Sk. 58 SamSta«, 9. März 1935 Leite 5 Entdeckung eines Hochgebirges Washington . Der bekannte Forschungsreisende Bradford Mashburn überflog Donnerstag kreuzweise den letzten noch nicht karthographisch aufgenommenen Teil des zu den Vereinigten Staaten von Nordamerika gehörenden Festlandes auf der Halbinsel U u k o n und entdeckte ein ausgedehntes Gebirge, dessen einzelne Berge mehr als 3000 Meter hoch und von mächtigen Gletschern bedeckt sind. Der Forscher startete in der Stadt Carcroß am Aukon. Das Gebiet wird jetzt in die Karten ausgenommen werden. Der verderbliche Handkuh. Der Gesandte des Deutschen Reiches beim Freistaat Irland in Dublin . Georg v. Dehn, war daheim wohlge- liiten und hochgeschätzt. Er sollte als Gesandter nach Bukarest geschickt werden, was ein Avancement dargestellt hätte. Da geschah eS, daß er bei der Abschiedsfeier in Dublin dem p ä P st l i ch e n Nuntius Monsignore Robinson die Hand küßte, wobei der Gesandte das Knie seicht, aber vorschriftsmäßig beugte. Man hatte in Berlin nichts davon erfahren, wäre nicht in der Dubliner Dresse eine Photographie dieser Ehrenbezeugung erschienen. So aber gelangte der Kotau zur Kenntnis des außenpolitischen Amtes der Nazipartei. Nun ist es nichts mehr mit Bukarest für Herrn v. Dehn. Englische Kriegsdienstverweigerer rehabilitiert. Di« Arbeitermehrheit des Londoner Graf- schaftsrates hat bereits im vergangenen Herbst einen„consensious objector", d. h. Kriegsdienstverweigerer aus GewissenSbedcnken, wieder in den Gemeindedienst eingestellt und jetzt zwei weiteren die ihnen im Krieg aberkannten Stellungen im Schulwesen wiederverliehen. Sie wurden mit dem hochstzulässigen Jahresgehalt von 400 Pfund angestellt. Zu den„c. o." gehörte übrigens auch der damalige Sekretär der Unab- hängigen Arbeiterpartei, James Ramfay M a c- donald. Er wurde mst sechs Monaten Gefängnis bestraft. Die Militarisierung der japanischen Schul - lügend. In ganz. Japan werden im April des JahreS 15.000 Sch u l e n für etwa 2% Mill« krönen Jugendliche eingerichtet werden. Die Einrichtung dieser Schulen soll der körperlichen Ertüchtigung der japanischen Jugend dienen mit dem Zweck, auch in Japan eine vormilitärische Ausbildung einzuführen. Kampf gegen Streikbrecher. In Malmö (Schweden ) ereigneten fich zwischen streikenden Arbeitern und den an Stelle der Streikenden aufgenommenen Arbeitern heftige Zusammenstöße, bei welchen mehrfach Schüsse gewechselt wurden. Die Polizei zerstreute die Demonstranten. Eine Person wurde verletzt. Bei Kanalbauten in der Nähe der japanischen Stadt Gifu , Aichi , ereignete sich ein E r d r u t s ch, bei dem 18Arbeiter verschüttet wurden. Die Verschütteten konnten nur als L e i ch e n geborgen werden. Wenn Sie für die Düngung Ihrer Blumen den guten Blumen-Zauberdung verwenden, werden Sie zauberhaft schöne Blumen haben 1 Picket mit Postzusendung KC 5*60 durch Verwaltung»Frauenwelt', Prag XI!, Fochova 62. Del Kolporteure» erhiiltl. Gegen den Justizmißbrauch des Schutzbund-Prozesses Nachstehend veröffentlichten wir einen Aufruf, der von Hunderten hervorragenden Persönlichkeiten des parlamentarischen und politischen Lebens, der Wissenschaft, Kunst und Journalistik aus Belgien , Bulgarien , Dänemark , Frankreich . Holland , Italien , Jugosiawirn, Litauen , Palästina, Polen , Rußland , der Schweiz , der Tsche« choflowakei, der Ukraine , Ungarns und der Bereinigten Staaten von Nordamerika unterfertigt ist: Die Unterzeichneten erheben öffentlichen Protest gegen einen Justizmord an mehr als 20 Arbeitern und zwei Offizieren, den die österreichische Regierung vorbereitet. Die Wiener Regierung schickt sich an, den Major Eifler, den Hauptmann Löw und mehr als zwanzig Arbeiter, die Gruppenführer des Wiener Schutzbundes gewesen sind, des Hochverrates anklagen zu lassen. Major Eifler, Hauptmann