Sozialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRUH. REDAKTION   UND VERWALTUNG PRAG   XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB  . CHEFREDAKTEUR  : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG  .

15. Jahrgang

Mittwoch, 20. März 1935

Kein Frieden ohne Freiheit! Frankreich   enttäuscht

Zur Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht übergibt der Vorstand der Sozial demokratischen Partei Deutschlands   der Deffent­lichkeit die folgende Erklärung:

Hitler   hat die allgemeine Wehrpflicht verkün­det. Maffen, die durch die Propaganda des Rund­funks und der gleichgeschalteten Presse verblendet find, jubeln ihm zu. Millionen Denkender ste­hen in erzwungenem Schweigen abseits. Für sie

sprechen wir.

über die britische   Kapitulation

Gegenmaßnahmen: Ostpakt und Donaupakt

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Paris.( Havas.) Die Dienstag- Bresse fonstatiert mit ziemlicher Erbitterung, daß der feierliche und kollektive Protest gegen die Ver­letzung des Versailler Vertrages durch Deutschland  nicht verwirklicht werden wird, im Gegenteil, Großbritannien   habe gegenüber dem Beschluß der deutschen   Regierung Verträglichkeit bekundet. Der Gedanke Frankreichs   ging dahin", wie Jour nal" schreibt ,,, einen feierlichen Kollektivprotest zu erheben, und zwischen England, Frankreich   und Italien   die weiteren Folgerungen eventuell auch die Rückkehr Deutschlands   in den Bölkerbund in Mit Hitler   begann ein Kurs machtpolitischer Erwägung zu ziehen". Abenteuer. Um das Volk über den Verlust seiner

Die deutsche   Sozialdemokratie hat stets für die Verständigung der Völker und die Gleichberechtigung Deutschlands   gekämpft. Räumung des besetzten Ge­bietes fünf Jahre vor dem vertragsmäßigen Termin, Anerkennung Deutschlands   als gleichberechtigte Groß­macht im Völkerbund, Herabsetzung und schließlich völlige Streichung der Reparationen waren Ergeb­nisse der von ihr eingeleiteten und gestützten, aber

von Hitler   fanatisch bekämpften Politik.

Rechte, den Bankrott der nationalsozialistischen Wirt schaft, die zum Himmel stinkende Korruption hin­wegzutänschen, bedürfen die Machthaber des Dritten Reiches   der Aufpeitschung aller nationalistischen In­stinkte, des scheinpatriotischen Festgepränges, der mi­litärischen Barademärsche. Um sich im Besit ihrer

Biründe zu festigen, spielen sie mit dem Krieg.

Jest fagt Hitler, von den ersten Jahren der, Republik   sprechend, in seinem Aufruf vom 16. März:

Das deutsche Volf war sowohl in feinen Regierungen, als auch in seinen Parteien damals von einer Gesinnung erfüllt, die den pazifiſtiſch demokratischen Idealen des Völkerbundes und sei­ner Gründer restlos entsprach."

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PP

sich die britische   Regierung vorher in Anbetracht der neuen Verhältnisse, wie sie sich durch die deut­sche Aktion herausgebildet haben, mit Frankreich  und Italien   beraten hätte.

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Der Populaire" sagt: Simons Besuch in Berlin   bedeute die Legalisierung der deut­ schen   Rüstungen.

Schwacher Trost

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Nr. 67

Fascistenprozeß

gegen die österreichischen Schutzbundführer

Am 3. April soll in Wien   ein politischer Monstreprozeß beginnen, der an Verlogenheit und Erbärmlichkeit seinesgleicher in der Geschichte sucht. Angeklagt von einer Regierung, die durch Hochverrat, Verfassungsbruch und blutigen Terror an die Macht gekommen ist, werden 21 Führer des republikanischen Schußbundes auf der An­flagebant jißen, angeklagt der Vorbereitung zum Hochverrat. Vor Wochen schon jetzte ein Sturm des Weltgewissens gegen diesen dreisten Mißbrauch der Justiz ein. Aus allen Ländern der Erde erhielt Herr Schuschnigg   empörte Protest fundgebungen von führenden Männern Frauen des Geistes und der Wissenschaft, die ihn davor warnten, den blutigen Hohn so weit zu stellen, bloß, weil sie sich um die Verteidigung der treiben, Männer vor ein Hochberratsgericht zu Schuschniga schlug all diese Warnungen in den gefeßmäßigen Verfassung bemüht hatten. Bind und hat nun den Beginn des Prozesses für den 3. April angesetzt.

