Nr. 150 Freitag, 28. Funk 1935 Sekte 5 Erdbeben in Süddeutschlaud und der Schweiz Stuttgart . In Stuttgart wurde das Erdbeben besonders heftig auf den umliegenden Höhen ver­spürt. In Bilingen(Schwäbische Alp) war der Erdstotz so stark, datz die Bewohner im ersten Schrek- ken zum Teil die Häuser verlieben. In Heiden­ heim an der Brenz und in Steinleim verspürte man zunächst- einen leichten und kurz darauf einen sehr schweren Erdstoh. Schränke, Türen und Fenster ge­rieten in heftige Bewegung, man konnte sogar deut­lich ein Schwanken der Kirchtürme beobachten. In Biberach in Oberschwaben war das Erdbeben von donnerähnlichem Getöse begleitet. In verschiedenen Stratzenzügen wurden die Kaminbedachungen abge- lvorfen. Mehrfach sind Schornstein« eingeftürzt. Karlsruhe . Am Donnerstag abends wurde in ganz Baden ein starker Erdstotz verspürt, der viel­fach die Häuser ins Schwanken brachte. Die Stra« tzenpassanten fühlten, wie unter ihnen der Boden wackelte. In den Häusern kamen die Möbel ins Rutschen. Ueber Schäden ist. bisher nichts bekannt, geworden. Durch den sehr heftigen Stotz wurden die Apparate im Geodaetischen Institut der Technischen Hochschule in Karlsruhe vollständig herausgeworfen. Bern.(SDA) Donnerstag, gegen 18.20 Uhr wurde in verschiedenen Gegenden der Schweiz , so namentlich in Basel , Zürich , Bern , der Ostschweiz und der Jnnerschweiz ein ziemlich heftiger, etwa 4 Sekunden dauernden Erdstotz verspürt. In Zü­ rich , Basel und St. Gallen wurden in zahlreichen Häusern starke Erderschütterungen wahrgenommen. Schadensmeldungen liegen bisher nicht vor. Bier Hinrichtungen in USSR Moskau. Nach einer Meldung aus Semipa- latinsk (Katzkatan) verurteilte das Militär­kollegium des Obersten Gerichtshofes vier Bauern wegen Ermordung eines GPU-Beamten zum Tode durch Er­schießen. Weitere sechs Angeklagte erhielten Ge­fängnisstrafen von drei bis zehn Jahren. Die Todesurseile wurden bereits vollstreckt. Zur Erleichterung und Sicherung des Straßenverkehrs Der Ständige Ausschuß für den Straßenverkehr (beim Völkerbund) beendete in Genf seine Arbeiten, indem er die verschiedenen Mittel prüfte, um den Straßenverkehr zu erleichtern und ihn ins­besondere sichtbarer zu gestalten. Außer anderen Fragen behandelte das Komitee auch das Problem der Warnungszeichen auf Eisen» bahn-Uebergä-ngen. ES wurde fest­gestellt, daß die beste praktische Lösung die Empfeh­lung an die Staaten sein wird, es bei dem bisheri­ge«. System^u^belaAen,.sich-ab»r- durch schrittweise> Besserung dem-System anzunähern, das am beste« den gegenwärtigen Anforderungen des Straßenver­kehrs entspricht. Der Ausschuß sprach die Ansicht aus, daß an Stelle der direkten Eisenbahnühxrgänge He b et» und Unterführungen ohne Rücksicht auf die mit solchen Maßnahmen verbun­denen bedeutenden Ausgaben gebaut werden sollten. Es wurde eine Resolution angenommen, die die Hinlänglichkeit der bisherigen Prüfung der Frage der Warnungszeichen an Eisenbahnubergängen her­vorhebt, so daß in dieser Angelegenheit bereits ein internationales Abkommen an­genommen werden kann. Der Ausschuß wird auch den Entwurf eines solchen Abkommens vorbereiten, über dessen Inkraftsetzung eine internationale Konferenz zu entscheiden hätte. Bei den Genfer Beratungen wurde auch die Frage der e in h e i t l i ch e rt Bezeichnung eines Vovfahrver» botes an bestimmten Stellen und eines A u s- weichverbotes