Seite 6 Sonntag, 23. Juni 1935 Nr. 11« Noch ein Leichenfund Pardubitz . Am Freitag früh wurde durch« Zigeuner im Heu bei Nemoschitz der L e i ch n a mt eines Mannes aufgefunden, in welchem ein gewisser Josef Eejka aus Pro- setsch festgestellt wurde. Die Ursache des Todes wurde bisher noch nicht ermittelt. Da an dem Körper des Toten Spuren von Verletzungen fest­gestellt wurden, wird erst die Obduktion ergeben,, ob der Tote das Opfer eines Verbrechens ist. Die Opfer von Reinsdorf Offizielle Zahlen Wittenberg. Nach den letzten Ermittlungen beträgt die Zahl der bei dem Reinsdortfer Explosionsunglück tödlich V e r- unglückten, bzw. der an i h r e n Verletzungen Gestorbenen 66. In den Krankenhäusern sind noch 96 Schwer­verletzte; die Zahl der Leichtverletzten belief sich auf insgesamt 628. Der weitaus größte Teil von ihnen ist bereits völlig wiederhcrgestelÄ. 36 Werksangehörige werden noch vermisst, mit derem Tod leilder gerechnet werden mutz. Dynamit gegen Feuersbrunst Kalkutta . In Peshawar brach Freitag abends Feuer aus, das rasend schnell um sich griff. Um Mitternacht wurden Truppen zur Un­terstützung der Feuerwehr alarmiert. Als alle Versuche, den Brandherd einzudämmen, fehl­geschlagen waren, beschlossen die Behörden, durch Dynamitsprengungen den brennen­den Stadtteil zu isolieren. Nachdem die Bevölkerung aus der Gefahrenzone wcggcführt war, sprengte man mit riesigen Dynanritmengen freie Flächen rings um den Brandherd. Weitere Einzelheiten fehlen noch. Bor dem Ende der 1000-Mark-Sperre? Wien . Eine hiesige Korrespondenz erfährt aus Berlin , dass die dortigen entscheidenden Stellen entschlossen sind, die vor zwei Jahren für Ressen nach Oesterreich eingeführte 1000-Gebühr allmählich herabzusetzen und späterhin gänzlich aufzuheben. Uebrigens wurde die praktische! Durchführung dieser Gebühr bereits stark gemil­dert und in letzter Zeit treffen aus Deutschland » auffallend viele Personen in Oesterreich ein, denen» die Gebühr nachgelassen wurde. Dlntjustiz in Chine » Shanghai . Auf Anordnung der Kanton-Re­gierung wurden 35 K o m m u n i st e n, die kürz­lich bei Nanschan gefangengenommen wurden, in Swatau hingerichtet. Unter den Hingerich­teten befanden sich mehrere junge Frauen.' Flugzeugkatastrophen Madrid . In der Nähe von Barcelona stürzte- ein Sportflugzeug aus grosser Höhe ab. D i e> beiden Insassen waren auf der> S t e.l le tot. Tokio . Am Samstag stürzte bei Giefu nörd­lich von Nagoja ein Postflugzeug brennend ab.. Es fiel auf ein Haus, das in Brand gesteckt^ wurde. Das Feuer legte auch die fünf anliegenden Gebäude in Asche. Der Flugzeugfüh­rer wurde getötet. Drei Flieger verbrannt Meaux . Im Walde von Lagny stürzte ein zweimotoriges Militärflugzeug ab und ver­brannte. Von den vier Mann der Besatzung sind drei Offiziere verbrannt und nur einem Unter­offizier gelang es, sich mittels des Fallschirmes zu retten. Staatliche Studien-Unterstützungen. Das Ministerium für Schulwesen und Volkskultur ver­leiht an Hörer der deutschen Hochschulen in der Tschechoslowakischen Republik im Studienjahre 1935/36 staatliche Studien-Unterstützungen. Ge­suche auf den im Staatsverlage herausgegebenen Blanketten, belegt