Löw und die große Mehrzahl der Gruppenführer wurden schon vor dem Wiener Aufstande im Feber.1984 verhaftet. Sie wurden in demselben Augenblick verhaftet, in dem die Heimwehr die bewaffnete Erhebung gegen die demokratische Verfassung Oester reichs begann; sie wurden verhaftet, damit sie nicht in der Lage seien, die verfassungstreuen Republikaner Oesterreichs zum Schutze der republikanischen Verfassung aufzubieten. Sie hatten, da sie bei Ausbruch des Aufstandes der Wiener Arbeiter schon verhaftet waren, an den Kämpfen keinen Anteil. Sie werden jetzt angeklagt, weil sie diese Kämpfe vorbereitet hätten. In der Tat, sie haben Waffenlager zum Schutze der Verfassung angelegt und werden deshalb jetzt von denjenigen, die Waffenlager zum gewaltsamen Umsturz der Verfassung angelegt haben, vor Gericht gestellt. Man kann nicht zynischer die Justiz zum bloßen Werkzeug des Bedürfnisses nach Rache an unterlegenen Gegnern mißbrauchen. Die Achtung der zivilisierten Welt vor diesen Männern ist um so größer, da die österreichische Regierung ihnen Straflosigkeit angebotcn hat, wenn sie in den Dienst des Fascismus träten. Daß sie die Zumutung, ihre Gesinnung zu verraten, abgelehnt haben, bezahlen sie nun damit, daß sie vor Gericht gestellt werden. Ausländische Regierungen haben die sascisti» sche Regierung Oesterreichs vor wenigen Wochen erst durch Uebrrnahme der Staatsgarantien für eine österreichische Anleihe und durch die internationale Garantie der Unabhängigkeit Oesterreich? unterstützt. Um so mehr Recht hat das zivilisierte Ausland, gegen den geplanten Justizmord zu protestieren, der das Rechtsbewußtsein aller Kulturmenschen beleidigt. Vie Schulreaktion In Oesterreich Die Pressekorrespondenz des„Deutschen Lehrerbundes in der Tschechoslowakei " beschäftigt sich in einem längeren Artikel mit den Schul- verhältttissen in Oesterreich seit dem Siege des FasciSmus. In dem Aufsatz wird gesagt, daß die Klerikalen einen reaktionären Angriff nach dem anderen auf das Schulwesen und die Lehrerschaft Oesterreichs unternehmen. Die Schulreform, die von den Sozialdemokraten eingeführt wurde und in der ganzen Kulturwelt Bewunderung und Anerkennung fand, wird bald restlos liquidiert sein. Der„Deutsche Lehretbund in der CSR ." bedauert das ungemein und erklärt, dqß die österreichische Lehrerschaft erst jetzt richtig erfaßt hat, was die Demokratie für sie bedeutete. Diese Erkenntnis ist sicher sehr wertvoll. Wenn die klerikalen Fascisten noch lange in Oesterreich an der Macht bleiben, werden die Lehrer dort sehr bald wieder den Pfarrer rasieren und die Glocken läuten müssen. Uns dünkt jedoch, daß unsere deutschen Lxhrer nicht nur am schwarzen, sondern auch am braunen Fascismus manches äuSzusetzen hätten. Davon aber, daß unsere völkischen Lehrer auch gegen die Schulreaktion im Dritten Reich protestieren würden/' hat man bisher recht wenig gehört. Lehrreiche Auflageaziffern deutscher Zeitschriften. Einer Zusammenstellung der Auflagen- ziftern deutscher Zeitschriften, die die weit öfter bekänutgegebenen Ziffern der Zeitungen in interessanter Weise ergänzt, entnehmen wir: Die gtöß- ten Auflageziffern weisen solche Zeitschriften auf, die nur formell gleichgeschaltet sind, wie Velhagen und Klasings Monatshefte mit 47.000 und Westermanns Monatshefte , deren Auflage im letzten Jahr sogar um 2000 zunahm, mit 32.000. Aehnlich steht es mit solchen, die im Rufe einer, wenn auch behutsamen, oppositionellen Einstellung stehen, wie die„Deutsche Zukunft"(24.000). Die änderen Zeitschriften folgen dann erst in sehr weitem Abstande. Der Zeitschrift„Die Tat", die früher einen sehr eigenwilligen Kurs verfolgte und für Planwirtschaft eintrat— wobei übrigens teilweise dwergierende Tendenzen dort Unterschlupf suchten—, ist die Gleichschaltung übelbekommen. Ihre Leserzahl