an festgesetzten Orten(z. B. auf. Brücken) behandelt. Der Ausschuß stimmte auch einer besonderen Kennzeichnung für das Verbot der Verwendung mechanischer Hupen(in der Iiähe von, Krankenhäusern u. ä.) zu. Schließlich nahm der Ausschuß den Entwurf eines Fragebogens an, der den Regierungen eingesandt werden soll und die Verwendung mechanischer Signale für den Verkehr an Kreuzungsstellen betrifft. Pferde verursache« ei« schwere- Zugsunglück Stockholm . Ein-schweres Unglück passierte Mittwoch früh bei einem Eisenbahnbau in der Nähe des Ortes Umoskosel. Bor die Lokomotive eines Materialzuges, der mit einem vollbesetzten Mannschaftswagen unterwegs zum Bau war, sprangen plötzlich zwei Pferde auf das Geleise. Die beiden Pferde wurden überfahren, wobei der Zug entgleiste. Von den Arbeiter nimMann- 'chaftswagcn, der um stürzte,^wurden sechs ge­rötet und 15 anbete verletzt. Kardinal Perdier bei Masaryk . Der Papst» ttche Legat am gesamtstaatlichen Präger Katholi- kenkongretz, Kardinal Verdier, machte Donnerstag auf Schloß Lana einen Besuch beim Präsidenten der Republik. Dem Gespräche wohnten bei Mine» ster des Aeußeren Dr. Benes, Kanzler Dr. S a m a l, der Chef des diplomatischen Protokolls GesandterStrim pl und GesandterIa n Ma­saryk. Die feindlichen Stämme Tschar und Nawa- gai(Indien ) kamen in Konflikt, der mit einem blutigen Zusammenstoß endet«, wobei an 3 0 Eingeborene getötet wurden. An dem Kämpfe beteiligten sich auch die berüchtigten Aben­teurer Badschagual und Tschimmi. »I« deutsche Sprengstofffiuduttrle DaS Unglück von Reinsdorf hat die Aufmerk- . samkeit auf die deutsche Sprengstoffindustrie gelenkt. So wie man es früher bei dem Flugzeugbau und den Flottenrüstungen gemacht hat, bis man dann unvermittelt die Maske fallen ließ, so sucht man jetzt auch den Anschein zu erwecken, als handele es sich > just um die einzige, gerade die durch den Friedens- , vertrag erlaubte Fabrik. Kein vernünftiger Mensch wird glauben, daß Deutschland etwa auf diesem be- I sonders wichtigen Frontabschnitt der Aufrüstung etwa anders vorführe und eine Ausnahme machte. Und das ist berechtigt. Die Westfälisch-Anhaltische Sprengstoff-AG , die vier Fabriken, und zwar in R e i n S d o r f bei Wittenberg , CoSwig (An­halt), Sythen (Westfalen ) und Sinsen bei I Recklinghausen hat und Sprengstoffe und Pulver für ! bergbauliche, industrielle und Kriegszwecke, | ferner Sprengkapseln, Schwefelsäure, Salzsäure, Salpetersäure, Sulfat, Bisulfat, Glyzerin, Kollo­dium und Zelluloid, lauter kriegswichtige Dinge, her­stellt, ist noch nicht einmal der größte und wichtigste I Konzern der deutschen Sptengstoffindustrie. Viel ! wesentlicher sind noch die I G-Farben, Dyna­mit-Nobel(Köln -Rottweil ) und die L i g n o s e. Sie haben während der letzten 17 Jahre 32 andere Fabriken ausgekauft und stillgelegt. Sie sind in der Sprengsto-ffverwertungsgesellschaft zusammen­geschloffen,. die jährlich die Quoten bestimmt und so­mit die Konkurrenz ausschaltet. Während der Ver­ sailles -Verhandlungen beeinflußte StinneS die Fran, zosen, daß in den Vertrag ein Passus aufgenoinmen wurde, wonach nur eine Sprengstoff-Fabrik be­stehen darf, die als alleiniger Lieferant für die Reichswehr zugelaffen ist. Stinnes setzte durch, daß eine Württembergische,- ihm damals gehörende Fabrik (also nicht Reinsdorf !) dafür benannt wurde, und sicherte sich das Monopol.