mit einem Zeugnis über die Vermögensverhältnisse, dem Staatsbürgerschafts­zeugnis und dem Ausweis über vorzüglichen Stu­dienfortgang ist bedingungslos bis 30. Septem­ber 1935, und zwar in P r a g II,, Krakovskä 16 und in B r ü n n durch Vermittlung des Rek­torates der deutschen technischen Hochschule in Brünn einzureichen. Dassoziale Ideal" deS Hitlerrriches. Wie weit die Versklavung des arbeitenden Menschen im Reiche des'nationalen Sozialismus" geht, beweist eine Verfügung des Bezirksgerichtes A i ch a ck in Bayern . Das Bezirksgericht hat der OeffentlichkeU mitgeteilt, dass es Arbeitneh­mern strengstens verboten ist,»ihre Dienststelle böswillig zu verlas- s e n." Das Bezirksgericht werdefürderhin mit den schärfsten Mitteln gegen den Unfug deS Dienstentlaufens einschreiten". Zur zweckentspre­chenden Illustrierung dieses mittelalterlichen Ver­dikts sind fünf Aichacher D i e n st k n e ch t e", die von ihren Arbeitgebern aufs empörendste aus­gebeutet und schikaniert, ihren Dienst aufgaben, ohne die Kündigungsfristen einzuhalten, nach offiziöser Mitteilungin Schutzhaft ge­nommen worden, weil ihr verantwortungs­loses Verhalten eine Sabotage an den sozialen Idealen des neuen Staates darstelle". Das soziale Ideal des neuen Staates besteht also offensichtlich in völliger Rechtlosigkeit des Arbeiters und.in einem Triumph dcr Unternehmerwillkür, wie er so brutal und zynisch wohl in keinem anderen Lande dcr Welt mehr möglich ist. Eisenbahnminister Bechyni ist zum Kur­gebrauch verreist und wird erst am 15. August nach Prag zurückkehren. Die Korrespondenz bleibt uner­ledigt. Schiff gerammt. Das dänische Ozean-For­schungsschiff»Dana" sst Samstag früh um 6 Uhr in der Nordsee ungefähr 60 Seemeilen westlich pom Ringköbing-Fjord im Nebel von dem deut­schen Trawler»Pichhuwen I. G. 92" aus Cux­ haven gerammt worden. Die»Dana" sank so­fort. Alle an Bord befindlichen Personen wurden von dem Trawler gerettet. Ein Dampfer gesunken. Wie aus Cher­bourg gemeldet wird, ist der englische DampferThe Brandon", der eine Wasserver­drängung von 1000 Tonnen hat, in der Rächt zum Samstag an der Felsküsie von Cosqueville gestrandet und gesunken. Die Besatzung wurde ge­rettet und nach Cherbourg gebracht. Familientragödie. In der Wiener Vorstadt Stockerau spielte sich am Freitag ein Familien­drama ab, das zwei Menschenleben forderte. Der 42jährige Giesser Gottfried Moravec fand sich in der Wohnung seiner geschiedenen Frau ein, die er nach kurzem Streit mit einigen Axthieben tötete. Hierauf floh Moravec in den nahen Wald, wo er sich an einem Baum erhängte. Rache gegen einen Aufrechten. Der deutsche Reichs- und preussische Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Rust hat den ordent­lichen Professor der Theologie Dr. CarlBarth, Bonn , auf Grund des 8 6, des Berufsbeamten- gesetzes in den Ruhestand versetzt. Wie erinnerlich, hat Professor Barth seinerzeit die bedingungslose Leistung des Eides auf den Führer und Reichskanzler verweigert. Das preussische Oberverwaltungsgericht hatte in einer Bestrafung Barth durch Kürzung des Gehaltes in Höhe eines Fünftels auf die Dauer eines Jahres eine hinreichende Sühne für das Verhalten