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tÖSwiL 1. Stet 1935

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Widerstand der Unternehmer gegen den Fekrtag des Proletariats, der Terror und Druck gegen die feiernden begannen nachgulaffen. In Wien herrschte allgemeine Arbeit-ruh«, km riesiger Zug in den Prater, der» von Lausen­den und Abertausenden mnjubelt,stundenlang dauerte", war die Krönung des Tages. Auch in der Provinz standen die Städte unter dem be­herrschenden Eindruck des 1. Mai. Die Berliner Maiseier war sehr stark besucht. Zahlreiche überfüllte Gewerkschaftsversammlungen krönten den Erfolg. In Kiel demonstrierten 12.000 Arbeiter, die Kundgebung in Essen war, wie ein Augenzeuge mitteilt, erschütternd und er­hebe nb". Auch die Schweizer Kundgebungen wiesen »stärksten Zulauf und begeisterte Stimmung" auf. Köln » Ruhe In Preußen... I 1910. Zwanzig Jahre Maifeier. In Oester­ reich überall graste Umzüge und Versammlungen. Dien steht völlig unter dem Eindruck des 1. Mai. Viele Zehntausende marschieren in den Prater. Die Masten bilden Spalier. In Preusten find Umzüge verboten, trotzdem ist eine Mastenbeteili­gung festzustellen. Die Versammlungen werde« su Dahlrechtsdemonstrationen. .Keine Ruh« in Preusten" schreibt der.Vorwärts",«ehe nicht das freie, gleiche, allgemein« und geheime Wahlrecht erobert ist". Allein im Friedrichshain demonstrierten 20.000 Metallarbeiter. In Mannheim marschieren 15.000 im Um­zug mit, in Karlsruhe manifestiere» 8000 Pro­letarier unter freiem Kimmel. Auch in der Schweiz stärkste Beteiligung an den Maikundgebungen. In Genf kommt es zu Zusammenstößen mit der Gendarmerie, dm Fensterscheibe» eines Gendarmeriepostens werden «ingeschlagen, drei Verhaftungen. Vor dem Massenmorden... Mai 1914. Der letzte Mai vor Beginn des fürchterlichen, vierjährigen Massenmorden-. Unzählig« Maiversammlungen in Wien . Auch tschechische und polnische Veranstaltungen. Der Marsch durch Wien wird durch Wolkenbruch und Vewitter auseinandergesprengt. Vorahnung und Symbol des kommenden August 1914? In V ra g mächtiger Umzug. 2 0.0 00Soziali« st e n marschieren. Auch zahlreiche Saalkundgebun« -en finden statt. Im Reich stärkste Beteiligung. Riesenver- anstaltungen in Berlin , 40.000 marschiere« in Hamburg . In der Schweiz finden 100 öffenUiche Demonstration«» statt. In Zürich feiern auch die Angestellten der städtischen Werke und der Bunde», Serkstätten, di« Schulen find geschlossen. Der Reinertrag der abendlichen MaifestlichKiKn wird kstr die politisch«« Gefangenen in Rußland und die rusfischen politischen Flüchtlinge bestimmt. 1. Friedens-Mal Der erste 1. Mai nach dem Weltkriege. Ein stürmischer Mai. Riesige Kundgebungen in Wien , ober im Reich stehen sich die Arbeiter in Hast und Mut gegenüber. Ein sprechender Ausschnitt auS der deutschen Proletarier-Tragödie. Zerrissene, gespalten« De­monstrationen, die verpuffen. Am 1. Mai ziehen die Regierungstruppen nach hartem Kampf in München ein, die dortige Räterepublik ist "iedergeworfen. Blutige Strasten kämpfe in Madrid ! Hundert« don Verletzten in Paris ! Gendarmerie und Militär gegen di« VolkSmaffen-

Letzter Mal In Freiheit Mai 1932. Gewaltig« Demonstrationen in Wien , eindrucksvoller Fackelzug der Jugend am Vorabend. Zehntausend« von Fackelträger». Die Kund­gebungen im Reich von erregten, fiebernde» Masse« stark besucht. Rach dem Debakle der Preustenwahl. Schweiz : Eindrucksvolle Volkskundgebungen. Geschändetes Arbeiterfest Mai 1933. In Wien demonstrieren Zehn­tausend« trotz Verbot der Dollfuß-Regierung, trotz Stacheldraht und Polizeikarabinern.

