Einzelpreis 70 Heller (eiruchließlich S Haller Porto} ERSCHEINT MIT AUSNAHME DES MONTAG TÄGLICH FRÜH. Redaktion und Verwaltung präg xii.,fochoya a. Telefon»77. HERAUSGEBER! SIEGFRIED TAUB . CHEFREDAKTEUR ! WILHELM NIESSNER. VERANTWORTLICHER REDAKTEURi DR. EMIL STRAUSS, PRAG. 1ENTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK 15. Jahrgang Samstag, 22. Juni 1935 Nr. 145 Unser Kampf und unsere nächsten Aufgaben Das grolle Referat des Ministers Genossen Dr. Czech auf dem Parteitage Am Freitag vormittags hielt der Vorsitzende der Partei Genosse Dr. Ludwig Czech auf dem Parteitage sei« mit Spannung erwartetes Referat. Seine Ausführungen, die immer wieder von Beifall begleitet waren schon das Erscheinen des Genossen Dr. Czech war Anlaß zu spontane»-Ova­tionen besagten im Wesentlichen: Laval bleibt fest Eden vermag Ihn nicht zu überzeugen Paris . Neber die Besprechungen zwischen Laval und Lord Eden, die Freitag vor- und nachmittags stattfanden und Samstag fortgesetzt werden sollen, verlautet von offiziöser Seite, daß der Vertreter der englischen Regierung nachdrück­lich betonte, daß England das Flottenablommen mit/Deutschland nur als einen Auftakt zu einem allgemeinen internationalen Abkommen über die Begrenzung(?!) der Rüstungen zur See ansehe, und versichert habe, daß der Abschluß des Ab- kochmens keineswegs als ein Abgehen Eng­lands von der Politik der Organisierung der k o l- lektiven Sicherheit aufgefaßt werden dürfe, deren Ziele in der französisch -englischen Erklä­rung vmn 3. Feber niedergelegt seien.' Demgegenüber vertrat Laval die Auffas ­sung, daß das deutsch -englische Flottenadkom- mcn eine legale Lösung der mit der Aufrüstung, Deutschlands zu Laude und in der Luft zusam­menhängenden Fragen wesentlich er- schwere. Das deutsch -englische Sonderab­kommen sei mit dem Grundsätze der Abhängig­keit der einzelnen Rüstungsatten untereinan­der, sowie mit der französisch-englischen Er­klärung vom 3. Feber, die noch am 30. Mai d-. I. von Sir John Simon im Unterhause - bestätigt wurde, keineswegs ver­ein b a r l i ch. Sir John Simon habe da­mals ausdrücklich erklärt, daß über die ein­zelnen in der französisch -englischen Erklärung aufgezählten Punkte zwar Sonderver- Handl un gen«ingoleitet werde« könnten, daß aber der A b s ch l« ß aller die­ser Verhandlungen nur simultan erfolgen! dürfe. Schließlich lenkte Laval in freundschaft- y-sah- Weise die Aufmerksamkeit seines eng- »Kollegen auf den Umstand, daß der Ab- >^>es deutsch -englischen Flottcnabkommens HAI dreiseitige Aenderung wesent- E'estimmungen des Barsailler Vertrages Wen, obwohl nach den allgemein geltenden in dem tztzen eine Lertragsrevision nur mit Zu» sN Tötung sämtlicher Signatarmächte rühtsgültig durchgeführt werden kann. Nach gewissen Informationen der englischen Presse hat Eden von seiner Regierung die Wei­sung' erhalten, sich in Paris für einen möglichst raschen Abschluß des sogenannten Luftlo- ( i t ii o einzusetzen, das nach Ansicht der Lon­ doner Regierungskreise, wenn irgend möglich, noch vor der Regelung der übrigen im franzö­sisch-englischen Protokolle vom 3. Feber aufgezähl­ten Fragen erfolgen soll. Gegenüber diesem Vor­schläge vertritt Laval nach wie vor den Grund­satz der U n t e i l b a r k e i t des in der fran- zösisch-englischen Erklärung enthaltenen franzö­ sischen Sicherheitsprogramms. Schwerwiegende Rückfragen Andererseits hat Laval Eden eine Reihe von konkreten Fragen betreffend die verschiedenen gegenwärtig schwebenden Probleme der europäischen Politik gestellt. Zwecks Beant­wortung dieser Fragen hat sich Eden mit der englischen Botschaft in Verbindung gesetzt. Bon unttrrichtetrr französischer Seite verlautet, daß von der Beantwortung dieser Fragen eine ent­scheid end e Orientierung der fr anzösisch-englischen Bespre­chungen abhängen dürste. In englischen Krei­sen hält man es nicht für ausgeschlossen, daß eine Beantwottung dieser Fragen erst nach der Rück­kehr Edens aus Rom erfolgen wird. 300 polnische Arbeiter müssen Frankreich verlassen Rubaix. 