Seite 2 Sonntag, 26. Mai 1935 Nr. 123 Kleine Entente einig Genf . Der Ständige Rat der Kleinen Eiüente hat folgendes Kommunique ausgegeben: Der Ständige Rat der Kleinen Entente hat unter dem Vorsitze des Ministers Titulescu die Fragen geprüft, an denen er direkt interessiert ist, namentlich die den Donaupakt, betreffender» Pro­bleme. Die drei Vertreter der Kleinen Entente konstatierten die vollkommene Ueöereinstimmung ihrer Ansichten über alle durchberatenen Fragen auch in bezug auf das zu deren Lösung festgesetzte Vorgehen. Die nächste ordentliche Sitzung des Ständigen Rates der Kleinen Entente findet am 20. Juni in Belgrad statt. kann, das Industrie« und Bankkapital dennoch mit allem Nachdruck den Versuch machen wird, einen solchen durchzufetzen. Es wird eine Lösung der wichtigsten wirtschaftspolitischen Probleme in sei­nem Sinne herbeizuführen versuchen und um ein weiteres Aufschieben der drängendsten sozialpoli­tischen Forderungen, von denen nur die Vierzig« Stunden-Arbeitswoche und die obligatorische un­entgeltliche Arbeitsvermittlung genannt seien, kämpfen. Die jetzt schwächere sozialdemokratische Front im Parlament wird in diesen Auseinander­setzungen künftig einen noch schwereren Stand ha­ben als bisher. Aber, sie wird mit der äußersten Kraft, die sie aufzubieten imstande ist, um so mehr erfolgreich als Wählerin der wirtschaftlichen, so­zialen, kulturellen und politischen Belange des ganzen schaffenden Volkes sein, je dichter und fester sich seine schaffenden Massen in ihr zusammen­schließen. Jugoslawische Agrarpolitik Belgrad. (St. P.) Landwirtschaftsminister JankowiL hat das Agrarprogramm der ju­goslawischen Regierung entwickelt. Seinen Aus­führungen kommt um so größere Bedeutung zu, als die Landwirtschaft der Grundpfeiler des Landes ist. Denn von 15 Millionen Einwohnern zählen zu ihr über 10 Millionen. Zunächst be­zeichnete er 1. die Erhöhung der Preis« für landwirtschaftliche Erzeugnisse bis zu einer rentablen Höhe als erforderlich. Dabei vertrat er die Auffassung, niemals werde es im Lande deshalb Not geben, weil das Brot teurer werde, oder Proteste geben, wenn die Preise für Fleisch und Eier stiegen. Selbst die ärmsten Verbrau­cher, so meinte er, würden es als ungerecht empfinden» wenn sie für einige Dinar dem Landwirt einen Korb Eier abnehmen. Alle Be­völkerungsschichten müßten gleichmäßig an der Erhöhung der Preise zugunsten des Landwirt­mitwirken, der ihnen' dies als Verbraucher oder Steuerzahler reichlich vergüten werde. Reicher Bauer bedeute: reiches Land, glücklicher Hand­werker, Arbeiter und Kaufmann. Eine dringend« Notwendigkeit sei der Bau von Silos, der di« billige Regulierung der Ueberschüffe auf dem Markt, sowie eine entsprechende Aufteilung der­selben gestatte. Damit werde auch die Spekula­tion auf Rechnung des Landwirts ausgeschaltet. 