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Mittwoch, 1. Mai 1935
Seite 11
Worte helfen nicht
Es müssen Inten sein?
Die flaffenbewutzte sozialistische Arbeiterschaft schlägt eine Wahlschlacht. Einen Gegner sehen, ihn als solchen erkennen, das schafft uns klare Fronten und einen entschiedenen Kampf. Am die Stimme der Arbeiterschaft wird von allen Parteien geworben. Wie es aber die Jahre her mit der politischen und wirtschaftlichen Interessenvertretung des Arbeiters bestellt war, das ist ein Kapitel für sich. Sehen wir denn nicht das Schauspiel vor sich gehen, dass jene politischen Parteien, die sich in Praxis— und auf die allein darf es dem Arbeiter ankommen— und bei allen sozialpolitischen Forderungen der sozialistischen Arbeiterschaft auf die Seite der Klassengegner schlugen, fetzt auf einmal tun, als ob sie davon nichts wüßten? Sollen wir uns einfach damit abfinden? Deutsche und tschechische Sozialdemokraten haben der bürgerlichen Mehrheit im Parlament im Verlaufe der Wirtschaftskrise Milliarden Kronen abgerungen, um der bittersten Not der Masten ru steuern. Aber deutsche und tschechische Kaufleute inaren es, die in einer gemeinsamen, gesamtstaatlichen.Kundgebung für eine Herabsetzung der Leistungen des Staates für die Arbeitslosen ein- »ttrrtrn find? sie haben in einer Resolutton gefordert, daß der Staat jenen die Arbeitslosen- nnterstützung entziehen müsse, die„sich einer Arbeitspflicht nicht unterwerfen wollen". ,• Deutsche und tschechische Sozialdemokraten bad die freien Gewerkschaften führten einen schweren Kampf gegen das Ausbeutertum der Unternehmer. Dem Generalsekretär des Reichs- derbandes der Kaufmannschaft(Teplitz-Schönau ) blieb es Vorbehalten, von dem Fabrikanten als orm„natürlichen Bundesgenossen der Händler" iu sprechen. In den Mitteilungen des Deutschen Hanpt- berbandcs der Industrie. darf der Herr Dr. Player-Exner, der Generalsekretär des Peichsverbandes der Kaufmannschaft, an führen- d«r Stelle gegen die Wirtschaftspolitik der„mar- kHischen Parteien" Stimmung machen. Er kann im Fachblatt der deutschen Fabrikanten schreiben: "Es geht jedenfalls auf die Dauer nicht an, die "laste der Unternehmer wegen einiger vorüber- »chenden Vorteile für den Verbraucher der Klasse fkr Konsumenten zu opfern."
Erhältlich in allen Verteilungsstellen der Konsumgenossenschaften
In der bürgerlichen Karlsbader„Bäder- Zeitung" darf ein Kaufmann eine wesentliche Einschränkung des schwer erkämpften Lehrlings- schütze- fordern:„Für angestellte Lehrlinge sind die Fortbildungsschulen an Abenden einzurichten r Lehrlinge, welche weiter als zwei Kilometer von der Schule entfernt wohnen, sind vom 1. Oktober bis 1. April vom Besuche der Fortbildungsschule zu dispensieren". Die Lehrlinge sollen sich also nach zehn- bis zwölfstündiger Arbeitszeit in die Schule setzen, und im Winter brauchen sie überhaupt nicht zur Schule zu gehen. Doch weiter! »Im Monat Dezember dürfen Geschäftsläden bis 10 Uhr abends offen gehalten werden." Mit zynischer Offenheit darf„Die Woche des Kaufmanns" erklären:„Wir streben di« Freigabe der Sonntage für den Verkauf an." Und Herr Dr. Mayer-Exner, der Generalsekretär des Reichsverbandes der Kaufmannschaft, ist mit dem erbittertsten Gegner der Arbeiterschaft, mit der Sudetendeutschen Doderer-Front, in Mandatsverhandlungen getreten! Und seht euch einmal die verschiedenen örtlichen Kaufleute an! Sind nicht viele unter ihnen, die seit jeher den Freiheitskampf des klassenbewussten Proletariats verachten und schmähen? Sind sie es nicht, die gegen jede sozialpolitische Forderung der Arbeiterschaft immer und immer wieder den schärfsten Protest einlegen und alles daransetzen, um im Bündnis mit dem Unternehmertum die Errungenschaften der Arbeiterschaft zu beseftigen? Wahltag ist Zahltag!— Aber darf das allein genügen? Hat die flaffenbewußte Arbeiterund Angestelltenschaft nicht noch andere, auf die Dauer und im Alltag weit wirksamere Waffen in der Hand? Genossenschaftliche Selbsthilfe! Worte allein tun es nicht, es müssen Taten sein. Niemand kann der klassenbewussten Arbetterschast vorschreiben, wo und wie sie ihre Kaufkraft verwendet^ Es bei der Bekämpfung der kapitalistischen Privatwirtschaft in der Theorie bewenden lassen, oder den Weg der organisierten Berbrancher gehen, die ganze Kaufkraft den Freunden der flaffenbewußten Arbeiterschaft, den Konsumgenossenschaften, zuwenden. Und da muß jeder Tag ein Zahltag sei»! Emil Fischer.
