9t. 55 Mittwoch, 6. März 1835 Sette» Ehrenkarten Es klopfte. Herr Direktor Steinburg ließ die Sekretärin los und diktierte weiter.. und verbleiben mit ausgezeichneter Hochachtung...". s Dann rief er„Herein!". Der Diener brachte auf einem silbernen Tablett die Nachmittagspost. Das große elegante Kuvert— Diplomatenformat— fesselte sofort . die Aufmerksamkeit des Direktors. Ein Schnitt ■ mit dem ziselierten Papiermesser, dann las er pu i■ tereffiert. „Was ist es denn?", fragte die Sekretärin und zog ihre verwischten Lippen nach. „Eine Ehrenkarte.. Der neue portugiesische Gesandte gibt Morgen einen Hausball." „Darf ich mitkommen?" Sie sah ihn bit- r lend an. Er strich über ihr duftiges Haar.„Nein, Liebling, das geht nicht. Eine ganz offizielle Angelegenheit. Wird sicher sehr steif und langweilig fein— aber vielleicht läßt sich geschäftlich etwas . entrieren. Diese Ausländer sind unternehmungslustig. Unsere Sockenhalter haben Weltruf. Por tugal hat Kolonien. Eine Ausdehnung unseres Absatzes kann uns nur erwünscht sein... Nicht böse sein, kleine Mimi, morgen muß meine Frau . im Glanze ihres Familienschmuckes dabei sein, um den Herren zu zeigen, daß noch Wohlhabenheit unter der mitteleuropäischen Kaufmannschaft herrscht...1" Er steckte die Karte sorgfältig ein. „Wo waren wir stehen geblieben—?" „Inno—cen—cio da Sil—va. Portugiesischer Gesandter...!" Der Selchermeister Johann h Gottfried Weber klatschte seiner Frau auf die rückwärtige Rundung und fragte triumphierend: |„Na, Alte, was sagst' jetzt?!" „Jessasmarandjosefl", sie schlug die Hände zusammen. „Das hat mit de Heiligen gar nix zu tun! Das is eigenes Verdienst.. „Wieso der grad auf uns verfallt— da i Silber... Mir kennen ihn doch gar net?" „Des is ganz einfach: Der Gesandte wird t halt amol an Aufschnitt gessen haben oder ein t Paar Wiener Würschtel— na, und die wer'n k ihm so gschmeckt haben, daß er fragen hat laflen, l von wem die san—! De Portugaler verstengan 1 was vom Essen, mei Liaberl... Ob i eahm als k Revanche für die Ehrenkarte a Stucker! unter- k spickts G'selchts mitbring?" „Na, des schickt sich net!", wehrte Frau f Weber ab. Und sinnend:„Wo liegt denn das l eigentlich, Portugal ?" „Hörst, bist du ungebildet! Daß du mi » morgen net so blöd fragst und mi blamierst! Wo I wirds denn liegen?... I waß net... Is ja S, Wurscht! Die Hauptfach is, das neuche Kleid ziagst k an und die Wei Wllwr-M" 1:<- „Alle zwa?" „Freili— zu was hab i dirs denn kauft? » Und. die Ring net vergessen... und die Platin« | armbanduhr... und die drei goldenen Reifen." „Aber das bring i ja net alles auffi—!" „Dann hältst du's in der Hemd... Was p manst Alte— portugiesischer Hoflieferant... !. War net schlecht, was?" »Schön wär des! Aber was machen wir, k wanns a Republik san?" „Dan schreiben wir drauf: Königlich-repu- i blikanischer Hoflieferant!" „Slepicka— morgen muß mein Frack tadel- « los.aufgebügelt sein! Die Lackschuhe haben zu k glänzen wie venezianisches Kristall!" „Jawohl, Herr Kammersänger." „Und laß mich nicht an meine Orden ver- f gessen!" „Nein, Herr Kammersänger." .La—le—li—Io!— Jnnorencio!