Baris.( Tsch. P.-B.) Aus dem Inhalte der britischen   Note betont man in Paris   besonders den Pro te it gegen die Entscheidung der deutschen  pflicht und über die Errichtung des Militärflug Regierung über die Einführung der Militärdienst wesens. Die französische   Regierung wird wahr­scheinlich am Mittwoch eine ähnliche Demarche be= schließen. Das britische   Kabinett, dessen Vertreter eigens nach Berlin   eingeladen wurden, faßte seine Entschließung vollkommen frei und man glaubt, daß es hauptsächlich deshalb auf der Reise seiner Vertreter nach Berlin   beharrt, um Deutschland  feine Verantwortlichkeit vor Augen zu führen und damit England eine definitive Antwort darauf erhält, was von der englisch  - französischen Erklä- wahren Hintergründe dieser frechen Antiage ent­

Petit Parisien" versichert, daß Frankreich  sich nicht mit einem lauen Brotest zufriedengeben werde. Der Proteft, welcher in Berlin   überreicht werden wird, wird sehr energifch sein. In Be­sprechung des Vorgehens Englands schreibt das Blatt: Man muß die Frage stellen, ob unsere und die englischen Freunde nicht Opfer ihrer Illuſio­nen wurden, und man kann vorhersagen, daß die mit Berlin   mit einem Berhandlungen Simons Mißerfolg enden werden. Dann wird nur die ein­Ditpattes und Donaupaktes einstweilen auch ohne zige Lösung übrigbleiben: Der rasche Abschluß des Deutschland  , um auf diese Weise die Sicherheit tung vom 3. Feber übrig bleibt. der Nationen zu stärken, die sich nach dem Frie- Doch den sehnen.

Das Vaterland ist in Gefahr, ruft das., Echo Hitler hat vergessen, hinzuzufügen, daß die Vor- de Paris  " und sagt: Die englische Ka­fümpfer dieser Ideale in seinem Reichermor- pitulation wurde in Paris   nicht erwartet.

Gerade zeitgerecht zu diesen Vorbereitungen der Fascistenregierung gibi eben die Kommission

zur Untersuchung der Lage der politischen Gefan­genen" der Deffentlichkeit eine wahrhaft sen=

sationelle Dokumentensammlung in die Hand, durch welche besser als durch jede Polemik die hüllt werden. An Hand zahlreicher, bisher unbea fannter amtlicher Dokumente, deren photogra phische Reproduktion der Publikation beigegeben

Doch gemeinsames, mird der unwiderlegliche Nachweis geführt, Vorgehen?

