, wobei be­sonders aus die Christlichsogialen hingewiesen wird. Dabei kann es sich daS Blatt nicht ver­sagen, auch den deutschen Sozialdemokraten eins auszuwischen, indem es schreibt, daß einzelne derartige Erscheinungen, wie sie an der Sudeten­ deutschen Heimatfront und an den Christlichsozia­len allgemein feftgeftellt werden, auch im Lager unserer Partei zu sehen seien,deren Redner im Glauben, sie seien nicht kontrolliert, sich auf len Mund nicht achtgeben". Eine solche Feststellung gehört in das Gebiet der Pauschalverdächtigungen, von denen sich ein Blatt, wie das Zentralorgan der republikanischen Partei fernhalten sollte. Wenn das Blatt wirklich der Wahrheit dienen und die wahre Lage im sudetendeutschen Parteilager fest­stellen wollt«, müßte es eines tun: es müßte di« Namen jener sozialdemokratischen Redner nennen, die es verdächtigt. Solange das Blatt dies nicht tut, können seine Ausführungen nicht ernst ge­nommen werden.

Parteien, diesem Teil der Deutschen im Kampfe für die demokratische Republik verständ­nisvoll zur Seite stehen, wenn sie ihre sozialen Sorgen zu den ihren, den Kampf gegen den wach­senden Terror der SHF zu ihrem Kampf machen, wenn sie beweisen werden, daß sie die Randge­biete wirklich gegen die Invasion des Hitlergeistes verteidigen wollen, wo immer sie dieser Invasion begegnen, dann wird der loyale Teil des deutschen Volkes auch die Kraft finden, weitere Teile der deutschen Nation dem Staate zuzuführen, dann wird die Demokratie im deut­ schen Lager wachsen. Heber das, Anwachsen der braunen Gefahr und das ist der zweite groß« Irrtum im tschechischen Volk, lassen sich beträchtliche Fak­toren der tschechischen Politik durch formale Loyalitätserklärungen gern hin­wegtäuschen. Henlein wird mit der Zeit alle Loyalitätserklärungen geben, die man von ihm verlangt. Auch Hilgenreiner gibt sie gern. Das hindert tätet doch nicht» daß Henlein die hakenkreuzlettschen Kreise des deutschen Bür­gertums und Kleinbürgertums in seiner SHF vereinigt und daß der letzte Krafteinsatz dieser Front n u r der Aufrichtung einer deutschen Vor­herrschaft über Mitteleuropa , der Vernichtung der tschechischen Unabhängigkeit dienen wird. Das hindert nicht, daß Hilgenreiner, um sich neben Henlein zu behaupten, sich beeilt, dessen Po­litik zu machen, ja ihn zu übertrumpfen. Das hat leider nicht gehindert, daß im B. d. L. Män­ner und Mächte grotzgezogen wurden, die den deutschen Bauer keineswegs dem Staate und der tschechischen Nation näher bringen, sondern ihn im Gegenteil aus seiner Grundhaltung reißen und ihn mit den SHJ-Bestrebungen gleichschatten wollen. Nur wenn dieentsch«idend«nFak- torendes tschechischen Volkes das Bild der sudetendeutschen Politik endlich klar sehen werden, kann die Demokratie und damit die wichtigste staatserhaltende Kraft über FasciSmuö und Hitler -Imperialismus siegen.

vle Bestie im Menschen Wie die spanischen Revolutionäre gemartert und gemordet wurden