— Ma— f rne—mi—mal Da Silva!", übte der Sänger Tonleitern. Dann meinte er:»Die lieben Kol- s legen behaupten doch, ich wäre bloß eine Lokal- Größe. Ist eS nicht so, Slepicka?" „Mein Gott, Garderobenklatsch, Reid... . nichts weiter!", suchte sich der treue Garderobier herauszuwinden. k.»Eben deshalb! Du kannst den lieben Kollegen so unter der Hand erzählen, daß mir der f, Portugiesische Gesandte eine Ehrenkarte zu seinem ■ Hausball schickte! Demnach scheint mein Name schon bis an die äußerste Südostspitze Europas t k gedrungen zu sein... Wohlan! Ich habe gehört, daß die Oper in Lissabon Niveau hat. Ein Gastspiel dorthin—." Die Klingel schrillte eindringlich und gab das Zeichen zum Austritt. Die Billa des neuen Gesandten lag in einer stillen Seitengasse des Wiener Cottage. Jetzt zogen Privatwagen und Taxi in schimmernder Reihe vorüber. Da Maskenzwang herrschte, so fielen vor allem der kostbare Schmuck und die eleganten Toiletten der zahlreichen Gäste ins Auge. Die Stimmung war vorzüglich, der Ton mutete durchaus nicht gezwungen, sondern vornehm heiter an, ja es flackerte zuweilen eine Ausgelassenheit auf, wie man sie eben nur in südlicheren Ländern antrifft. "„The five big bad boys"— ebenfalls maskiert — spielten unermüdlich, die Bewirtung genügte den verwöhntesten Ansprüchen, die Elegante der Räume vervollkommnete dieses Fest. Gespannt warteten alle auf die Demaskierung, um dem Gesandten vorgestellt zu werden. Schlag zwölf verlosch das Licht. Die Masken fielen. Sie waren bereits fünf Minuten gefallen und es blieb noch immer dunkel. Die Gäste fanden den Scherz köstlich. Aus dem Gedränge klang TolKsfflrtsdiaM and Sozialpolitik Die Bodenreform Die Auflösung des Staatlichen Bodenamtes steht bevor. Nach fünfzehn Jahren endet damit die Tätigkeit einer Behörde, deren Aufgabe war, die 1819 von den gesetzgebenden Körperschaften beschlossene Bodenreform durchzuführen. Bon den im gesamten Staatsgebiet vorhandenen 14 Millionen Hektar Boden wurden über vierMillionenHektaroder29Pro» z e n t beschlagnahmt.- Rach einer Zusammenstellung im Statistischen Jahrbuch für 1934 entfielen davon bis Ende des Jahres 1932 auf: in Hektar in Proz, Böhmen .... 1,898.628 30.7 Mähren -Schlesien . 787.946 29.4 Slowakei .... 1,396.138 28.8 Karpathorußland 288.908 18.9' Bon den vier Millionen Hektar beschlagnahmten Bodens waren über 2.7 Millionen Hektar nichtlandwirtschaftlicher Boden, also Wälder, Hutweiden, Bauparzellen oder ertragsloser Boden, fast 2.3 Millionen Hektar waren Aeckcr, Wiesen, Gärten, Wein- und Hopfengärten. Interessant ist eine Uebersicht über die Größenklassen des beschlagnahmten Bodens. Es wurden beschlagnahmt: Hekt a r Zahl d. Fälle in Hektar in Prozenten bis 250 203 41.745 1.0 über 280 bis 500 - 694 247.593 6.1 über 800 bis 1.000 a 411 284.466 7.1 über 1.000 bis 5.000 a 455 988.635 24.6 über 8.000 bis 10.000 a 72 490.015 12.2 über 10.000 bis 50.000 73 1,358.609 33.8 über 50.000 bis 100.000 2 140.665 8.5 über 100.000 1 3 469.889 11.7 Ein Vergleich der Größenklassen des beschlagnahmten Bodens unter den Ländern unseres Staates ergibt dieses Bild: Bis250Hektar wurden beschlagnahmt in: Bonüber250bis1800Hektar wurden beschlagnahmt in: in Fällen Hektar Böhmen ... . 71 12.646 Mähren * Schlesien . 29 . 4.386 Slowakei ... . 119 24.069 Karpathorußland. . 16 2.428 in Fällen Hektar Böhmen ... . 331 155.964 Mähren - Schlesien . 122 62.975 Slowakei ... . 611 287.899 Karpathorußland. .