sank von 13.500 in einem Jahre auf 7000. Die keineswegs nationalsozialistischen Süddeutschen Monatshefte konnten ihre Auflage von 3000 auf 5300 steigern. Die katholische Zeitschrift„Hochland" erhielt seinen Stamm von etwas über 7000 Lesern. Die«Reue Rundschau" sank von 5000 auf 4200, die„Literatur" von 3500 auf 2900. In all diesen Zahlen liegt auch ein gewisser Sinn. Volkswirtschaft und Sozialpolitik Ergebnislose Wirtschafts verhandlungen mit Deutschland Die seit Wochen in Berlin zwischen der Tsche- choflowakei und Deutschland geführten Wirt- schaftsverhandlungen werden in den nächsten Tagen abgeschlossen werden, ohne daß ein positives Ergebnis zustande gekommen ist. Es wurde in drei Kommissionen- eine für die industriellen, eine für die landwirtschaftlichen und eine für die Fragen des Zahlungsverkehrs, gearbeitet, ohne daß es gelungen ist, die gegensätzlichen Interessen beim Warenaustausch auszugleichen. Von deutscher Seite wurde ein Entgegenkommen auf die von der Tschechoslowakei vorgetragenen Exportwünsche abgelehnt. Außerdem wurden für die Bezahlung des gewünschten zusätzlichen tschechoflowakischen Exports von Deutschland Vorschläge gemacht, die zu erheblichen finanziellen Schwierigkeiten geführt hätten, von denen zuerst die tschechoslowakisch» Exportindustrie betroffen worden wäre. Auch über die eingefrorenen Warenkredite, die Tschechoslowakei hat einige hundert Millionen KL von Deutschland zu fordern, konnte ebenfalls keine Einigung erzielt werden. So droht dem tschechoflowakischen Export durch die starre handelspolitische Bindung Deutsch lands eine weitere Einschränkung. Formell soll zwar an den vereinbarten Jahreskontingenten nichts geändert werden; da aber die vorgesehenen Mengen seit Inkrafttreten des neuen Vertrages zum Teil schon wesentlich überschritten sind- so ist die Einschränkung der Ausfuhr unumgänglich. Auf der anderen Seite aber wird die Einfuhr deutscher Waren in der nächsten Zeit in verstärttem Maße erfolgen, da nur so die Aussicht besteht, daß die mehr als 320 Millionen KL, die jetzt die Clearingspitze zugunsten der Tschechoslowakei beträgt, von Deutschland bezahlt werden. Im ganzen betrachtet, erbringen die tschechoslowakisch-deutschen Wirtschaftsverhandlungen erneut den Beweis, daß die Handelspolitik der nationalsozialistischen Reichsregierung die Wiederaufrichtung des Weltaußenhandels und der Weltwirtschaft ernstlich hemmt. WWk M»stW eines MW» MUtts 3n der Toilette eine« Kaffeehauses Prag . Anton K«j n y, ein ehemaliger Flei- schergehilf«, hat Wit seinen 36 Jahren bereits 14 Vorstrafen absolviert, vom Taschendiebstahl und Wucher angefangen bis zur schweren Körperver« »etzung. Unter seinen Vorstrafen befinden sich solch« bis zu zwei Jahren schweren Kerkers. Er gilt als lemeingefqhrlicher, gewalttätiger Berufsverbrecher, der kein« Bedenken trägt, in unangenehmen Situationen ohne weiteres den Revolver zu ziehen. Durch Anordnung der Prager Polizeidirektion ist er seit September 1938 dauernd auS dem Prager Rayon auSgewiesen. Die Polizei bekam indessen im Mai v. I. die Meldung, daß sich K e j n y verbotenerweise in Prag äufhalte, um vermutlich wieder irgendein„Ding zu drehen". Die Detektiv« I e k l und Havelka machten fich auf die Suche nach dem unerwünschten Heimkehrer. In einem Kafteehaus auf dem Wen- zelSplatz betraten sie tatsächlich ihren Mann, der dort mit einem Bekannten namens MatouSek eine Zusammenkunft hatte. Dieser MatouSek ist ein Gelegenheitsdieb,«in armer Tropf, der sich regelmäßig von routinierten Kollegen zur Teilnahme an Unternehmungen bereden läßt, bei denen er meist draufzahlt. Während der Detektiv Havelka fich dieses verhältnismäßig harmlosen Burschen bemächtigte, «rauchte sein Kollege Jekl den nach der Photographie erkannten Kejny, ihm auf die Toilette zu folgen, wo a ihn ins