daß die österreichische Sozialdemokratie den repu= blitanischen Schußbund ausschließlich zum Zwecke der Verteidigung der Verfassung det und bis in fremde Länder hinein von seinen Sie hat dort leberraschung und Verwirrung her vertrauenswürdigen Quellen zufolge folge ungeheurer Waffendi hstähle und Rüstungen Rom.  ( Tsch. P.-B.) Meldungen aus gegründet hat, als der Bestand der Republif in­Mörderbanden verfolgt werden. Ein vorgerufen und dies um so mehr, als die briti Mann, der gegen die Friedensfreunde unter seinen schen Minister bereits einige Wochen hindurch den haben die diplomatischen Verhandlun der Heimwehr auf das ernsteite gefährdet war, und eigenen Bolfsgenossen einen so barbarischen Krieg Eindruck aufkommen ließen, als ob ihnen bereits gen zwischen Rom  , Paris   und daß die Aufst e II ung und Ausrüstung führt, wird die Welt vergebens von seiner Friedens die Augen vor der drohenden Gefahr geöffnet wor- London   über eine eventuelle Kon- des Schutzbunde 3, derentwegen seine Füh= liebe zu überzeugen versuchen. Was er will, ist nichts den sind. Wir sehen jedoch, daß wir uns täuschten. fultation der drei Großmächte- Regie- rer jebt unter Hochberratsanklage stehen, mit anderes, als die Uebertragung der im Innern ge- Die deutsche Expreffung und die deutsche Gewalt- rungen vor der Abreise Simons Wissen und unter ausdrücklicher Billi­übten Gewaltmethoden auf die auswärtige Politik. tätigkeit wurden mit einem hervorragenden Preise nach Berlin   den ganzen Tag über ung der damaligen cheistlichsozialen Regie­Hitler hat aber noch ein anderes vergessen. Die rungen, der Herren Seipel, Vaugoin   und stattgefunden. Eine Entscheidung ist Schober vorgenommen wurde, ja daß die Regie allgemeine Wehrpflicht ist ein Kind der französischen Das, u vr e" spricht die Ueberzeugung nicht gefallen, doch ist es nicht ausrung sich wiederholte Male mit der Bitte um mili­Revolution. Die allgemeinen Menschenrechte sind ihr aus, daß die britische   Note jede konzentrierte Af­geschlossen, daß das britische   Ka- tärische Unterstüßung offiziell an den Schutzbund binett eine gemeinsame Besprechung geivendet hat. der Vertreter Großbritanniens   mit den Vertretern Frankreichs   und Italiens  anregen werde.

ausgezeichnet.

unentbehrliches Gegenstück. Wehrpflicht ohne tion Paris  , Londons   und Roms verhindere und Freiheit ist Sklavere i. Wehrpflicht Hitler   eine moralische Satisfaktion gewähre. ohne Entscheidung des Volkes über Krieg und Frieden Der ,,& igaro" spricht die größte lleber ist Swangsdienst für die Despotie. Gegen ihn erhebt raschung darüber aus, daß die Reise Simons fich der Ruf nach gleichem Recht und Freiheit: Frei- nach Berlin   verwirklicht werden soll, ohne daß heit der Person, der Wissenschaft, der Presse, des politischen und religiösen Bekenntnisses, des Ver­eins- und Versammlungswesens, Wiederherstellung der sozialen Rechte der Arbeiter

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- der Kampf um fie kann nicht anders enden, als mit der Nieder­werfung der Despotic.

Rücktritt der belgischen Banken- Regierung

Brüssel.  ( Tich. P.-B.) Das Ka binett Theunis ist zurückgetre ten.

Die Welt aber muß endlich begreifen, um was es geht. Es ist sinnlos, Verträge mit einer Macht zu erstreben, die alle Gesetze der Menschheit unter ihre Füße getreten hat. Es ist aber auch falsch und un­serecht, das ganze deutsche   Volk für ein Regime Der Ministerpräsident gab Diens des Verbrechens verantwortlich zu machen, unter dem tag nachmittags zu Beginn der Kam sein bester Teil am schwersten leidet. Sieben Mil- mersitzung eine kurze Erklärung ab, in lionen deutscher   Männer und Frauen haben noch bei der er den Rücktritt der Regierung da den Terrorwahlen nach dem Reichstagsbrand am mit begründete, daß sie bei der Durch 5. März 1933 ihre Treue zu den demokratischen und führung ihrer Aufgaben im Parlament sozialistischen Idealen der Sozialdemokratie bekun- und im Lande nicht die Unterstützung det. Hunderttausende stehen heute in einem heroifchen gefunden habe, die sie bei lebernahme Ringen gegen Späher und Häscher des braunen Polizeistaates. Die Welt muß endlich begreifen, daß der Geschäfte erwartet habe. ihr eigenes Geschick mit dem jener Braven untrenn- Die Erklärung des Ministerpräsi­bar verbunden ist. Entweder sie siegen oder Europa   denten wurde von der Kammer mit versinkt in Mord und Brand. Der Weg zur größtem Schweigen aufgenom Rettung des Friedens geht über men. den Sturz der Despotic. Es gibt teinen anderen!"