«7 31.329 onüber!000b i s 5 0.0 0 0 Hektar wurden beschla. znahmt in: in Fällen Hektar Böhmen ... . 217 1,206.291 Mähren - Schlesien . 132 594.644 Slowakei... . 250 1,101.08tz Karpathorußland. . 20 71.881 Ueber 8 0.0 00 Hektar wurden beschlagnahmt in: in Fällen Böhmen .... 2 Mähren - Schlesien . 1 Slowakei .... 1 Karpathorußland.. 1 Hektar 233.727 128.991 83.879 133.270 Nahezu 86 Prozent des gesamten in Karpathorußland beschlagnahmten Bodens umfassen diese 133.270 Hektar! Das Staatliche Bodenamt hat bisher 1.8 Millionen Hektar beschlagnahmten Bodens an neue Eigentümer übergeben. Und zwar 86.000 Hektar an langjährige Kleinpächter. 1,166.000 Hektar wurden im ordentlichen Zuteilungsverfahren vergeben. Davon waren 46 Prozent Kleinzuteilung, 41 Prozent größere Objekte und 13 Prozent Restgüter. Verstaatlicht wurden-477,000 Hektar, wovon 440.000 Hektar Wald, der Rest landwirtschaftlicher Boden ist. 1.6 Millionen Hektar sind den bisherigen Eigentümern belassen worden. Der Rest wird im Zuteilungsverfahren vergeben oder verkauft werden. Die- nach der endgültigen Liquidierung des BodenamteS noch verbleibenden Aufgaben werden vom Ländwirtschastsministerium übernommen. Dänische Genossenschaft«» 14 Prozent billiger als freier Handel Der letzte Jahresbericht der dänischen Genossenschaften enthält einen Vergleich zwischen den Preisen der Konsumgenossenschaften und den Einzelhandelspreisen, die vom dänischen statistischen Amt veröffentlicht worden sind. Dieser Vergleich beruht auf Erhebungen der dänischen Genossenschaften sowie des dänischen statistischen Amtes für .133*fiüuSodiürid ftir 36 Städte»'da^uuicr„Kg? penhagen. Er erstreckt sich'auf folgende 17 Produkte: Gerste, Kartoffeln, Mehl, Reis, Sago , Zulker(feiner und Stückzucker), Kaffee, getrocknete Aepfel, Pflaumen, Aprikosen. Erbsen, Pflanzenfett, Margarine, Stockfisch, Salz, Soda, schwarze Seife. Wenn die Rückvergütung der Konsumvereine nicht in Betracht gezogen wird, so waren für 1934 die genossenschaftlichen Preise im Durchschnitt um beziehungsvolles Prusten, Kichern, Lachen. Nach zehn Minuten wurden in der Dunkelheit die ersten Rufe nach Licht laut. Man fand es komisch, daß der Gastgeber sich nicht meldete. Nach einer Viertelstunde vermutete man Kurzschluß und wartete geduldig noch weiter« 18 Minuten, bis jemand auf den Einfall kam. ein Streichholz anzuzünden. Es verglomm bald. Hat denn niemand ein Feuerzeug?, fragte einer. Doch, natürlich, antwortete des Direktors Stimm« und nach erwartungsvoller Pause:„Ich kann es nicht finden ... Ich muß es verloren haben."„Ich auch!", meldete sich ein Dritter.„Meine Tabetierel", rief ein Vierter.„Was ist damit?", fragte der düstere Chor..Gestohlen!".Nein!".Ja!" Und plötzlich kresschten eine Menge Damen und Herren: „Um Gotteswillen l Mein Armband! Meine Uhr! Meine Brieftasche! Mein Ring! Licht! Skandal! Diebe! Wo ist der Hausherr? Das find keine Witze, das kann man in Afrika machen, aber nicht in Wien ! Licht zum Teufel! Ilse! Heinrich! Adalbert! Egon! Paul! Erika, wo bist du?— Innocenzis?" ,Lierl", gab ein helles dünnes Stimmchen zurück.„Junocenciol", rief einer. „Nicht hier!", erwiderle ihm ein anderer- Gelächter, Flüche, Dunkelheft, Verwünschungen, Damen fielen in Ohnmacht, das Durcheinander war grenzenlos. Holt die Polizei! Wo sind die Türen?„Gestohlen!"