Rt. 100

Sonntag, 28. April 1935

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Jens Peter Jacobsen zum 50. Todestage Am 30. April vor 50 Jahren starb der dänische Dichter Jens Peter Jacobsen , dessen Lerke, Muster vollendeter Stilkunst zur Weltliteratur rechnen. Seine bekanntesten Schöp- »jungen sind die Romane»Frau Marie Grubbe" und»Niels Lyhne ". Sven Hedins letzte Expedition durch MÜtelasten Auf der Festsitzung der Schwedischen Gesellschaft siir Anthropologie und Geographie in Stockholm hielt Sven Hedin einen Vortrag über seine' große Expedition durch Mittelasien , die acht Jahre [, dauerte. Sie begann im April 1927 und endete erst der zwei Monaten, als Hedin der chinesischen Regie­rung in Hanken einen Bericht über die Ergebnisse seiner Forschungsreise erstattete. ' Vier geologische Expeditionen arbeiteten eine f geographische Karte der Asiatischen Hochebene, die i erste ihrer Art, aus. Die Mitglieder der Expedition t«achten interessante Beobachtungen auf topographi­schem und geologischem Gebiet, durch welche die An- sertignng einer genauen Landkarte Mittelasiens ermöglicht wurde. Außerdem sörderte die Expedition wertvolles Material auf zoo- KMschem, botanischem, astronomischem und anderen ' Erbieten zutage. Ein interessantes Kapitel bildet die i Spezial-Expedition, die von der chinesischen Regie- rung mit dem Studium des altenS eiden- Weges" betraut wurde, den die Karawanen be- f uützten, sowie auch mit der Ermittlung einer kürze- ' ryt Verbindung zwischen China und der Provinz E Sinkian, die durch eine moderne Autostraße herge- i stellt werden soll. ' Bei ihrem Eintreffen in Hami gerietdieEx- s t>kbtzion in eine schwierige Lag«,' da in ganz Mittels i üfien Krieg herrschte. Hedin wurde gefangen­genommen und mußt« den Aufrührern eines seiner Lastautomobile abtreten, um sein Leben zu fetten. Von einem anderen Unfall wurde die Expedi- r tion betroffen, als ihr Mitglied Hummel von einem k dnlden Eber gebissen wurde und sich einer Operation L' unterziehen mußte. In einem anderen Falle mußte die Expedition die schwedische Flagge hissen, um Flie­ger-Bombardement zu entgehen.

Der Londoner Jubiläums-Betrieb f, London . Hehn Tage vor dem RegierungS- ! subiläum legen die Straßen Londons allmählich km Festgewand an. Jeden Vormittag finden Pro- den für verschiedene Umzüge statt und das große ! klestrizitätSwerk, das den Strom für die feierliche Beleuchtung Londons und auch des Landes liefern » ivird, ist Abend für Abend probeweise in Tätigkeit. > Am 8. Mai werden sich Hunderttausende don Schaulustigen in den Straßen Londons drän« ' gen und jedes Fenster in den Straßen, durch di» ! sich die Festzüge bewegen werden, wird dicht be- setzt sein. Auf den Tribünen und an den reser- l vierten Stellen wurden Sitzplätze für 75.000 t»ersonen geschaffen. In einem der Festzüge ' lvcrden sich die königliche Familie und die Reprä« lkntanten der britischen Dominions und der über, seeischen Kolonien befinden. Für Sitzplätze in den ! Straßen, die die Festzüge passieren werden, wur­den bereits über eine halbe Million A f un d bezahlt. Der Jubiläumsfonds ' M Königs hat bereits die Höhe von 300.000 ' Vfund erreicht. Briefsperre in Dachau . Ein aus der Hölle von Dachau entkommener arischer Gefangener be­richtet dem»Daily Herald", daß dort noch immer ' über 2000 Gefangene sind. Davon sind 50 Ju- btn, von denen die meisten seit März 1933 ein­gesperrt sind. Für den Fall des UeberschreitenS ver»jüdischen Grenzlinie" im Lager ist ihnen die Erschießung angekündigt. Neuerdings hat man gen Juden die Absendung und den Empfang von Briesen verboten. Begründung: In England und Frankreich sind Greuelberichte über Dachau erschienen! Organisierte Flucht aus Polen . Die L o d- üer Polizei schritt gegen eure aus jungen jüdi­schen Geschäftsleuten und Handwerkern bestehende Gesellschaft ein, welche Personen, die auS irgend- ivelchen Gründen Polen verlassen wollten, insge­heim über die sowjetrussische Grenze brachte. Diese Personen trachteten nach den jüdischen Koloni­sationsgebieten in der Gegend von Birobidschan in Soiojetrußland zu kommen. Die»Schmuggler" ließen sich für diesen Schmuggel über die Grenze beträchtliche Summen, und zwar bis zu 8 0 0 Rloty pro Kopf, auszahlelr. Der Hauptsitz h« Organisation befgnd sich in Lodz , doch befan­

