Sekte 4Freitag, 31. Mak 1935Nr. 127AgesneuigLeltmSuks Leichnam im PantheonBenescha». Die sterblichen Ueberrcste desverstorbenen Komponisten. Josef Suk find in seinerWohnung in Beneschau in der Husovä tr. Nr. 739aufgebahrt. Am Totenlager haben sich die Familienangehörigen eingefunden. Das Antlitz desToten hat einen ruhigen Ausdruck. Ein Testament Guts lvurde nirgends gefunden.Die Dispositionen zum Leichenbegängnis loerdennoch nicht getroffen, wahrscheinlich werden diesterblichen Ueberreste nach Prag überführt werden. wo sie imP an thron werden ausgestellt werden. Die Beisetzung wird demWunsche Guts gemäß in seiner HeimatgemeindeKteäovice bei Beneschau stattfinden.Todesurtelle über Todesurteilegegen mazedonische Terroristen und bulgarischeRäuber— KommunistenhatzAus Sofia wird berichtet: In der StadtProwodija im Osten Bulgariens, wurde der Anführer einer Räuberbande, Janaki Galew unddrei weitere Mitglieder dieser Bande zumT o d e durch den Strang verurteilt. Einer dieserRäuber wurde zu lebenslänglichem Kerker, zweiweitere zu je 15 Jahren und die übrigen zehnMitglieder der Berbrecherbande zu Freiheitsstrafen in der Höhe von dreieinhalb bis zu zehnJähren verurteilt.In der Nähe von Slivena in Südbulgarienüberfielen vier stark bewaffnete Räuber einigeReisende und beraubten sie. Die Räuber wurdenals die illegalen Kommunisten erkannt, die nachdem Blutvergießen des 30. April in Ennina, wodamals ein Polizist und ein Kommunist erschossenwurden, flüchteten und deren die Polizei bishernicht habhaft werden konnte.Die Militärgerichte haben bisher 50 T o-desurteile gegen die mazedonischen Terroristen ausgesprochen, von denen aber bisher nochkeines vollstreckt wurde, lveil fast alle zum TodeVerurteilten— sich noch wegen weiterer Verbrechen zu verantworten haben werden...•In Plowdiw nahm die Polizei eine Reihevon Mitgliedern einer geheimen kommunistischenGruppe fest. In der Stadt Schumen in Ostbulgarien wurden aus dem lokalen Gymnasium 50Schüler wegen kommunistischer Tätigkeitausgeschlossen, Auch in'den StädtenPlowdiw, Haskow, Warna und anderswo wurdeeine große Anzahl von Schülern wegen kommunistischer Gesinnung aus allen bulgarischen Mittelschulen ausgeschloffen.Eurasische Luftlinie:Paris—Prag—Moskau—SaigonParis.(Tsch. P.-B.) Der Berichterstatter delKammer-Ausschusses für Flugwesen MichelWalter empfahl die Annahme des Flug-Ec«gänzungSabkommen zwischen Frankreich und derTschechoslowakei vom 7. Dezember 1933 zumfranzösisch-tschechoslowaksschen FluMbkommen vomJahre 1935. Im Motivenbericht sagt der Berichterstatter, daß durch die Ratifikation die Verwirklichung der Flugverbindung zwischen P a-ris und Moskau üfrer Prag undihre weitere Verlängerung über Moskaunach Jndochina(Saipon) ermöglichtlverde. Die französischen Flugzeuge werden sokünftig nicht mehr gezwungen sein, die gefährlicheStrecke über dem Mittelmeer und dem IndischenOzean zu befliegen, außerdem wird die Flugverbindung bedeutend verkürzt und erleichtert. DieRegelung der Flugverbindung zwischen Frankreich und der Tschechoslowakei wird daher derAusgangspunkt der Flugverkehrs-Entwicklungzwischen Frankreich und dem Fernen Osten sein.Der Paß der Sklaven. Am 1. Juni wirdin Deutschland das„Arbeitsbuch" eingeführt.Jeder erwerbstätige Deutsche muß es sich vonder Behörde