Einzelpreis 70 Heller (iMchli«Slich S Maller Porto)
IENTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung mag»II.. fochova a. TELEFON am. HERAUSGEBERS SIEGFRIED TAUB  . CHEFREDAKTEURS WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEURs DR. EMIL STRAUSS, PRAG  .
15. Jahrgang
Samstag, 1. Juni 1935
Nr. 128
t Parteitag vom 20. bis 22. Juni In Brünn  E Der für den 4. und 5. Mai einberu» len« Parteitag, der wegen des Wahl­kampfes verschoben werden muhte, ivird über Beschluß der Sitzung des Parteivorstandes vom ZI. Mai für die Zeit Vom2 0. bis22. Zunil. Z. an- Ersetzt. L Der Parteitag findet in Brünn Natt. Das Tagungslokal wird noch be­nanntgegeben. Die von den delegierungsberechtig- Een Organisationen beschlossenen Dele- Kirrungen bleiben aufrecht. Die Anmel­dung der Delegierten muß bis längstens 15. Juni beim Reichsparteisekrrtariat rrfolgen. Oer Parteivorstand der deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei.
I Malypetr verhandelt mit lilgenreiner und den Slowaken Endgültige Entscheidung der beiden Parteien heute Prag  . Am Freitag verhandelte Minifter- hifident Malypetr mit dem Vertreter der slowa­kischen Volkspartei, dem früheren Minister Doktor! o. Bekanntlich ist die Hlinkapartei unter dem Schlagwort der A u t o n o m i e in die Wahlen Klangen. Wie dasPrckvo Lidu" erführt, zogen fch die Verhandlungen mit Tiso dis in dir Abend- ! Kunden hin und endeten mit der Erklärung des "iinisterpräsidenten, daß die Forderungen der slö- ^akischen Bolkspartei unannehmbar seien. ssWfvll sich vornehmlich um Forderungen im Rah- Uen der autonomistischen Ideologie, aber auch um liuanzwirtschastliche Forderungen ^handelt haben. Tiso soll noch um eine Frist bis Samstag gebeten haben, um sich mit der Partei- 'titung ins Einvernehmen setze« zu können. Am Vormittag empfing Malypetr den Ob- U»nn der deutschen christlichsozialen Partei Se­ktor Hilgenrriner, mit dem er ebenfalls "fctr eine eventuelle Mitarbeit dieser Partei in der Legierung verhandelte. Auch Hilgenrriner behielt W vor, dem Ministerpräsidenten am Samstag die Minitive Entscheidung der Partei brkanutzugrben. Nachmittag trat dann die Exekutive der christ- "chsozialen Partei zusammen und erteilte, wie flautet, Hilgenrriner die B o l l m a ch t» die i Verhandlungen mit Malypetr writrrzuführen. Im Falle des Regierungseintrittes der ^bristlichsozialen würde es offenbar zu dem be- Erits angrkündigten engen Zusammenschluß ihres ^»rlamentarischen Klubs mit dem der Landbünd- I ikt kommen; eine Partei würde dann den Minister, J* andere einen Parlamcntsvizrpräfidrntrn «'Nen. Rach dem gegenwärtigen Stand wird die 'ssiziellr Regierungsbildung doch wohl erst in den Tagen der nächsten Woche erfolgen.
Litauischer Schlepper von deutschen   Behörden beschlagnahmt Kaunas  . Die deutschen   Behörden habe« in Tilsit einen Transport von Fluß-Schiffe» ausge- ^lten, die de« Njemen   stromaufwärts nach Kaunas  Geschleppt wurden. Eines dieser Schiffe ^Urde beschlagnahmt. Ter litauisch« Konsul 'b Tilsit hat Weisung erhalten, bei den lokalen Be- l»rd«u gegen dieses Vorgehen zu protestieren. Dir iistinifche Regierung wird unverzüglich einen amt­lichen Protest bei der deutschen   Regierung in Berlin  ^erreichen.
Flandin gestürzt Das Schicksal des Franc und das Schicksal Frankreichs  Paris  . Nach stürmischer Nachtsitz nng ist bas Kabinett Flandin   mit 352 gegen 2V2 Stimmen in der Minderhett geblieben. Obwohl der Ministerprüsi- dent selbst mit Anspannung aller seiner phhfischen Kräfte für seine Politik kämpfte, so daß er mitten in der Sitzung«inen Ohnmachtsanfall erlitt, ob­wohl Herriot   in die Bresche sprang, um Flandin zu retten, obwohl der Finanzminister zurücktrat, war das Ka binett nicht zu halten. Eine Reihe Frak­tionen des Regierungsblockes zersplitt erten bei der Abstimmung. Man denkt an die Bildung eines Konzentrationskabinetts unter Führung des Kammerpräsidenten B o»i s s o n.