^Alles weiter« verstößt also automatisch gegen 1 den Versailler Vertrag. Die Sprengstoffabteilung der JG-Farben verfügt über ein Barkapital von 40 Millionen Mark, das sie trotz der niedrigen Beschäftigungsquote anhäufen konnte. Im Jahre 1934 wurde von der Deschimag -Bremen (Deutsche SchiffSmaschinen-AG) der Bau einer neuen Sprengstoffabrik in der Lüneburger Heide ge­plant, die der Marine dienen sollte. Trotzdem sie durch den Reichsstatthalter von Bremen und Admiral Schneider- über gute Verbindungen verfügte, gelang es ihr nicht, die Baubewilligung durchzudrücken. Das Reichswehrministerium erklärte ausdrücklich, daß Deutschland über genügend Produktionsstätten ver­füge und daß der Bau einer neuen Fabrik nicht er­wünscht sei. Sie könne nicht mit Staatsaufträgen rechnen. Die Lignöse hat solche Gewinne, datz sie Prozent Dividend« zahlen und ungeheure Reserven zurücklegen konnte. Durch Geheimvertrag äst. sie von der.Veröffentlichung der- Bilanzen ent- ^VUNvchNs deNNUxch Erfahrungen bei der JG-Farben Internationale Schach-Olympiad« in War­ schau . Am 18. August l. I. wird in Warschau eine internationale Schach -Olympiade begümen. Für das Turnier um den Hamilton Russell-Pokal haben bereits 14 Staaten Anmeldungen einge­sandt, und zwar folgende Staatsverbände: Eng­land, Oesterreich, Dänemark , Estland , Finnland , Ungarn , Irland, Italien , Lettland , Polen , Ru­mänien, Schweden , die Tschechoslowakei und die Vereinigten Staaten . Die Weltmeister­schaft verteidigt das Team der Vereinigten Staa­ ten , das auch bei der heurigen Konkurrenz großer Favorit sein wird. Die E u r off a m e ist er­schüft verteidigt die tschechoslowa­kische Mannschaft, deren Aufgabe in War­ schau sehr schwierig sein wird. Im Turner um das Damen-Welt-Championat, das gleichzeitig statt­findet, wird die Tschechoslowakei Heuer durch zwei Repräsentantinnen vertreten sein; die Verteidi­gerin der Meisterschaft Vera Mensikova und außerdem ihre Schwester Olga. Ein vollkommene Sonnenfinsternis 1936. Am 19. Juni 1936 wird es möglich sein, auf S o- wjetgebiet eine vollkommene Sonnenfinster­nis zu beobachten. Sowjet- und ausländische Astronomen bereiten sich vor, bei dieser Gelegenheit verschiedene Beobachtungen zu machen. In Ruß­ land werden zu diesem Zeitpunkt« ungefähr 2 0 wissenschaftlicheExpeditionen die­ses Naturereignis beobachten können, und zwar Expeditionen aus den Vereinigten Staaten , Eng­land, Frankreich , Deutschland , Italien , der Tschechoslowakei und Japan . Seit dem Jahre 1914 ist das die erste totale Sonnenfinster­nis, die durch 151 Sekunden auf dem Gebiete des Sowjetverbandes von Krasnojarsk bis zum Baj- kalsee wird beobachtet werden können. Es ist be­absichtigt, auch während der Sonnenfinsternis die Sonnenkorona zu photographieren. Eine deutsche Forschungsexpedition hat von Ka­ bul aus di« Reise nach N u r i st a n, einem Gebiet des früheren Kafiristan, angetreten. Ein großer Teil dieses Gebietes ist niemals zuvor von einem Europäer erforscht worden. Die Expedition wird durch daS Buschgal-Tal auf der afghanischen Seite der indischen Grenze ziehen und dann über den Schui-Paß nach dem Lutkuh-Tal Vordringen. Ihre Forschungen sollen hauptsächlich dem Ursprung de» Hindus gewidmet sein. 50.000 Kilogramm Garn verbrannt. Durch ein Grobfeuer in einer Wollspinnerei in Tourcoing (Frankreich ) wurden 50.000 Kilogramm Wollgarn vernichtet. Der Schaden beträgt 1.25 Mill. Fran­ken. 50 Arbeiter sind für einen Monat brokloö ge­worden.'