300 polnische Arbeiter, darunter 79 Familienväter, deren Arbeitsbewilligung von den französischen Behörden nicht erneuert worden ist, sind mit einem Sonderzuge in die Heimat be­fördert worden. Um alle Zwischenfälle zu vermei­den, hatte berittene Wache sämtliche Zufahtt- straßen zum Bahnhof besetzt. Weitere Heimbeför­derungen polnischer Arbeiter werden in der näch­sten Zeit durchgeführt werden. Der Zeitpunkt seit dem letzten Parteitag zählt, wenn man von der Katastrophe des Weltkrieges ab­sieht, zu den schicksalsschwersten der letzten Jahr­zehnte. Die Weltwirtschaftskrise hat eine sehr be­deutende Verschärfung erfahren. Die industrielle Pro­duktion, die in allen Ländern einen Niedergang auf­weist, ist in tiefsten Verfall geraten. Mit ihr ist das Proletariat dieser Gebiete, das nun durch volle fünf Jahre die fürchterliche Pein des Krisennotstandes zu tragen hatte, unter der Einwirkung der national- sozialistisch-fascistischen Strömungen einer Verzweif­lungsstimmung anheimgefallen und in großen Teilen die Beute fascistischer Aasgeier geworden. Das haben auch wir in unserem Lande am eigenen Leib« zu spüren bekommen. An die gleiche Zeitperiode fiel auchder gewaltige Vormarsch deS FasriSmus in Europa und die Machtergreifung Adolf Hitlers in Deutsch ­vas Wahlergebnis Die borangegangenen Parlamentswahlen, die in den Jahren 1920, 1925 und 1929 stattfandcn, brachten abgesehen vom kommunistischen Einbruch in die sozialdemokratische Wählerschaft in ihren Ergebnissen keinerlei besondere Ueberraschung. Sie boten besonders hinsichtlich der ideologisch und beruf­lich zusammengehörenden Wählerschichten der einzel­nen Nationalitäten ein durchaus einheitliches Bild. Sc z. B. hatte das Jahr 1920 den beiden sozialde­mokratischen Parteien große Wahlerfolge, auf tsche­chischer Seite 74, ans deutscher Seite 31 Mandate gebracht. In den Wahlen des Jahres 1925 erlitten die beiden sozialdemokratischen Patteien infolge der kommunistischen Spaltung sehr beträchtliche, bis an die Hälfte gehende Verluste. Der Wahlgang des Jahres 1929 brachte den beiden'Parteien wieder einen sehr bedeutenden Stimmenzuwachs. Ein an­nähernd ähnliches einheitliches Bild ergab sich bei jedem Wahlausgang bei den beiden agrarischen Par­teien und ebenso auch bei den tschechischen und deut­schen christlichsozialen Parteien. Man ersieht daraus, daß, wenn auch die deutsche Bevölkerung unseres Staates ideolo­gisch stets ein gewisses Eigenleben führte und hin-' sichtlich ihrer Einstellung zur Demokratie mit der tschechischen Bevölkerung niemals gleichen Schritt hielt, dies in den drei ersten Wahlgängen nur in sehr geringem Maße zum Ausdruck kam. Das Jahr 1935 ändette dieses Bild vollständig. Trotz der fascistischen Einwirkungen der die Tschechoslowakei umgebenden Staaten blieb die Demokratie im tschechoslowakischen Volke nach wie vor fest verankett. Anders die Entwicklung im deutschen Lager, das in letzter Zeit in großem Maße den hakenkreuzleri- schen Gedankengängen verfallen ist und sich in die­sem Geiste bei den letzten Wahlen restlos auslebte. Zum erstenmale, nach drei vorangegangenen nor­malen Wahlgängen stehen wir in unserem Staate vor einem Wahlergebnis boller Zwiespältigkeiten. Während die tschechische Bevölkerung die fascistischen Sturzwellen der Nachbarstaaten aufzufangen und ab­zuleiten verstand, sind ihr große Teile der deutschen Bevölkerung und insbesondere des Bürgertums und die Mittelschichten, leider aber auch vielfach proleta­rische Kreise erlegen. So kam es zu den l N Millio­nen