den sich auch in anderen Städten Zweigstel­len. Die Auswanderer wurden bei der Stadt R o w n o über die Grenze gebracht. 53 »Schmuggler" wurden verhaftet. Eine Zierde des Advokatenstandes. Das Kreisgericht in K a s ch a u verurteilte den Advo­katen Dr. Martin Miko aus Michalovce wegen Fälschung von Privaturkunden, versuchten Betru­ges, Verbrechens der Verleitung zur falschen Zeugenaussage und dreifacher Anstiftung zur Fäl­schung von öffentlichen Urkunden zu einer Kerker­strafe von 1 Fahr 6 Monaten, sowie zu vier Geldstrafen in der Gesamthöhe von 1100 KL un­bedingt. Eisenbahnunglück in Spanien . Zwischen Puente Almuehi und Prado de Guzpena(Nord­spanien) entgleiste ein Eisenbahnzug. Zwei Rei­sende fanden den Tod, neun weitere erlitten mehr oder minder schwere Verletzungen. Der berühmte russische Sänger Schaljapin , welcher mit dem Dampfer»Paris " in Le Havre eintraf, wurde im Ambulanzwagen in das Krankenhaus gebracht. Man behauptet, Schal­ japin sei an einer ernsten Grippe erkrankt. Erdrutsch. Freitag abends ereignete. sich im oberen Sesia-Tal(Oberitalien ) infolge des schlechten Wetters der letzten Tag««in großer Erd­rutsch, der die Straßen auf einer Strecke von etwa 40 Metern verschüttete. Felstrümmer, Erde und Schnee kamen von einem Steilhang von etwa 500 Meter Höhe herab. Menschen sind nicht zu Schaden gekommen. Der Verkehr auf der Straße wird in etwa 14 Tagen wieder ausgenommen werden können. Ausgezeichnet. Prinzregent Paul von Jugo- siawicn hat den Polizisten, der beim Attentat

Arbeiterdichtung ..Prolet,«le* bist Paa** Von Kurt Doberer Mit dem Wort Arbeiterdichtung ist viel Miß­brauch getrieben worden und nicht selten geradezu Schindluder. Was irgendwie sozial klang, mochte die Melodie auch erborgt sein und von falschen Tönen übervoll, was keß war und draufgängerisch, mochte es auch Literatur sein, die fernab vom Klassenkampf gedieh und in ihm nur ein Mode- Motiv sah, was ein Autodidakt schriw, war es auch kein Gedicht, das alles nannte sich und nennt sich noch»Arbeiterdichtung". Die Verse, die in einem schmalen Bändchen Kurt Doberer als»G edichte dieser Zeit" vorlegt(einiges davon ist früher in Tageszestungen gedruckt worden), verdienen nicht nur den Namen Arbeiterdichtung, sie machen auch den Begriff in seinem wahren Sinn anschaulich. Tvnn sie gestalten wirklich die Erlebniswelt des Arbeiters und sie wachsen aus einer gleichgestimm­ten Seele, nicht aus der schablonenhaften Nach­ahmung. Nicht alles, was auf den 64 Seiten des Bänd­chens steht, ist wirklich Lyrik, nicht immer ist das Erlebnis Wortgestalt geworden, aber wenn Do­berer nichts geschrieben hätte als das Gedicht »Nelsov", ja nichts als die erste Strophe dieses Gedichtes: Ihr liegt dreihundert Meter tief im ausgebrannten Schacht und schweigt.