Das Geheimnis der Frauenabteilung Eine Geschichte zum 1. Mai
Von Ernst Dittmar
Am Hebelgriff der Maschinen standen die "Auen. Waren es fünfzig, waren es hundett, ^uren es fünfhundert? Im öden, grauen Dunst -er Fabrikhallen verlor sich der Blick, die fahlen, «uden Gesichter verschwommen zu einer einzigen fesichtslosen Masse. Die Maschine, erdrückend in “tot eisernen Beharrlichkeit, zerschlug jede Eigenwägung. Normierte Arbeit normte auch die Men- >4en, die ihr dienen mussten. Schweigend, in ihre Gedanken verbissen, ^beiteten die Frauen. Die Luft war von bleiener E^were, an den Wänden hingen Tropfen der Feuchtigkeit. Mit schnellem, katzenartig schleichendem ^britt ging der Auffeher durch die Reihen, scharfe flicke nach links und rechts werfend. An der Tür tol ein Plakat auf, gross, in Buntdruck, schreiend itoü, zur Betrachtung zwingend:
»Schönheit im Arbeitsraum l Volksgenosse Arbeiter! Die Arbeit soll dir eine Lust sein! Stellt Blumen und Bilder an euere Arbeitsplätze.
Jn- war die
» Kraft durch Freude !" Das Plakat hing bereits fünf Monate, huschen blätterten die Wände ab, die Luft Origer als je zuvor, im Winter hatten "tauen gefroren oder waren im Rauch fast er- M, jetzt, im Frühjahr, kroch die Feuchtigkeit die ?Michen Wände entlang—, doch das Plakat rief gekümmert nach der Schönheit des Arbeitsplatzes, nach Blumen und Bildern » Wenn die Blicke der Frauen den grellen Aiakatdruck an der Türe» streiften, huschte wohl sttstr und jener ein Lächeln über die angespann» ten Züge.. Ein bitteres, verächtliches Lächeln... »
>. Draussen am Schwarzen Brett drängten sich le Frauen nach Arbeitsschluss. »Betriebsbekanntmachung" las man.«Am
1. Mai, dem Tage der Arbeit, marschiert der Betrieb geschloffen mit. Wer fehlt, hat sich die Folgen selbst zuzuschreiben. Die Vertrauensleute werden Kontrollmarken ausgeben und so jeden Fehlenden mit Leichtigkeit feststellen. Der Geist der Volksgemeinschaft verlangt zielbewußte Einsatzbereitschaft! Heil Hitler!" Zu dichten Klumpen geballt, standen die Frauen und starrten auf das Plakat. Kein Wort fiel. Wer konnte der Nachbarin trauen? Uebcrall saßen die Spitzel und lauerten auf ihre Opfer. Vorgestern erst hatten sie eine Frau direkt vom Arbeitsplatz weggeholt. Eine unvorsichtige Aeusserung und schon war zugegriffen worden. Die Frauenabteilung galt als„marxistisch verseucht". Und dabei war sie hundertprozentig in der NSBO. organisiert—. Freiwillig— gezwungenermassen!»Ich kann natürlich niemanden in die Betriebszelle zwingen", hatte der braune Obmann grinsend gesagt,»aber wer nicht drin ist, fliegt selbstverständlich. Nur der nationalen Disziplin halber!" Da waren sie zähneknirschend hineingegangen... Sollten sie verhungern—? Manche hat. ten Kinder zu Haus, die sie ernähren mussten. Andere wieder,, die Mädels, sorgten für ihn arbeitslosen Eltern. Aber in ihnen brannte es. Wut und Scham zugleich. Aussen braun und innen rot Anhänger bekam man durch Zwang, Freunde nicht—. Die zweiundzwanzigjährige Emma P. war früher organisierte Sozialistin gewesen. Heute stand sie auf der schwarzen Liste der Betriebsspitzel. Wie Schatten schlichen sie ihr überall-hin nach. In jedes Gespräch, das sie mit den Kolleginnen führte, drängte sich das Ohr eines bezahlten Schnüfflers. Aber Emma hielt stand. So leicht fing man sie nicht. Sie war eine Illegale, die den billigen Kniffen der halb und ganz»Geheimen" getvachsen war. Wie versehentlich sttess sic Martha an. Kaum sichtbares Kopfnicken. Im»Dritten Reich " brauchte man nicht deutlicher zu werden... Als sie draussen waren und durch den früheren»Pappelweg", der heute„Göringweg" hiess, ihren Heimweg in die Altstadt gingen, sagte'
