Sosialdemokrat
ZENTRALORGAN
DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK
ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRUH. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077, HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB . CHEFREDAKTEUR : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG .
15. Jahrgang
Donnerstag, 7. März 1935
Einzelpreis 70 Heller
( einschließlich 5 Heller Porto)
Nr. 56
Der demokratische Präsident
Zu Thomas Masaryks 85. Geburtstag
,, Die Demokratie hat das Recht, sich selbst
und ihren Staat zu schützen."
Das Fest des 85. Geburtstages des Präsidenten Masaryk wird von der demokratischen deutschen Bevölkerung im allgemeinen, von den deutschen Arbeitern im besondern, mit Freude und Erhebung begangen. So kalt uns in der alten Monarchie Kaisergeburtstage gelassen haben, so sehr freuen wir uns, daß der Präsident, den wir gewählt haben, an seinem Festtage wieder förperlich gesund und geistig agil und lebhaft ist, so sehr freuen wir uns ihm heute zu sagen, von welcher Liebe und Verehrung wir zu ihm erfüllt sind.
Die deutschen Sozialisten dieses Landes haben allen Grund mit dem erwählten Staatsoberhaupt zufrieden zu sein. Seit seinem Eintritt in das politische Leben ist Masaryk Demokrat und Freund der Arbeiterschaft gewesen und er ist sich darin treu geblieben in all den großen Veränderungen und Umwälzungen, die das politische Leben Europas seit einem halben Jahrhundert erfahren hat. Ihm kommt ein Teil des großen Verdienstes zu, wenn die tschechische Intelligenz, die er als Universitätslehrer erzogen hat, sozialen Fragen gegenüber größeres Verständnis bekundet als die deutsche, die ihre Weltanschauung aus der Pseudowissenschaft des Ständetheoretikers Spann oder des Rassisten Günther schöpft. Masaryk ist in allen großen Kämpfen der Arbeiterschaft der alten Monarchie an ihrer Seite gestanden, er hat im Wahlrechtsfampf 1905 ebenso mutig seine Stimme erhoben wie beim Bergarbeiterstreik in Kladno 1900 oder in den Schlachten, welche wir gegen den Kleritalismus für die Freiheit des Geistes geschlagen haben. Masaryk gehört zu jenen großen Ideologen, welche über die Schranken der herrschenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung hinaus. sehen, die schwere Strise des Kapitalismus er. fennen und vom Kommen einer anderen Gesell. schaftsordnung überzeugt sind. Als unmittelbar nach dem Weltkriege das Problem der Sozialifierung aktuell wurde, hat Masaryk als Präsident der Republik ausdrücklich erklärt, daß er fein Gegner der Sozialisierung sei und daß der Krieg und die aus dem Kriege hervorgegangene foziale Revolution... nirgends ein ungestörtes Weiterbestehen der sozialen Ordnung der Vorfriegszeit erlauben" werden. Während in der Borkriegszeit jeder deutsche Privatdozent sich mit Angriffen auf den wissenschaftlichen Sozialis. mus seine Sporen zu verdienen glaubte, hat zwar Masaryk die marxistische Lehre( und dies sachlich)| fritisiert, aber den Sozialismus als Notwendig-| feit erkannt. Nicht der dem deutschen Bürger- und Kleinbürgertum zur zweiten Natur gewordene
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Sander
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Wagner, Victor Hugo und Zola, Bebel und Jaurès sieht Masaryk in der Allmenschlichkeit keinen Gegensatz zur Liebe zum eigenen Volfe. Wie Jaurès so schön gesagt hat, daß wenig Liebe zur Nation von der Internationalität ablenke, viel Liebe zur Nation aber zur Internationalität führe, so stammt von Masaryk das Wort:„ Die Nation ist nicht außerhalb und neben der Menschlichkeit und deswegen tun wir alles, das Gute und das Schlechte, das wir für die Nation hun, auch für die Menschheit." Die allmenschlichen Ideale, die im demokratischen Sozialismus blühen und gedeihen, waren und sind stets auch die seinen und in der Humanität hat er, der gern an die Tradition der böhmischen Brüder anknüpfte, geradezu den Sinn der tschechischen Geschichte gesehen.
