1ENTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung frag xii.,fochova a. telefon no77. HERAUSGBER» SIEGFRIED TAUB . CHEFREDAKTEUR » WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEUR» DR. EMIL STRAUSS , PRAG . 15. Jahrgang Donnerstag, 30. Mai 1935 Nr. 126 chen Empfänge in Lana verhandelt werden Regierungsbildung sich bemüßigt füh- Einflüsse znrückzuführende Einmischung umzudeuten versuchen werde. Der weiteren Auffassung des Herrn. Reichskanzlers, daß das Regime in Oesterreich nicht vom Volke getragen sei, muß e.itgcgcngchalten werden, daß diese Auffassung als sachlich unzutreffend größtes Befremden zu erregen geeignet ist,' Abgesehen davon handelt es sich hiebei um einen spezifischen Versuch zur Einmischung in österreichische Angelegenheiten. Man soll nicht van Gewalt sprechen, da die Welt sich gerade in bezug auf dir Gewalt bestimmte Gedanken über da- Regime in Deutschland macht. Der Herr Reichskanzler hat ferner in seiner Rede auf die deutsche Schweiz angespielt. Oesterreich verlangt, daß der deutsche Oesterrricher in glri- Hilgcnrcincr, durch den Präsidenten der Republik vevorstche, entsprechen nicht den Tatsachen. Es hat lediglich eine Aussprache M a type t r s mit dem früheren Minister Mayr- Harting stattgefunden. Hilgrnrriner soll mit dem Minister Dr. S r ä m e k konferiert haben. Offenbar wurde dabei dir Frage einer eventuellen Regirrungsbeteiligung der deutschen Christlich - sozialen verhandelt, ohne daß es dabei zu irgendeiner Entscheidung gekommen wäre. Mit der offiziellen Bildung des neuen Kabinetts ist erst für die nächste Woche zu rechne». Die Einberufung des neuen Parlaments zur kon- stitnierenden Sitzung und zur Entgegennahme der Programmerklärung der neuen Regierung soll möglichst bald nach den Pfingstferien erfolgen, da ja infolge des Katholikentages Ende Juni nur mehr eine kurze Zeitspanne für die Borferiensession zur Verfügung steht. neswrgs definitiv. Dir Regierung bereitet einen Gesetzentwurf vor, durch welchen die Hauptgrundsätze der RRA aufrecht erhalten, dabei aber alle Zwangsmaßnahmen ausgeschlossen würden. Die Festsetzung der Preise durch behördliche Verfügung würde verschwinden. Der Präsivent der Handelskammer der Bereinigten Staaten hat alle Mitglieder der Handelskammer aufgefordert, vorläufig den status quo aufrechtzuerhalten. Der Verband der Trxtilindustriellen, der nationale Verband der Automobilhändler und zahlreiche andere Arbeit- geberorganisationen haben beschloffrn, der RRA die Treue zu wahren. Es bestehen Befürchtungen, daß neuerdings eine lleterproduktion eintreten und ein neuer Prriskampf entbrennen würde, wenn sämtliche Reglemrntationen der Erzeugung aufhörten. Washington » Streikdrohungen, Preiskonkurrenzen, die zeitweilig lahmgelegten Märetzr und das Stillschweigen des Weißen Hauses sind die Hanptsymptomr des zweiten Tages nach dem Sturze der RRA. Dir Ädministrative ist aber fest kvtlchMrg, dir Reform das srrcickte Lebens- nivoa« der Arbeiterschaft durch jedwede notwendigen gesetzliche« oder juristischen Kompromiffe aufrechtzuerhalten. Die Arbeiter fordern, daß das Werk der RRA, zumindest betreffs der Arbeitszeit und der Arbeitslöhne, weiter bestehen bleibe. Außer der Gewerkschaft der Textilarbeiter hat auch dir Bergarbeitergewerkschaft beschlossen, in den Streik;«treten, falls die Arbeitgeber den RRA-Eode kündigen. Selbst die Niederlage der Regierung ist kei- H> Zusammenarbeit sei nur im gegenseitigen Einvernehmen möglich. Rach unseren Informationen ist, soweit es sich um Henlein handelt, mit einem Empfang, der auch nur zeitlich in den Rahmen der Verhandlungen über die Regierungsbildung fallen würde, nicht zu rechnen. Es steht nach wie vor fest, daß mit der Sudetendeutschen Partei über die Frage des Eintrittes