er­blickt. In der Begründung der Verfügung des Reichsministers Rust heisst es, der nationalsoziali­stische Staat könne einen Beamten, der nicht bereit ist, den Eid auf den Führer undReichskanzlcrsofort bedingungslos zu leisten, nicht mehr aktiv weiter­verwenden. AuS den Gefängnissen oder Kon­zentrationslagern wurden weitere 12 evangelische Pastoren entlassen. Für 25 Pastoren bleibt noch das Predigtverbot in Kraft. Zehn Pastoren dürfen nicht mehr in ihre Pfarreien zurückkehren. Glückliche Nähmädchen. Das grosse Los der französischen Nationallotteri« in Höhe von 3 Mil­lionen Franken ist gemeinsam von 70 Pariser Nähmädchen gewonnen worden. 45 Jahre Zuchthaus für den Kindesentführer Waley. Wegen der Entführung des kleinen W eer h ä u s e r und wegen Erpressung hatten sich am Freitag vor dem Bundesgericht in W a- s h i n g t o n der erheblich vorbestrafte 24 jährige Herman Waley und seine 19jähriae Ehefrau zu verantworten. Nachdem beide sich für schuldig bekannt hatten, verurteilte das Gericht Hermann Waley zu 45 Jghren Zuchthaus. Hin­sichtlich seiner Ehefrau lehnt das Gericht aufgrund der Erklärungen des Ehemannes und deS Vertei­digers ab, ihr Geständnis anzunehmen. Waley und der Verteidiger hatten erklärt, daß Frau Wa­ley erst einige Tage nach der Tat von der Ent­führung des.Knaben durch ihren Mann unterrich­tet worden sei. Knnstflüge alS Verkehrsgefährdung. Nach einer Meldung aus Taschkent sind vier russische Flieger ihrer Stellungen enthoben und vor Gericht gestellt worden, weil sie trotz strengen Verbots versucht haben, auf dem Fluglatz von Taschkent Kunstflüge auszuführen, wodurch der gesamte Flugverkehr in Gefahr gebracht wurde. Die Flieger sind zu Gefängnisstrafen von 6 Mo­naten bis 2 Jahren, 4 Monaten verurteilt wor­den. Bekanntlich wurde die Katastrophe des Maxim Gorkij " durch einen Kunstflieger ver­schuldet. Das mag wohl der Anlaß zu so strengem Vorgehen sein. Prof. Roller gestorben. Am Freitag ist in Wien der bekannte Bühnenbildner. Hosrat Professor Alfred R o I l e r, ein geborener Brünner, an den Folgen eines schweren HalsleidenS im 71. Lebens­jahre gestorben. Schon wieder neue Gedenkmarken. Zum Ge­denken des 1050. Todestages des Heiligen Method hat die Postverwaltung drei Gedenkpostmarken mit dem Bilde der beiden Heiligen Cyrill und Method in folgenden Werten anSgegeben: 50 Heller grün, 1 Ke achatrot und 2 Kc stahlblau. Der künstlerische Entwurf zu dem Markenbilde stammt von dem aka­demischen Maler Johann Köhler ; die Zeichnung und den Stich der Marken besorgte der Radierer Gottlieb Heinz. Die Marken find mittels RotationSstahltief- druck hergestellt. Bo» der Anffiger Handelsakademie. Die Ein­schreibungen in die vierklassige Handelsakademie und in die zweiklassigen Handelsschulen für Knaben und Mädchen erfolgen vom 28. Juni bis 1. Juli. Die AufnahmSpriifungen finden am 1. Juli nm halb 9 Uhr für die Handelsakademie und um halb 10 Uhr für die Handelsschulen statt. Einschreibungen in den Abiturientenknrs haben bis 1. Septeniber unter Vor­lage deS Reifezeugnisses zu erfolgen. Auch schrift­liche Anmeldungen sind zulässig. Prospekte und Auskünfte durch die Direktion der Anstalt. JahreS- nnd