Nr. 143 Donnerstag, SO. Juni 1938 Seite 5 Vierhundert meutern, müssen sich aber ergebenSchlechte Kost, schlechter Arzt New Bork. Nahezu 400 in dem Kohlenbergwerk des Staatszurht- hauses von Kansas in Lansing beschäftigte Sträflinge begannen am Diens­tag morgens kurz«ach der Einfahrt in den Stollen zu meutern. Sie verlan­gen bessere Ko st und einen neuen Arzt. Sie nahmen 15 B er g- Werksbeamte, die sich in der Grube befanden, als GeiseIn fest und durchschnitten die T e l e p h o« v e r b i n d u n g e« mit der Außenwelt. Frauen und Kriegskrüppel| furchtbar mißhandelt! Im Gefängnis der Staatspolizei Berlin am Alexanderplatz wird in letzter Zeitfurcht- \ bar mißhandelt. Eine über 40jährige Frau, Mut­ter von mehreren Kindern, wurde verhaftet, weil sie ein»kommunistisches" Flugblatt, das ein Pro­vokateur in ihren Briefkasten geworfen hatte, ; nicht ablieferte. Diese Frau, die überhaupt nie politisch organisiert war, sollte aussagen, wo Waf­fen der KPD. versteckt seien. Natürlich konnte sie . das nicht, da sie ja nichts wpßte. Darauf wurde ihr eine Pistole an die Schläfe gesetzt und sie ; wurde mit sofortigem Erschießen bedroht. In ihrer Todesangst machte sie unsinnige Angaben, die ; natürlich nicht den Tatsachen entsprachen, aber harmlose Menschen in Gefahr bringen mutzten. Ein junges Mädchen Wurde, ebenfalls am Alexanderplatz , heftig gewürgt, um Aus­sagen von ihr zu erpressen. Sie blieb standhaft. Em anderes Mädchen, 18 Jahre alt, mutzte zu­nächst eine Viertelstunde lang über ein Seil sprin­gen. Machte sie eine Sekunde Pause, so gab es furchtbare Ohrfeigen. Während des Verhörs er­hielt sie weiter bei jeder Aussageverweigerung eine so wuchtige Ohrfeige, daß sie vom Stuhl flog. Dann wurde sie an den Haaren wieder hochgezerrt. Ein drittes Mädchen sollte von einem SS-Mann von einer Etage in eine andere gebracht werden. An der Treppe gab er ihr mit den Worten»Ver­dammte Marxistenkröte" einen Fußtritt, datz sie sämtliche Steinstufen hinunterstürztc und fast das Bewußtsein verlor. Dann sagte er heuchlerisch »Du bist wohl gestolpert". Das Mädchen erlitt einen schweren Bluterguß und war noch nach fünf Wochen am ganzen Körper blau. Ebenso grauenhaft sind die Mißhandlungen im Untersuchungsgefängnis Zwickau . Auch dort sind die Spuren noch nach vielen Wochen sichtbar. In ihren furchbaren Schmerzen haben manche der Gefangenen dann Leute angegeben, die sich über­haupt nie betätigt baben. Auf diese Weise wurden viel hundert Arbeiter und Arbeiterinnen im Zwik- kauer Gebiet verhaftet. Besonders kratz ist der Fall des schwer- kriegsbeschädigtenArbeitersGör- l e r. der sich seit seiner Verwundung im Kriege nur mühselig an zwei Stöcken vorwärts zu schlep­pen vermochte. Ohne Rücksicht darauf wurde er im Zwickauer Untersuchungsgefängnis so barbarisch mißhandelt, datz er geistesgestört wurde. In die­sem Zustand des Geistesverfalls mutzte er dann die von der Gestapo diktierten Protokolle unterschrei­ben, über deren Inhalt er gar nichts wußte. So­gar die fascistischen Gefängniswärter, die doch "Bestialitäten gewöhnt sind, schütteln über seinen Zustand bedauernd den Kopf! Vielsagende Zahlen. Nach dem Bericht des Reichsversicherungsamtes betrug die Zahl der Unfälle in den deutschen Betrieben in den Jahren 1932 826.980, 1983 929.692,1934 1,168.456. Während im Lahre 1931 noch 14 Prozent und 1932 immerhin noch 10 Prozent der Verletzten eine Entschädigung erhielten, betrug der Anteil 1933 nur noch 7,9 und 1934 sogar nur noch 6,8 Prozent! Wochenlang ans Kreuz gebunden! In Ham­ burg wurde Anfang Juni der Arbeiter Arthur Dusch, der im Januar zusammen mit ca. 20 an­ders», meist ehemaligen Mitgliedern der Soziali­stischen Arbeiterpartei(SAP) wegen angeblicher illegaler Arbeit verhaftet worden war, zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Das Gericht stützte sich dabei auf Buschs angebliche»Geständnisse" in Untersuchungshaft. Wie wurden diese Geständnisse zustande gebracht? Nachdem Busch nicht das aus­sagte, was man von ihm verlangte, wurde er in einer Einzelzelle an ein Kreuz gebunden; seine Beine ließ man in Wasser hängen, und zwar so, daß er keinen Boden unter den Füßen hatte. So Nach vierstündigen Verhandlungen zwischen den Zuchthausbeamten und den Meuterern ver­suchten die Sträflinge plötzlich, den von den Be­amten besetzten Förderkorb, in dem 250 Meter tiefen Stollen zu st ü r m e n; die Meute­rer- wurden jedoch durch Tränengas zurück­getrieben. Die Zuchthausbeamten beschlossen so­dann, die Gefangenen auszuhun­gern. Schwer bewaffnete Wächter fuhren ein und verbarrikadierten den Einfahrsschacht unten auf der Grubensohle gegen etwaige neue Angriffe der Meuterer. Die Meuterer steckten daraufhin am Spätnachmittag den in dem 250 Meter tiefen Stollen befindlichen Mauleselstall in Brand. Die Wächter machten, als sie das Feuer bemerkten, von den Barrikaden aus sofort von der Schuß­waffe Gebrauch. Es steht bisher noch nicht fest, ob bei den Gefechten unter der Erde jemand ver­unglückt oder getötet worden ist. hat man ihn mehrere Wochen hängen lassen. Den Wert der»Geständnisse", die er dann schließlich machte, kann man sich vorstellen, Bei solchen bei­spiellos sadistischen Foltermethoden kommt ein Punkt, an dem man willenlos alles unterschreibt, wqs von den Folterknechten verlangt wird. Riesige Ueberschwemmungcn, durch anhal­tende Wolkenbrüche verursacht, richteten in den neun Staaten des amerikanischen Mittel­westens, darunter vor allem in Missouri , Iowa , Illinois und Kansas , großen Schaden an. Dir Ernte ist größtenteils vernichtet, Tausende mußten ihre Häuser räumen."Der Staat Süd- Dakota wurde von furchtbaren Wirbelstürmen heimgesucht. Zahlreiche Personen wurden verletzt. Schwere Stürme werden auch aus den Neu-Eng­ land -Staaten gemeldet, wo mehrere Personen durch umstürgende Bäume und herabfallende Zie­gel den Tod fanden. Aus Morrillton(Arkansas ) wird berichtet, daß zwei Uferdämme des Arkansas - Flusses geborsten sind. Etwa 50.000 Acres Farmland wurden überflutet. Seemannstod. Der britische Kohlendampfer »Kcrfbri st a n", der vor einigen.Tagen'bei' einem Zusammenstoß mit dem Dampfer»EMpretz of Britain" in der St. Lorenz-Vai schwer beschä­digt wurde, ist in Sidney(Neu-Schottland ) ein­getroffen. Die Schiffsoffiziere berichten, daß acht Mann der Besatzung, die beim Zusam­menstoß schliefen, samtihrenBetten durch das entstandene Leck ins Meer geschleu­dert wurden und ertranken. Die in de? Kojen befindlichen fünf übrigen Besatzungsmit­glieder wurden schwer verletzt und müßten zur ärztlichen Behandlung an Bord des Dampfers Empreß of Britain" gebracht werden. Rur der nordische Mensch hat Kultur". Die neueste Ausgabe des StreicherschenStürmer" überbietet, alle bisher erschienenen Nummern des Pogromblattes an hemmungsloser Haßpropa­ganda. Auf dem Titelblatt liest man in riesigen Buchstaben:Moses Oppenheimer, die B e st i e inStüttgartl" Weitere Titel lauten u. a.: Nonnen kaufen bei den Nachkommen der CH r i st u s m ö r d e rl"«Das jüdische Tier muß vertilgt werden". Porno- Die Gefangenen ließen sodann zwei ihrer Geiseln frei, weil aber ihren Forde­rungen nicht entsprochen wurde, wurde neuerlich Feuer angelegt und begonnen, die Kohlengrube zu verwüsten. Die freigelasienen Geiseln berichte­ten, daß die Meuterer entschlossen seien, ihr L e- ben zu opfern, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden, doch würden die in ihren Händen befindlichen Geiseln ebenfalls ihr Leben einbüßen. Aber Mittwoch früh mußten sich die Vier­hundert