SekteS Freitag, 8. April 1S35 Nr. 8t ES ist eine weitere Genugtuung, daß auch die nationalsozialistische Presse nichts vom Tode der Konkurrenz profitiert. Ihr hat weder die Vernichtung der sozialdemokratischen, kommunistischen und bürgerlich-demokratischen Presse genützt, noch führt ihr das Absterben der gleichgeschalteten Presse Abonnenten oder auch nur Leser zu. Ledig­lich derVölkische Beobachter" und Goebbels Angriff", der Leys BlattDer Deutsche" auf­gefressen hat, haben aus der großen Zahl von Zwangsbeziehern, die sich für denVölkischen Be­obachter" auS dem Bereiche der Behörden und Be­amten, für denAngriff" aus den Zwangsmit­gliedern der sogenannten Arbeitsfront rekrutieren, gewonnen. Sonst aber steht es auch um die offizielle nationalsozialistische Presse keineswegs glänzend. Zeitungen, wie dieD ü s s e l d o r f e r Volks­parole", die sich jetzt inRheinische Landes­zeitung" umgetauft hat, oder derWestdeutsche Beobachter" in K ö l n sind im Umfang von 20 bis 24 Seiten auf 10 bis 12 Seiten zusammen­geschrumpft. DerWestdeutsche Beobachter" hat vor kurzem 72 Mann vom Personal aller Sparten entlassen müssen. Das der Arbeiterschaft gestoh­lene Verlagsgebäude, dasAugust Bebel-Haus" in Köln-Deutz , sollte für den erwarteten Auf­schwung des Naziblattes umgebgut und erweitert werden, der rapide Rückgang hat jedoch diese Pläne längst zerstört. In Hannover erscheint! als amtliches Organ der NSDAP dieNieder­sächsische Tageszeitung"; ihre Auflage ist von 118.000 Anfang 1934 auf 82.000 im August 1934 gesunken, und inzwischen ist sie weiter ge­fallen. In der Provinz Branden bürg ist eine Anzahl kle.inerer nationalsozialistischer Blät­ter, die von Ley als Nachfolgeblätter der sozial­demokratischen Zeitungen ins Leben gerufen wor­den waren, wieder völlig verschwunden. Darunter derOstdeutsche Courier". In S a ch s e n ist die ostsächsische Auflage desFreiheitskampf" von rund 27.000 im September 1934 auf rund 21,000 im Dezember 1934 gefallen. Das ist die Auflage in einem Verbreitungsgebiet, das den ge­samten 23. Reichstagswahlkrejs mit Groß- Dresden und den Amtshauptmannschasten Dresden , Pirna , Dippoldiswalde , Freiberg mit Sayda , Reißen, Großenhain , Kamenz , Bautzen , Löbau und Zittau umfaßt und rund 1,380.000 Wahlberechtigte zählt und in dem bis März 1933 folgende sozialdemokratische Tageszeitungen er­schienen: dieDresdner Volkszeitung" in einer Stadt- und einer Landauflage und mit den als ihren Kopfblättern erscheinenden drei Volkszeitun­gen für Pirna , Freital und Freiberg , die selbstän­dige.^Volkszeitung" in Meißen und die in täglich zwei Ausgaben erscheinende, in den Amtshaupt­mannschaften Bautzen , Löbau und Zittau verbrei­teteVolkszeitung" für die Oberlausitz . Außer diesen sozialdemokratischen Zeitungen gab es noch die ebenfalls täglich erscheinende kommunistische Arbeiterstimme". DerFreiheitskampf" hat also trotz großen Anstrengungen, trotz dem Druck, der in den Betrieben angesetzt und teilweise auch brutal auSgeübt wurde und sich bis in die Haus­haltungen erstreckte, weder von dem sinkenden Abonnentenstand der gleichgeschalteten bürger­lichen Presse profitiert, noch die ihrer Zeitungen beraubte Arbeiterschaft gewonnen. Die Arbeiter verzichten lieber auf jede Zeitung, ehe sie ihre Groschen dem Mutschmann -Blatt hinschmeißen. So ist es überall, und so hat die national­sozialistische Presse den tödlichen Bazillus, an dem die reichsdeutsche Presse kläglich dahinstirbt und mit