In Deutschland ; DK Arbeiterbewegung nieder» nerungen, ihre Funktionäre und Repräsentanten erschlagen, eingekerkrt, wie Hasen gehetzt. Der Terror rast und die Mörder des 1. Mai schänden ihn im SAavenaufmarsch auf dem Tempelhofer fistle Unsterblicher 1. Mal Aber der 1. Mai lebt! And die Riedergeworfenen, die Verfolgten, die Gehetzten, fi« werden die Sieger von morgen sei«! Auch in den Ländern der Distatur wird er tmeder auferstche«» der»»sterbliche rote Keil

1. Mol 1935 Roter Fahnen flammend Meer Brandet hoch in olle« Gaffen. Horch! Ls singt im frühen Winde MMonenschritt der Massen. Singt von Tränen, Rot und Schmach. Singt von Tod nnd Merkermauern. Leder ernsten Stirnen fchattets Der Geschlagenen dnmpfes Trauern. Aber horch! Da gellt im Chor Auf der Schrei: Au neuem Mampfe! Fäuste werfen sich empor And die Augen stehn im Glanze Einer großen, heilige« Flamme. Wie seht stark und Heist Zm Wind Der Millionen Herzen schlagen! S sie fühlen, datz sie heut' Sieger schon Den Erdball tragen! Erna HaberzettL

dieser JKai! Von Gerhard Sommer Dieser Rai ist Fanfare, ist Hammerschlag! Ist Euer Bekenntnis, ist Euer Tag! Die Fahne, die Flamm« der Zukunft sie loht! Vorwärts, Ihr Massen, für Freiheit und Brot! Erster, heiliger KampfeSmai, Triff' sie, Hammer der großen Partei> Die Henleinwühler, die Phrasendrescher, Die Hitlerkoprsten, die frecher und frecher Aus ihren Löchern ans Licht sich wagen. Der Eisenhammer wird sie zerschlagen l Volk der Sudeten , ist und bleibt frei! Wir schwören es, heute, am heiligen Rai! Dieser Mai ist Bekenntnis, ist Fackelschein- Nie wollen wir, Brüder, mehr Sklaven sein! Die Zukunft ist unser, der Massen Lauf, Kein Hitler , kein Henlein hält ihn mehr auf! a Dieser Mak i^ Sturm, ist Bekenntnis zur Tat! Wir ziehen die Furchen, wir säen di« Saat! Di« Saat, die der Heimat Erdreich durchbricht. Vorwärts! Wir trommeln zum Volksgericht l Dieser Mai ist Losung! In Stadt und in Landl Ein eiserner Wille,«in eisernes BandI Die S trotzen erzittern von unserem Schritt! Vorwärts, die Zukunft, die Zukunft zieht mit! Erster, heiliger Kampfesmai, Triff' sie, Hammer der grotzen Partei* Die Henleinwühler, die Phrasendrescher, Die Hitlerkopisten, die frecher und frecher AuS ihren Löchern ans Licht sich wagen. Der Eisenhammer wird sie zerschlagen! Volk der Sudeten , ist und bleibt freit Wir schwören«S, heute, am heiligen Mai!