„Wer macht denn jetzt noch Scherze? Sucht lieber die Klinken!" Man stieß sich an Möbelstücken wund, warf Teller auf den Boden, zerbrach Gläser, zerschnitt sich die Schuhe,'begoß die kockbaren Toiletten, aber endlich fand man die Klinken. An versperrten Türen... Haut die Fenster ein!.,. Unmöglich — der Skandal!... So stemmten sich alle gegen die Tür, sie gab nach, die vorderen kamen zu Fall, die Nachdrängenden stürzten über sie. Durch hohe Gangfenster schien mit mildem Schein der Mond. Die Villa schien ausgestorben..Hurra, ein Telephon!" jauchzte jemand.„Gerettet!", schrieen einige Optimisten.„Nein, kaputt!", sagte der von vorhin.„Die Drähte sind durchschnitten". „Adolf— meinen Mantel!", schrie gellend eine Frauenstimme. Alles raste zur Garderobe— sie war vollkommen leer.„Banditen! Gauner! Gesindel! Polizei! Wo bleibt denn die Polizei! Verständigt doch die Chauffeure!" Wie eine rachdurstige Horde Dschingiskhans trommelten nun alle gegen das Tor, zertrümmerten die Fenster, riefen um Hilfe— bis endlich ein Ueberfallsauto zur Stelle war... „Tolle Burschen!", sagte der Polizeikommissär nach erfolgtem Lokalaugenschein.„Sie haben Pech gehabt, meine Herrschaften, daß Sie gerade big Bill in die Hände fielen! Dessen Spezialität es ist, sich mit seiner internationalen Bande m leerstehende, einsame Villen einzumieten und reiche Leute auszuplündern..." Er wollte sagen: eitle, reiche Leute— unterdrückte es aber. „Diese Billa hat selbswerständlich einen rückwärtigen Ausgang, ich fürchte, Bills Vorsprung ist ziemlich groß... Jetzt muß ich die Herrschaften bitten, mir aufs Kommissariat zu folgen, um einen genauen Tatbestand aufzunehmen und die Liste der abhanden gekommen en Sachen zusammenzustellen. Bitte alles einsteigen.. Frierend und unter Protestrufen. nahmen alle in ihren Wagen Platz und fuhren unter sicherem Schutz auf das nächgelegene Kommissariat. Als der Sänger am nächsten Abend in seine Garderobe kam, stand dort ein Rosenstrauß auf seinem Tisch mit einer Visitenkarte: Dem berühmten Kammersänger in Ehrfurcht! Die portugiesische Gesandtschaft! Der Sänger zerriß die Karte. Er wußte, die Kollegen hatten sich einen Scherz erlgubt. Aber er schwieg. „Siehst du, das kommt davon, wenn man seine Freundin mit der eigenen Frau betrügt!", sagte Mimi zu Herrn Direktor Steinburg, als er übernächttg ins Büro kam. Der räusperte sich und fragte:„Wo sind wir stehen geblieben...?" „Alle zwei Kollier habens mir gestohlen und die Plattnuhr!... Und zwei goldene Reifen!", schimpfte erbost Frau Weber. »Jetzt hör schon auf, mit deinem Lamen- tieren! Mir habens a die Brieftaschen und die goldene Uhr zogen und r red net soviel! Daß du dir ka Bildung angwöhnen kannst!" „Jessasmarandjosef! Die. ganze Brieftaschen?" Johann Gottfried Weber nickte.„Und die goldene Uhr? Die was i dir zur silbernen Hochzeit gschenkt hab?" Er nickte wieder. Frau Weber weinte. Plötzlich meinte sie entrüstet: Mnd so aner Bagasch' hast du a unterspickts Gselchts bringen wollen!"