Gebet nahm. Kejny versuchte sich zu ver- stugnen und legte dem Polizisten als Dokument«inen ioftenbar gestohlenen) Heimatschein auf den Namen Franz K ö h l i g vor. Der Detektiv las das Dokument, ohne aber den wegen seiner Gefährlichkeit berüchtigten Verbrecher auS dem Auge zu lassen. Und diese Vorsicht war keineswegs überflüssig gewesen. Eben noch zur rechten Zeit bemerkte der Polizeiinspektor, daß der Angehaltene plötzlich in die rechte Rocktasche fuhr und einen Browning herausriß. Der Detektiv packte den Arm seines Gegners und suchte ihm die Waffe zu entreißen, wobei es zu einem hartnäckigen Ringen kam. Kejny wehrte sich wie rasend. Der Detekftv alarmierte schließlich durch Fußtritte gegen di« Türe der Toilette seinen Kollegen Havelka, der mit dem harmlosen Komplizen kkejnys beschäftigt war. Havelka eilte zu Hilf«, aber es dauerte noch eine ganze Weile, ehe der Verbrecher überwältigt war. Freitag stand der berüchtigte Anton Kejny vor dem Strafsenat Pazdersky unter Anklage der öffentlichen Gewalttätigkeit, der Uebertretung des Waffenpatentes und der verbotenen Rückkehr. Mit Rücksicht auf die notorische Gefährlichkeit und die zahlreichen schweren Vorstrafen des Angeklagten verhängte der Gerichtshof ein strenge- Urteil: drei Jahre schweren und verschärften Kerkers. rb. Fade«, die zerreiße« Bon Pera Inter. Das Rendezvous war für acht Uhr abend- berabredet, die Stunde, in der die Maschinen schweigen und die Herzen reden. Sie hatten vereinbart, sich an der Haltestelle des Autobus Kus- netzkajastraße zu treffen.— Es hingen schwere Schneeflocken vor dem Mond, der Wind wehte, es schneite. Die Flocken wirbelten durch die Straßen, besäten sie mit Diamanten, die Lust glitzerte. Dimitrij Ssnurenkow war ein blutjunger Student deS zootechnischen Instituts. Daß eS in diesem Institut auch eine Textilabteilung gibt— wer möchte es glauben? Aber eS war so. Und sie blühte und gedieh. Dimitrij Ssnurenkow ging zum Rendezvous. Trotzig bot er das Gesicht dem Schneesturm dar, wie es einem jungen Mann geziemt, der seinem Stern vertraut. Ja, er verließ sich auf diesen Stern, er wußte, eS war ihm bestimmt, nach allen Prüfungen des LebenS und des Instituts im Hastn der Sowjettextilindustrie einzulaufen. Er sich sich im Traum schon al# Direktor einer Fabrik. Nickel und Messing de/ Maschinen glänzten. Zentimeter, Meter, Kilometer von Geweben häuften sich. Genug, um die ganze Union zu bekleiden! Und die ganze Union wuvde bekleidet. Und der Name Ssnurenkow wurde im Kreise der roten Direktoren mit Liebe und Achtung genannt. vorläufig aber wartete er auf seine Geliebte. Ihr soziales Gesicht war unklar— das beunruhigte Dimitrij— aber ihr Mädchengesicht war einfach entzückend— und das beunruhigte Dimitrij auch. In seinen Träumen sah er die Geliebte an seiner Seite, sie wohnten zusammen Neben der Fabrik. Jede Maschine stand ihr nahe wie ein eigenes Kind. In schweren Stunden, wenn das Werk durch Feuersbrunst oder Ueberschwem- mung bedroht war— Dimitrij sah auch solche Möglichkeiten voraus—, wird sich seine Geliebte wie eine Kämpferin, wie das Weib eines I Kämpfers bewähren. Sie wird die kostbaren Messingtafeln, auf denen die Muster der künftigen Flanelle und Batiste prangen, retten. Sie wird durch die Rauchwolken huschen, ihre Haare, dicht wie ägyptische Baumwolle, werden von der Feuersbrunst gerötet sein. DaS Schneegestöber wogt zum KuSnetzkiplatz, die Flocken werden immer dichter— nehmen die Gestalt eines kurzen, weißverbrämten Pelzes an — die hohe Pelzmütze ist tief über die Ohren gezogen— Die Lider sind schwer von Schnee... „Guten Tag", sagte die Geliebte mit silberheller Stimme.