.\' mußte befürchtet werden, datz der Rüstungscharakter aus dem Zahlenmißverhältnis sichtbar würde. Ein Vertrag mit der Reichswehr über Lieferung von Sprengstoff im Werte von sechs Millionen Reichs­mark und 6000 Fliegerbomben zu je 150 Kilo wurde nicht in die letzte Bilanz aufgenommen. Das Lignose- Werk in Kruppami'chle(Oberschlesien ) wurde zunächst nicht für Heereszwecke umgebaut, da dreieinhalb Kilometer von der Grenze strategisch keine Siche­rungsmöglichkeit besteht. Man verläßt sich eben nicht allzusehr auf den deutsch -polnischen Vertrag. Dennoch wurde 1984 eine neue Kraftzentrale gebaut, obwohl für den Zivilbedarf die drei bestehenden kleinen Zen­tralen genügten. Die Möglichkeit der Ausweitung und Umstellung der Produktion hat man sich also Vorbehalten. Die an der ffchechoflowakischen Grenze gelegene Lrgnose-Fabrik Reichenstein ist voll­kommen veraltet und unrentabel, aber seit 1934 schweben Verhandlungen mit dem Reichswehrministe­rium, den Betrieb nach Mitteldeutschland zu verlegen und aufzubauen. Die Investitionen würden sechs Millionen betragen. Der RüstungSbetrieb der Lignose(also wiederum ein nicht erlaubter!) aber liegt in Schönebeck an der Elbe . Dort wurde 1933 ein Mammutbau für 8.5 Millionen er­richtet, der ausschließlich zur Herstellung von Trini­tritoluol dient und für zivile Zwecke überhaupt nicht in Frage kommt. Die Mittel stellte die Reichswehr zur Verfügung. Gebaut wurde die Fabrik unter Leitung des Direktors Bogt, der während des Krie­ges Dprengstoffachmann beim Reichsmarineamt war Die Trinitritoluol-Fabrik wird alS mo­dernste Sprengstoffabrik der Welt bezeichnet und soll in der Lage sein, den gesamten Sprengstoffbedarf eines Krieges vollkommen laufend zu decken. Dre Lager können eine Million Kilo Toluol fassen. Vor­handen sind Regenerationsaülagen für drei Monate laufenden Bedarfs und unterirdische Stollen, in denen 750 Tonnen gelagert werden können. Ab 1. Juni 1934 waren die Lager gefüllt. Unter vor­malen Bedingungen können täglich 40.000 Kilo ge­liefert, im Ernstfälle die Produktion verdoppelt wer­den. Das Werk Schönebeck besitzt außerdem die ein­zige kontinuierliche Nitrier-Anlage Europas , die stündlich 200 Kilo Nitroglyzerin liefern kann. Ge­baut wurden ferner sechs Granaffüllhäuser und sechs Häuser zum Füllen von Fliegerbomben. Die Arbei­ter sind direkt beim Werk angesiedelt, so daß man ihren Verkehr überwachen kann. Die Arbeitsplätze wurden ständig gewechselt. Zum Teil ist der Bau unterirdisch angelegt. Die Lagerräume liegen vier bis fünf Meter unter der Erde und sind durch zwei Meter dicke Betonmauern und Erdwälle gegenein­ander abgedichtet. Die Fabrik ist zirka fünf Meter tief in die Erde versetzt.- Die Arbeiter erhalten relativ viel, nämlich 23 Mark, Frauen und Mäd­chen 14 bis 16 Mark, Messter 80 Mark di« Wochr. 40 Prmenkder Mlegschaft, bestehen. gus- Jugend­liche>ü.5. 