dem das braune Regime alles vergiftete, auch im eigenen Leibe. Manfred. Der Schutz sesen Fliegerangriffe Die kommunistische Parlamentsfraktton von allen guten Geistern verlassen Prag . Im Parlament wurde am Donnerstag die Vorlage»der den SchatzgegenFlieger- an griffe in Verhandlung gezogen und nach längerer Debatte verabschiedet. Der Ausschuß hat an der Regierungsvorlage ge­wisse Aenderungen vorgenommen. So würde der 8 1 umstilisiert, wornach die Hausherren zur Errichtung von Deckungen gegen Fliegerangriffe nur bei Neubauten verpflichtet werden kön­nen; bezüglich der alten Häuser soll eine eigene Re­gelung später getroffen werden. Werden jedoch in alten Häusern solche Deckungen freiwillig er­richtet, so gelten eventuelle Begünstigungen auch für sie. Der Ausschuß ist der Ansicht, daß man recht­zeitig auch andere Maßnahmen, wie die eventuelle Evakuierung der Grotzstätte, vorberciten sollte. Die Deckungen für das Personal größerer Unternehmun­gen hat der Eigentümer der betreffenden Liegen­schaft zu errichten, die Unternehmungen sind jedoch zu entsprechenden Beitragsleistungen verpflichtet. Durch einen neuen 8 22 wird den politischen Behörden die Möglichkeit gegeben, die Abwehrbe­reitschaft gegen Fliegerangriffe praktisch zn erproben. Sie werden ermächtigt, zu diesem Zwecke die nötige« Weisungen, bezw. Verbote zu erlasse«, namentlich soweit eS sich um den Verkehr und«m den Aufenthalt an öffentlichen Plätze«, um die Be­nützung von Gasmasken, die Abdeckung»der Ver­löschung der Beleuchtung, den Feuer- und Sama­riterhilfsdienst der zuständigen Organe, Korpora­tionen«sw. handelt. * Referent Dr. S l a v i k unterstrich die Wichtig­keit der Fliegerwaffe durch den Hinweis darauf, daß bei dem kürzlichen Aufstand in Griechenland der Sie­der Regierungtruppen durch deren Flugzeuge entschie­den worden sei. Es sei möglich, sich gegen Flieger­angriffe zu verteidigen, nur müsse man die Abwehr konsequent organisieren. Die aftive Abwehr fft Sache der Militärverwaltung, die passive obliegt der Zivil» bevölkerung und de« Zivikbehörden. Slavik betont«, daß wir im Vergleich zu den Nachbarstaaten viel nachzuholen hätten; das Gesetz dürfe deshalb mH auf dem Papier bleiben. Der zweite Referent Spatnh betonte, daß man sich einerseits gegen Gasangriffe, andererseits aber auch gegen Thermit-Brandbomben schützen müsse, die ein« Temperatur von 2 bis 3000 Grad Celsius entwickeln. Es handelt sich nur um«ine Ra h m e n v o r l a g e, di« die Rechtsgrundlage für die Entwicklung der notwendigen organisatorischen Tätigkeit bilden soll. Finanzielle Opfer seien dabei seitens des Staates und der öffentlichen wie privaten Korporationen, ja auch der Einzelpersonen nicht zu umgehen. » Die Debatte wurde von dem Kommunisten K l i m e n t mit einer ziemlich konfusen Red« rröffnet, in der er di« Rüstungen der einzelnen Staaten kur­zerhand verurteilt« und nur Rußland als Frie­densgaranten gelten läßt. Er fft gegen di« Vor­lage, gegen jede vormilitärische Erziehung, weil das nur.weitere Schritte zur Militarisierung des ge­samten Lebens" seien. In Sowjetrußland gebe es an­geblich keinen Militarismus. Ihm erwidert« der tschechische Genosse S r b a: Wen» das kommunistische Rußland dieselbe« Ansich­ten und dieselbe Taktik hätte wie rmsere heimischen Kommunisten, dann würde es htute schon uichtmehr existiere«. Wen« heute die Tsche- choslowakci in der Verteidigung des Friedens im Oste» als Berbündetee Frankreichs und Rußlands ange­sehen werden kann und wenn dieses Rußland mit den beiden Verbündete« sich über die Art dieser Verteidi­gung nicht durch Reden, sondern aus prakti­schem Wege sich einigt, dann ist das, was unsere Kommunisten heute aufführeu, nichts anderes als eine Sabotage der Arbeit Sowjet- r» ß l a» d S. ES sei zu verwundern, daß von feite« Rußlands bisher nichts geschehen sei, damit unser« Kommunisten es nicht»eiter schädig« und ihm keine Schande mache«!