Die Niederlage des Kabinetts Flandin   ist eine Niederlage der offen hochkapi­talistischen P o l i t i k der französischen  Bourgeoisie. Flandin und sein Finanzminister Germain Martin   wollte den Franc sichern, indem sie vor allem den Staatshaushalt ins Gleichgewicht bringen, Einsparungen aller Art, vor allem an den Gehältern und sozialen Leistun­gen vornehmen wollten. Das ist das alte kapita­listische Rezept zur Lösung der Währungskrise. Es sieht in dieser nicht den.Ausdruck der struktu­rellen Erkrankung der Wirtschaft, sondern es glaubt, durch die Verstärkung der Golddeckung der Währung, durch sparsames Haushalten das Gleichgewicht wiederherstellen zu können. Zn klastischer Form hat das Brüning von 1930 bis 1932 in Deutschland   unternommen. Er senkte Gehälter, Löhne, soziale Leistungen und versuchte sogar, die Preise zu senken(in diesem Punkte aber erwies er sich als zu schwach). Die FvlU» dieser Politik war ein stetes Schrumpfen der Wirtschaft. Der innere Markt wurde systematisch seiner Kaufkraft beraubt. Die Steuer­eingänge, sowohl die Erträgnisse der direkten wie die der indirekten Steuern, sanken und wenn Brüning die Ansgabenpost des Budgets.senken wollte, so. mußte er bald merken, daß auf der Ein­nahmenseite die Zahlen noch rascher zusammen­schrumpften. Tas Ergebnis ist bekannt: Anwach­sen der extremen Parteien, Katastrophenstimmnng und Massen Verzweiflung, wobei der Weizen des Fascismus blühte. Frankreich   ist von der Krise weniger schwer getroffen worden als andere Länder. Ais konser­vatives Volk haben die Franzosen nicht so Ivahn- sinnig rationalisiert wie die Deutschen  . In der Krise wirkte sich das mildernd aus. Der Krieg hatte ganze französische   Dörfer entvölkert. Man konnte kolonisieren Und Arbeitslose auf dem Lande unterbringen. Frankreichs   Industrie war nicht so sehr wie die deutsche   oder englische auf den Welt­markt angewiesen, sie hatte einen kaufkräftigen inneren Markt. Wenn Frankreich  , um den' Franc zu retten, und um die zahlenmäßig- starke Rentnerschicht, darüber hinaus noch dasRentnerbewußtsein" von 50 Prozent der Nation, zu schonen, eine D e f l a t i o n durchführt, wenn es zu sparen beginnt und den Notenumlauf einschräntt, so be­droht es zugleich feinen inneren Markt. Es würde durch eine solche Politik nicht nur den Lebensstan­dard der Arbeiter und Angestellten verschlechtern, sondern auch die Krise verschärfen.. Die Krise würde sich dann vermutlich mehr als bisher auf die Landwirtschaft ausdehnen. Denn die französische   Landwirtschaft produziert zwar zum guten Teil für den Export(Weinbau, Sei­denraupenzucht), aber sie hat ihre Existenzgrund­lage doch in dem Massenkonsum an Weißbrot und Wein. Müßte der französische   Arbeiter am Brot
und an dem Schoppen Wein sparen, steigt die Arbeitslosigkeit so stark, daß der Konsumausfall nicht mehr zu ersetzen ist, so wird der franzö­ sische   Bauer aus seiner konservativen Ruhe aufgeschreckt werden. Das würde aber be­deuten, daß die demokratische Republik   wirklich in Gefahr geriete. DieDritte Republik" ruhte von Anfang an auf einem Bündnis der Bauern mit der städtischen Bourgeoisie. Aber während die kleine Bourgeoisie des öfteren Extratouren tanzte(man erinnere sich an Boulanger und den DreyfuSrum- m e l), blieben die Bauern den Traditionen von 1789, wie sie in der radikalen Partei am stärksten verkörpert erscheinen, unentwegt treu. Die länd­lichen Wahlkreise vor allem im Süden wählten radikal. Sie waren immer das Gegengewicht gegen die reaktionäre Bourgeoisie von Paris  , aber auch gegen die sozialistischen   Jndustriebezirke und Hafenstädte. Genau so wie in Deutschland   der Fascismus den toten Punkt