2._.. UT-* Der Fall Gach. Herr Professor Schlaffer übermittelt uns einen Bericht, dem wir folgendes Entnehmen: Die Staatsanwaltschaft hat di: Einstellung des Stra f v erfahrens gegen Prof. Schlaffer, Dr. W e n z l und di: 15 Aerzte der chirurgischen Klinik verfügt Die Sektion der Leiche Dr. Gach's hat den Befund einer schweren Hirnerktankung er­geben: Auf dem Boden eines chronischen Entzün- dungZprozesses an den Hirnhäuten hatte sich eine faustgroße Cyste im Bereichs des rechten Stirn­hirns entwickelt, welche zu schweren Druckerschei- nungen am Gehirn sowie an den Schädelknochen führte. Von dem Bestehen dieser Erkrankung hatte niemand eine Ahnung gehabt. Rache ist süß." Aas Aussig wird berichtet: Vor einigen Tagen brach im Wirtschaftsgebäude des Gustav Klöpsch in Schönwald nachts ein Feuer aus, welches- einen Schaden von etwa 60.000 anrichtete. Die Untersuchung ergab, daß das Feuer gelegt Ivorden war. Der Tat ver­dächtig erscheint der Onkel des Landwirtes, Wen­zel Klöpsch, ein Alkoholiker ohne ständigen Aufent­halt, von welchem Gustav K. kurz vorher einen Brief erhielt, worin nur die Worte»Rache ist süß" standen. Centralbank-Moratorrum verlängert. Die Centralbanf der deutschen Sparkassen in der Tsche- choslowakischen Republik teilt mit: Mit Erlaß d«S Finanzministeriums vom 21. Juni 1935, Zl. 71.352/85IIA/3, wurde das Moratorium für die Centralbank bis zum 3 1. Dezember 19 3 5 verlängert. Die russischen Fallschirmspringerinnen. Ueber dem Senesch-See bei Moskau vollführten Diens­tag sechs Sowjetfrauen einen gemeinsamen A b s p r u»n g mit Fallschirmen mis der Höhe von 600 Meter. Am See patroullierten Boote, welche die abspringenden Frauen sofort an Bord nahmen. Russenfilm im Volkshanskino, Aussig . Wir lassen in einer Extra-Vorftellungm a Samstag nach dem Fackelzug im Aussiger Volkshaus-Kino den einzigartigen RuffenfilmDer Weg ins Leben" laufen. Beginn: Hallb 11 Uhr. Eintritt: Für alle Festkartenbesitzer 2 bei freier Platzwahl., Für andere Besucher 2.50 bis 4.50. Wir empfehlen besonders jenen Genossen und Genossinnen den Be­such dieses grandiosen Filmwerkes, welche in ihrem Ort keine Gelegenheit hatten, noch haben werden, diesen bedeutendsten Original-Russen-Tonfilm er übertrifft den unvergeßlichenPotemkin" zu sehen. Man erhält schon ab 3 Uhr an der Kinokassr Eintrittskarten im Vorverkauf. Wir verfügen über 800 Platzet Appelle an dasWeltsewissen Aber ich lasse den Kopf nicht hängen. Alles ist besser als Konzentrattonslager, von dem uns eben..» mit ernstem Humor er­zählt hat. Wenn«S so etwas wie ein Welr- gewissen gäbe, die ganze Welt müßte voller Empörung gegen solche Schändung der Menschenwürde aufftehen. Da es aber>o etwas nur in der Phantasie unheilbarer Illusionisten gibt, macht die Welt ihren Frieden mtt diesen Schindern." Mathilde Wurm . Es gehört zu den tragischen Akzidentien die ser Zeit, datz noch immer manche Menschen, er­füllt von der Sehnsucht nach Frieden, Arbeit und Brot, nach einem glücklicheren Leben auf diesem Wandelstern da es täglich mehr von der Ver­nichtung durch Ekrasit, Hyprit und Pestbazillen bedroht ist meinen, die Instanz desWelt­gewissens", vor allem,die desaufgerüttelten", vermöge Frieden und Gerechtigkeit zu verwirk­lichen. Die Welt wird von anderen Mechanismen regiert als von denen der Sittlichkeit. Das Ge­wissen aber ist eine sittliche Kategorie, die zudem nur das Individuum selten genug aus- zeichnet.' Der Begriff des Weltgewissens ist eine Fiktion; eine Wunschkonstruktion denk­schwacher Abstraktpazifisten. Sehen wir. der Wirklichkeit ins Auge, dann werden wir von der Erkenntnis übermannt: es gibt kein Weltgewis­sen. Es gibt Klassen in der Welt: Reiche und Arme, Kapitalisten und Proletarier. Leute, die von der Arbeit anderer leben und Leute, die von dem spärlichen Ertrag