in die Regierung nicht wird. Wenn nach der irgendeine Oppositionspartei, len sollte, um eine- Aussprache mit dem Ministerpräsidenten anzusuchen, so würde ein solches Ansuchen offenbar nach den sonst üblichen Richtlinien behandelt werden. Vorläufig ist aber diese Frage nicht aktuell. Vor dem sogenannten Bundestag hielt der Kanzler Schuschnigg Mittwoch die seit Tagen angekündigte Rede.. Er forderte die uneingeschränkte Gleichberechtigung Oesterreichs in der Wehrfrage. Oesterreich werde selbst entscheiden, yb cs die allgemeine Wehrpflicht brauche oder nicht. Die Finanzlage stellte Schuschnigg sehr optimistisch dar, ebenso die innerpolitische Situation. Eine Volksabstimmunglehnte er ab. Ter wichtigste Pasius der Rede behandelte die außenpolitischen Beziehungen Oesterreichs . Schuschnigg bezeichnete die Beziehungen zu Frankreich und England als ausgezeichnet, die zur Tschechoslowakei , zu Jugoslawien und der Schweiz als freundschaftlich, die zu Ungarn als traditionell freundschaft- l i ch. Ueber Italien sagte er: „Rach wie vor verbinden uns besonders freundschaftliche Beziehungen mit dem benachbarten Ita lien , bei dem Oesterreich auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiete verständnisvolles Entgegenkommen findet. Ich habe allen Grund, auch von dieser Stelle aus dem Chef der königlich italienischen Reg.i« rnng zu danken für das Entgegenkommen, das Oesterreich insbesondere in den schwersten Tagen des vergangenen Jahres und seither stet» gefunden hat. Da gerade unsere Beziehungen zu Italien zu einer hemmungslosen Propaganda«egen Oesterreich benützt werden, möchte ich mit allem Nachdruck erklären: Ich stelle fest, daß Italien niemals auch nur den leisesten Versuch einer innenpolitischen Einmischung in Oesterreich unternommen hat und die Fabel der polifischen Abhängigkeit in den Bereich tendenziöser Erfindungen gehört. Daß wir mit Italien auf kulturellem Gebiete ein besondere» Abkommen getroffen haben, liegt doch wahrhaftig in der Linie gerade der besonderen Aufgaben/. denen wir unS niemals entziehen werden, Aufgaben, die für unS nicht eine Frage der Taktik sind, die man heute wechseln kann. Wir werden unS dieser Aufgabe auch dann nicht entziehen, wenn Böswilligkeit oder Unverstand ihre Erfüllung zu verhindern trachten. Ehrliche Freundschaft verbindet das neue Oesterreich mit dem neuen Italien . Schließlich sei ja auch im Deutschen Reich nicht alles beim Alten geblieben. Gleich geblieben sind in Wirklichkeit nur die Alldeutschen. Für diese Sorte von Politikern, die so gerne historische Reminiszenzen anwenden, kann auf eine bestimmte historische Reminiszenz angespielt werden, welch« 70 Jahre zurückliegt. Sie mögen andaSJahr1866den- k:n. Damals wäre eS richfig gewesen, die deutsche Einheit hochzutragen nnd die historische Entwicklung zu respektieren." Dr. Schuschnigg sprach dann über die Spannung mit Deutschland , die alle(?) Oesterreicher mit ehrlichem Bedauern erfülle: „Die Spannungen haben seit zwei Jahren das friedliche Nebeneinanderleben der beiden deutschen Staaten aufs empfindlichste zu stören vermocht, aber trotzdem erkläre ich, daß wir jedermann gegenüber stets gerne bereit sind, in eine unS gebotene friedliche Hand ehrlich einzuschlagen.. Ader bisher haben wir dies« friedliche Hand-noch nicht deutlich gesehen. Tie Erklärungen des Reichskanzler», daß Deutich- land weder die Absicht, noch den Willen hat, sich in di« innerösterreichischen Verhältnisse einzumengen, dies« Erklärung nehmen wir mit Beftiedigung und Genugtuung zur Kenntnis, ebenso die grundsätzliche' Bereitschaft, internationalen Vereinbarungen zuzustimmen, die in wirksamer Weise alle Versuch« einer Einmischung in innerpolitische Verhältnisse anderer Staaten unterbinden, und unmöglich