erst überwand, als er aus den Städten und vom Kleinbürgertum auf das Land übersprang, würde er in Frankreich   in dem Augenblick eine wirklicbe Macht sein, da er aufhört, eine Bewegung der Pariser   Gaffe zu sein, und anfängt, eine Bauernpartei zu werden. Die verschiedenen fascistischcn Verbände von den Feuerkreuzlern bis zur Action francaise spielen keine bedeutendere Rolle als die Partei Gasdas in der Tschechoslowakei  . Eine Politik, wie sie Flandin einschlagen wollte, könnte den französischen   Fascis­mus gefährlich machen. Die Kammer lehnte den Plan Flandins wohl aus zweierlei Gründen ab. Sie erkennt die Ge­fahren der Deflation und würde lieber in eine planmäßige Devalvation desFranc als in die Senkung der Einkommen willigen. Aus alter Abneigung gegen autoritäre Experimente wollte die Kammer aber auch dem Ministerpräsiventen die gefährlichen Vollmachten nicht geben. Ermächtigungen sind ungefährlich in einem Parlament, das die Regierung wirklich aus den zuverlässigen Vertrauensleuten der Mehrheit bildet, wie bei uns, wo die Regierung in gewissem Sinne nur ein Gremium der parlamentarischen Mehrheit ist. Kn Frankreich  , wo feder Minister dazu neigt, seine Politik zu machen, wo er gegenüber der Partei, wie die Partei ihm gegen­über fast selbständig bleibt, könnte eine Ermäch­tigung auch zur Ausschaltung des Parlaments führen. Der Sturz Flandins beweist, daß die Mehr­heitsverhältnisse in der französischen   Kammer nicht so sind, daß eine offen kapitalistische Politik ohne Verbrämung getrieben werden kann. Sie liegen aber leider auch nicht so, daß eine Arbeiter- und Bauernpolitik möglich wäre. Der neue Mann hat es darum schwer, einen Weg zwischen den Extre­men zu suchen, auf die sich heute wie überall so auch in Frankreich   die wirtschaftlich-politische Ent­wicklung zuspitzt.
Sozialisten bleiben in der Opposition Bouisson stößt auf' Schwierigkeiten
Paris  . Die am Vormittag gehegte Erlvar- tung, daß es Fernand Bouisson   gelingen wird, das neue Kabinett schnell, das ist noch während des Abends, zu bilden, hat sich als allzu opti­mistisch und vorzeitig erwiesen. Fernand Bouisson  ist sowohl auf der Rechten, als auch auf der Lin­ken auf verschiedentliche Schwierigkeiten gestoßen. Bouisson hatte mit den Führern der Hauptparteien mit denen er eine Regierung der nationalen Ein­heit bilden will, Unterredungen gehabt und diese ersucht, sich vor der Bildung des Kabinetts üb-r einige Fragen klar zu äußern, namentlich über
das Prinzip der Vollmachten für die Regierung ohne neuerliche parlamentarische Debatte. Die Ra­dikalen berieten über die Angelegenheiten am Vormittag und Nachmittag, haben jedoch bisher keine Entscheidung getroffen. Nur Her r.i>o t hat Fernand Bouisson   zugesagt, daß er das Porte, feuille eines Staatsministers übernehmen tver0c. Die Sozialisten haben eine d i- rekte Beteiligung in einem Kabinett der sogenannten nationalen Einheit a i g r- .(Schluß auf Seite 2)
Roosevelt   vor dem Ende? Der Oberste Staatsgerichtshof der Vereinig­ ten Staaten   von Nordamerika   hat vor einigen Tagen in einem Urteil festgestellt, daß die NJRA« Gesetzgebung nicht den Bestimmungen der Bundes­verfassung entspreche und damit verfassungswidrig sei. Diese Verfaffungswidrigkeit soll darin liegen, daß die NARA-Gesetze die dem Parlament zu­stehende Gewalt der Exekutive übertragen. Mit diesem Urteil wird der Wiederaufbaupolitik des Präsident Roosevelt   ein schwerer Schlag ver­setzt, und die Schwierigkeiten, in denen sie sich schon seit längerer Zeit befindet, werden noch vermehrt. Es kommt erst, nachdem das Gesetz und die ganze Wiederaufbauorganisation seit genau zwei Kahren in Wirksamkeit sind. Mit