Aas Gleichnis vom Satten Von SMJMett Seit Stunden hallt dk Straße von den Schritten der Tausende, die hinaus vor die Stadt Ziehen. Ein langer Zug, ein Strom von Köpfen und Gliedern, eine murmelnde Schlange, aus der -uweilen schmetternde Marschmusik auftönt. Seit dem frühen Morgen find sie unterwegs: die Dre» der und Schmiede, die Köche und Bäcker, die Flei­scher und Tischler, die Schreiber und Verkäufer... Seit dem frühen Morgen, als sie sich vor ihren Arbeitsstätten versammelten, um beim Namens­aufruf nicht zu fehle», um von uniformierten Kommandeuren in Reih und Glied gestellt zu werden und sich dem großen Zuge anzuschließen, der hinaus aufs alte Exerzierfeld befohlen ist, um dort den ersten Mai der Diktatur zu feiern. Die Neugierigen bilden Spalier. Eine viel- tausendäugige Menschenmauer, die sich vor den Häusern aufgebaut hat, um den abgezählten, in Rech und Glied gruppierten, murmelnd-schmet» ternden Festzug zu betrachten. Zwischen denen, die schauen, und denen, die marschieren, schreiten dk Wächter in Uniform. Sie haben die Ohren ge­stützt, um kin Wort zu überhören, das hin und her fliegt, sie spähen mißtrauisch nach beiden Sei­ten, nach dem Zug, den sie bewachen, und nach den Zuschauern, dk ihn beobachten. Sie schreien Kom- mandos, wenn der Marsch ins Stocken gerät, denn die Kolonnen sich auSeinanderziehen, aber sie können er nicht verhindern, daß immer dkder einer aus den marschierenden Gliedern ausbricht, um in der Zuschauermenge zu ver ­

schwinden, und sie wissen im voraus, daß sich auf dem Exerzierfeld unter den Lautsprechern und Hakenkreuzfahnen weniger Frierende einfinden werden als früh beim Appell. Eine alte Frau steht in der Menge der Zu­schauer. SK blickt auf den vorbeifließende» Men­schenstrom und schweigt. Sie erinnert sich an Mai­tage, die vergangen sind. An dk Zeit ihrer Ju­gend, da die Männer im Mai-Umzug als Auf­rührer galten und da sie mit einem Gemisch aus Stolz und Furcht auf ihren Mann blickte, wenn er die rote Nelke ins Knopfloch steckte, um mitzu­marschieren mit dem Heer der Zukunft, wie er trotzig sagte. Sie denkt an^die Mai-Feiern nach dem Kriege, bei denen er nicht mehr mitmarschie- ren konnte, weil er im Heer der Toten fern im Massengrab lag, sie denkt an diese Feiern des Friedens, die sie mit dem Glauben an den An­bruch einer besseren Zeit erfüllten. Die alk skht und schweigt. Jetzt führt man dk Massen hinaus aufs Exerzierfeld, von bewaffneten Wächtern um­ringt, wie einen Zug von Gefangenen. Die Kom­mandorufe gellen, dk Blechmusik schmettert, die Trommeln rasseln. Aus Glaube und Hoffnung ist Zwang geworden, aus Frkdensfreude Kriegsge­töse. Am Tage, der Hoffnung und Freiheit be­deuten sollk, führt man sie neuem Verderben ent­gegen. Das Gesicht der alten Frau ist wie verstei­nert. Niemand, der sk sieht, kann erraten, wie ihr zumute ist. Aber keiner, der hier in der Menge steht, vermag die Gedanken der anderen zu er­kennen, und keiner gibt die eigenen Preis. Eine unheimliche Heimlichkeit, eine lastende Verschlos­senheit. Die Alte läßt ihre Augen über die Gesich­ter ringsum wandern. WievieK lügen, indem sie schweigen. Wieviele heucheln, indem sk gleichgiil- tig sind. Nicht daß sie elend sind, nicht daß sk