Der ehemalige bürgerlich-republikanische Minister Spaniens Gordön O r d a S hat auf Grund einer eingehenden Untersuchung einen Bericht über die furchtbaren Vorgänge bei der Niederwerfung des Aufstandes in Asturien verfaßt, den er, da der Ministerpräsident Ler- roux die Erörterung ablehnte, dem Staats­präsidenten Alcala Zamorra übermittelte. Wir entnehmen diesem auf die Aussagen namenüich angeführter Zeugen gestützten Berichtes einige Stellen: Die Gefängniswärter spazieren der Reitpeitsche in der Hand umher; täglich werden die Gefangenen auf die empörendste Weise geschla­gen. Die Gefangenen sind in zwei Klaffen ein­geteilt: solche, die in den Zellen gehalten werden, und die andern, di« in Gemeinschaftshast find. Die Ersteren werden zu dreißig in winzigen Zel­len mit 20 Quadratmeter Fläche eingeschlossen. Es ist ihnen daher««möglich, sich z« be­wegen, sie schlafen ttrrnusweise und liege« auf den Beinen der andere». Arbeiter, die in verschiedenen Dörfern der Provinz Leon gefangen genommen wurden, wur­den in das Polizeikommissariat in der Hauptstadt gebracht, das sich im selben Gebäude wie die Pro­vinzialverwaltung befindet. Dort wurden sie fürchterlich mißhandelt. So wurden z. B. behan­delt Alipio V l e z, Emilio O r i ch e t a, Julei P a t a n, die acht Stunde«««unterbrochen vor vier Gruppen der Zivilgarde, die sich gegenseitig nblösten, wenn sie ermüdet waren, geschlagen wurden. Dann zwang man sie, eine Erklärung, die sie nicht abgegeben hatten, zu unterzeichnen» in der der stühere sozialistische Abgeordnete Alstedo N i st a l als Führer des Aufstandes in der Provinz be­zeichnet wurde, den sie nicht«inmal kannten, und mit dem sie niemals in Beziehungen gestanden waren. Sobald sie die Erklärung unterzeichnet hatten, wurden sie unter einen Tisch befördert, an dem die Wächter kartenspielend Platz nahmen, die Füße auf den Körper der Gefangenen ge­stemmt. Im Polizeikommissariat von Leon wurde der Radioapparat angestellt, um das Schreien der Ge­folterten zu übertönen. Die Monarchisten und Fascisten, die in den Bureaus waren, stellten sich an die Fenster, um dem Schauspiel genießerisch zuzusehen. Francisco Dapena. Der fatalistische Bür­germeister von Barruelo de Santullan(Palen- cia).' Er wurde von einige« Zivilgardisten be­wacht, mitStöcken gegen d r n K o p f ge­schlagen. Dann ließ man ihn, in einer Zelle eingeschloffen, ohne jeglich« ärzüiche Hilfe liegen. Zwei, drei Stunden lang hörte man ihn noch klagen. Er versuchte aufzustehen, fiel aber unter schrecklichen Schreien wieder zu Boden. Seine Jugend und seine starke Konstitution bewirkten, daß sein Todeskämpf lange dauerte. AIS dann«ach seinem Tod seine Tochter erschien, um ihm Essen z« bringen, sagte man ihr: ,,D« kannst nach Hause«ehe«, dein Bater hat kein« Lust mehr zu essen." Ein Bruder des Verstorbenen, Bernardo, wurde an der Leiche im Friedhof verhaftet, ge­kesselt und ins Gefängnis abgeführt.

Domingo Pellitero. Arbeiter in Llombera (Leon ), der keiner polittschen Organisation ange­hörte und kein Gewerkschaftsmandat innehatte. Bei einer Hausdurchsuchung' wurden bei ihm die Bilder von Galan und Gareia Hermandez(die beiden Offiziere, die im Dezember 1930 hinge­richtet wurden und als Helden von der Republik gefeiert wurden) gefunden, ferner ein kleines kommunistisches Buch, das nicht verboten war, und -in Küchenmeffer. Pellitero war während der Hausdurchsuchung nicht zu Haufe, begab sich aber, als er davon erfuhr, in die Kaserne der Zivil- qarde von Pola de Gordon. Er wurde fürchter­lich verprügelt und hinausgeworfen. Mühselig kehrte er nach Hause zurück, als ihm unterwegs -in Zivilgardist begegnete, der ihn unter Fußtrit­ten wieder in die Kaserne zurückbefördern wollte. Er blieb aber ohnmächtig auf der Straße liegen. Mitleidige Menschen trugen ihn nach Huerga de