ihnen wollte Präsident Roosevelt   die Wirtschaftskrise und die Massen­arbeitslosigkeit in den Vereinigten Staaten be­zwingen. Nach Jahren untätigen Zuwartens, das die letzte Periode der Präsidentschaft Hoovers aus­zeichnete, hatten für viele die Experimente des neuen Präsidenten einen extrem radikalen Cha­rakter und sein entschlossenes Handeln wurde ge­radezu für kühn gehalten. Von allen Seiten schlug ihm die Begeisterung entgegen, und wer damals nicht den blauen Adler zeigte, das Symbol des Wiederaufbaues der nationalen Wirtschaft, lief der Gefahr, zu einem Feinde der Station erklärt zu werden.,.. Der Rausch ist längst verflogen. Die mich-, terne Wirklichkeit hat sich anders entwickelt, als es damals nicht nur der Durchschnittsbürger dec Vereinigten Staaten, sondern auch mit wirtschaft­lichen Dingen mehr vertraute Menschen in anderen Ländern gehofft haben. Roosevelt   begann als der Mann der Farmer. Khre Not wollte er beseitigen und damit einem entscheidenden Teil der Bevöl­kerung der Vereinigten Staaten   die Kaufkraft wiedergebcn. Damit hoffte er gleichzeitig den An­trieb für einen neuen Produktionsaufstieg auch in der Industrie zu schaffen. Um sein Ziel zu errei­chen, mußte er vor allem gegen die Preisdiktatur der Trusts und Monopole vorstoßen. Er erkannte, daß seine Angriffskraft stärker war, wenn er sich die Gefolgschaft der Arbeiter erwarb. Von dieser Einsicht waren die erheblichen Konzessionen dik­tiert, die die NJRA-Gesetzgebung für die Arbei­terschaft brachte. Ihr Kern bestand darin, daß den Arbeitern die Koalitionsfreiheit zugesichert und die Gewerkschaften als Partner für Kollektivverträge mit den Unternehmern anerkannt wurden. Wegen dieser Bestimmungen und wegen der Festsetzung von Minimallöhnen, die verbindlich in besonderen Abkommen für die einzelnen Industrie­zweige erfolgte, hat das Unternehmertum von An­fang an gegen die Wirtschaftspolitik Roosevelts Widerstand geleistet. In den ersten Monaten, da der neue Präsident als der große Retter gefeiert wurde, gelang es ihm, diese Widerstände zu mei­stern. Doch geschah es schon damals, daß gerade die für die Arbeiterschaft vorteilhaften Bestimmun­gen weniger streng genommen wurden, und mit der Länge der Zeit erfuhren sie viele Durchlöche­rungen. Zahlreiche Streiks sind in den letzten zwei Jahren in den Vereinigten Staaten   geführt wor­den nur mit dem Ziel, die gesetzlich zugebilligte Koalitionsfreiheit, das Recht der Gewerkschaften auf den Abschluß von Kollektivverträgen und den Schutz der Arbeiter vor willkürlichen Maßregelun­gen durchzusetzen. Die Regierung hat kaum etwas getan, um auf der strikten Einhaltung dieses Teils der NJRA-Gesetzgebung zu bestehen. Es ist be­zeichnend, daß das neue Urteil des Obersten Staatsgerichtshofes, das dieser ganzen Gesetzge­bung den Todesstoß versetzt, gefällt worden ist in einer Klagesache, in der ein Unternehmer gegen die Verpflichtung zu Minimallöhnen und zur Einhal­tung der Arbeitszeit klagte. Die NJRA-Gesetzgebung läuft nach zweijäh­riger Dauer am 16. Juni ab. Der Kongreß und der Senat sollten in den nächsten Tagen zu einer Regierungsvorlage Stellung nehmen, die die Ver­längerung um 21 Monate fordert. Solange läuft die Amtsperiode des Präsidenten.Roosevelt noch. Sowohl im Kongreß als auch im Senat sind der Wirtschaftspolitik des Präsidenten zahlreiche Geg­ner erwachsen und es war schon vor dem Urteils­spruch nicht ganz sichert ob die Vorlage eine Mehr­heit finden würde. Nach dem Urteil kann wohl kaum ein Zweifel darüber möglich sein, daß die Verlängerung nur dann beschlossen wird, wenn die Vorlage weitestgehend abgeändert wird. Bon dem restlosen Vertrauen, mit dem'die Parlamentarier