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Was wir aber in den letzten Jahren an unserem Präsidenten so sehr geschätzt haben, war sein entschiedenes, durch nichts zu erschütterndes Bekenntnis zur Demokratie. Während sich rings um uns eine ihren Aufgaben und Idealen untreue Wissenschaft zur Begründung der ärgsten Barbarei mißbrauchen ließ, während der nationale Befreier Polens sich zum Diktator aufschwang und seine früheren Freunde in den Sterfer schickte, ist Masaryk feiner demokratisch menschlichen Ueberzeugung treu geblieben er hatte den Ehrgeiz, nicht nur der nationale Befreier, sondern auch der politische Erzie her seines Volkes zu sein, er wollte keine Untertanen, sondern Mitbürger. Er war stets Demofrat, weil er sein Volt reif machen wollte, sich selbst zu regieren. Das Revolutionäre der Demofratie besteht seiner Auffassung nach darin, daß das Volk vorbereitet wird, die Zügel der Administration zu übernehmen". Er hat sich auch niemals mit der Demokratie als einer politischen Staatsform begnügt, sondern immer den Aus. bau der politischen zur wirtschaftlichen und sozialen Demofratie gefordert, ohne die ihm die Demokratie nicht„ echt" erscheint. Auch die Demokratie bedeutet ihm Humanität, fulturelle und soziale Fortentwicklung und eines der schönsten Worte, das je von der Demokratie gesagt wurde, stammt von Masaryk . daß sie nämlich die politische Form der Menschlichkeit sei. Während die Diktatoren Europas jeden Augenblick mit dem Schwerte rasseln und in die Kriegstrompete blasen, geht Masaryks, des großen Europäers Sehnen nach der Menschlichkeit, die ganze Blüte einer jahrhundertealten Kultur scheint in dem Weisen von Lana zur Entfaltung gekommen zu sein. Aber Masaryks Realismus hat ihn nie dazu verleitet, ein Schwärmer zu werden, der den Boden unter den Füßen verliert und den Himmel voller Geigen sieht. Er hat es stets betont, daß man das Gute auch verteidigen müsse, wenn man es bewahren und erhalten wolle. Die Entwic
sondern all die taktischen Erwägungen von Kleingeistern liſch, Polnisch und Russisch gekonnt, später hat er lung der letzten Jahre hat Masaryks Auffassung hefes Verstehen der sozialen Probleme unserer gestellt und hat mit großem, selbst förperlichem noch Italienisch gelernt. Von Anbeginn seiner von einer starten und wehrhaften DeZeit, der Not der Nermiten das war für den Mut die Fahne der Wahrheit in seinen Händen Prager Wirksamkeit war es ſein Bestreben, den mokratie bestätigt, einer Demokratie, welche Brofessor Masaryk ebenso charakteristisch wie für gehalten, als sie ihm wütende Fanatiker zu ent- Tschechen die Kenntnis der Philosophie, Soziolo- ihre Segnungen nur denjenigen zuteil werden den Präsidenten. reißen drohten. gie und Literatur der großen Kulturnationen zu läßt, die sich zu ihr bekennen und ihre Freiheiter Seine Wahrheitsliebe und sein Mut haben vermitteln, er gehört zu jenen großen Söhnen nur jenem gibt, der sie nicht mißbraucht. In der Was wir Deutschen gerade jetzt vom Präsidenten lernen können, ist nicht nur sein tiefes ihn auch davon abgehalten, je in seinem Leben seines Volkes, die den Tschechen die Fen- kraftvollen Verteidigung der Demokratie wird joziales Empfinden, sondern seine Wahrein Nationalist zu sein. Ebenso fremd wie klein- iter nach Europa aufgerissen haben. Masaryk im tschechischen und deutschen sozialisti beitsliebe und sein Mut, seine Zivil- bürgerliches Festhalten an gesellschaftlichen Zu. Allen nationalistischen Phrasen hat er die pofi- schen Proletariat treue und tatbereite courage" wie Bismarck diese schöne menschliche ständen bloß deshalb, weil sie ein paar Jahre tive Arbeit für die Nation entgegengestellt und Bundesgenossen finden. Möge uns der Eigenschaft genannt hat. Im Kampfe um die existieren, ist ihm eine engitirnige Betrachtung gegenüber dem altrömischen Grundsatz, es sei süß Präsident noch lange Jahre erhalten bleiben, daKöniginhofer Handschrift, im Prozeß Hilsner, in des nationalen Problems. Er ist stets ein und ehrenvoll für das Vaterland zu leben, sagte mit wir an seiner Seite für den Frieden und die den Schlachten um die Demokratisierung der guter Tscheche und darum mehr er mit Havlíček, man müsse für Nation und Va- Menschlichkeit, für den sozialen und kulturellen Monarchie, im Kampfe gegen Aehrenthal und als ein Tscheche gewesen. Schon in terland leben. Wie sein großer Landsmann Ko- Fortschritt und für eine Ordnung der Gesellschaft den Historiker Friedjung hat er oft um den Preis der Mittelschule hat er außer seiner Mutter- menstý und wie überhaupt alle wirklich großen fämpfen, welche die Verwirklichung unserer geder eigenen Volkstümlichkeit die Wahrheit über sprache und dem Deutschen , Französisch, Eng- Geiſter, wie Goethe und Schiller , Beethoven und meinsamen großen Ideale ist.