rechtlos sind, nicht daß sie betrogen wurden, nein, diese Schande des Schweigens ist das Schlimmste der Sklaverei. Oh, wenn sie jung wäre!.Sie würde nicht still sein, schreien würde sie, anklagen, unerhörte Worte würde sie sprechen. Wer wer hört auf«ine alte Frau? Da gehen zwei Junge im Zug. Sie reden miteinander. DK Alte versucht in ihren Augen zu lesen. Wissen diese Junge», welches Schicksal ihnen zugedacht ist? Können sie sich noch des Grauens erinnern, als der Mord in der Welt umging? Sind sie so blind, daß sk ein Feuerwerk verblen­den kann? So mutlos, daß sie sich dem Wahn er­geben, der die am Denken verweifelnden Hirne mit dem Gespensterglauben an Blut und Boden und Führergöttlichkeit betäubt? Die alte Frau muß sich beherrschen, damit ihre Augen nicht Trauer oder Zorn verraten, wenn sie diese Jun­gen betrachtet, die leise redend in Reih und Glied im grotzen Zug an ihr vorüberziehen. SK kann nicht hören, daß jetzt der eine von den Jungen zum Nebenmann sagt:Damals vor zwei Jahren habe ich noch geglaubt, daß es ehrlich ist. Heute weiß ich's besser. Du hast recht gehabt. Sie kann nicht hören, daß der Andere erwidert: Und ich weiß, daß du nicht der einzige bist. Das Erwachen kommt."Wer wann?" fragt der erste.Wie lange soll das noch dauern? Wie ost noch die Schande, daß wir hier wie ein« Hammel­herde hinausgetrieben werden und am ersten Mai. der unsere Feier sein sollte, dk Mörder und Betrüger feiern. Wk lange sollen wir noch flü­stern, wo wir schreien möchten? Wk lange noch Komödie spielen?"Ich weiß nicht, wie ümge," sagt der andere.Aber ich weiß, daß der Tag kom­men wird, daß er mit jedem Schrsit näher kommt."Ja, wenn man glaube« kann, wie du,"

stöhnt der ersk," wenn man nie geschwankt hat, nk irre wurde! Aber,'weißt du, ich möchte manch­mal verzweifeln: an mir selbst, well ich den Schwindlern nachgelaufen bin, und an den ande­ren, an allen, die hier mitmarschkren, an allen, die hier gaffen..." Doch der andere berührt seine Schulkr: Wir dürfen nicht verzweifeln. Gerade an einem Tage wie heute nicht. Man hat uns unsere Fekr stehlen wollen. Aber ist es nicht unsere Feier ge­blieben? Ist nicht die alte Verheißung in ihr? Mö­gen sie ihre Mordfahnen über uns schwenken, mögen sk ihre lärmenden Reden halten, mögen sie ihre Wächter spitzeln lassen, sie haben den ersten Mai nicht ausrotkn können, sie können ihn nur«ine Weile mißbrauchen. Sie haben den So­zialismus nicht ausrotten können, indem sk sich Sozialisten nannten. Und wird nicht Deutschland weiterleben, auch wenn sie sich national nennen? Man kann das Echte nicht vernichten, indem man es fälscht. Aber sie haben es nur fälschen kön­nen, sie wußten, daß wir es nie vergessen wer­den. Und sk ahnen schon, daß wir es wiederfin­den." Er blickt an einem Fenster empor,' oben an der Häuserfront, an der sie Vorbeimarschkren. Er weiß, daß sein Bruder hinter diesem Fenster skht. Vielleicht sieht er ihn. Vielleicht sehen ihn dk Ge­nossen, dk bei ihm sind. Er kann nichts erkennen. Aber er hebt den Kopf und nickt, als wollte er ein Versprechen erneuern. Ja, er geht auch mst," sagt der Bruder. Und nicht nur er. Tausende gehen im Zug. dk zu uns gehören." Er steht am Fenster und blickt hinaus auf die Straße, auf die Fahnen an den Häusern, auf dk marschierenden Massen und aus die Wächter, di« sie begleiten. Dann wendet er sich