Vor dem bayrischen Obersten Landesgericht in München wird augenblicklich ein Monstrepro- zeß gegenSPD -Hochverräter" aus Franken und der Oberpfalz durchgeführt. Etwa 180 Per­sonen wurden vor etwa einem Dreivierteljahr in Hast genommen und jetzt erst wird ihnen der Prozeß gemacht. Wie viele Personen eigentlich angeklagt sind, wird gar nicht bekanntgegeben. Am 8. Feber hat dieses Gerjcht, wie seiner­zeit gemeldet, gegen 36 Personen die Urteile ver­kündet. 16 Angeklagte wurden zu insgesamt 49 Jahren 8 Monaten Zuchthaus verurteilt, 20 An- geklagte zu 20 Jahren 8 Monaten Gefängnis. Die Verurteilten werden beschuldigt, mit dem Vorstand der SPD in Prag in Verbindung gestanden und den Versuch unternommen zu ha­ben, einen geheimen Funktionärapparat der SPD für ganz Nordbayern aufzuziehen..Der Prozeß soll das bayrische Oberste Landesgericht noch Wochen beschäftigen. Wie wir erfahren, sollen die Verhandlungen unter Ausschluß der Oeffentlich- k e i t durchgeführt werden. Nur bei Verkündung der Urteile wird die Oeffentlichkeit hergestellt. Ist diese Mitteilung wahr, so beweist das, daß die ganzeAnklage auf schwachen Füßensteht. Die Strafen beweisen, wie sehr den Herrschern. im Dritte« Reiche vor der«! ille­galen SPD bangt. Wäre der Marxismuser­ledigt", wie die Herren sonst immer wieder ver­sichern, so würden sie durch ihre sogenannte Ju­stiz nicht wegen eineshochverräterischen Ver­suches, in Verbindung mit der Prager marxxi- stischcn Emigration einen geheimen Funktionär- apparat der aufgelösten und verbotenen SPD aufzuziehen", solche Zuchthausstrafen verhängen lassen. Die Bolksverdcrber im Dritten Reich können versichert sein, daß diese Prozeßführung und diese skandalösen Urteile der Sozialdemokratie keinen Abbruch tun. Die illegale Arbett für die SPD treffen die Schergen des Dritten Reiches damit nicht. Sie erzeugen mit derartigen Schreckensurteilen auch nicht mehr die beabfich-

Gordon, wo er bald darauf unter fürchterliche« Qualen staüb. Juan Suarez und Eusebio Fernandez. Juan ?uarez war der Vorsitzende des Gemeinde«»-» Schusses von La Vid(Leon). Dufebio Fernandez war Arbetter im gleichen Ott und Vater zweier kranker Kinder. Suarez wurde verhaftet, weil er sich weigette, in einem seiner Häuser ein Auto unterzubringen. Fernandez wurde angeklagt, Hindernisse auf der Straße erttchtet zu haben, um den Durchmarsch der Truppen nach Asturien zu verhindern. In der Kaserne der Zwilgarde von Pola de Gordon wurden beide furchtbar geschla­gen, dann in eine Ecke eines Stalles befördert, wo Suarez sofott swrb. Fernandez starb einige Stunden später, ohne ärztliche Hilfe erhalten zu haben. Gordon OrdaS schließt seinen Bericht mit einem ergreifenden Appell an den Präsidenten der Republik . Er fordert die Bestrafung derer, die diese abscheulichen Verbrechen begangen haben. Wenn die.Republik, um bestehen zu können, sich auf Verbrechen stützen muß, ist es besser, sie geht unter, als daß sie sich derart beflecke."

tigte Abschreckung. Umgekehrt: Sie steigern nur die Sehnsucht in allen Volksschichten nach der baldigen Wiederkehr der Sozialdemokratie als politischer Machtfaktor. Unter den bereits Berntteilten befindtt sich auch Genosse Franz A s ch e r l, der Vertrauens­mann unserer Lokalorganisation in Fichtenbach bei Taus. Er wurde beschuldigt, di« illegale Tätigkeit der reichsdeutschen Sozialdemokraten unterstützt z« habe«, und erhielt dafür zwei Jahre sechs Monate Gefängnis. Er wurde seinerzeit beim Beerenpflücken auf bayerischem Boden knapp an der Grenze verhaftet. Genosse Ascherl, dem die Rachejustiz des Dtttten Reiches so übel mitspielt, ist verheiratet und Familienvater.

Die japanische Gefahr Washington. Der Berichterstatter für die Frage der Errichtung neuer Militärflugplätze in den Bereinigten Staaten, Dockweller, erklätte vor der Militärkommisswn des Repräsentantenhauses, daß von den 100.000 in Kalifornien lebenden Japanern 25.000 Mann jederzeit zu de« Waffen greifen könne«. Dockiveller fügte hinzu, daß der. Antrag auf Errichtung' eines Militärflugplatzes auf Alaska als herausfordernde Geste gegenüber Japan erklärt wurde. In diesem Moment unterbrach ihn der Vorsitzende der Konimission und machte ihn aufmerksam, daß alle Ausdrücke zu vermeiden seien, die als aggressiv angesehen werden könn­ten. Dockweller fuhr dann fort: Im Hafen von Los Angeles ankert eine Flotte von 150 japanischen Fischdampfern, die langer Seefahrten fähig sind. Es scheint we­nigstens, daß es Fischdampfer find." In diesem Augenblick unterbrach der Vor­sitzende die Sitzung und erklärte, daß es notwen­dig sei, die weiteren Ausführungen des Bericht­erstatters hinter verschlossenen Türen anzuhören.