ausstellen lassen, wenn er noch Aussicht darauf haben will, eine Arbeit zu erhalten. Denn der Arbeitgeber ist bei strenger Strafeverpflichtet, es von den bei ihm Beschäftigten einzufordern, um es dem Arbeitsamt zu überreichen. Als Zweck des Arbeitsbuches wird angegeben, daß es dem Arbeitgeber dazu dienen soll,die bisherige Beschäftigung des Stellungsuchenden festzustellen, und den Behörden eine syste-matische Verteilung der Arbeitskräfte ermög-lichen soll. Mit anderen Worten also bedeutetes, daß alle Arbeiter und Angestellten inDeutschland einem Dienstbuch-Zwang unterworfen werden, wie ihn die Gesindeordnung derVorkriegszeit für die Knechte der Gutsherrenund daS Dienstpersonal der bürgerlichen HauS-haltungen vorschrieb, und daß darüber hinausdie Freizügigkeit des arbeitenden Menschen auf.gehoben wird. Denn die behördliche Verteilungder Arbeitskräfte läuft darauf hinaus, daß dieAbwanderung und der Zuzug von Arbeiternund Angestellten behördlich verhindert werdenkann, insbesondeie die Wwanderung aus einemBetrieb mit schlechten Arbeits- und Lohnbedingungen zu einem, wo man besser bezahlt und anständiger behandelt wird. Und da der Entzug desArbestsbuches die Verurteilung zum Hungertod«bedeutet, hat sich daS Hitler-Regime mit diesemArbeitspaß ein neues furchtbares Instrumentder Volksversklavung geschaffen. Das Bezeichnendste aber ist die Bestimmung, daß nur jeneDeutschen das Arbeitsbuch besitzen müssen, dieweniger als tausend Mark im Monat verdienen.DaS sind mindestens 9A Prozent aller Erwerbs,tätigest, abikr daS vom Sklavenpaß befreite Hun-dertstel, das die neuen Bonzen, die Direktorenund die Stars jeder Art umfaßt, hat man geflissentlich von der unter Kontrolle gestellten„Volksgemeinschaft" ausgenommen. Sie könnenihre Riesengehälter an jedem Ort und mit jederbeliebigen Beschäftigung verdienen, sie brauchensich über ihre Vergangenheit und ihre Oualifi-kation nicht auszuweisen,— denn sie stehenüber der Volksgemeinschaft, die sie predigen.Kinder am Pranger. Daß die Judenhetze inHitlerdeutschland von Woche zu Woche an gewalttätiger Intensität zunüumt, ist bekannt. Immerhin blieb diese Aktivität, soweit sie sich in ausgesprochener Pogrom-Taktik auswirkte, auf HerrnStreicher und seine pornographische Skandalpresscbeschränkt. Aber selbst das Wüten dieser Blätterüberbietet noch ein Artikel, der jetzt im regicrungs-ofliziösen„W e st deutschen Beobachter"erschienen ist und in dem eingangs mitgeteiltwird, man werde von nun an fortlaufend dieNamen arischer Mädchen undFrauen, die in einem„rasseschänderischen"Verhältnis zu Juden. stehen, nebst denen ihrerKinder veröffentlichen. Es heißt dann wörtlich:„Jüdisches Blut ist für uns Deutsche Grft. Eswirkt unbedingt und in jedem Falle tödlich. Fürden davon Infizierten gibt es keine Rettung, dennwenn wirklich in einer Generation die bessereErbmasse die Oberhand gewinnen sollte, so kannman schon für die nächste das Gegenteil annehmen... Die Kinder, die so entstehen, sind in jedemFall verurteilte, gezeichnete Bastarde... Es mußauch völlig belanglos sein, ob unser Vorgehen ineinem Einzelfall eine Härte bedeuten könnte. Wersich am Gesetz der deutschen Rasse vergeht, ist einVerbrecher, genau so wie ein Mörder oder einDieb!"Säureattentat gegen Pierre Cat. Der radikale Deputierte