2. sei die Organisierung der Produktion entsprechend der Nachfrage in qualitativer und quantitativer Hinsicht nötig. Dazu müsse man- unter Verhinde­rung eines Monopols desBüro- kratismus die Genossenschaf­ten heranziehen. Für die Organisierung der Ausfuhr seien die Märkte des Ostens wichtig. Diese könnten große Mengen von Vieh aus Süd­serbien und Bosnieir aufnehmen» das durch sein« Menge und geringere Qualität bis jetzt die Preise für Vieh aus den nördlichen Gebieten drücke. Auch dem Weinbau, Obstbau, der Erzeugung von Oel « samen und dem Reisbau sei Aufmerksamkeit zu widmen. Zur Organisierung des Absatzes, die in ihrer jetzigen Form den Bedürfnissen nicht ent­spreche, müsse man auch das Kompensations- System heranziehen: 3. seidieFragederEntschukdung zu lösen. Das liege in aller Interesse, und dabei der der am daß im Wohnungen zu verlassen. Besuche zu enchfangen und an den Sonntagen Ausflüge zu machen. Auf einigen anderen Kriegswerken tragen die Arbeiter auf ihren Rücken Nummern. Ein große» Spitzel­netz umgibt die Arbeiterschaft auf diesen Werken. Tie I. G. Farben unterhalten nicht weniger als 8000, die Siemenswerke 2000 Spitzel. In meh­reren Werken sind Mikrophone in den Werkstätten, Toiletten uiw. aufgestellt, die die Gespräch« der Arbeiter auffangen. Ein frappantes Bild der Militarisierung der Arbeiterschaft liefert der in dielen Unternehmen eingeführte Morgenappell, so wie er in der Armee gebräuchlich ist. Der Zweck dieser Maßnahme ist klar. Der Widerstand des Arbeiters soll gebrochen werden, er soll zu einem hörigen Automaten werden. Deshalb wird auch so viel von Treue und Hörigkeit gesprochen. Es ist interessant, daß der Ruf zur Selbstopferung nur die Arbeiterschaft betrifft. Die Großkapitalisten tangiert er nickt und sie mengen ihre immer und immer wachsenden Profite, die ihnen aus den Kriegsbestellüngen zu­fließen. Die Profite der wichtigsten deutschen Aktiengesellschaften machten im Jahre 1982 450 Millionen RM, 1933 aber schon 526 Mil- lionen RM aus. I. U. Die Militarisierung der Arbeit in Deutschland Hitlerdeutschland ist gezwungen, seine Kriegs­vorbereitungen in ganz besonderen und kompli­zierten Verhältnissen zu treffen. Eine von diesen ist da» Vorhandensein einer'vielmillioncnköpfigen Arbeitermasse, die sich mit der fascistischen Dikta­tur nicht versöhnt hat. Trotz ihrer Trommelreden über die Liquidierung des Klassenkampfes in Deutschland wissen die Nazis, daß im Falle eines Krieges Arbeiterelemente in die Armee hinein­kommen, die nicht bereit sein werden, den Natto« nalsozialisten. als. Kanonenfutter zu dienen. Außerdem wird im Kriege die Produktion gesteigert und die sogenannte zweite Linie in der Industrie nach dem Mobilisierungsplan durch­geführt. Da e» unmöglich sein wird, das Lum­penproletariat für die komplizierte KriegSproduk- fion zu verwenden, so wird die Notwendigkeit be­stehen, gerade diejenigen qualifizierten Arbeiter in die Betriebe heranzuziehen, von denen die Nazi» am meisten Angst haben. Dazu kommt endlich die Grundquelle der Finanzierung de» deutschen Fasci»muS die Ausbeutung der Arbeiterklasse. Vor allem trifft sie den Arbeitslohn, der im Jahre 1932 durchschnittlich noch zirka 1650 RM betrug und 1933 auf zirka 800 RM und 1934 sogar auf zirka 780 RM sank. Diese Kürzung des Ar­beitslohnes dauert noch immer fort und verbunden mit der Herabsetzung des Lebensstandards des deutschen Arbeiters schafft sie für den FascismuS neue Gefahren. Um Liese innerpolitischen Schwierigkeiten in der Kriegsvorbereitung zu parieren» greifen die Nazis zu Sicherungsmaß­nahmen, unter denen die Militarisierung des Proletariats eine der wichtigsten ist. R. Heß versuchte in Leipzig , wo er zur Der- trauenSrätewahl sprach, eine materielle