auf König Alexander verletzt wurde, als er sich gegen den Angreifer warf, mit dem St. Sava-Orden aus­gezeichnet. Außerdem wurden ausgezeichnet der Chauffeur des Autos-und der Angestellte der Präfektur, der neben ihm saß und sich um den ver­wundeten König bemühte. Greuelmeldungen der gleichgeschalteten Presse. Das italienische Preßbüro meldet: Zahlreiche deutsche Blätter haben eine Nachricht verbreitet, in welcher es heißt, daß 15 Reservisten in der italienischen Pro­vinz Bozen nach Oesterreich geflüchtet und, nachdem sie Italien wieder ausgeliefert worden waren, er­schossen worden seien. Das italienische Presse­büro erklärt, daß die Meldungen phantastisch und er­dacht sind. Indische Bauern rächen eine vergewaltigte Frau. Wie aus Sikar(Fürstentum Janipur) gemeldet wird, ist es in der Nähe des Dorfes Kuban zwischen mehreren hundert I a t s(Angehörigen einer Bauernklasse) und Polizeitruppen! zu heftigen Kämp­fen gekommen. Die Polizei mußte zweimal da? Feuer eröffnen und verwundete eine große Zahl von Bauern, von denen bereits 37 ihren Verletzungen er­legen sein sollen. Auf Seiten der Polizei wurde ein Offizier verletzt. Etwa 100 Jats sind verhaftet wor­den. Die Ursache dieser Zusammenstöße soll die Ver­gewaltigung e i n erIatsfraudurch einen Polizeibeamten sein, der diese Gegend in Steuerangelegenheiten bereist hatte. Die Lag« muß als sehr ernst bezeichnet werden. Die Bevölkerung hat Beschwerdetelegramme an denVize- könig und an den Obersten britischen Beamten von Najputana abgesandt. Ein ähnlicher Zusammenswß hatte sich bereits vor einigen Wochen in der gleichen Gegend ereignet.

Der taube Fels hängt schwer und schief, weil sich»der schwarze Balkenstumps vor euch verneigt so hätte er den Nachweis proletarischer Legitimität und der poetischen Natur erbracht, die zum Wesen des Arbeiterdichters verschmelzen. Stark ist in Doberer das Kollektiv­bewußtsein entwickelt und man hat wieder das sichere Gefühl, daß es nicht die Anbiederung des Intellektuellen an den Arbeiter, sondern wirk­liches Zusammengehörigkeitsgefühl, erlebte Schick­salsgemeinschaft ist. Verse wie: Wir find der Weg ich bin ein Stück davon. Ich lieg« still am Schwellenholz, und wenn im Takt der kolbenstampfenden Maschine das Rad dem Ziel entgegenrollt, dann kling ich leis und stolz oder in der Schlußstrophe desselben Gedichtes (Die Schiene"): i Was wir bedeuten, ist so wenig ist so viel., Wir find der Weg ich bin ein Stück davon. Nur über uns erreicht das Rad sein Ziel aber auch, mit dem aktiv istischeren Rhythmus des Kampfliedes: Du bist eine Speiche im rollenden Rad, die Brücke zum Ufer, ein roter Soldat, du bist ein Glied unsrer Kette kommen aus einem ernsten Gewissen und auch