völkischer Wählerftimmen, die selbst für die Hei­matfront eine große Ueberraschung waren.. Ganz unvermutet ist sie zur stärksten Pattei des-Staates geworden, was sie sich selbst in ihren kühnsten Träu­men nie gedacht hätte und was den führenden tsche- chischen Patteien viele schlimme Stunden verursachte. Die Zeche haben alle deutschen Parteien, und zwar ganz ausnahmslos bezahlt. land mit allen aus ihr resultierenden grauenhaften Auswirkungen, sowie auch die österreichische Kata­strophe, weiters die Erstarkung deS FäscismuS auch in den anderen europäischen und insbesondere in den östlichen Ländern und damit die Schwächung der Sozialistischen Arbeiter-Internationale, der gerade in dieser Stunde so schicksalsschwere Aufgaben er­wuchsen. Daß die Auswirkungen dieser Katastrophen die sozialistische Arbeiterbewegung aller anderen Länder in Mitleidenschaft zogen, daß sie auch unser Land und insbesondere seine deutschen Gebiete in schmerzvollster Weise ergriffen, das mutz wohl an dieser Stelle nicht erst gesagt werden. Dies zeigt? auch unser letzter Wahlgang mit aller- Deutlichkeit auf der im Zeichen der reichsdeutschen Ereignisse stand und dessen eigentlicher Sieger Ädol« Hitler ge­wesen^ ist,, dessen, sudetendeutschen, Hchatten Konrad Henlein personifiziert. lind seine Ursachen Daß sich der Hauptkampf des deutschbürgerlichen Lagers vor allem gegen uns richtete, daß dieser Kampf unter dem in Hitler-Deutschland erprobten Schlagwort des AntimarxismuS geführt wurde, daß man das ganze deutsche Bürgertum mitsamt seine« Lakaien in den Zustand der Besessenheit versetzte, daß der Kampf gegen uns in eine wahre Haßpfychose ausartete, das zeigt den geistigen und moralischen Tiefstand, den fortschreitenden Verfall des sudeten­ deutschen Bürgertums, das diesmal seine in vielen Dezennien bewährte Haßtradition gegen die soziali­stische Arbeiterklasse hundertfältig überbot und«in im Jahre. 1866 geschriebenes Wort Ludwig Börne 's wahrmachte: .Es ist zum Verzweifeln, daß ein Volk sich erst berauschen muß in Hatz, ehe es den Mut bekommt, ihn zu befriedigen, daß es nicht - eher sein Herz findet, bis es den Kopf verloren hat." In dieser geistigen und seelischen Verfassung befand sich die sudetendeutsche Bourgeoisie mitsamt ihren Trabanten, denen es wohl gelungen ist, den größten Teil der sudetendeutschen Bevölkerung in einen Rauschzustand zu versetzen und in diesem Zu­stand zur Urne zu führen und denen auf diese Weise ein ganz ungeahnter Sieg in den Schoß fiel, mit dem sie aber, da sie ihn nun haben, gar nichts an­fangen können, denn trotz des Sieges fielen sie bei der Regierungsbildung vollkommen aus und sind zu einer hoffnungslosen Opposition verurteilt. Ihre Wählerstimmen und Mandate bleiben lei allen weiteren politischen und parlamentarischen Entscheidungen außer Betracht, sie find, ebenso wie die kommunistischen Stimmen»nd Mandate, für ihre Wählerschichten vollkommen verloren. Nur das eine haben sie zu erzielen vermocht, daß der Einfluß der deutschen Vertreter in der Regierung geschwächt wurde. Und nun ein Wort über uns selbst: Wir haben wir können und müssen darüber ganz offen reden in diesem Wahlgang eine schwere Niederlage er­litten. Es hätte gar keinen Sinn, diese Tatsache irgendwie zu beschönigen. Nur eines können wir ruhi­gen Gewissens aussprechen, daß sie uns ganz unver­dient trifft und daß sie wie ein Elementarereignis über uns hereingebrochen ist.