Basis für dies« Militarisierung zu schaffen. Heß erklärte, daß die Waffenproduktion denArbeitern Brot und Arbeit'stöbe.Die Industrie' köstste thte Pl8fti"Lr-' weitern, da sie die permanente Versorgung der Armee haben würde. Die Armee würde auf diese Art zu einem wichtigen wirtschaftlichen Stimu- lierungsfaktor werden, Die Einberufung der Ju­gend in die Armee würde den älteren Arbeüern Platz machen. Die Arbeitsdienstlager sind die Stätten Umwandlung der Arbeiter inSoldaten Arbeit". Die Bestätigung dafür gab Hitler Nürnberger Parteitag, al» er erklärte; nationalsozialistischen Staate die Arbeitspflicht eine Erziehungskraft, ein« Schule des Sozialis­mus sei, die die ganze Nation absolvieren müsse. Noch offener sprach der Führer des Arbeits­dienstes Hirl, indem er erklärte, daß der junge Deutsche, bevor er in die Armee eintritt, alsSok, Wenn sie verpreußt würden... Eine volkspsychologlsche Paralelle zwischen 19. August und 19. Mal Ein reichsdeutscher Genosse, der lange Zett in Sachsen , im Grenzgebiet der Oberlausitz , für di« sozialistische Arbeiterbewegung politisch tätig war, schreibt uns über seinen Eindruck zum Ergebnis der letzten Wahlen: Die sudetendeutsche Bevölkerung kennt da» Dritte Reich und dieEhre", ihm anzugehören, nur aus der Distanz. Gelegentliche Besuche bei Verwandten und Freunden drüben, die freilich immer seltener geworden sind, seitdem das Dritte Reich seinen militanten Charakter auch offen an den Grenzpfählen zur Schau trägt, verraten von den Geheimnissen des Geschehens da drüben, vor allem in seelischer Beziehung, nicht allzu viel. Die Reichsdeutschen sind stumm und verschlossen, wenn die Rede auf die Politik kommt. Die äußerliche» Manifestationen des Regimes schmeicheln Wohl, insbesondere bei dem kleinbürgerlichen und poli­tisch indifferenten Besucher, dem Auge und dem Ohr des(nicht dazu abkommandierten) Teilneh­mers; nur der Tieferblick«ndc sieht etwas von den wirklichen Leiden der Bevölkerung fast afler Schichten und nur der ganz Heflhörige vernimmt das dumpfe Grollen, das ein Gelottter, das viel­leicht noch in der Ferne liegen mag, schon an­kündigt.' Aber die sudetendeutsche Bevölkerung hat doch schon einmal eine Stichprobe über ihr Verhältnis zum Dritten Reich absolviertI Freilich nur di« sudetendeutsche Bevölkerung, die das Regim« nickt nur auf dem Wege von einem ZoflhauS und einer Grenzkneipe zur anderen kennt, sondern aus leib­haftig unmittelbarem Anschauungsunterricht her­aus und zu ihrem ureigenen Leidwesen I Das verhält sich so: Dicht an der Grenze.im Sächsischen, etwa in der Luftlinie Schluckenau Bautzen, liegt die kleine Stadt Schirgis­ walde in herrlicher Lausitzer Landschaft. Durch irgend einen Staatsvertrag ist sie im vorigen Jahr­hundert von Böhmen an Sachsen gekommen. Sie ist hundertprozenttg eine katholische Insel in der sächsisch-lutherischen Diaspora. Keine Industrie« dat der Arbeft" erzogen werden müsse. Die Ar­beitsdienstlager sind also eine Art Borbereitungs­kurse für den Eintritt in die Armee. Bis heute ist die ganze deutsche Nation zur Absolvierung dieserSchule des Sozialismus" und Vorschule der Armee noch nicht herangezogen worden. Di« Zahl der Arbeitslosen, die hinge­schickt werden, befindet sich aber im ständigen Wachsen. Bon 31.000 im Jahre 1932 stieg sie