Halbjahreskarten. Die Staats­bahndirektion in Prag macht darauf aufmerksam, daß in der Zeit vom 24. Juni bis 10. Juli Jahres- Grotzer Erfolg unserer Atus- Futzballer in Norwegen Städtemannschaft von Oslo 4:1 geschlagen Die Auswahlmannschaft des Atus Tschechoslo­wakei errang in Oslo gegen die Städtemännschafi des Turn- und Sportverbandes einen herrlichen Sieg. Ei» Telegramm aus Oslo meldet: Auswahlmannschaft Atus ESR gegen Stäbe­mannschaft deS Arbeiter-Turn- und Sportverban- deS Oslo 4:1. Blendendes, einwandfreies Spiel. Die AtuS-Fußballer Schottenhauer, Deutsch , Distler Willi, Distler Karl schosse» die vier Torr. und Halbjahreskarten von 8 bis 12 und von 14 bis 16 Uhr im Masaryk-Bahnhof, oberhalb der Restau­ration 2. Klaffe ausgegeben werden. An Sonn- und Feiertagen wird nicht amtiert. Die Karten sind auch durch Vermittlung der Stationen erhältlich. Sehr günstige Wetterlage. Unter Einfluß eines mächtigen Hochdruckgebietes, das sich über Skandinavien entwickelt hat, ist in ganz Europa vorwiegend trockenes und warmes Wetter zur Vorherrschaft gelangt. In Frankreich und Ruß­ land erreicht die Temperatur 30 Grad. Nur in Süd­polen und Schlesien ist sie noch nicht über 20 Grad gestiegen und in der Nähe dieser lokalen Kaltluft­grenze treten noch leichte Schauer auf. Sonst ist die allgemeine Wetterlage sehr günstig. Wahrscheinliches Wetter von heute: Im ganzen schön, weitere Erwärmung, schwacher Wind aus nordöstlichen Richtungen. Nur noch vereinzelt stärkere Bewölkung mit unbedeutenden Schauern. Wett-raussichten für Montag: Andauern des warmen Wetters, bis auf vereinzelte Gewitter trocken und schön, Ostwind. Vom Rundfunk Empfehlenswertes ans des Programmen i Montag Prag : Sender L.: 10.05 Deutsche Presse. 12.10 Schallplatten: Verdi. 13.25 Arbeitsmarkt. 18.20 Deutsche Sendung: Dr. Hiebsch: Aus FinkeS Oper Die Jakobsfahrt". 18.35 Prof. Schubert: Der wis­senschaftliche Charakter der Pädagogik. 21.55 Streich« auartett. 22.30 Tanzmusik. 22.45 Deutsche Räch« richten. Sender St.: 7.30 Leichte Musik. 14.00 Liederkonzert. Brünn: 17.40 Deutsche Sendung: Werner: Arbeitsschule und Auswendiglernen. 18.20 Schallplaüen. 18.35 Volkslieder. 19.00 Deutsche Presse. 21.55 Klavierkompositionen. Mährisch» Ostrau : 18.20 Deutsche Arbeitersendung: Drapalla» Ostrauer Börse. 21.15 Schauspiel aus dem Atelier: Modche und Rest". 23.00 Tanzmusik. Pressburgr 21.15 Klavierkonzert. Kascha«: 16.30 Orchester­konzert. Dienstag Prag : Sender L.: 10.10 DeüWe Presse.. 11.05 Deutscher Schulfunk. 12.10 Operettenmusit. 13.40 Burian auf Schallplatten. 17.45 Schallplatten. 18.20 Deutsche Sendung: Dr. Albrecht: Wirtschaftliches Relief. 18.30 Oesterreichifche Lieder. 19.00 Deutsch « Presse. 19.25 Merikanische Lieder. 22.30 Tanzmusik. Sender St.: 7.30 Leichte Musik. 14.15 Deutsche Sendung: Dr. Jellinek: Eltern, wie sie sein sollen. 14.30 Opernszenen. 14.50 Deutsche Presse.« Brünn : 17.40 Arbeiterfunk: Soziale Informationen. 17.45 Perlsee: Thomas Mann . 18.35 Wandervogel« funk. Mähr.-Oftra«: 15.00 Nachmiitagskonzerr, 16.10 Chorrezitattonen. Prrssbnrg: 18.00 Kla­vierkonzert. Kascha«: 18.55 Violoncello-Konzert. arnitti begießt Du die Blumen auch mit Blumen-Zauberdung von derFrauenwelt", Prag XII., Fochova tr. 62. 