—hlr—. Venizelos an der Spitze der Aufrührer Der 71jährige frühere Ministerpräsident von Griechenland , Venizelos , steht an der Spitze des griechischen Aufstandes, der zu einer schweren Machtprobe der griechischen Regierung geworden ist. 7.1 v. H. niedriger als die Preise, die das statt» stische Amt für den Einzelhandel veröffentlicht. Wird die genossenschaftliche Rückvergütung mft eingerechnet, so waren die genossenschaftlichen Preise im Durchschnftt um 14.4 v. H. niedriger. Frauenarbeit in Rußland Die Frauenarbeit in der Union der Soziafi-: stischen Sowjetrepubliken hat in den letzten fünf Jahren sehr zugenommen. Nach den vom Zentralrat der Gewerkschaften veröffentlichten Stattstiken hat sich die Zahl folgt entwickelt: der beschäftigten Frauen wie Zeitpunkt Zahl der beschäftigten Krauen Hmidertsav der Kraue» im Verhältnis zur Gesamtzahl der Beschäftigte» 1. Oft. 1928 2,394.500 24,6 1. Ott. 1930 3,697.600 25,1 1. Juli 1932 6,907.000 30,6 1. Juli 1933 7,066.900 37,7 Es waren demnach im Jufi 1933 mehr als ein Drittel aller Arbeitnehmer Frauen. Nach Angaben des russischen Zentralstattstt- schen Amtes war die v. H.-Zahl der beschäftigten Frauen«n den 1928 v. H. 1933 V.S. Produktionsmittelindustrien 11,3 24,0 Verbrauchsgüterindustrien 50,0, 57,2 /Mach- drr^ Mtttszvsmnmenfetzüng ergeben> die Erhebungen, oäß die'grosse Mehrzahl der&e2* fÄ schäftigten Frauen weniger als 30 Jahre alt ist. Mehr als die Hälfte der Arbeitnehmerinnen hat ein Alter unter 23 Jahren. Gin erschütterndes Liebermann-Dokument »„Ich leie nur»och a«S Haß.. In der»Reuen Zürcher Zeitung" schildert«in« junge Schweizerin ihren eineinhalbstündigen Besuch bei dem kranken, verzweifelten Mar Liebermann der letzten Wochen. Es ist wohl der einzige Besuch, den Liebermann im Ausklang seines Lebens empfangen hat. Der Bericht der Schweizerin ist von hohem dokumentarischem Wert, zeigt er doch mit aller Deutlichkeit, daß diesen alt«n Mann die Hitlers barbarei in den Tod getrieben hat. »Ich mag nicht mehr leben..." sagt Liebermann zu seinem Besuch,„ich habe eS so s a t t, so satt... AuS der Akademie haben sie mich h i n- auS geworfen, deren Präsident ich dreizehn Fahre lang war— nure n einziger von diesen...». hat den Mut gehabt, dagegen zu. pro- testieren—: Kokoschka ..." Die Besucherin versucht einen Einwand:»Abe« Herr Professor, stehen Sie nicht über allen diesen Dingen?" Liebermann antwortet:»Mein liebes Kind, glauben Sie doch nicht, daß irgendeiner von uns über den Dingen steht—, wir sind alle abhängig vom Urteil unserer Mitmenschen.,. Es ist eine,schwer« Zeit— mich jammerts, wenn ich an dit Jugend von heute denke.-." Pause des Schweigens. Und dann sagt der alte Künstler, mit einem Gesicht, aus dem unsägliche Bitterkeit spttcht; ..Wissen Sie, rchlebenurnochausHaß. Jeden Tag, wenn ich die Treppe dieses Hauses hinaufgehe, das noch meinem Vater gehörte, steigt der Haß in mir hoch. Ich möchte mit Bismarck antworten: Meine Nächte verbringe ich nur noch mit Haß.... ich schaue nie mehr aus den Fenstern dieses Zimmers:— ich will die,... Welt um mich herum nicht sehen...." Und auf einen weiteren Einwand: „Ja, ich kriege Briefe von überall,' es ist schöh aber sehen Sie, ich bin mein ganzes Leben Deut scher gewesen, nur Deutscher. Seit siebzehn Jährest habe ich Berlin überhaupt nicht mehr verlassen—•, ich hätte anderswo leben sollen— ich tonnte es nicht. Mein ganzes Leben glaubte ich Deutscher zu sein— und jetzt— was bleibt mir jetzt übrig!" So starb der deutsche Künstler Ma^ Liebermann—.
Ausgabe
15 (6.3.1935) 55
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