(Heiterkeit!) Srba unterstreicht de«§ 13, der die Bildung eines Beirates beim Jnnnenministerium ermög­licht, und erklärt, daß dieser Beirat der Anfang und die Grundlage der ganzen Sache sein müsse. Redner verweist auf die Ausfchüßresolu- t i o n e n, wornach die Regierung Maßnahmen tref­fen soll, um übermäßige Gewinne bei der Erzeugung von Waffen und Verteidigungsmitteln überhaupt zu verhindern; es sei unmöglich. daß weiterhin der ein« kämpfe, während der andere am Krieg nur verdiene. Dann fordert die Resolution, daß die Regierung zur Unterstützung des Sportflugwesens in das nächst­jährige Budget mindestens die 8 Millionen einreihe, die im Zuge der Sparmaßnahmen gestrichen wurden. Endlich müßte man für die Veranstaltung von Flug­tagen wenigstens so viel Verständnis aufbringen, daß man sie nicht auch noch der Lustbarkeitssteuer unter­wirft. In einem Weltkonflikt würden wir als die ersten drankommen und unsere Hauptaufgabe ist es, des­halb in der Verteidigung solange aus- z u h a r r e n, bis sich die Kräfte der Demokratien in der übrigen Welt zusammenschließen und uns zu Hilf« kommen können. Solange in Deuffchland die Sozialdemokratie an der Macht beteiligt war und in Oesterreich kein Fa- seismus herrschte, solange brauchte man nicht von einer Bedrohung des Friedens in Europa und einer Bedrohung der Tschechoslowakei zu sprechen und man mußte auch keine besonderen Vorkehrungen treffen; in dem Moment aber, als in der Nachbarschaft der Fascisums zur Macht kam, hat die Tschechoslowakei von allen Parteien, auch von den Sozialisten, das bekommen, was zu ihrer Verteidigung notwendig ist. ob es nun um die Dienstzeiwerlängerung oder um die Sanierung der Selbstverwaltung auch vom Senat genehmigt Prass. Der Senat verabschiedete am Don­nerstag in mehr al- achtstündiger Sitzung dir Stnifttnt der Selbstverwal- tnngSkörper und die beiden Vorlagen über die Besteuerung der Motorfahrzeuge und über die Mineralölsteuer und vertagte sich dann biss Dienstag, den 9. April«m 16 Uhr. In die Debatte über die Sanierungsvorlage griffen nicht weniger als zwölf Redner ein. dar­unter von deuffcher Seite Stolberg , Dr. Kostka und Genosse Goth , dessen Rede wir morgen im Auszug nachtragen werden. Stolberg drückte sich sehr vSrfichtig um die Tatsache herum, daß die Ver­elendung der Gemeinden zum allergrößten Teil auf das Gesetz 77127 zurückgebt, das sein« Partei mit auf dem Gewissen hat. Auch Dr. Kostka vermied«S. auf die Schuldftage irgendwie einzugehen. Ueber die Vorlage betreffend den Trans­port mittels Motorfahrzeugen und deren Besteue­rung berichtete der tschechische Genosse Jng. Winter. Er hob die Notwendi^eit der Regelung d«S gegenseitigen Verhältnisses zwischen Eisenbahn und Auwmobil hervor und besprach die wichtigsten Aenderungen gegenüber der ersten Vorlage von 1932 sowie die Aenderungen, die der Ausschuß an der Regierungsvorlage vorgenommen hat. So wurden die Bestimmungen über den Entzug der Konzession gemildert, die Verkehrslizenzen erweitert, die Rickk- Beschaffung