auf 285.000 im Jahre 1938 und auf 500.000 im Jahre 1934. Diese Menschen werden haupt­sächlich im Straßen- und Befestigungsbau ver­wendet. Eine andere Form der Arbeitspflicht ist di« Landhilfe. Ueber 200.000 Arbeiter und Ar­beiterinnen werden zwang-mäßig Großgrundbe­sitzern und reichen Bauern als unentgeltliche Ar­beitskräfte zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig werden sie dort militärisch au-gebildet. Di« Militarisierung betrifft aber nicht allein die Arbeitslos«». Auch di« Arbeiter in den Gruben, Schächten, Werken und Fabriken werden inSol­daten der Arbeft" umgewandelt. DerKalender der Arbeitsfront Deutschlands" für das Jahr 1935 erklärt ausdrücklich,- der FabrikShof un­dec Kasernenhof keine feindlichen Lager mehr sind. Bewaffnet steht die ArbeitSftont an Seite der Wehrfront. Der Soldat sei nicht mehr ein Gegen­satz de- Zivilisten, der einfach Feigling genannt wird. Das Gesetz des 15. Februar 1935 über die Beurlaubung der Arbeiter und Angestellten zwecks ihrer physischen Erziehung ist nichts anderes als eine Art militärischer Ausbildung. Ab 1. April werden alle Arbeiter und Angestellten für einen derartigen sechswöchentlichen Urlaub freigegeben. DasUrlaubsgesetz" betriftt nach derPartei­korrespondenz" vorläufig nur die Männer, die Frauen sollen erst an die Reihe kommen. Tat­sächlich aber, ist die Arbeitspflicht seit pem vorigen Jahre auch auf funge 20'- bis 25jähnge Arbeite­rinnen ausgedehnt. Nach den offiziellen natftmal- sozialisttschen Angaben befinden sich zur Zeft in 24 Arbeitsdienstlagern zirka 18.000 Mädchen, dt» außer der Zwangsarbeit dort auch für den Luft­schutz, Kriegssanitätsdienst und allgemeine Kriegs­technik ausgebildet werden. Di« Landhilfe, wohin Arbeiterinnen von 14 bis 30 Jahren verschickt werden können, hat im Jahre 1934 ihrersefts 55.000 Arbeiterinnen erhalten. Noch größeres Ausmaß nahm die Militarisie­rung der Arbeiter in den Unternehmen an, die eine militärisch« Bedeutung haben. So werden die Arbeiter der Werke Dornier, noch bevor sie rhrk Arbeit antreten, in die Lager für eine sechs- wüchenüiche Ausbildung geschickt. In Dessau in den Junkerswerken wird vielen Arbeitern seien Opfer zu bringen. Bisher seien ungerechter- verboten, mit dem Eintritte der Dunkrlheft ihr» weise Wucherer und anständige Gläubiger in der-' selben Weise behandelt worden. 4. sei eine andereKreditpolitik seitens der Geldinstitute von nöten. Bisher habe der Landwirt außerhalb des Kredft-RegenS" ge ­standen. Er habe Geld aus dritter und vierter Hand zu wucherischen Bedingungen erhalten. DaS Raiffeisensystem zeige hierbei den richtigenWeg. Die Ausführungen des Mi ­nisters haben durch ihre Entschlossenheit, neue Wege zu beschreiten, große Befriedigung ausgelöst. 29 Roman von; Emil Vachek ,i Deutsch von . Anna AurednKek Durch diese Bemerkung fühlte sich Beinstel­ler aus unbekannten Gründen beleidigt. ES be­leidigte ihn noch mehr, daß der junge Gefangene ihm gar keine Aufmerksamkeit schenkte und auf seiner Pritsche liegen blieb. Auch daS Aeußere deS Gefangenen, den er blitzschnell musterte, beleidigte ihn. Seine Jubiläumssttmmung war getrübt. Und Beinsteller dachte: Einem Menschen von gewisser Bedeutung wie mir könnte eine selbständige, hübsche Zelle zugewiesen werden. Vorwurfsvoll sagte er:Können