Sosialdemokrat

ZENTRALORGAN

DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TAGLICH FRUH. REDAKTION UND VERWALTUNG PRAG XII., FOCHOVA 62. TELEFON 53077. HERAUSGEBER: SIEGFRIED TAUB . CHEFREDAKTEUR : WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR: DR. EMIL STRAUSS, PRAG .

15. Jahrgang

Antwort an Berlin :

Donnerstag, 21. März 1935

Krieg-

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( einschließlich 3 Heller Porto)

Nr. 68

Konferenzen der drei Westmächte aber wie und wann?

Frankreich ruft Völkerbund an/ Protest in Berlin / Laval nach Moskau

Paris . In der Mittwoch- Sihung des Ministerrates, der unter dem Vorsiz des Präsidenten der Republik zusammentrat, wurden wichtige Entscheidungen getrof­fen, die von der breiten Oeffentlichkeit Frankreichs und von der Preffe durchwegs gebilligt werden und die auch einen großen internationalen Widerhall finden werden.

1. Der Ministerrat nahm den Tert der Protestnote der franzö fischen Regierung gegen den samstägigen Schritt der deutschen Regierung an. Die Note soll vom französischen Botschafter in Berlin der deutschen Re­gierung sofort überreicht werden.

2. Der französische Ministerrat beschloß, die unrechtmäßige und eigen mächtige Verlegung des Friedensvertrages durch Deutschland dem Völ­ kerbund rat vorzulegen.

3. Der Ministerrat billigte die Vorberatungen Frankreichs mit England.

4. Der Ministerrat gab seine Zustimmung zur Reise des Außenmini­sters Laval nach Moskau .

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Die erste französisch englisch italienische Vorbera. tung wird diesen Samstag in Paris stattfinden. Die englische Regierung wird von Lordfiegelbewahrer Eden, die italienische Regierung vom Staats­sekretär Suvich vertreten werden. Eden wird noch am Samstag spät nach mittags nach London zurückkehren.

Die französische Note

an Deutschland wird heute vormittag in Berlin überreicht werden, worauf sie veröffentlicht wer den wird. Der Berichterstatter des Reuterbüros erfährt hiezu, daß die Note gegen die Verletzung des Versailler Vertrages und des Kommuniqués vom 3. Feber, das Berlin als Diskussionsbasis an­genommen hatte, protestiert. Außerdem werde in der Note die Verlegung des Völker rechts vorgeworfen, dessen Grundprinzip die Achtung vor allen internationalen Verpflichtungen bildet. Am Schluß der Note wird versichert, daß Frankreich bei den künftigen Verhandlungen auf einseitig getroffene Entschließungen keine Rüd­sicht nehmen kann.

Berlin

teilt Zensuren aus!

Berlin . Zu den Dreierbesprechungen schreibt die Deutsche diplomatisch- politische Korrespondenz

1. a.:

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Sind die deutschen Generale eigentlich Pazia fisten? Pressemeldungen zufolge soll die Reichss wehrleitung von einer allgemeinen Wehrpflicht, wie sie die Nationalsozialisten und Anhänger sowie repräsentative Vertreter der altpreußischen Armee durchgeführt wissen wollen, garnicht erbaut sein. Sie will nicht viel mehr als 300.000 Soldaten unt ter Waffen halten, was nur 100.000 Mann mehr wären als Seedt im Jahre 1930 selbst bei voller Rüstungsfreiheit Deutschlands empfahl. Hat die deutsche Reichswehr also die Rolle der uns terdrückten Pazifisten übernommen? Auch was die materielle Rüstung anbelangt, soll die Reichswehr andere Auffassungen als die üblichen haben. Sehen wir von dem im Weißbuch enthaltenen Blaubuch der Reichswehr ab", in dem viel Aufschlußreiches steht, das aber umstritten ist, so liegen dennoch offizielle Aeußerungen führender Vertreter der Reichswehr vor, die kaum zu mißdeuten sind. Z. B. erklärt Foertsch, daß der 30. Juni notwendig wurde, weil andere Organisationen sich anmaßen wollten, die Landesverteidigung ohne die Reichs­ wehr zu organisieren.