Pierre Cot, ehemaliger Ministerim Kabinett Daladier, hielt Mittwoch abends inAix-lcS-Bains einen Vortrag. Plötzlich schleuderteeiner der Zuhörer eine Flasche mit einem Aetz-mittel nach ihm. Die ätzende Flüssigkeit traf dasrechte Ohr des Abgeordneten, der aber nach sofortiger Behandlung in einer halben Stunde denVortrag fortsetzen konnte. Fünf Exzedenten, darunter der Täter, wurden verhaftet.Dnepro-Kraftwerke in Betrieb gesetzt. DieTelegraphenagentur der Sowjetunion teilt mit,daß am Donnerstag das größte Werk im Aluminiumkombinat der Sowjetunion, die Dnepro-Kraftwerke(Ukraine), feierlich in Betrieb gesetztwurden. Die Herstellungskosten der Werke belaufen sich auf 100 Millionen Rubel.Wolkenbruch über Preßburg. Donnerstagvormittags zwischen 9 und 10 Uhr ging überPreßburg ein heftiges Gewitter, verbunden miteinem Wolkenbruch, nieder. Der Wasserschwall war so groß, daß das Wasser viele Kellerräume und Wohnungen überschwemmte, so daßin 94 Fällen die Feuerwehren berufen werdenmußten, um das Wasser auszuschöpfen. Noch inden Abendstunden arbeiteten die Feuerwehren ander Ausschöpfung des Wassers im Zivnohaus, imHotel„Tatra" und in der Zentrapassage. Dervon dem Wollenbruch angerichtete Sachschadenist groß.Die Naturfreund«- Gauwanderung 1935Wurde für den 20. Juli l. I. nach Renners-d o r f bei Dittersbach festgesetzt. Die OrtsgruppeRumburg besitzt ein Naturfreundeheim, von woaus die Gauwanderung in das DitterSbacher Felsengebiet stattfindet. Alle proletarischen Organisationen werden ersucht, diesen Tag freizuhalten undfür eine zahlreiche Beteiligung zu werben.Auf Formosa wurde gestern früh abermals einErdbeben verspürt. Besonders heftig war daSBeben in den Provinzen Taichu und Shinohiku. Bisjetzt wurden noch keine Schäden gemeldet. Es ist imLaufe eines Monats bereits dar dritte Erdbebenauf Formosa.Durch eine furchtbare Gasexplosion stürzte inder 21. Straße von New Iork ein dreistöckiges Gebäude ein. Sechs Personen wurden getötet, zehnzum Teil schwer verletzt. Die Explosion riß die ganze.Hausfront heraus, während daS Haus in Brandgeriet.Das Urlaubsrecht der IndustrieangestelltenIn letzter Zeit häufen sich bei uns die Anfragen,über das Urlaubsrecht der Angestellten im allgemei-.neu und des Werkmeisters und technischenAngestellten im besonderen.Wir machen deshalb darauf aufmerksam, daßmit der Inkraftsetzung des neuen Angestelltengesetzesim Jahre 1934 keine Acnderung, noch weniger eineEinschränkung des Kreises jener Personen eingctre«ten ist, die unter die Bestimmungen dieses Gesetzes■fallen. Schon der Titel des Gesetzes umschreibt imgewissen Sinne den Personenkreis. Er lautet:„Gesetz betreffend das Arbeitsverhältnis der' Prwatbeamten, der Handlungsgehilfen und ande-.rer Dienstnehmer in ähnlicher Stellung(Privat-'angestellten-Gesetz)."Es ist daher auch gar kein« Frage, daß Angestellte, die zwar nicht den Titel Privatbeamtetragen, auch keine kaufmännischen Angestellten oderHandlungsgehilfen, aber andere Dienstnehmer inähnlicher Stellung sind, unter die Bestimmungen des Angestellten-Gesetzes fallen. Die richterliche Auslegung dieser Gesetzesbestimmung ist ja auchstcherungshalber im 8 1, Punkt 8, des neuen Gesetzesfestgelegt. Dort heißt es:„Für die Beurteilung derFrage, ob ein Angestellter diesem Gesetze unterliegt,ist bloß