„Was für einen Platz haben Sie sich da ausgesucht! ES zieht ja abscheulich. Gehen wir inS Kino." Dimitrij Ssnurenkow spürte die trostlose Leere in seinen Taschen und sagt:«Rein, eS geht nicht." Die Freundin beim Arm nehmend, sie mit seiner Schulter vor dem Schneegestöber schützend, führte er sie zur Kusnetzkibrücke. Er hätte ihr gern gesagt, wie er sich die Zukunst an ihrer Seite vorstellt, wie wundervoll ihre schneebedeckten Wimpern sind, wie seine Liebe zu ihr mit jedem Tag wächst, ebenso wie die Produktionskräfte des Landes. In den Theatern sind die Stühle aus rotem Samt. In den Kinos bekommt man nur den kalten Glanz stemden Lebens zu sehen. Aber hier auf der Kunetzkaja durchweht einen der Schneesturm, erwärmen die freundlichen Lichter der Auslagen das Herz, so wie die Sonne, die die Nebel durchbricht, das Herz der Lappländer ersteut. Bor I einer Auslage, hinter deren Spiegelscheiben zartes* rosa- und pfirsichfarbenes Gewebe rieselt, blieb Dimitrij Ssnurenkow mit seiner Freundin stehen. „Sehen Sie nur", sagte er,„wie der Kam- boljtrust arbeitet. Ich möchte eine Frau sein, um solche Stoffe tragen zu können." „Unsinn", erwiderte die Freundin.„DaS ist doch Barchent, billiger Schund. Wer trägt denn so etwas! Natürlich, wer nie ausländische Stoffe gesehen hat... l" „Schund?" stagte Dimitrij Ssnurenkow. „Wieso Schund?" „Eben darum. Bei uns gibt es nichts ordentliches. Alles zerfällt." „Erlauben Siel", rief Dimitrij. Aber sie erlaubte nicht. „Nein, erlauben sie schon", rief sie, den Schneesturm übertönend,„reden Sie nicht, wenn Sje nichts wissen. Tragen Sie Seidenhemden? Kaufen Sie russischen Crepe de Chine? Das ist nur elendes Zeug. Sehen Sie sich das an." Und schlau wie ein berechnendes Weibchen drehte sie sich mit dem Rücken gegen den Schneesturm und öffnete den Pelz an der Brust. Dimitrij Ssnurenkow beugte sich über sie, verspürte den angenehmen Hauch des erwärmten Pelzes und sah die perlmutterweiße Brust im Pelznest. „Sehen Sie da", sagte sie und legte ihre weißen molligen Finger auf die Brust.„Was ist das, glauben Sie?" „Das?" erwiderte Dimitrij Ssnurenkow. „Ich weiß«S nicht. Ich habe Sie lieb." „Aber ich weiß es. ES ist russische Seide." Und wieder legte sie die Hand auf ihre Brust. Und Dimitrij sah daS orangeseidene Hemd, das zerrissen war, so wie minderwertige Seide zerreißt: ein länglicher zerfaserter Riß. „Das ist russischer Crepe de Chine", rief sie triumphierend.„Wollen Sie den etwa vertei-1 digen? Bei uns ist ja nichts Ordentliches zu haben. Aber im Ausland..." „Wie können Sie das vergleichen?", rief er ganz verzweifelt.„Was heißt das: bei uns ist nichts Ordentliches zu haben. Wir haben alles. Aber die Rohstoffe... Können Sie das nicht begreifen?", „Unsinn", sagte sie.„Nächstes Jahr fahre ich nach Paris und bleibe dort für immer. In der Nähe ist Nizza . Im Last darf man tanzen, in den Geschäften gibt es Ausverkäufe, da kann man um ein paar Groschen Seide kaufen." „Paris ?" wollte Dimitrij stagen, aber es kam kein Wort über seine Lippen. Und die Fabrik mit den neuen Gebäuden? Und die Ueberschwem- mung? Und die Feuersbrunst? Und die Muster? Die vom Feuer geröteten Haare? Die Kilometer Gewebe? Der ganze Traum?— Alles das war nicht mehr. „ES ist schon spät", sagte er.„Ich werde Sie nach Hause begleiten." Vor ihrem Hause war ein großer Schneehaufen. Der Kutscher wärmte sich, indem er die Arme widereinanderschlug, das Pferd schauerte vor Frost. Die Freundin versenkte Kinn und Nase in ihren Pelz. Ihre Lider waren schwer von Schnee, aber sie waren nicht mehr so unerträglich schwer wie vorher. „Wann sehen wir uns wieder?" fragte sie, ihm die Hand reichend. „Leben Sie Wohl", sagte Dimitrij Ssnurenkow.„Die Fäden, die uns banden, sind zerrissen. Das Gewebe der Liebe ist schön. Aber der Rohstoff taugt nichts." Und er ging, die Brust dem Winde darbietend, wie es einem Menschen zukommt, einem Mann. Deutsch von Recha Katz,
Ausgabe
15 (9.3.1935) 58
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