von Kriegsmaterial ging. Dir such keine Feinde Deutschlands , erklärte Srba. aber die Demo- kratie werden wir unter allen Umstände» und gegen jeden verteidigen. Ein zweiter Kommunist suchte den klägliche» Eindruck der Rede Kliments dadurch zu verwischen, daß er gegen den Fascismus im allgemeinen loszog und ein Dokument zitierte, aus dem hervorgehen soll, daß die tschechischen-Fascisten reichsdeuffche Hilfe zur Durchführung eines Umsturzes anstreben und als Gegenleistung die Auslieferung der deutschen Emi- granten und»unbedeutende territoriale Zugeständ­nisse in Deutschböhmen" anbieten. Dr. Slavik hält den Kommunisten im Schluß- wort vor, daß sie, wenn sie wirklich gegen de» Krieg arbeiten wollten, die KonsolidierungS» und Friedens- tendenzen unserer Republik unterstützen müßten. Sowjetrußland sollte sich wirklich einmal darum küm­mern, daß unsere Kommuni st en zu Ver­stand kommen. Die Vorlag,« wurde dann samt den Aus­schußresolutionen in beiden Lesungen angenommen. Den Rest der Sitzung bildeten zweite Lesungen und eine ganze Reihe von Immunitäten. U. a. wird der Kommunist K l i m e n t wegen Vorschublei­stung ausgeliefert, weil er die Poltzei hinsichtlich der Identität des Abg. Krosnak, der seinerzett steckbrieflich gesucht wurde, irreführen wollte. Nächste Sitzung Freitag, den 8. April, un, halb 11 Uhr. Wahlreform noch offen Die Wahlreformvorlage konnte auch am Donnerstag vom Ausschuß noch nicht verabschiedet werden, da die polüischen Minister zu den verschie­denen Anträgen betreffend das Quorum und die Erreichung der Wahlzahl noch nicht abschließend Stellung genommen hatten. Deshalb wurde die einberufene Koalitionsberatung auf Freitag früh vertagt. Auch der verfassungsrechtliche Aus­schuß selbst vertagte sich nach durchgeführter Spe-- zialdebatte auf Freitaa vormittags. zahlung der überzahlten Steuern gesichert ustv. Die Benzinsteuer wird um etwa 10 Heller pro Liter Brennstoffgemisch erhöht, was ungefähr 29 Mil- llonen eintragen wird. Im Vorjahre bettug der Gesamtertrag der Mineralölsteuer 160 Millionen, nach der Erhöhung wird der Ertrag 217 Millio­nen betragen, wovon der Staat 83 und der Straßen­fonds 67 Prozent erhalten wird. In der Debatte behauptet Eichhorn(Gew- Part.) u. a., daß die Rentabilität der Eisenbahnen durch.Einschränkung der enormen Personalauslagen" (also offenbar durch Massenentlassungenik angestrebt werden müsse. Seine Partei werde gegen die Vorlage stimmen. Ueber die Novelle zur Mineralölsteuer refe­rierte ebenfalls Genosse Jng. Winter. Ueber die vom Ausschuß beschlossene Aenderung zugunsten des Petroleums, wornach die Steuer für Oele zwischen 810 und 880 Dichtegraden^nicht auf 40, sondern nur auf 30 ffä pro 100 Kilogramm er­höht werden soll, haben wir bereits berichtet. Dies« Erhöhung wird sich pro Liter Petroleum nur etwa mit 10 Hellern auswirken. Dafür wird die Benzin­steuer von 92 auf 96 ffö erhöht. Wechselurlaube im Ostrauer Revier verlän­gert. Die Vertreter der Vertrags-Bergarbeiter- gewerkschaften unterzeichneten Donnerstag ein Abkommen mit der Direktorenkonferenz des Ostrau -Karwiner Reviers, mit welchem die Ver­einbarung über die Wechselurlaube und über die Nichtentlaflung von Bergarbestern um ein Jahr bis Ende März 1936 verlängert wird. 1 Der neue Chauffeur Von Oskar Daum Lapak steckte sein fleischiges rotes Gesicht zum Fenster herein.»Zu Herrn' kommen!" rief er. Er stützte die Rechte gegen das feuchte Gesimse und streckte den Kopf weit vor. Es