Unglaubwürdig...

Wien  . Der mit dem Urteile des Militär­gerichtshofes vom 14. März wegen Verbrechens

Regierungsbereitschaft

der Sozialisten?

Brüssel.( Tsch. P. B.) Den in den Abendstunden einlaufenden Meldungen zufolge

Die norwegische

Die Heimwehren, die als reaktionäre Fasci­stengarden schon im Jahre 1919 zum Kampf gegen die verbaßte Republik gegründet worden waren, setzten sich schon in den ersten Monaten ihres Be­standes durch Waffe diebstähle   und Plünderungen von Arsenalen ir den Besiz großer Waffen- und Munitionsmen Ministerlistenen. Am Jahre 1919 tahlen sie aus staat­lichen Waffenmagazinen in Tirol eine große Menge Oslo.( Tsch. Pr.-B.) Der Führer der Ar- Gewehre, Maschinengewehre und die zugehörige beiterpartei, der Präsident des Storting Nygaards- Muhition. Allein aus dem staatlichen Arsenal bold, hat Dienstag dem König die Liste des neuen in Kramsach  ( Tirol), wurden 22 Kanonen ge= Kabinetts vorgelegt. Nygaardsvold übernimmt stohlen und erwiesenermaßen der Heimwehr über­außer der Ministerpräsidentschaft auch das Ar- geben! beitsministerium, Außenminister wird koht, Finanzminister In de bo e, Handelsmi­

Der neue Ministerpräsident von Norwegen  

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Selbstverständlich wurde nie eine gerichtliche Untersuchung gegen die fascistischen Kanonendiebe geführt oder gar eine Anklage erhoben! Wie weit die Rüstungen( Gashandgranaten, Nebeltöpfe, Gassprißen) im Jahre 1928 bereits fortgeschrit= ten waren, zeigt ein reproduzierter Brief an die Landesleitung der steirischen Heimwehren in Graz. Das Schreiben ist bezeichnender Weise an die Adresse Gra z. Burt" gerichtet. Die Burg tvar nicht anderes als der Siz des steirischen Landes­hauptmannes und der Landesregierung.

Inter solchen Umständen war es selbstver ständlich, daß die österreichische Arbeiterschaft im Gefühl ihrer Verantwortung für den Bestand der Republik   Ordnertruppen organisierte, die im Notfall die Verfassung gegen die wohlgerüsteten fascistischen Butschgarden der Heimwehr vertei digen könnten. Aus diesen Erwägungen wurde im Jahre 1923 der republikanische Schutzbund mit der ausdrücklichen Bestimmung eines republifanischen Schußkorps der Verfassung ins Leben gerufen. Die nötigen Waffen hatten die Arbeiter kurz vor her von der Regierung ausgefolgt erhalten, als man sie den ungarischen Banden, die das Burgen­ land   überfielen, entgegengestellt hatte.

des Hochverrates zu lebenslänglichem schwerem scheint es, daß die parlamentarischen Verhand Kerter verurteilte ehemalige Minister Dr. Anton lungen mit den Sozialisten über ihren Eintritt nister Madson, Minister für soziale Fürsorge Rintelen wurde, nachdem ihn die Aerzte für in das fünftige Kabinett auf gutem Wege find. Bergs vit, Kulturministerium i el mt haft und, transportfähig erklärt hatten, am Als die voraussichtlichen sozialistischen   Regie- veit, Verteidigungsminister Monsen, Land­Dienstag zum Strafvollzug in eine Strafanstalt rungsmitglieder werden Kamil Huysmans wirtschaftsminister V stgaard und Justizmini- sutchung der Lage der politischen Gefangenen ver ster Lic.

überstellt.

und Brunet genannt.

Durch die von der Kommission zur Unter­öffentlichten Dokumente wird aber überdies noch