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Der Kampf Reichswehr- SA war in der Tat ein Kampf für oder wider das alte Massen­heer. Die SA unterlag, die Reichswehr siegte. Aber der Kampf ging weiter. Noch immer stehen ein ander verschiedene Auffassungen in Deutschland gegenüber. Das Prager Tagblatt" hat in seinem gestrigen Leitartikel eine einleuchtende Begrün Deutschland nimmt gern Kenntnis von je bung dafür gegeben. Die Reichswehr steht nämlich der Aussprache der anderen Großmächte unter sich, auf dem Standpunkt, daß die Zeit der alten Mai­durch die die großen internationalen und vor senheere überwunden ist und kleine schlagkräftige allem europäischen Aufgaben im Sinne allgemeis Armeen den Krieg der Zukunft führen werden. ner Verständigung ihrer Lösung nähergebracht Demzufolge lehnt sie die Wehrpflicht im alten werden. Nichts wäre heute verhängnisvoller als Sinne ab und unterscheidet zwischen Dienst mit der eine erneute Spaltung Westeuropas in feindliche Waffe und ohne sie. Die Zukunft fordert eine all­Blocks. Deshalb geht die deutsche Politik nicht gemeine Wehrpflicht im weitesten Sinne des Wor­darauf aus, Freundschaften zu trennen, wohl aber tes, eine Kriegsdienstpflicht des gesamten Volkes. hat sie ein berechtigtes Interesse daran, daß diese In diesem Rahmen ist besonders hoch zu werten der Freundschaften nicht gewissermaßen zu Verschwö- Dienst des Waffenträgers." Das ist keineswegs die die anderen Mächte werden gut daran tun, einen gänge mit Hunderttausenden und schließlich Mil­rungen gegen ein anderes Land ausarten. Auch allgemeine Wehrpflicht, die so und soviel Jahr­hält. versteht der Nationalsozialismus, der von repräs sentativen Vertretern der alten Armee unterstützt wird, unter allgemeiner Wehrpflicht das alte Massenheer von früher.

Nach der Rückkehr Simons aus Berlin und Edens aus Moskau wird eine neuerliche Zusammenkunft der Vertreter dieser drei Großmächte, und zwar diesmal in einem norditalienischen Orte stattfinden. An dieser zweiten Beratung werden sich unter anderen Simon, Mussolini und Laval persönlich beteiligen. einigen, unter welchen die Beschwerde Frankreichs auf das Verhandlungsprogramm einer außer Tagung in Genf beiden Tagung des Bölkerbyndrates geſetzt solchen Anschein zu vermeiden, weil er von vorn lionen Soldaten unter Waffen hat. Wohl aber Genfreien

Außerordentliche

wird.

herein das gemeinsame Ziel, die Herstellung ver­trauensvoller und solidarischer Beziehungen aller Völker in Europa , unter einem ungünstigen Aspekt

,, Vier Großmächte wünschen den Frieden"

Nach Beendigung der Ministerratssitzung gab. Außenminister Laval den leitenden Beamten die Genf . Der Beschluß des französischen Mini­Anweisung, innerhalb 48 Stunden sterrats hat in Genf große Bewegung hervorgestellen würde. den Text der offiziellen Beschwerde der fran- rufen. Man erwartet, daß längstens bis heute zösischen Regierung an den Völkerbundsrat gegen früh beim Völkerbundssekretariat das formale Er­die Entscheidung Deutschlands vom 16. März, suchen der französischen Regierung um die Einbe­durch die die allgemeine Wehrpflicht eingeführt rufung des Völkerbundrates einlangen wird. wird, auszuarbeiten, eine Entscheidung, durch die Der Rat wird wahrscheinlich Mitte nächster die Bestimmungen des Versailler Ber= Woche unter dem Vorsitz des türkischen Außen­trages gewaltsam verletzt wer= ministers Tewfik Ruchdy Aras zusammentreten. den. Die leitenden Beamten des Außenministe­riums werden unverzüglich mit dem Generalsekre- Die Entscheidung der französischen Regierung tär des Völkerbundes, Ave no 1, in Verbindung wurde in Genfer diplomatischen Kreisen sehr treten, um sich mit ihm über die Bedingungen zu günstig aufgenommen.

Frankreichs Protest

beim Völkerbundsrat

Varis. Der Protest Frankreichs beim Völkerbundsrat gegen den Schritt Deutschlands vom 16. März wird sich auf den Absatz 2 des Arti­kels 11 des Völkerbundpaktes stützen, der besagt, daß jedes Vökerbunds mitglied das Recht hat, den Völkerbundsrat auf Handlungen aufmerksant zu machen, die imstande sind, den Frieden zu bedrohen. Eventuell wird Frankreich auch auf den letzten Absatz des Artikels 16 des Völkerbundpak­tes aufmerksam machen, der den Ausschluß jenes Staates aus dem Völker bund festsetzt, der seine internationalen Verpflichtungen verletzen würde.