war ihm anzumer­ken, daß es ihm Vergnügen machte, sich seines Auftrages zu entledigen. Franz nickte einfach nur. Das konnte der Kutscher nicht begreifen. »Herr hat sehr geschrien," drängte er. Er war ein wenig stolz darauf, daß er deuffch sprach. Vielleicht auch hätte der Chauffeur das Drohende der Aufforderung aus dem Tschechischen nicht so deutlich herausgehört. Franz legte, wenn auch ohne überstürzte Hast, bereitwillig das Seitenbrett seines künftigen Ehe­bettes nieder, an dem er eben eifrig geschmirgelt hatte und wandte sich zur Tür. Ich geh aber doch zumSchwarzen Pferd", grollte Martin aus der Dämmerung im Hinter­grund des Zimmers hervor. Er stemmte seine Hüfte gegen die Tischkante, um nicht zu hüpfen. Er dachte, daß es für diese Unterredung von Vor­teil sei, wenn der Bruder sah, wie er seine Ermah­nung befolgte.Warum soll ich eigentlich hin­gehen?" beharrte er trotzig, obgleich Franz gar nichts geanwortet hatte. Lapak lachte vom Fenster her. Es fiel ihm gar nicht ein, gleich wieder zu gehen. Er beobach­tete den Idioten. Ich bleib nicht zu Hause," sagte Marttn verstockt. Der weinerliche Kindertrotz stand dem bärtigen Gesicht und dem rollenden Baß son­derbar. Franz wandte sich an der Tür um.Ich hab dir ja nichts verboten, Martin," sagte er. Er sah an dem Bruder vorbei. Schmerzhaft tauchten Kindheitserinnerungen an den Vater aus diesem Zerrbild auf.Geh nur, wenn du willst!" Franz wußte sehr Unchl, daß die Arbeiter im Wirtshaus den Narren mit Hallo und Gelächter begrüßen würden. Was für ein Spaß für sie, ihn in seiner aufgeregten Redeweise von seiner Nacht im Arrest erzählen zu hören! Wer Martin hing an ihrem Beifall, wenn er spiette, hing an dem Lärm ihrer lustigen Nächte, an den ftemden Lau­ten ihrer Sprache. Es lag ihm nichts daran, daß sie gestern über ihn hergefallen waren und ihn wie einen gefährlichen Staatsverbrecher hatten arre­tieren lassen. Wenn du heute nicht gern allein hingehst," sagte Franz,so mußt du ein Weilchen warten, bis ich vom Herrn zurück bin. Dann geh ich gern mit dir." Was hat denn der Arme sonst für Freu­den? dachte er., Marttn war wie verwandelt, als er merkte, daß der Bruder wirklich nichts einzuwenden hatte. Das kleine blaffe Gesicht dem zottigen Bart glänzte auf.Glaubst doch nicht, daß ich mich fürchte?" sagte er. Er lachte und hüpfte wieder. Er wurde im Lachen wie in allem gleich unmäßig. Der Kopf wackelte auf dem wild geschüttelten Körper. Franz ging zu ihm und legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm. Das wirtte ein wenig. Jetzt verschwand Lapak aus dem Fensterrah­men. Ein so friedliches Bild fand er offenbar lang­weilig. Man hörte noch einmal sein Lachen hinter dem Haus, aber das war nur ein leeres Lachen, das er dem vorherigen nachsandte. Martin hüpfte eilig die kleine Treppe hinauf in sein« Bodenkammer, die Ziehharmonika zu holen. Nachher rief er nur eilig durch die ge­schloffene Tür seinen Gruß und war fort. Franz trat ans Fenster.Wer keine Limo­nade, Martin!" rief er ihm nach,hörst du?" Er hob warnend den Finger. Martin wandte sich um. Ein Kinderlächeln lief über sein Gesicht.Jetzt weiß ich schon," sagte er und wintte dem Bruder beruhigend zu.Jetzt hab ich's schon heraus, daß es keine Limonade war." Auf der Straße schien er mit seinem wippenden Gang noch schmächtiger und Leiner. Franz sah ihm nach.Hoffentlich werden die Leute jetzt eingesehen haben, wie weit sie mit ihrem Spaß gehen dürfen," dachte er,zu­mindest wird wohl