die tatsächliche Beschaffenheit seiner Arbeitenenffcheidend."Hinzugefügt sei noch, daß das Oberste Gerichtbei der Auslegung„was sind höhere nichtkaufmän-nische Dienste", ganz besonders darauf verweist,„daßdieserhalb keine allzuhohen Anforderungen an dasErfordernis der höheren Dienste gestellt werden dürfen, ansonsten Dienstnehmer gegen den Willen desGesetzes seinem Schutze entzogen werden könnten".Es fällt daher auch der technische Angestellte mit demWerkmeister unter diese Gesetzesbestimmungen.Sein Urlaubsanspruch wie der de?technischen Angestellten ist deshalbnur nach dem Privatangestelltengesetze zu beurteilen.(Weitere Auskünfte erteilt die Zentrale und dieGeschäftsstellen des Allgemeinen Angestellten-Ber«Landes, Reichenberg.)Vom RundfunktMptahl«Mw«r(M«ui den Programmen:SamStag„ Prag: Sender L.: 10.05 Deutsche Presse.10.15 Salonorchester. 12.10 Biolinsolos. 12.35 Mit«tagskonzert. 13.45 Leichte Musik. 16.85 Rundfunkfür die Jugend. 17.55 Deutsche Sendung: Prof.Dorn: Das Glas im Kunsthandwerk. 22.00 Presse.— Sender St.: 14.80 Klavierkonzert. 15.00 Deutsche Sendung: Abenteuer auf hoher See. Hörfolge.18.45 Leichte Musik.— Brünn: 15.55 Jazzkonzert.17.45 Deutsche Sendung: Liederstunde. 19.15 Blasmusik. 20.10 Gesangvereinskonzert.— Mährisch-Ostrau: 17.15 Salonorchesterkonzert. 23.80 Nachtorchesterkonzert.— Kaschau: 12.85 Mittagskonzert.Aus der Frühzeitdes MarxismusEngels' Briefwechsel mit KautskySchon seit langem haben die Freunde KarlKautskys den Altmeister des wissenschaftlichen Sozialismus dazu gedrängt, seine reichen Erinnerun-!>en niederzuschreiben. Ist doch Kautsky seit denrebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts,also seit sechzig Jahren, in der internationalenArbeiterbewegung tätig, hat er doch noch mit Marxund insbesondere mit Engels in jahrelangemfreundschaftlichen Verkehr gestanden und ist er dochder eigentliche Popularisator der Marx'schenLehre geworden, der insbesondere den Schatz desMarx'schen„Kapitals" für die breiteren Massengehoben und die materialistische Geschichtsauffassung verständlich gemacht und praktisch angewandt,d. h. die geschichtliche Entwicklung von der Urzeitbis zur Gegenwart erklärt hat. Kautsky hat nunwenigstens einen Teil seiner Erinnerungen veröffentlicht, und zwar jenen, in dessen Mittelpunktdie ebenso wissenschaftlich und geschichtlich hervorragende wie menschlich reiche und sympathische, anheimelnde und bezaubernde Persönlichkeit vonFriedrich Engels steht. Kautsky hat mit Engels von1881 bis zu dessen Tode im Jahre 1895, alsodurch volle vierzehn Jahre, freundschaftlich verkehrt, mündlich und schriftlich, und ist mit ihmwährend dieser Zeit in einem Briefwechsel gestanden, der nur unterbrochen wurde durch die Aufenthalte KautskyS in London, da der damals jungeund bedeutendste Schüler von Marx und Engelsin dem Hause des Mitbegründers des wissenschaftlichen Sozialismus und Lebensfreundes von KarlMarx—- diese Freundschaft währte vierzig Jahre— verkehrte. Kautsky veröffentlicht insgesamt 155Briefe von Engels, deren erster aus dem Jahre1881, deren letzter aus dem Jahre 1895 stammtund die er mit einem Text verbindet, der zusammen mit den Briefen uns ein lebendiges Bild, derEntwicklung des wiffenschaftlichen Sozialismus wieder Arbeiterbewegung jener Zeit vor Augen führt.Es ist.ein Hochanzuschlagendes Verdienst des Verlages„Orbis" in Prag in einer Zeit, da einemManne wie Kautsky die Berlage Deutschlands undOesterreich- verschlossen sind, die Herausgabe derBriefe ermöglicht zu haben.