machen. Wir halten ferner schließlich auch die Forderung nach genauer Definition des Begriffe»„Einmischung" für berechtigt, eine Forderung,, die der Herr Reichskanzler gleichfalls ausgestellt hat.' Wir halten sie um so Mehr für,berechtigt,.als.nftmgnd klarer wie Oesterreich auS seiner eigenen jüngsten Geschichte einen Beitrag zu dieser Begriffserläuterung zu liefern vermag, einen Beitrag, der in der ganzen Welt bekannt ist, und zwar ohne unser Dazutun, denn die Ereignisse haben für unS gesprochen und Gräber kann man nicht verschweigen. ES besteht kein« Gefahr, daß man etwa, wie der Herr Reichskanzler sagte,— ohne Oesterreich allerdings zu nennen—. jede innere Erhebung sofort als auf äußere cher Weis« gehandelt wird, wie der deutsche Schwei zer ." Zum Schluß stellte Bundeskanzler Doktor Schuschnigg drei Forderungen auf: 1. Die grundsätzlich gleiche Behandlung Oesterreichs , 2. die Zuerkennung grundsätzlich des glei- R echtes, 3. die Anerkennung der gleichen Ehre. Voraussetzung für die Normalisierung der Verhältnisse ist und bleibt für die Bundesregierung: Die rückhaltslose Anerkennung der Berechtigung Oesterreichs , selbst in allen inneren und äußeren Angelegenheiten ohne offene und verstärkte Einflußnahme von Faktoren oder Strömungen außerhalb seiner Grenzen entscheiden zu. können. Ueber alles andere kann man mit den Oesterreichern reden— über diese drei Punkte niemals. Schuschniggs aussenpolitische Rede Huldigung für Mussolini — Polemik gegen Hitler NRA -Kompromiß gesucht USA -Gewerkschaften drohen mit Streik Prag . Wir amtlich gemeldet wird, hat der Präsident der Airpublik am Mittwoch in Lana die Vertreter von vier Koalitionsparteirn, und zwar den Abgeordneten Beran für die tschechischen Agarirr, den Abgeordneten H a mp l für dir tschechischen Sozialdemokraten, den Senator K l» f ä ä für dir tschechischen Nationalsozialisten und den Minister Dr. S r ä m r k für die tschechisch« Volkspartei empfangen. Für Donnerstag ist der Empfang der beiden deutschen Minister Dr. E z e ch und Dr. Spina vorgesehen. Auch' der designierte Chef der neu 4» bildenden Regierung, M a l y p r t r, hat die Beratungen mit den bisherigen Koalitionsparteirn fortgesetzt und außerdem mit dem Abgeordneten R a j m a n von der tschechischen Gewerbepartri verhandelt. In Aussicht genommen sind auch Beratungen mit der slowakischen Bolkspartri. Die Meldungen, daß rin Empfang des Obmanns der deutschen christlichsozialen Bolkspartei, »* Vergebliche Liebesmüh . Der agrarische„V t üer" meldet mit einem Fragezeichen, daß H l i n! a und H e n l e i n zum Ministerpräsidenten eingeladen werden sollen. Malypetr wolle als neu designierter Ministerpräsident die Ansichten der einzelnen politischen Parteien hören.„Damit ist," erklärt der „V:ce r" selbst,„nicht, gesagt,, daß a l.l e Parteien, mit deren Vertretern der Vorsitzende der Regierung verhandeln wird, auch Mitglieder der Koalition werden." Malypetr müsse aber die parlamentarische Tradition' wahren und könne niemanden, der sich nicht direkt gegen den Staat stellt, von vornherein ausschlietzen. Freilich sei es auch seine Pflicht,, über die Ansichten der Parteien jene politischen Parteien zu informieren, die die Koalition b i l den, denn eine Hie Schicksalsfrage des sudetendeutschen Zentrums Mit Henlein oder mit der Demokratie? Seit innerhalb des Sudctendcutschtums die Frage„Fascismus oder Demokratie" zur Entschei- I bitng steht, also seit Hitlers Machtergreifung, haben die deutschbürgerlichen Parteien zwischen der Neigung zur Gleichschaltung und einem opportunistischen Bekenntnis zum demokratischen Staate geschwankt. Es erschien ihnen überaus verlockend, s nach Hitlers Muster in einer großen„antimarxi- stischen" Offensive die Arbeiterbewegung niederzuwerfen Und