der Wirt auf der Hut sein." Er schloß die Fenster. Es war ein rätselhafter Dezember, südlich mild. An diesem Morgen hatte Franz im Garten an den Kirschbäumen Trieb­ansätze gefunden. Mer für den Besuch» der viel­leicht heute Aubend kommen würde, war es doch nicht warm genug. Er ging zu seinem kleinen Eisenofen und heizte ganz ordentlich ein. Man kann nicht sagen, daß er sich sehr beritte, zum Herrn zu kommen. Es war vielleicht von Wichtigkeit» was ihn dort erwartete, aber von einer Wichtigkeit» zu der nicht gerade Eile gehörte. Er räumte die ganzeTischlerwerkstatt" aus dem Zimmer. Die Teile des Bettes waren schon ziem­lich erkennbar gediehen. Er schaffte sie in die Küche nebenan. Dann kehrte er die Sägespäne und den Holzstaub gründlich auf die Schaufel und schüttete sie auf den Kehricht in de:i Hof. Als er zurückkam, stellte er das neue Grammophon hinter einen Vorhang. Eine wilde Jazz-Platte sollte Lidunka überraschen. Dann deckte er noch schnell den Tffch. Hinter dem Hause bog er zur Seite und nahm den Aiesenweg zur Fabrik. Vom Fluß stieg der verdrießliche dicke Nebel auf, der von Ruß und Gerbsäure der Lederfabrik schmutzig war und säuerlich roch. In dem grauen. Dunkel, während er mit Anstrengung bei jedem Schritt die Füße aus dem Lehm zog, fühlte er, wie glücklich er in den drei Monaten hier gewesen war. Er liebte sein Häuschen; er hatte noch nie vorher ein solches Leines Haus besessen, in dem er sein eigener Herr war. Unten hatte es drei Räume, den Borraum gar nicht gerechnet, der immer von der Luft aus dem Garten feucht durchweht war und zu Son zwei Stufen hinabführten. Droben unter dem Dach gab es dann noch«ine ziemlich geräumige Kammer, die nur nicht sehr hoch war. Welch ein Glück war diese Kammer gewesen, als plötzlich Martin er­schienen war. Ein seltsamer Augenblick war es ge­wesen, als der bärtige kleine Mann vor ihm in der Stube stand, mit staubigen Schuhen, einem zerrissenen Mantel,«inen Papiersack mit Brot­rinden in der Hand. Ein erschreckender, aber doch nicht eigenüich ein böser Traum. Es war beinahe als hätte die Mutter aus dem Grabe Franz ein Geschenk ins Haus geschickt. Ganz zufällig war es ja nicht gekommen. Als Franz die Stelle hier an­getreten hatte, hatte er dem Bruder in die Anstalt nach Görlitz seine neue Adresse mitgeteill. Er hatte seiner Mutter versprochen, daß Martin im­mer seine Adresse wissen sollte. Martin hatte nicht geantwortet, aber nach ein paar Wochen stand er plötzlich da. Es war kaum zu begreifen, wie er den weiten Weg zu Fuß gefunden hatte. Er war aus dem Heim ausgebrochen. Es gab dort zu oft saure Linsen und Bohnen. Davon war er immer nach dem Essen müde und zu keiner Arbeit tauglich oder auch zornig und aufgeregt, obwohl er diese Speisen eigentlich gar nicht so ungern. Auch hatte ihm einer in seine Okarina Asche gestopft. Das konnte man gar nicht wieder ganz herauS- bringen. Immer wenn er blies, kam ihm etwas davon in den Mund. Franz staunte, wie sehr sich Marttn seit seiner Kinderzeit verändert hatte. Er hatte mancherlei Begabungen. In den wenigen Wochen erlernte er hier unter den Arbettern weit mehr ffchechisch als Franz. Und wenn er Musik macht«, war es, als ob er seine natürliche Sprache gefunden hätte, in der er mit den Herzen der Menschen verkehren konnte. Franz nannte ihn in Gedanken immer nochder Junge", wie ihn die Mutter immer genannt hatte, aber er war sechs Jahre älter als Franz. Er war schon 28 Jahre alt. lFortsetzung folgt.)