Einladung Lavals nach Moskau angenommen

Die französische Regierung hat weiters die Einladung der sowjetrussi­schen Regierung zu einem Besuche des Außenministers Laval in Moskau angenommen, das Datum dieser Reise wurde jedoch noch nicht festgesetzt.

Dem Echo de Paris" zufolge hat der Sowjetbotschafter Potemkin Laval den Vor­schlag gemacht, schon in der nächsten Woche, und zwar in den Tagen, an denen Sir John Simon mit Hitler verhandeln werde, nach Moskau zu kommen. Beide Staatsmänner fol­len sich aber dahin geeinigt haben, daß das genaue Datum der Moskauer Reise Lava I s erst nam Simons Rüdtehr aus Berlin , also in den ersten Apriltagen, festgesett werden soll.

Es verlautet, Hitler habe die allgemeine Wehrpflicht sehr plößlich proklamiert und selbst die Reichswehr sei davon überrascht gewesen. Selbst wenn dies der Auffassung, die Reichswehr herrsche London . ,, Die heutige Situation ist gefährli- eigentlich in Deutschland und Hitler sei ihr Ge­cher und drohender als sonst seit 1914", erklärte fangener, Abbruch tun sollte, es ist dennoch nicht in einer Rede in Maidstone in der Grafschaft Kent ausgeschlossen. Die Hymnen auf Ludendorff sind der Unterstaatssekretär im britischen Finanzmini- wohl kaum allein auf die Pflege der Tradition und sterium Duffcooper. Trotzdem sei kein Grund zur das Bedürfnis, nach dem Tode Hindenburgs einen Verzweiflung, weil die letzten Ereignisse nichts neuen Mythos zu schaffen, zurückzuführen; es geändert haben, sondern im Gegenteil die Situ- spricht mancherlei dafür, daß sie von mancher Seite ation aufhellten. Vier Großmächte auch als ein Bekenntnis zu den Formen der alten wünschen den Frieden. Großbritan Armee und als Absage an die Konzeption der nien, Frankreich , Italien und Sowjetrußland soll- Reichswehr gedacht war. Wenn z. B. die Prager ten sich verbünden zu einem festen Presse" schrieb, die Rede Blombergs habe alle die­Friedens block und der Welt verkünden, jenigen enttäuscht, die nähere Ausführungen über daß sie den Frieden aufrecht erhalten wollen und die deutsche Wehrverfassung erwartet haben, so daß jeder Störer des Friedens auf Widerstand sto- geht daraus hervor, daß die Dinge, sehr überſtürzt Ben würde. Dann, sagte Duffcooper, dürfen wir famen und die Widersprüche noch auszugleichen auf die Erhaltung die Friedens hoffen.

Amerika befürchtet

sind. Erst die Ausführungsbestimmungen zur Wehrpflicht werden zeigen, wer über wen gejiegt hat.

Daß Deutschland zunächst über die Welt ge= siegt hat, braucht wohl nicht erst erwähnt zu wer ⚫in europäische Verwicklungen den und daß sie nicht daran denken wird, die Wehr­hineingezogen zu werden pflicht rückgängig zu machen, das ist sicher. Wenn man aber nicht beachtet, daß die Reichswehr aus Washington. Präsident Roosevelt sett militärischen Gründen an einem verhältnismäßig die Politik des aufmerksamen Beobachters der kleinen Heer festzuhalten gedenkt, kann es der Welt europäischen Situation fort. Es heißt, daß Hull passieren, daß der Nationalsozialismus seine milt­und Norman Davis mit welchen Präsident tärisch bedingten möglichen Konzessionen an die Reichswehr oder gar den völligen Sieg der Reichs­Roosevelt Beratungen pflog, ihm vorschlugen, wehr als die Widerlegung der Weltthese be­einen schriftlichen Protest nach Berlin zu trachten, daß Deutschland einen neuen Schritt zum senden, daß aber die Anschauungen des Kriegs- Striege getan habe. Vielleicht werden die Ausfüh und Marineministers überwogen, welche befürch- rungsbestimmungen zum Wehrgesetz bei den Ber handlungen mit Simon schon eine solche Rolle ten, daß die Vereinigten Staaten in even spielen. Hat Deutschland nicht auch den Abbau der tuelle Verwidlingen in Europa SA als Schritt zum Frieden betrachtet? In hineingezogen werden könnten. Sittlichkeit hat da nicht der

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