der eigenen Arbeit zu leben gezwungen sind. Dazwischen eine ganze Reihe ökonomisch-soziologischer Zwischentypen. Jede dieser Klassen hat ökonomische Interessen, die denen der anderen Klaffe diametral entge­gengesetzt sind. Die Befriedigung der Interessen der einen Klasse bedingt die Nichtbefriedigung der anderen. Blicken wir um uns: Das Dritte Reich, die Schöpfung von blut-, macht- und geldberausch­ten Gangstern währt über zwei Jahre. Seine Führer Goering , Goebbels , Streicher, Himmler, Eicke(der Mörder Erich Mühsams) bis hinun­ter zu den hunderttausenden Lokalgrößen der DNSAP häuften in dieser Zeit vor den Augen der Welt Verbrechen auf Verbrechen.' Von der Reichstagsbrandsttftung GoeringS über die nach Tausenden zählenden Morde im Inland zu de­nen im Ausland, wie den Morden an Dr. Bell in Kufstein , an Professor Teodor Lessing in Ma- rienbatz, an Formis in Zahori, den Entführun­gen Jakobs auS> der Schweiz , GutzoitS aus Hol­ land , Lampertsberger aus Eisenstein zieht sich ein einziger Faden tiefster Blutschuld, die jemals von Regierenden auf sich geladen wurde. Wann je wäre einWeltgewissen" durch heiligere Pflicht gezwungen gewesen, aufzuheulen ob sol­chen Matzes von Mord, Raub, Quälerei, Lüge und Heuchelei! Was aber geschah in Wirklichkeit? Keine der Untaten der Herren des Dritten Reichs er­weckte einstimmiges Echo der Empörung. Keines der zahllosen, in der blutigen Geschichte der Zi­vilisation nicht seinesgleichen findendes Verbre­chen nicht eines! vermochte einstimmigen Protest der Welt, geschweige denn Aufraffung zur Repressalie oder zu sonst einer Tat auSzu- lösen- Weder die Reichstagsbrandsttftung, weder die Hinrichtung des schon vorher vergifteten van der Lubbe, weder die völlig widerrechtliche Ge­fangenhaltung des vom Reichsgericht freigespro­chenen Torgler , weder die erwiesene Ermordung Erich Mühsams, noch die nun über zwei Jahre dauernde Inhaftierung des Nobelpreiskandidaten Carl von Ossietzky ! Keines dieser entsetzlichen Geschehnisse vermochte das, was Jllusionshörige Weltgewiffen" nennen, zu erzeugen, geschweige dennaufzurütteln". Die Klassenzerklüftung der modernen Ge­sellschaft schafft zweierlei Ideologie: bürgerliche und-proletarische. Die Erregung deS Bürger­tums über die bestialischen Verbrechen gegen den Geist der Humanität ist eine Sackgasse, Eine Sachgass, aus der es keinen Durchbruch zur Er­kenntnis von der Notwendigkeit neuer Gesell­schaftsordnung gibt. Allen Bourgeoisien ist Hitlers Mordregime in Deutschland noch immer lieber als ein Regime des Sozialismus. Nur das Kollektivum Proletariat ist ehrlicher Erre­gung über die Greuel der Welt fähig. Denn nux v bei ihm verbindet sich die moralische Entriistung' mit Son Bewußtsein von derAenderungsmög- lich kett und Aenderungsnotwendigkeit der Ge­sellschaftsordnung. Nur bei ihm ist das ge­wünschte ökonomische Endziel identisch mit dem erstrebten, ethisches: Zustand der Welt. Das ethi­sche Postulat des revolutionären Proletariats ist materiell fundiert durch die Tatsache, datz im Sozialismus niemand vernünftiger Weise den Wunsch und die Möglichkeit haben wird, Krieg zu führen, niemand die ökonomische Motivation zum. Verbrechen. Erst nach dem Siege des Sozialismus also nach der Aufhebung der Klassenunterschiede wird ein homogenes moralisches Gefühl die Welt beherrschen können, das den Namen Weltgewiffen" verdient. Julius Epstein