ergeben. Dir Beamten hatten näm­lich die Ventilatoren umgestrllt, so daß der Rauch der von den Sträflingen gelegten Brände in dir Schächte hineingeblasen wurde. Die mit Gasmasken und Tränengas ausgerüsteten Beamten hielten die Sträflinge mit Maschinen­gewehren in Schach. graphische Karikaturen, die in jedem normal empfindenden Menschen Brechreizgefühle er­wecken,schmücken" das einzigartige Blatt. Die Auflage desStürmer" beträgt über 400.000 Exemplare. Anschlag auf den japanischen Kriegsminister. Chinesische Blättermeldungen zufolge soll auf den japanischen Kriegsminister H a j a s ch i während seiner Reise durch Mandschukuo ein Anschlag ver­sucht worden sein. Fm Zusammenhang hiermit sollen in Tschangtschun und Dairen etwa 20 Per­sonen verhaftet worden sein. Volkswirtschaft und Sozialpolitik Die Eierversorgung der deutschen Gebiete Eine wichtige Aufgabe der sudetendeutschen Landwirtschaft. Die.Konsumgenossenschaft" macht auf eine Wschfige^FMe, älifiwritan, die durch arbeit der Genossenschaften, der Konsumenten und der Landwirte gelöst werden könnte und. welche für die sudetendeutsche Landwirtschaft, von großer Bedeutung ist: das ist die Eierversorgung der sudetendeutschen Gebiete. Der Verbrauch an Eiern beträgt in den dem Verbände deutscher Wirt- schaftsgenoffenschaften angeschlossenen Konsumge­nossenschaften jährlich rund 10 Millionen Stück. Unsere Landwirtschaft ist aber nicht imstande, den Eierbedarf der Bevölkerung zu beftiedigen und so müssen Jahr für Jahr viele Millionen Eier eingeführt werden.(Im Jahre 1934 betrug die Eiereinfuhr 70 Millionen Stück.) Umsomehr sind die deutschbesiedelten Gebiete unserer Re­ publik in ihrer überwiegenden Mehrheit Eier- Zuschutzgebieie. Der Umstand, daß die bäuerlichen Lebensinteressen auf das engste verknüpft sind mit denen der Arbeiterschaft, weist dem deutschen Bauer einen Weg, durch Ausbau eines ertrag­reichen Zweiges seiner Wirtschaft sich. und den anderen Bevölkerungsschichten zu dienen War­um sollten beispielsweise unsere Konsumgenossenschaftenihren ge- Feinde unserer Zähne sind am gefährlichsten, wenn sie ihr Zerstörungs­werk unbemerkt vollbringen können wie das Millionenheer der Fäulnisbakterien. Wenn die Schäden sichtbar werden, ist es schon zu spät. Besser ist rechtzeitiges Vorbeugen durch regel­mäßige Zahnpflege mit Chlorodont-Zahnpaste, die trotz größter Putzkraft den empfindlichen Zahn­schmelz nicht angreift. Tube Kc 4*. Inl. Erzeug. samten Eierbedarf nicht lieber aus jenen Gebieten holen, auf die sich ihr Wirkungskreis er­streckt? I Und in der Tat werden die deut­ schen Konsumgenossenschaften der deutschen bäuer­lichen Bevölkerung als Eierlieferanten selbstver­ständlich den Vorzug geben, wenn die richtigen Voraussetzungen dafür gegeben find. Sie werden viel lieber unseren Eierbedarf von den Landwir­ten und ihren Organisationen beziehen als daß sie gezwungenermaßen mit dem Handel arbeiten müssen. Heute steht die Sache jedoch so, daß die Aufbringung und Einlagerung der inländischen Eier fast ausschließlich in die Hände privater Händler gelegt ist. Soll dem genossenschaftlichen Wirtschaftsprinzip der Verkürzung des Weges des Sozialproduktes vom Erzeuger zum Verbraucher auf diesem Gebiete entsprochen werden, dann müßte vonseiten der Landwirte her ein zweckent- sprecheneder AufbringungS-undEin- lagerungsdie n st organisiert werden. Da die Eierproduktton der deutschen Land­wirtschaft in der Tschechoslowakei in ihrer Ge­samtheit den Bedarf unserer deutschen Verbrau­cher nicht zu decken vermag, wird es Wohl die Landwirtschaft selbst als ihre Aufgabe ansehen, diesem rentablen Zweige der landwirtschaftlichen Produktion ehporzuhelfen. Inwieweit in den ver­schiedenen Gebieten die Voraussetzungen dafür be­stehen, ist wiederum