Schweizer Laichwirtschaft haben Absatzkrise und internationaler Preissturz nicht Halt gemacht. Die bürgerliche Schweizer Regierung möchte der hereinbrechenden Wirtschaftskrise mit defla­tionistischen Maßnahmen begegnen: mit Abbau der Preise, der Gehälter und der Löhne, eine Methode, die(wie das war­nende Beispiel der Brüning-Regierung in Deutsch­ land zeigte) bei den Löhnen und Gehältern die raschesten, bei den Preisen aber, die langsamsten Wirkungen hat und so zu einer Verwüstung der Kaufkraft führt, die Die Krise von neuem ver­schärft. Mit Entschiedenheit wenden sich deshalb die Lohn- und Gehaltempfänger gegen den Ab­bau, und die Schweizer Sozialdemo­kratie, die den Kampf gegen diese Pläne aus­genommen hat, weiß Die überwiegende Mehrheit des arbeitenden Volkes hinter sich. Der Kampf zwischen dem Schweizer Bürger­tum und der Sozialdemokratie ist jetzt in ganzer Schärfe um die Kriseninitiative entbrannt. Wäh­rend das Bürgertum, das in der Schweiz noch engstirniger und rückständiger ist als anderswo, jeden Eingriff in die Privatwirtschaft entrüstet ablehnt, fordern die Schweizer Sozialisten um­fassende und rechtzeitige Maßnahmen gegen die hereinbrechende Krise. Sie verwerfen den Gedan- ken des Lohn- uttd Gehaltsabbaus und fordern statt dessen die Flüssigmachung des bei den Banken aufgespeicherten Kapitals für planmäßige Inve­stitionen zur Belebung der Wirtschaft. Sie ver­langen Maßnahmen gegen die wachsende Ueber- schuldung der wirtschaftlich Schwachen und schla­gen eine Entschuldunakaktion für die Bauern vor. die Schweizer Sozialdemokratie hat unter Füh­rung ihres Parteivorsitzenden R einhard und Der Nationalräte Bratsch» und G r i m m die Agitation im ganzen Land zur Durchsetzung ihres Krisewbekämpfungsplanes begonnen und» der Wahlerfolg, den sie in dem stark unter dem Druck Der Hakenkreuzler stehenden Grenzkanton Basel errungen hat, beweist deutlich, Daß die Agitafton nicht ohne Wirkung ist. Das Schweizer Bürgertum, die Konservati­ven, die Freisinnigen und die Bauernpartei, spü-' ren das Wachsen des Sozialismus, ohne es hin­dern zu können. In den vier größten Städten der Schweiz , in Zürich , Genf , Basel und L.u z e r n, ist die Sozialdemokratie di« stärkste Partei geworden, in Genf und L u z e r n re­giert sie, und die gehässigen Angriffe, die in der bürgerlichen Presse gegen diese Regierungen, ins­besondere gegen den Genfer Präfeften Nicole, gerichtet werden» prallen wirkungslos ab. Die bürgerliche Mehrheit des Nationalrates hat zwar Die Kriseninitiative abgelehnt, aber da die Sozial­demokraten nach Schweizer Verfassungsbrauch ans Boik direkt appellieren können, geschah diese Ab- 'lchnung im Zeichen größter Nervosität. Ein Teil Der bürgettichen Abgeordneten fMug^im letzten Augenblick vor,«inen bürgerlichen Gegenplan aus­guarbeiten, was aber nicht gelang. Ein Teil ver Demokraten, der am weitesten links stehenden bürgerlichen Fraktion, zog es vor, mit den Sozial­demokraten zusammen zu stimmen, und es ist 'offenes Geheimnis, daß auch in, den Kreisen Der Bauernpartei, Vie bisher die erbittertste Geg­nerin. der Schweizer Sozialisten war, die Krisen­initiative ihre Anhänger hat. Wenn die ländlichen Massen, die hinter der Bauernpartei stehen, zu derselben Einsicht kom­men sollten wie die Bauern der skandina­vischen Länder: daß ihr Platz nicht an der iSeite der bürgerlichen Reaktion, sondern an der Seite der Sozialdemokratie ist, dann könnte der Kampf um die Kriseninitiative mit dem Sturz der bürgerlichen Schweizer Regierung enden. Mit dem Eintritt der Sozialdemokratie in die Bundes­regierung wäre aber nicht nur der arbeitenden Be­völkerung der Schutz gegen die drohende bürger­liche Verelendungspolitik gegeben, es wäre zugleich ein Damm awfgerichtet gegen die Versuche des deutschen und italienischen Fascismus, sich in Den Schweizer Bergen einzunisten.

wenn man nicht wüßte, daß der Autor seiner Ge­sinnung wegen emigrieren mußte, würde man ihm das Bekenntnis zum Kollekftv glauben: D o b e r e r ist T e ch n i k e r, seiner Sprache liegt das technische Bild, aber es ist erfreulich, daß er nie im Nachzeichnen des technischen Inventars stecken bleibt, auch nicht die tote Maschine ver­gottet, wie es wohl in den Anfängen der Moderne üblich war. Doberer sieht die Technik krittsch und seine Skepsis wird ost zu starken, ge- spenstischen Bildern wie in dem GedichtRota­tionsreptilien". Mer auch jensefts der technischen Bilder erwächst ihm aus der Sprache selbst der Rhythmus, wie er besonders lebendig in »W iener Carmagnole" aufklingt. Auch Doberer hat noch manches abzustreifen, sich durch Fremdes zu Eigenem durchzuringen. Kästner , Tucholsky , Mehring, die Verantwort­lichen für viele üble Folgen, der angelernte Ton­fall des Berliner Chansons, sind nicht immer über­wunden und das oder jenes wird gedruckt, was nicht gedichtet, sondern höchstens berichtet ist wie «Heizen im Seegang". Aber dann stehen da doch so prächtige Verse wieArbeiterfrau" und inM u f i k i m H o f" musiziert es wirklich, daß man leise ich möchte es mit aller Vorsicht aus­genommen wissen ein wenig und ganz leis« an Höchstes, an Lilien e r o n, erinnert wird. Das Heftchen kostet 8. Es wird empfäng­lichen Gemütern Freude und Erhebung bringen. Wer die acht Kronen entbehren kann, kaufe es, sich zu Nutzen, dem Dichter zur Ermunterung! E. F.