1 Paket 5.60 mit Postzusendung. Monarchen auf Kongressen Wilhelm««d Friedrich August Zweimal in den Jahren meiner reichsdeut­schen Berichterstatterarbeit vor dem Kriege hatte ich Gelegenheit, Allerhöchste zu hören und zu be­obachten. Das erstemal war es mehr ein Zufall. Jedes Jahr im Frühling versammelten sich in Berlin die Oberagräricr zurGrünen Woche". Da trat im Zirkus Büsch bei den grossen Kund­gebungen als Hauptattraktion der Kammerherr und Reichstagsabgeordnete Elard von Oldenburg auf Januschau in Aktion. Entsprechend dem Motto des Gründers des Bundes der Landwirte, des Herrn v. Rupprecht auf Ransern,»Wir müssen schreien, schreien, schreien", schrien sie nach noch höheren Zöllen, völliger Versklavung der Land­arbeiter, noch mehr Polizeidruck auf die»Sozzen", was ihnen alles erst im Dritten Reich im Zeichen von B l u d o vollkommen gelingen sollte. Den trockenen Ton unterbrach der Januschauer mit seinen Kernsprüchen und Hanswurstwitzen zur all­gemeinen Erlustigung. Feierlich dagegen ging es bei den amtlichen Tagungen des Deutschen Landwirtschastsrates urid des Kgl. Preussischen Landesökonomiekollegiums zu, die in dem Saal des erlauchten Herrenhauses abgehalten wurden. Nebenan, im Abgeordneten­haus, hatte ich an einem solchen Vormittag zu warten, bis die Mittagspause in den Sitzungen der Ausschüsse den Abgeordneten erlaubte, be­freundeten Journalisten etwas über die Verhand­lungen mitzuteilen. Es war noch lange bis dahin und so beschloss ich, mir einmal die Agrartagung im Herrenhaus anzusehen. Für mich, der ich dem Hauspersonal bekannt war, hatte es keine Schwie­rigkeiten, auf die Herrenhausgalterie zu gelangen. Es sprach gerade ein alter Herr im Braten­rock, der Gutsbesitzer von Lochow auf Pettkus, über den von ihm gezüchteten, besonders ergiebigen und hochwachsenden, also viel Stroh gebenden Weizen. Am rechtsseitigen RegierungZtisch aber saß Seine Majestät Kaiser-König W i lh el m II. mit grossem Gefolge. Natürlich in der grünen Jägeruniform, da es doch eine Landwirtsache war. Als nun der alte Herr v. Lochow seinen Vortrag beendet hatte, erheb sich der Vorsitzende, der alte Graf Hans Axel Tammo von Schwerin- Löwitz, damals gerade Reichstagspräsident, in seiner ganzen Länge und freudig und stolz lächelnd verkündete er:Seine Majestät haben aller« g n ä d i g st geruht, nun allerhöchstselbst das Wort nehmen zu wollen!" Und schon ging Wilhelm, säbelumgürtet, zum Rednerpult, wintte den sich erhebenden Agrariern zu, sich hinzusetzen, legte das vom Adjutanten buckelnd dargercichte Manuskript aufs Pult und ohne sich weiter dar­um zu kümmern, begann er. Es war sofort zu merken, dass dieser Mann gewohnt war, öffentlich zu sprechen und über die typische Wortgewandtheit verfügte. Zur Freude seiner Hörer bezeichnete er sich als ihren Berufs­genossen» denn er betreibe ja auch Landwirtschaft auf seinem pommerschen Gut C a d i n e n. Dort stehe der Petkuser Roggen meterhoch und gerade wie Uhlanenlanzenl Aber der Pächter tauge nichts und deshalb habe er ihn auch hinausge­schmissen. Es ging bei dieser Kaiserrede ganz un­höflich zu, die Agrarier lachten laut auf