-Wir können weiter fest­stellen, daß wir mit einer Schlappe gerechnet haben, darum haben wir diesmal unsere Anstrengungen vervielfacht, darum hat auch unsere ganze Bewegung wahrend des ganzen Wahlkampfes währe' Wunder­werke von Hingabe und Begeisterung' herborge- zaubert. Umsomehr überraschte das Ausmaß. der Niederlage, das niemand voraussehen konnte, ebenso auch nicht das Ausmaß des Wahlsieges der Heimat- Front, das die ganze politische Oeffentlichkeit gerade­zu verblüffte. Hiebei möchten wir aber auf eine sehr interessante Erscheinung aufmerksam machen. Die tschechischen Genossen partizipieren an den gesamten tschechoslowakischen Wählerstimmen per 6,012.952 mit 1,034.774, was besagt, daß jeder 6. Staats­bürger tschechosiowakischer Nationalität sozialdemo­kratisch gewählt hat. Im deutschen Sektor mit' einer Gesamtwählerzahl von 1,854.752 partizipieren wir -mit 299.942, so daß noch immer trotz unserer Niederlage jeder 6. deutsche Wähler den sozial­demokratischen Stimmzettel abgegeben hat. Es bewegt sich daher der sozialdemokratische An­teil an den Wählerstimmen sowohl im tfchecho- flowakischen, als auch im deutschen Lager in de» gleichen Ausmaßen. Das sagen wir unseren Gegnern, die ob unserer Niederlage wahre Purzelbäume schlagen. Noch eines wollen wir aus dem ungeheuren Wust von Tatsachen, die der Wahlkampf zutage ge- fördett hat, herausheben, daß nämlich der Sozialis­mus, obwohl die Wahlen im deutschen Gebiete Hot­tentottenwahlen im wahrsten Sinne deS Wortes ge­wesen sind, in seiner Gesamtheit mix ganz geringe Einbußen erlitten hat. Im Jahre 1925 betrug der Prozentsatz der sozialistischen Stimmen 36.66, im Jähre 1929: 40.5, im Jahre 1935: 37.20 Prozent, so daß noch immer den 4,944.470 bürgerlichen Stimmen 2,940.110 sozialistische Stimmen gegen- überstehen. Alle Hoffnungen der gesamten deutschen und eines Teiles der tschechischen Bourgeoisie auf Vernich- tung des Marxismus, auf den Hinauswnrf der sozialistischen Parteien aus der Regierung find also schmählich zusamuicngebrochen. Und nun ein Wort zu den Ursachen dieses Wahlausganges. Darüber gibt cs in der ganzen po- litischen tschechischen und deutschen Oeffentlichkeit nicht den leisesten Zweifel, daß der glückliche Gewin­ner der Wahlschlacht im deutschen Sektor der Hit- lerismuS ist. Da bedurfte eS gar nicht der Plaka- tierung vonVolksentscheiden", der Flüsterparolen: Heute die Saar , die Sudeten im nächsten Jahr", um sich des Ernstes der Situation bewußt werden zu können. Niemand war sich darüber auch nur einen Augenblick im Unklaren, was das Wort zum Aus­druck bringen sollte:Sag ob Du ein Deutscher bist und wähle darnach." Da die Dummen nicht alle werden, gab es Narren genug, die glaubten, daß es schon am 20. Mai losgehen werde und daß nun endlich auch sie nach reichsdeutschem Muster zum Zuge kommen werden, wenn nicht anders, so zu­mindest als Konsumvereinsleiter oder Krankenkas- sendirettor, als Bezirkshauptleute oder Gemeinde­polizist. So hat sich denn eine wahre Psychose der Menschen bemächtigt, die den Tag der Abrechnung gekommen sahen und alles daran setzten, sie gründ­lich zu gestalten. Was wird das nun für ein Erwa­chen geben! Allerdings wäre es ganz unzutreffend, daraus allein das Wahlergebnis erklären zu wollen. Nie­mand sah es deutlicher"als wir, daß die Verelendung des deutschen Jndusttte-«nd beson­ders des Exportgebietcs, die in letzter Zeit immer weiter um sich griff, jene hungernden und-verzweifelten Arbeitsmenschen und Mittelschichten, die.nicht genug geschult waren, die wahren Schuldigen zu erkennen und die die Haupt­schuld uns anstatt, dem kapitalistischen Wirtschafts­system-und der kapitalistischen Bourgeoisie aNlaste- ten, dem Fascismus in die Arme tteiben werde. Ge­rade aus dieser Besorgnis heraus und in Erfüllung unserer Mission und Aufgabe, haben wir durch 5% Jahre die größten Anstrengungen gemacht, um das Lös der von der Krise betroffenen arbeitenden Schichten zu, lindern, da wir außerstande waren, die Krise, die eine der Auswirkungen des herrschenden kapitalistischen - Wirtschaftssystems ist und nahezu alle Industrieländer erfaßt hatte, zu bannen. Wir