Die Schweiz in der Krise

Der Nimbus der Neutralität, der die Schwei­ zer Eidgenossenschaft" seit einem Jahrhundert umgibt, ist durch den Menschenraub von Basel mit einer erschreckenden Niedertracht und Bru­talität verletzt worden. Er ist das bisher deut­lichste, aber nicht etwa das erste Anzeichen dafür, daß die Schweiz in ihrer friedlichen Isolierung seit dem Großwerden des Fascismus gefährlich bedroht ist. Seit langem schon regt sich die Fr o n t i st e n"-B e w e g u n g, die nichts an­deres ist als eine nach reichsdeuffchem Muster aufgezogene und von reichsdeutschen Stellen diri­gierte Hakenkreuzlerbewegung, die fortgesetzt Ter­rorakte plant und verübt und den Anschluß ans Drifte Reich propagiert. Seit langem schon ist auch bekannt, daß bei den deutschen KricgSvorbe- reitungen die Erwägung eines Durchmarsches durch die.Schweiz nach dem- Muster der einstigen Invasion, in Belgien eine:Molle spielüllnd>wch ist die Erregung über die Affäre Fonjallaz nicht verklungen, bei der es sich um die Beschuldi­gung der Spionage zugunsten Italiens handelte. Die Schtveizer Politik hat alsp Gründe ge­nug, aus der zurückhaltenden Ruhe zu erwachen, die sie auch in einer Zeit bewahrt hat, in der die Nachbarländer vom Fieber der Krise, von der Ra­serei des schwarzen und braunen Terrors, von Skandalen und Bürgerkrieg erschüttert wurden. Die Schweiz hatte selbst der Krise gegenüber lange genug ihre Neutralität wahren können. Aber der Zeitpunkt scheint gekommen, da auch sie als letztes europäisches Land ihre Wirkungen zu spüren be­kommt. Jahre hindurch war die Schweiz jenes von den Kapitalisten aller Länder ersehnte Paradies der Sicherheit und der niedrigen Steuern, in das man getrost mit den Kapitalien pilgern konnte, die man dem Zugriff des Staates oder der Ge­fahr der Entwertung entziehen wollte. In den Schweizer Banken samMrlte sich das Fluchtkapital aus ganz Europa . Eine Ueberschwemmung, die wie Reichtum aussah, aber so unnatürlich war. daß sie auf Die Dauer zu Schwierigkeiten führen mußte. Die Milliardensummen, die sich bei den

Schweizer Banken sammelten, konnten natürlich im Lande selbst nur zum allergeringsten Teil an­gelegt werden'. Und so ergab sich das ebenso Gro­teske wie Notwendige: daß nämlich der größte Teil Des Fluchtkapitals wieder in Gestalt von Anleihen in jene Länder zurückfloß, aus denen er geflüchtet war. Daß die Besorgnis der Flucht­kapitalisten nicht unbegründet war, mußten aller­dings auch die Schweizer Bankiers sehr bald ein­sehen. Die ausgeliehenen Gelder froren zu einem sehr erheblichen Teil jenseits der Grenzen ein, aus Guthaben wurden fragwürdige Forderungen, statt Zinsen gab es Moratorien, und heute ist allein das D e u t s ch e R e i ch, daß der Hauptlieferant des Fluchtkapitals und der Hauptabnehmer für Leihkapital war, der Schweiz mehr als vier Milliarden Franken schuldig, die, snt, D«r Finanzdiktatur Dr. Schachts als ver- f EM-As--rOJh» Da die Schweizer Bankiers dieser Entwick­lung ihrer Geschäfte nicht blind gegenüberstanden, blieb ihnen nichts anderes übrig, als das. bei ihnen aufgespeicherte Geld in demselben Maße, in dem die Krise bei Den Schuldnern wuchs,, vom Markte zurückhalten und es lieber brachliegen zu lassen, als es weiter in ein Faß ohne Boden zu werfen. So kommt es, daß trotz aller verlorenen Milliarden die Schweiz noch immer das geld­reichste Land Europas ist, das Land mit der best- funDierten Währung, mit den höchsten Preffen und dementsprechend auch mit relativ hohen Gehältern und Löhnen. Mer Die Schweiz muß erfahren, daß sich eine Insel inmitten der Weltwirtschaftskrise auf die Dauer nicht selbstherrlich erhalten kann. Di« Hauptindustrie der Schweiz , das Hotel- und Gastwirtsgewerbe, hat unter dem Rück­gang des FrenlDenverkehrS bereits so gelitten, daß die Regierung ihm Subventionen gewähren mutzte, die Schweizer Export Industrie ist durch die Zollmauern und das Stocken der Auslands­zahlungen genau so geschädigt wie die Exportindu­strien Der anderen Länder, und auch vor der