und grunzten vor Vergnügen. Die Kaiserrede aber erschien kaum eine Stunde später in der massenhaft gekauften »B. Z. ", am Ziachmittag in den Abendblättern, und zwei oder drei Tage später ging durch die ganze Linkspresse eine Erklärung des öffentlich angeprangerten Pächters, dass Se. Majestät gröb­lich irregeführt worden sein müsse, was nur der Domänendirektor von Etzdorfs getan haben könne; er, der Pächter, habe niemals von einer Unzufriedenheit des Gutsherrn etwas vernommen und von Hinausschmiss sei überhaupt gar keine Rede. Ei verdammt, das war wieder einmal so eine üble Plötzlichkeit Wilhelms gewesen, die dann auszubügeln der Regierung schtvere Mühe kostete. Erinnere ich mich recht, so hat Wilhelm nach dieser Geschichte sein Auftreten auf den Agrarievkon- greffcn ganz eingestellt. Eine aber schon ganz andere Nummer war König Friedrich August III. von Sachsen . Den genoss ich aus nächster Nähe bei der Eröff­nung eines grossen Kongresses für Wohnungs­wesen in Dresden im Festsaal der Technischen Hochschule. Man hatte die Presse ganz vorn pla­ciert und so standen unmittelbar vor uns eine An­zahl meist älterer Herren im Frack und mit Orden im Halbkreis aufgestellt. Friedrich August erschien selbswerständilich auch in Uniform, in dem hellblauen Generalsrock, aus dem ein von freier Luft, aber gewiss noch mehr vom Wein gerötetes Gesicht mit weissblonden Augenbrauen und Schläfenhaaren freundlich lächelnd hervorkam. Vor dem-ersten der Aufge­stellten machte er halt, verbeugte sich leicht und hörte vom Ministerpräsidenten, dem hocheleganten Graf Vitzthum von Eckstädt, wie der Mann heisse und welches hohe akademische Verwalt»ngs- oder technische Amt er innehabe.»Aha!" sagte die Majestät in langgezogenem Ton mit echt sächsischer Vokaltrübung und ging einen Schritt weiter zu Nr. 2, wo sich genau das gleiche wiederholte. Wieder»Ahal", dann Nr. 3 und so den ganzen Halbkreis durch. Acht Vorgestellte, achtmal Ae h ä! Dann setzte sich Friedrich August in seinen Fauteuil und hörte andächtig dem Eröffnungs­vortrag zu. Er dürfte davon ebensoviel verstanden haben, wie bei seiner Führung durch eine Erd­bebenwarte, wo er sein sächsischer Landtagsabge- ordneter hat es mir erzähü) am Schluss zu dem Leiter, der ihm all die feinen Instrumente zu er­klären versucht hatte, nur sagte:Un nich wahr, 's alles elegdrisch?" Trotzdem bin ich gar nicht geneigt, die vielen und fröhlich weiterwachsenden Anekdoten zu be­zweifeln, die von des Geenigs köstlicher Originali­tät berichten. Der schon erwähnte Genosse aus dem Landtag erzählte mir z. B. schon damals: Einmal wurde ein rechtsstehender Abgeordneter vorgcstellt, der aber seine nichtarische Abstammung im Aus­sehen nicht verleugnen konnte. Der König »fragte ihn:Bei welcher Bartei sinn Se denn?" »Ich bin nationalliberal, Majestät!"»Nu, Se sähn mr awwer recht fraisinnch ans", bemerkte der König dazu. Und wenn gar nichts anderes von ihn: wei­terlebte, die eine Sache mühte es doch, mit der er Deutschlands Zukunft so wahr vorausgesagt hat. Als er nämlich an die Leute, die auf einer Zwischenstation seinen Salonwagen umdrängten, die Worte richtete:Ihr said mr ja scheeneRebubbliganerl l" R. Be.