Monsterprozess gegen SPD -Hochverräter 49 Jahre 3 Monate Zuchthaus , 20 Jahre 8 Monate Gefängnis

Roman von Frttx Rosenfeld

Wenn er nicht wüßte, daß nach dem Austrstt CgÄottas die Gänge hinter der Bichne von Schimpfworten widerhallten und vom Trommeln der Faust Marcels, die gegen die Tür Carlottas hämmert, wenn er nicht wüßte, daß das Band, mit dem die beiden verknüst waren, ewiger Krieg ist, er müßte sie für eine glückliche junge Frau halten, die an ihr Kind dachte, an ihren Gatten, ihr Heim. Frau Avory wähnte, ihre Tüchtigkeit hielte die Truppe zusammen, ihre Umsicht, ihre Organi- sationSgabe, ihre Beziehungen zu allen Agentu­ren der Welt. Carlotta hielt sie zusammen, Car- lotta liebte der Zeichner und der Revolvervirtuose mit der schwarzen wehenden Binde der verkom­menen Genies, Carlotta liebte Gregor, der längst ein Engagement an einem guten Theater hätte finden, der längst auf der Bühne, im Film hätte Karriere machen können. Der Bleistift bohrte sich in das Blatt, der Zeichner machte dicke Striche kreuz und quer durch das Bild. Alles sinnlos, dachte er. Wir alle lieben sie, nur Tissot, dem sie gehört, liebt sie nicht. Gregor hatte den Mantel wie eine Decke über sich gebreitet, er hatte ein halbes Abteil für sich, gegenüber saßen zwei alte Damen, sie trugen Trauerfleider und sahen stumm vor sich hin, sie hatten seit dem Abgang des Zuges keine Silbe ge-. sprachen. Gregor blickte sie aus stummen, glühen­den Augen an, die Hitze saß in seinem Körper, aus der Heizung stieg Glut auf, Wolken von Hitze brei­teten sich unter ihm aus und hoben ihn in die Höhe wie einen Ballon. Dort unten sind Schienen, dachte er, schmale silberne Streifen. Aber er sah nicht die Schienen vor sich, sondern den Säbel, den

Schwartzkqpf auf den Tisch warf, ein Verschwörer wider den König. Ein endloser Säbel find die Schienen, nicht­weiter. Ein großer Scheinwerfer leuchtet sie an ein Dreitausender, ein gewaltiges Auge aus Glas, in das man nicht blicken kann, es blendet, Schmerz frißt sich ins Auge, in der Stirn hämmett das Blut und große, rote, grüne Kreise beginnen zu tanzen. Tanzen auf der Bühne werden sie tan­zen, in bunten Kostümen, und dann werden Demonstranten draußen zu brüllen anfangen und in den Saal stürmen. Dann kommt ein Stichwott Herr, sie verpatzen mir ja die ganze Aufnahme, ihr Sttchwort, wo bleibt ihre Replik, tun sie doch den Mund auf, wofür werden sie denn eigentlich bezahlt? Sie haben zum letzten Male bei mir ge­arbeitet, ich brauche sie überhaupt nicht mehr, gehen sie nachhause, sie sind krank. Die Kollegen grinsen. Ihre Gesichter werden ganz lang, sie tragen keine Uniformen mehr, sie tragen Trauerfleider, sie tun, als weinten sie um ihn, um seine verpfuschtes Dasein, seine verspielte, versäumte Karriere. Dann ttttt Carlotta auf und tanzt, aber Marcel steht in der Kulisse, und Gregor wagt nicht, sie anzublicken. Er hat eine Zigarette im ! Mund und ein Monokel im Aug, er trägt die Uni­form eines Rittmeisters. Jetzt kommen sie daran. Herr Durberg, schreit der Regisseur, und eine Welle von Hitze strahlt von ihm aus, er ist kein Mensch, er ist ein glühender Ofen, alle Scheinwer­fer sammeln ihre Strahlen in seinen Augen, sein Blick blendet, man sinkt um» wenn man ihn an­sieht. Der Karikaturenzeichner tzntt auf, im Licht der Scheinwerfer schmilzt sein Stift, eine lange dünne Schlange fließt über das Papier» Zabn- creme, eine ausgequetschte Tube Zahncreme hält er in der Hand. Die Schminke, mtt der Gregor sein Antlitz in das feurige, ernste Gesicht eines lei- denschastflammenden Verschwörers verwandeln will, ist ebenfalls Zahncreme, aus einem Flugzeug tropjt sie nieder auf die Erde, der Kollege daneben