*)Kautsky, der bekanntlich aus Prag stammt,war 1875 in Wien zur österreichischen Arbeiterbewegung gekommen, in einer Zeit politischer undideeller Verwirrung des österreichischen Sozialismus, da die Bewegung durch den Streit zwischenScheu und Oberwinder zerrissen worden war.Kautsky war damals noch nicht Marxist und auchiu seinem ersten Buch, in welchem er bevölkerungspolitische Fragen behandelte, hat er noch nicht denmarxistischen Standpunkt vertreten. Er arbeitetean verschiedenen Zeitschriften mit, die der deutscheSozialist Karl Höchberg herausgaü, deren Inhaltaber durchaus nicht die Zustimmung der in Londonlebenden Marx und Engels fanden. Obzwar alsoKautsky damals die Märx'sche Lehre noch nichtvoll erfaßt hatte,«rkmmte Engels doch KautskysBegabung und seinen heißen Lernwillen und ludihn in dem ersten an ihn gerichteten Brief vom1. Feber 1881 ein,„aus der Atmosphäre von Unkritik heraus" nach London zu kommen. Das tatKautsky schon tm folgenden Monat und so entwickelte sich nun der Verkehr Kautskys mit Marxund. insbesondere Engels, der für Kautsky vonungeheurer Fruchtbarkeit wurde, indem KautskyTausende von Anregungen empfing und der fürKautskys Leben und damit ftir die Entwicklungdes wissenschaftlichen Sozialismus von entscheidender Bedeutung wurde.Als Kautsky 1881 nach London kam, lebteMarx noch. Aber sein Haus war schon von düsterster Stimmung erfüllt, weil Frau Marx krebskrank Ivar und man wußte, daß sie nicht mehr langeleben werde. Auch Marx kränkelte inunerzu. Seltenverließ er seine Wohnung. Engels machte damals— obzwar der Altersunterschied der beiden Männer nur zwei.Jahre betrug— einen weit jüngerenEindruck. Er war sportliebend, bewegte sich viel infteicr Luft, war ein Weltmann, während Marxseine Zeit nur dem Studium widmete, seiner Kleidung keine Beachtung schenkte, wenig spazierenging und in den letzten Jahren beständig kränkelte.*) Karl Kautsky:„Aus der Frühzeit des Marxismus", Engels' Briefwechsel mit Kautsky,1935, Orbis-Verlag A.-G., Prag.„Ein länger als sechs Monate fortdauernderHusten", so schrieb der damals 63jährige 1881 anseinen Freund Souge,„Berkältung, Halsleidenund RheumatimuS erlauben mir nur selten dasAusgehen und Halten mich von der Gesellschaftfern". So kam es, daß auch Kautsky Marx nurwenige Male besuchte. Dennoch konnte Kautskydas wundervolle Familienleben von Marx kennenlernen, seine unendliche Güte„nicht bloß gegenüber Familienmitgliedern, sondern gegenüberallen Hilflosen, Schutzbedürftigen, kleinen Kindern, Proletariern, bedrängten Genossen. DieseGüte war der Urgrund seines Wesens". Gewaltigen Eindruck machte auf den Besucher naturgemäß das ungeheuere Wissen von Marx.„Diewenigen Stunden meines Zusammenseins mitMarx", so urteilt Kautsky,„genügten mir dieebenso überwältigende wie hinreißende Kraft dieser gewaltigen Persönlichkeit deutlich zum Bewußtsein zu bringen".Der Verkehr im Hause Engels' wieder, derviele Jahre dauerte, war für. Kautsky nicht nurgeistig außerordentlich anregend und unendlichfluchtbar, sondern eine Quelle der Geselligkeit unddes Frohsinns. Engels war ein Lebensbejaher, gesellig, vielseitig, in seinem Hause waren stets vieleFreunde, viele junge Leute, Männer und Frauen.Engels' Verkehr mit seinen jungen Freunden warkameradschaftlich, alles Professoral-Lehrhafte warihm fremd. Er ließ gern auch andere zu Wort kommen, was er sagte, war stets farbig und unterhaltend.