Sie mir nicht eine Stube für mich allein geben?" Das geht nicht, Ferdl, e» sind zu viele hier. UebrigenS wird Herr Eliaschek in einer Woche frei, er wird dir gewiß nicht das Leben ver­gällen." Ich möcht' doch gerne wissen, warum mir ein Herr Eliaschek das Leben vergällen soll?" Nana," besänftigte Herr Fleckchen. Nach­giebig fügte dann Beinsteller sanfter hinzu:Wir sind doch hier eine Familie, haben doch alle Un­glück gehabt." Er bot hiermit jemandem die Hand zur Ver­söhnung, der eS sichtlich nicht verdiente. Sofort be­kam er einen scharfen Hieb.^>err Eliaschek er­widerte nichts, lächelte nur verächtlich. DaS be­leidigte Beinsteller von neuem. Er wollte dem jungen Mann etwas recht Saftiges erwidern, als Herr Fleckchen daS Wort ergriff:Keine Angst, Herr Eliaschek. Beinsteller wird Ihnen auch nicht das Leben vergällen. Er ist ein alter, braver Junge. Nur ein wenig dumm." Beinsteller riß die Augen auf. Unerhört! Ihn, den alten Fuchs Beinsteller, demüttgte man vor so einem grünen Jungen! Wäre Herr Fleck­chen nicht Aufseher, müßte Beinsteller vor Wut platzen. Aber Beinsteller war, wie alle alten Kriminalritter, immer zuvorkommend gegen welt­liche Autoritäten. Jetzt war er von niemandem so abhängig wie von Herrn Fleckchen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als devot zu lächeln, worauf Herr Fleckchen auch mit einem Lächeln erwiderte. Nur der Bub auf der Pritsche geruhte nicht zu lächeln. Und jetzt könnte ich da» Mittagessen holen," meinte Herr Fleckchen und ging, da man ihm nicht widersprach. Als er gegangen war, herrschte wieder starre Stille. Der junge Dieb Eliaschek tat daS gleiche, was er vorher getan hatte. Er rauchte, ohne sich um Beinsteller zu kümmern, und Beinsteller über­legte, ob er Krieg oder Waffensttllstand erklären sollte. Vielleicht ist der Bub gar kein Scheusal, dachte er schließlich boller Gutmütigkeit viel­leicht kann ein guter Kamerad auS ihm werden. Wahrscheinlich weih er gar nicht, wer ich bin, und wird gleich anders sein, bis er e» erfährt. Er setzte daher eine freundliche Miene auf und sagte:Da wäre ich also wieder." Anstand hätte erfordert, daß Eliaschek sagte: Schon willkommen, wieviel hast du bekommen? Servasl Oder ein« ähnliche Begrüßung. Auch härte er Beinsteller die Hand schütteln können. Eventuell freundschaftlich aurspuckcn. Eliaschek tat weder das eine noch das andre. Er rekelte sich nur und legte das rechte Bein über das linke, Das brachte Beinstellcr auf. »Ich sage: da wär' ich also wieder." Eliaschek erwiderte wieder nichts, als wäre er taubstumm. Er baumelte mit den Beinen und rauchte. Da drehte sich Beinsteller zum erstenmal ihm zu und wollte ihm einige vernichtende Worte in» ' Gesicht schleudern, um Klarheü in die Sftuation zu bringen. Bevor er aber den Mund auftat, fiel ihm eine erschütternde Tatsache auf. Der Bengel trug nicht einmal die Gefangenenuniform, hatte auch nicht Zivftlleider an. Er wälzte sich in einem schönen halbseidenen Pyjama, dieser neuzeitlichen Erfindung, die Beinsteller heute zum erstenmal in seinem Leben erblickte. Sakrament, das ist ein merkwürdiges Kri­minal, dachte er. Betrübt fühlte er, daß etwas einzustürzen drohte. Ein halbseidenes Pyjama im Kriminal! Ein junger Lausbub! Also auch in daS Gebäude dieser ehrwürdigen Institution, die