Emma plötzlich, leffe, aber eindringlich:„Du, da muss was geschehen. Ich spüre es. Die Frauen verlieren die Nerven unter dem Druck. Wenn da keine Aufmunterung kommt, kein sichtbares Zeichen, daß die andern noch da sind, bricht alles zusammen". „Wirst schon recht haben—" bemerkte Martha einsilbig,„aber sie sind doch wie die Bluthunde hinterher. Und auf den 1. Mai haben sie sich feswebiffen. Den 1..Mai, den sie uns gestohlen haben! Aber eine Paradeziffer soll heraus- gequetscht werden. Das ist die Rache für den Misserfolg in der Frauenabteilung." Emma lachte über das ganze Gesicht. „Die Paradeziffer gönn' ich ihnen! Je mehr solcher Ziffern, desto schneller und rabiater das Ende. Zwang erzeugt Haß. Aber eine Spritze, weißt du, eine Gesinnungsspritze für das Innerliche—, die muß sein!" Eine kleine Pause entstand. „Kommst du mit zu mir?" sagte sie dann gleichmüttg.„für eine Weile?" „Ein Stündchen hsitt' ich schon noch Zeit, Emma..." „Genügt" rief Emma fröhlich,„ich hab' da so einen Gedanken... Aber den sag' ich dir später..." I Und dann sahen sich beide an und brachen in ein schallendes Gelächter aus... Am anderen Tag trauten die Frauen den eigerten Augen nicht, als sie ihren Saal betraten. Da hing das Plakat von„Kraft durch Freude ", schön bunt und grell wie immer alle Blicke auf sich ziehend, und quer über den ganzen Text liefen in roter Plakatschrift, mit Farbe gemalt, diese Worte: „Wir werden ihn uns wieder holen! Nieder mit dem Hitlersystem!" Keine gab auch nur„inen Ton von sich. Aber seit langer Zeit hatte man in der Frauenabteilung nicht so viel blanke Augen und fröhlich gelockerte Münder gesehen, Ivie an diesem Morgen! Der Aufseher und die NSBO-Funktionäre kamen angerannt, lasen den Text und wurden vor Entsetzen totenbleich. Das Plakat, das angcflebt war, wurde abgekratzt.
„Kraft durch Freude " hatte wirllich an diesem Morgen Freude vermittelt. „Bandel" schrie der Aufseher,„alle kommt ihr ins Kittchen! Hochverrat ist das, glatter Hochverrat!" Dann kam die Gestapo und die Betriebsspitzel fischten ziemlich wahllos aus der Belegschaft dreißig Frauen heraus, darunter auch Emma. Martha war nicht darunter. Im Konferenzsaal der Direktion unterzog man die Frauen einer gründlichen Leibesvisitatton. Dann nahm man sie ins Kreuzverhöhr. Stundenlang ging das Trommelfeuer der Fragen auf die Sistierten nieder. Alle waren unschuldig. Am unschuldigsten war Emma. Und nach fünf Stunden entließ man die dreißig, nicht ohne vorher auch ihre Spinde revidiert zu haben. Verdammt noch mal, da hatte man also die falschen erwischt— * Aber tags darauf, am Tag vor dem 1. Mai also, war noch Unerhörteres geschehen. An dec Wand, gerade da, wo ftüher der grellbunte Verschönerungsaufruf von„Kraft durch Freude " geprangt hatte, las man, in roter Farbe und in Plakaffchrfft gemalt, dies: „Und wenn ihr platzt— wir bleiben fest! Wir wünschen den braunen Bonzen die Pest! Hoch der rote Mail" Diesmal griff man 30 andere Frauen, nahm, gänzlich ergebnislos allerdings, Schriftproben vor und brachte die Festgenommenen ins Polizeigefängnis. Nach fünf Tagen Hast und vielfachen Verhören mutzten sie allerdings entlassen werden. Am 1. Mai aber marschierten die Frauen— soweit sie nicht in Haft saßen■— geschlossen im Festzuge. Auch Emma und Martha waren dabei. Vor ihnen wurden drei große Hakenkreuzfahnen getragen, eine Kapelle der SA. spielte das Horst- Weffel-Lied' Die Frauen gingen stolz, mit ernsten, von innerer Spannung belebten Gesichtern. Die Worte an der Wand des Fabrikssaales zogen mit ihnen mit und in ihren Herzen brannte der Satz:»Hoch d r r ro te Mai!"