flucht, seine Hände sind fettig, er läuft zum Wasch­tisch. Ein Strahl kalten Wassers schießt nieder auf Gregors Schläfen aber dann ist es nur Regen, ein weicher, milder Schneeregen des Frühjahrs, die Erde ttinkt ihn gierig. Eine Hand schiebt den Regenvorhang beiseite, Frau Avorys Gesicht däm­mert auf, fleischig, rosig, faltig, ihre Stimme schnattert:Wieder zu spät und wieder zu spät und immer zu spät".. Gregor will sprechen, aber seine Kehle brennt, er kann nicht ein einzige- Wort über die Lippen bringen: er spttcht nach innen, zu sich selbst: Und morgen komme ich wieder zu spät. Ich komme ja nicht ihretwegen, und nicht wegen der dummen Dienerrolle, die ich spiele, wegen deS Sektkübels, den ich über die Bühne tragen, ich komme Car- lottas wegen, ich will sie tanzen sehen, jeden Abend. Frau Avorny hört die Worte nicht, aber sie fällt um, als hätte eine Kugel sie getroffen. Und als Gregor sich umblickt, steht der Kunftschiche hinter ihr, sein Revolver dampft. Er hat sie erschos­sen? Er hat doch ein Verhältnis mit ihr gehabt? Hat sie auch ihn gequält? Hat er sie nicht geliebt? Warum hat er nicht auf Marcel geschossen? Er packt den Kunstschützcn am Rock.Was kostet das? Erschießen sie Marcel. Ich gebe ihnen Geld. Hun­dert. Dreihundert. Meine ganze Gage. Vierhun- .dettfünfundsiebzig. Und die dreißig, di« ich heute beim Film bekam. Es ist nicht genug? Dann scheren sie sich zum Teufel. Ich bttnge Marcel um. Ich erwürge ihn. Mit meinen eignen Händen. Gregor wandte den Kopf um, der Mantel glitt zu Boden. Die Bilder überhasteten sich, sie stürzten ineinander. Ein Mann kam, es war der Hilfsregiffeur, er nahm eine große Schere und zer­schnitt den Säbel Schwartzkopf's, zerschnitt die sllbernen Schienen. Sie zerfielen in winzige Stücke, in Münzen, die im Licht glühten. Geld! Geld müßte er haben, viel Geld, einen Berg glühendet Münzen. Dann könnte er vor Carlotta hintreten und ihr sage», wie in den Romanen, auf der Filmleinwand, auf der Bühne: Ich lieb« dich.

Dann würde sie Marcel verlassen und mit ihm gehen. Frau Avorys Truppe fiel auseinander, aber was machte daS? Er gab ihr einen Scheck, ging zur Bank, die Girls gingen mit, jedes trug einen großen Korb, die Körbe wurden mit Münzen gefüllt, sie mußten sich Autodroschken nehmen, um nach Haufe zu fahren, sie konnten die glühende sil­berne Last nicht tragen. Aber es konnte auch sein, daß Carlotta nein sagte. Dann heiratet er äenia oder Livia. Dann war es ganz gleichgültig, wen er heiratete. Sie mußte sehen: es gibt Mädchen, die froh darüber sind, seine Frau zu werden. Und auch dann flog Vieser Wanderzirkus, dieses fahrende Bordell auf. Eine Faust hieb auf den Tisch, und wie kleine Figuren, die auf einem Tisch standen, auf einer dunflen, schimmernden Holzplatte, sprangen sie in die Lust: Frau Avory, Diarcel, der Zeichner, der Kunstschütze, die Girls, und am Schluß Carlotta. Sie sanken wieder nieder, sie weinten, sie waren alle krank, in ihrer Brust saß Schmerz, aber er hörte nur Carlotta weinen, er ging zu ihr, winzig klein war sie, mtt einer Hand konnte er sie fassen und hochheben, und ihr Weinen klang silbern wie der Ruf eines Sterns in der Nacht. Die andren aber lagen da, wie der König, der abdanken mußte, er braucht nun keine Zahncreme mehr. Wo blieb das Flugzeug? Gregor hob den Kopf, ein Motor surtte in seinen Schläfen, aber er sah kein Flug­zeug, wenn es ausbleibt, ist alles abgeblasen, aber eS durste nicht ausbleiben. Er sah durchs Fenster, es dämmette, Wolle» zogen über den Himmel, Regen peitschte die Schei­ben. Das Flugzeug wird beleuchttt sein rot und blau mit riesigen dunklen Flügeln wird eS über die Stadt hinbraufen, di« Offiziere stehen an den Fenstern und sehen hinauf und jubeln mor­gen schlagen wir los. (Fortsetzung folgt.)