eine Angelegenheit, welche die Landwirtschaft selbst zu regeln hat. Wichtig für die deutschen Verbraucher in diesem Staate wäre, daß eine erhöhte Tierproduktion der deut­ schen Bauern attf möglichst direktem Wege zu den organisierten Verbrauchern gelangen' könnte. Warum sollte es nicht möglich sein, die landwirt­schaftlichen Lagerhäuser, die sich über das ganze Land hin an vielen verkehrsgünstigen Orten be­finden, auch zu Eiersammelstellen des betreffen­den Gebietes zu verwenden? Die Anfänge, die in einigen Gebieten in dieser Hinsicht gemacht wur­den, dürften gewiß bereits einen bestimmten Er­fahrungsschatz ergeben haben, von dem aus eine weitere Tätigkeit befruchtet werden könnte. Es wurde uns wirklich interessieren, was die deutschen Agrarier zu dieser Frage zu sagen ha- benr denn die Zusammenarbeit vep leMwirtschafti" lichen Genossenschaften mit unseren"Konsumge­nossenschaften in der Frage der Eierversorgung würde, dem deutschen Bauern der CSR. sehr von Nutzen sein. Die Getreidepreise im Juli 1935. Der Finanz- sowie der Landwirtschaftsminister haben auf Grund der Regierungsverordnung vom 13. Juli 1934 betreffend die Regelung des Getreide­handels, verfügt, daß die Verkaufspreise von Wei­zen, Korn, Hafer, Gerste und Mais, welche im Juni 1935 gegolten haben, auch im Juli in Gel­tung bleiben. Ihre Blumen dürsten nach dem gutem Blumen-Zauberdung 1 Paket mit Postzusendung 5 60 durch Verwaltung»Frauenwelt". Prag XIL, ffochova B2 Damals, 1899... Für uns Buben in der dritten Klasse des k. k. II. deutschen Staats-Obergymnasiums in Brünn bekam die ganze Welt ein anderes Gesicht, als der neue Professor kam. Wir hatten von Krieg und Umsturz gelernt, aber das stand alles im Büchel, hinter Jahreszahlen, die man auswendig lernen mußte. Lauter Dinge, die sich vor langen, langen Zellen ereignet hatten und die uns Wurscht und butten waren. Der Karl May war uns bedeu­tend wichtiger. Old Shatterhand oder Winnetou standen uns erheblich näher als Caesar oder Perik- lcs. Von uns hieß niemand Brutus oder Aga­ memnon wie die Gymnasiasten in der Zeitschrift Der gute Kamerad", die wir lasen, weil darin Der blaurothe Methusalem" von Karl May fort- schungAveise erschien, sondern wir hießen Tur- »crstick oder Jntschu-tschuna oder Sam Hawkens; ich hieß Omar ben Sadek. Da kam der neue Professor. Er war ganz anders als die übrigen Krebse.(So nannten wir unsere verehrten Lehrer und der hochgeschätzte Herr Direktor hieß der Skitz.) Er brachte Bücher in die Schule mit, die er mit uns las: Storm, Spiel­hagen, C. F. Meyer! Das war, als ob er Bom­ben mttgebracht hätte. Solche unfromme, un­heilige, auflässige, im Lehrplan für k. k. Mittel­schulen und verwandte Lehranstalten aber schon gar nicht vorgesehene Stänkerer! Und eines TageS schrieb er ins Klassenbuch:Der Schuldiener Stt- Panek heizt aus nationaler Gehässigkeit nicht ein." So ein Bursch Ivar das. Und dieser Rebell zeigte uns ein bißl die Welt. Es ging ja auch allerhand vor. Da war der spanisch-amerikanische Krieg gewesen. Und unsere Väter hatten wir von den Krawallen in Wien sprechen gehört. In den Badenitagen. Daß die Polizei ins Parlament gerufen worden war und zuerst die sozialdemokratischen Abgeordneten niedergeschlagen und aus dem Saal geschleppt hatte. Und dann war die Kaiserin ermordet wor­den. Vmt einem Arnachisten. Das hörten wir so nebenbei in unseren ersten Gymnasiastenjahren. Wir sprachen davon, aber wir wußten damit nicht viel anzufangen. Nie­mand erklärte uns die Dinge. Da kam der Burenkrieg. Gerade, als wir den neuen Professor bekamen. Und der hatte im­mer die Zeitung mit und las uns daraus die süd­afrikanischen Berichte vor. Und erklärte uns, daß es viel wichtiger wäre, die Zeitgeschichte mitzu­erleben als mechanisch