„Leicht und mühelos floß ihm die Rede,stets prägnant und anschaulich und je nach demGegenstand entweder leidenschaftlich oder witzig...Und über welche Fülle von Tatsachen verfügte seinphänomenales Gedächtnisl In allen Sätteln schiener gerecht zu sein." Man durfte«sein Wissen einenzyklopädisches nennen, ihn selbst einen Poly-hiswr, wie es außer Marx zu seiner Zeit kaumeinen anderen gab, der gleichzeüig ökonomisch,historisch, naturwissenschaftlich, militärisch so beschlagen war wie er".So kommt es, daß in den Gesprächen wie inden Briefen, die Engels schrieb, alle großenProbleme jener Zeit, alle wissenschaftlichen Fragen ebenso wie die politisch-taktischen des Proletariats erörtert wurden. Von der Urgeschichte, mstdenen sich Marx und Engels ebenso wie Kautskybeschäftigten, über die altrömische Geschichte, dasChristentum, die Reformation, die englische undflanzösische Revolution, das Jahr 1848, zu denFragen der Außen- und Innenpolitik, der Probleme der Organisation der Arbeiterklasse, ihrerKampfmittel, all das wird in den Briefen erörtert.Für uns von besonderem Interesse sind die Aeuße-rungen von Engels über die Nationalitätenfragein Oesterreich und die Tschechen. Engels hielt(inden achtziger Jahren) nicht viel von der völligenUnabhängigkeit der„meisten österreichisch-ungarischen Slawen", immerhin gelangte er zu der fürdie damalige Zeit staunenswerten Erkenntnis, daß„wir" diese Völkerschaften„frei gewähren lassen"können,„wenn durch den Zusammenbruch des Cza-renthums die nationalen Bestrebungen dieser Vöi-kcrknirpse von der Verquickung mit panslavistischenWeltherrschaftstendenzen befreit sind"-A— dieantizaristische Konzeption Masaryks gegen diepanslawistische Kramäks ist hier vorweggenommen.Aber auch naturwissenschaftliche Problemewerden in dem Briefwechsel angeschnitten, ebensowie menschliche und familiäre, das VerhältnisKautskys zu seiner ersten Frau, welch letztere Engels in dessen letzten Lebensjahren die Wirtschaftführte, kommt da öfters zur Sprache. Es ist fesselnd und stets interessant die Spiegelung der Beziehungen zwischen Engels und Kautsky in demBriefwechsel zu verfolgen, wobei Kautskys Wahrheitsliebe auch Verstimmungen nicht verschweigt,die aus Mißverständnissen manchmal auftauchten.Das aber waren Ausnahmen von der Regel.Und diese Regel war, daß dieser Gedankenaustausch geistig und seelisch ungemein fruchtbar gewesen ist und daß die starke Lebenskraft, die geistige Größe und das wunderbare— allseitigeMenschentum von Engels uns warm aus den Briefen entgegenströmt. Man muß Kautsky dankbarsein, daß er uns die Kenntnis der EngelsschenBriefe ermöglicht hat und was Kautsky dazu geschrieben hat, damit wir die Briefe verstehen unddas ganze Milieu kennen lernen, in dem sich derVerkehr der beiden Männer abspielte, läßt denWunsch noch lauter werden lassen, es möge ihmgegönnt sein, den Schatz seiner reichen Lebenserinnerungen seinen jüngeren Mitkämpfern zuhinterlassen.Emil Strauß,