an den Mode-Erfolgen des Fascismus zu profitieren. Auf der andern Seite wollten sie sich doch nicht den Gefahren aussehen, die damals den rein fascisfischen Parteien in der Tschechoslo wakei drohten und, soweit sie in der Regierung vertreten waren oder auf die Teilnahme an der Regierung aspirierten, wollten sie die Brücken nach dieser Seite nicht abbrechen. Aber einen wirklichen ideologischen und politischen Kampf gegen den Fascismus organisierten sie nicht. Die C h r i st- lichsozialen kokettierten nicht nur mit dem Austrofascismus, der ihnen gesinnungsgemäß natürlich nahesteht, sondern stießen, trotz aller Katholikenverfolgungen im Dritten Reich mit aller Kraft auch in das Horn Hitlers . Der Bund der Landwirte bemühte sich in wahrhaft aufopfernder und selbstloser Weise um die Errichtung einer neuen häkenkreuzlerischen Partei, schuf in seinen Reihen die Henleinflliale des Herrn H a ck e r und konnte sich solange zu keiner Trennung entschließen, bis bei der endlichen Loslösung zwei Drittel der Partei mitgingen. Die. Gewerbepartei sogar begann vom fascistischen Ständestaat zu schwärmen und mit Henlein zu paktieren. Die Deuts chdemokraten machten es,, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht besser. So gab es im ganzen deutschen Bürgertum keine wirkliche Gegenkraft gegen den Fascismus. Das Ergebnis der Wahl zeigt, wohin solche Polifik führt. Von der Gewerbepartei ist nichts übrig geblieben. Die Demokraten sind verschwun- I den, der Bund der Landwirte ist von 13 auf 5 Mandate, die Christlichsozialcn sind von 11 auf 6 Sitze zusammengeschrumpft. Sie alle hatten den Kampf in der antimarxistischen Front geführt. Sie alle sahen den Feind in der Arbeiterbewegung und trugen das ihre dazu bei, den Stotz der Reaktion gegen uns zu verstärken. So hart uns dieser. Stotz getroffen hat, zeigt sich aber doch nach der Wahl, daß wir, die einzige antifascistische Kraft im deut schen Lager, wir, Zielpunkt aller Angriffe, den kräftigsten Widerstand zu leisten vermochten, während die bürgerliche Mitte ihre Schaukelpolitik mit der Zertrümmerung ihrer Parteien bezahlt. Der Bund der Landwirte, der mit uns mehr als fünf Jahre in der gleichen Koalition, dessen Vertreter neben dem unseren in der Regierung saß, glaubte noch im Wahlkampf„antimarxistische" Politik machen zu können. Statt die gemeinsamen Interessen von Arbeitern und Bauern zu betonen, den gemeinsamen Gegensatz zu den fascisfischen Volksverderbern, stellte sich Dottor Spina noch am Vorabend der Entscheidung in Troppau auf das Postament, um zu verkünden, daß eine unüberbrückbare Kluft zwischen dem Landbund und der Marxistischen Sozialdemokratie bestehe. Die Kluft hat den Landbund und seinen Minister nicht gehindert»-fünf Jahre mit der Sozialdemokratie praktisch zusammenzuarbeiten und zwischen den beiderseitigen Interessen das für die Bauern und Arbefter günstigste Kompromiß zu suchen, aber sie wird aufgerissen in einem Augenblick, wo es wahrhaftig nicht um.Marxismus oder A n t i m a r x i s m u s, sondern um die unmittelbaren Lebensinteressen des sudetendeutschen V.o l k e s ging. Niemand weiß besser als wir. daß weltanschaulich zwischen einem Marxisten imd einem Anhänger der bürgerlichen Welt eine Kluft besteht: Aber die Entscheidung im gegenwärtigen Augenblick.fällt an einer ganz anderen Front, die Gegensätze treffen entlang einer Linie aufeinander, die mit jener weltanschaulichen Kluft wenig zu tun hat. Es geht darum, ob die Demokratie im Staate, für die Deutschen ein unerläßliches Element ihrer nationalen Existenz, gehalten oder geopfert wird, es geht darum, ob die Ueberwindung der Krise auf
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15 (30.5.1935) 126
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