den peloponnesischen Krieg auswendig zu lernen. Er machte uns die Ge­schichte lebendig. Stellte den Kampf um Kuba neben die panischen Kriege. Schimpfte darüber, daß wir wohl wußten, wer Leonidas war und was sich vor mehr als zweitausend Jahren bei den Thermopylen abgespielt hatte, aber nicht wußten, was dieMaine " war jenes Panzerschiff, das ein Jahr vorher in der Bucht von Santiago de Cuba versenkt wurde, um die spanische Flotte im Hafen einzusperren; daß wir Ciceros Rede gegen Catilina lasen, zergliederten, übersetzten und histo­risch erläuterten und keine Ahnung davon hatten, warum auf der Straße gegen Badeni demonstriert wurde. Was im Büchel stand, konnten wir auf­sagen. Was wir miterlebten, davon wußten wir kein Wort. Und eines Tages, im Herbst, stand einer auf und fragte:Ich bitt', Herr Professor, was sind das, die Sozialdemokraten? Und warum steht ii den Zeitungen so viel von ihrem Brünner Partei­tag? Und was ist das, das Rennersche Natio­nalitätenprogramm?" Also was die Sozialdemokraten sind, das hat er uns ganz komisch auseinandergesetzt. Das sind Leute, hat er gesagt, die wollen alles teilen. Und das ist doch, hat er gesagt, ein aufgelegter Unsinn; denn wenn man jetzt alles in gleiche Teile teilt, dann bewirtschaftet der Fleißige seinen Teil gut, der Faule schlecht und nach einer Zeit ist alles wieder ungleich. So stellte sich einem k. k. Gymnasialprofessor der Sozialismus dar. Wie ahnungsvoll waren wir doch, wenn wir die Professoren Krebse nann­ten! Und dabei hätte sich der unsrige ganz genau informieren können, wenn er im Konferenzzimmer den neuen Supplenten danach gefragt hätte, den Supplenten Johann Polach , der dann später so­zialdemokratischer Abgeordneter und Senator wurde. Aber das hat er nicht getan. Dafür setzte er uns genau auseinander, was das Rennersche Na­tionalitätenprogramm wollte. Erzählte uns, daß schon 1848 der.Plan verfochten wurde, die Mon­archie in einen Bund freier, selbstverwalteter Län­der zu verwandeln. Erzählte üns von Palacky und seinem Entwurf eines Födcralstaates und er­klärte uns, daß Renner und die Sozialdemokraten eben jetzt und hier bei uns in Brünn beschlossen hätten, die Umgestaltunq Oesterreichs in einen Bundesstaat autonomer Nationalstaaten zu verlan­gen, wobei die sogenannten historischen Grenzen der Kronländer aufzuheben wären. Er war natürlich dagegen. Denn wie alle seiner Art war er dafür, datz die Deutschen in Oesterreich herrschen müßten.. Aber obwohl der Professor sagte, er sei gegen den österreichischen Bundesstaat national beftiedig-, ter Völker, machte die Sache einen tiefen Eindruck auf uns. Sie ließ uns auch in den künftigen Jahren nicht mehr los. Wenigstens- einige von uns. Wir wuchsen heran, die Fragen des Tages wurden uns vertrauter und in unseren Gesprä­chen gab cs einen österreichischen Bund, träum­ten wir von der Anziehungskraft der Föderation für die Nachbarvölker, träumten wir von Groß- Oesterreich., Aber das war erst später. Vorläufig hörten wir noch das, was uns unser Professor zu der Sache sagte. Man muß es»oben" erfahren haben: Da war ein Professor, derpolitisierte" in der Klasse. Man hätte zwar auch sagen können, er habe un? Buben die Politik erklärt. Aber oben saßen doch die Krebse! Und so wurde unser Professor vor­schriftsmäßig krank, verschwand und wir bekamen einen, den wir:Der Kaffer" nannten, weil er bei jeder Gelegenheit zu uns:Sie Kaffer!" sagte. Mehr ist von ihm nicht zu berichten.. Was aus dem andern geworden ist, weiß ich nicht. Ob er seine Anschauungen über die Sozial­demokraten geändert hat? Die Zeiten haben sich ja auch geändert. Und die Straße, in der dus Gymnasium steht, an dem er uns seine Ansicht vom Sozialismus bekannt gab, heißt jetzt nach unserem Josef Hybesch. Ast.