so alt ist wie die menschliche Gesellschaft, drängte die neue Zeit, von der Beinsteller nur eine Erfin­dung billigte und liebte: die Elektrische. Mit einem Schlag wurde ihm klar, daß es nicht bei dem Pyjama bewendet blieb, daß mit diesem Klei­dungsstück die unverschämteste moderne Geld­korruption im Gefängnis Einlaß gefunden hat. Er ahnte, daß dieser Eliaschek mit dem Aufseher tat, was er wollte, und daß das alte»kriminal, welches im Laufe der Jahrhunderte erstanden war, einzustürzen drohte. Beinsteller war traurig zumute. Das alte Kriminal! Die bärbeißigen Aufseher, die alles taten, damit dann die Freiheit gut schmecke. Das strenge Regime, diese Schule der Selbstdisziplin! Die abendlichen Plauderstunden l Alles, was die Poesie des Gefängnisse» schuf, die angenehme Atmosphäre, die bewirkte, daß man sich in der Freiheit nach dem Gefängnis sehnte. Das alles war vorüber! Statt grober Hemden und Unter­hosen ein halbseidenes Pyjama. Statt eines Kameraden, der einen ungeduldig erwartet, mit tausend Neuigkeiten geladen ist, die er hervor­sprudeln will der verschlossene Eliaschek. Statt des strengen Schutzengels mit dem Schlüsselbund der joviale Herr Fleckchen, der wie ein Re- staurationSkellner die Befehle- des Gefangenen entgegennahm... Unwillkürlich sagte Beinsteller zum dritten­mal:Da wär' ich also wieder..." Diesmal aber klang er wie eine Frage und eine Anklage. Seltsamerweise aber übte eS auf Eliaschek dies­mal eine Wirkung aus. Er fing zu singen an und hob die Beine ganz unanständig in die Höhe: BiS ich bin'ne starre Leich', rufet Gott auS seinem Reich, bist ein OchS, ich wußt' es gleich, deshalb bist du eine Leich'. Schluß! Beinsteller wußte dennoch, daß die­ses die Antwort auf seine drei Anregen war. Sonderbare Antwort!... Er senkte den Kopf und wurde noch melancholischer. Er stand wie ein Verstoßener nächst dem Tisch; auf die Pritsche konnte er sich nicht setzen, denn der ehrenwerte Herr Eliaschek im halbseidenen Pyjama hatte st« mit Beschlag belegt. ES vergingen Minuten. Endlich wurde der ehrenwerte Herr wieder lebendig. Er streckte Beinsteller sogar die Hand entgegen, hieü«S aber für überflüssig,-die Bewegung mit einem Blick zu begleiten. Lässig sagte er:Gib mir auch Zi­garetten, du Fatzke." Jetzt aber riß Beinsteller die Geduld. Fatzke! Der Bub nannte ihn Fatzke! Eine Frechheit, die einen verrückt machen konnte. DaS war die Art der jungen Diebsgeneration, dieser Burschen, die, auS dem Weltkrieg heimgekehrt, nicht Diebe, son­dern Verbrecher waren und weder für das Alter noch für Verdienste den gehörigen Respeft be­saßen. Beinsteller hatte niemals ein Verbrechen begangen, eine Handlung, deren er sich vor seinem Gewissen schämen mutzte. Er hatte nie einen Armen bestohlen, war niemals roh gewesen, hatte niemanden verwundet, schon gar nicht getötet. Diese Jungen dagegen nahmen unaufhörlich bei Reichen und Armen, stahlen unausgesetzt, stahlen alles, denn sie brauchten viel für das Lotterleben, da» sie mft anspruchsvollen Mädeln in unsinniger Verschwendung führten. Sie bestahlen eine arme Hausmeisterin, um in Sportdretz per Auto nach Karlsbad zu fahren. Diebstahl war für sie weder eine Kunst noch ein geordnetes Gewerbe. ES war ein Kolben, mit dem sie sich durchs Leben schlugen. .(Fortsetzung folgt.),