Nr. 158

Mittwoch, 10. Juli 1935

Seile 5

Wie es kommt... Wie es kommt, daß die sonderbare Ansicht vorherrscht, die politisch^ Spannung in Europa wäre vor allem eine Folge des Umstandes, daß kein Staat sich finde, der mit dem Ab rüsten als erster beginnen wolle? Das kommt wohl daher, daß die wenig­sten wissen, daß sich ein solcher Staat bereits ge­funden hat. Dieser Staat heißt San Marino , hat 13.000 Einwohner und ein stehendes Heer von zwanzig Mann, das nun auf zehn Mana herab« gesetzt werden soll. Die Artillerie wird von dieser Abrüstungsmaßnahme allerdings nicht betroffen; sie besteht nämlich bloß aus einer einzigen Kanone, die zum Abfeuern von Freudenschüssen dient. Wie eS kommt, daß sich immer wieder Leut« finden, die an der Post allerhand zu bemängeln haben? Das kommt wohl daher; daß die wenig­sten wissen, welch unerhörten Anforderungen die Post mitunter gerecht werden muß. Die amerika­ nische Postverwaltung zum Beispiel, hatte kürzlich Marken mit dem Bild der SüdpolforscherS Byrd herausgegeben, worauf der dringende Wunsch ge­äußert wurde, die mit diesen Marken frankierten Sendungen auch denselben Weg gehen zu lassen, den derjenige ging, dessen Bildnis die Marken tragen. Anscheinend von der Ueberzeugung ausgehend, daß ein Wunsch noch selten so berechtigt war wie dieser, schickte, die Post die Brief« und einen eigenen Be­amten per Flugzeug in da- Byrd-Lager in der Antarktis , dort wurden die Briefe feierlichst abge­stempelt(was einige Tage in Anspruch nahm), und als dies geschehen war, brachte man di« Briefe wie­der zurück nach New Nork, um sie den Adressaten zuzustellen. Wie es kommt, daß einzelnen Spitzenleiftua- gen die ihnen gebührende Anerkennung als Rekord versagt bleibt? Das kommt wohl daher, daß sich mitunter sogenannte Psychiater in di« Sache ein­mischen. Dieser Tage, zum Beispiel, meldete der Linzer Polizeibericht, daß am Pöstlingberg«in Hilfsarbeiter wegen Bedenklichkeit angehalten wurde. Bei der Bisitierung des Mannes, der einen Leibes­umfang von nahezu zweieinhalb Metern hatte, stellte sich heraus, daß«r unter seinem Rock und in der Hose 800 leere Flaschen, 180 Tabakpfeifen, 30 Mes­ser, 80 Eßlöffel, 15 Gabeln, 10 Scheren und drei Kilogramm Altpapier, lauter wertlose Gegenstände, im Gesamtgewicht von etwa vierzig Kilogramm, ge­schleppt hatte. Dreihundert Flaschen mit sich spazie­ren zu führen, daS ist unzweifelhaft ein Rekord, wenn auch diese Tatsache in dem betreffenden Polizei­bericht lediglich mit den Worten gewürdigt erscheint: »Der Mann wird auf seinen Geisteszustand unter­sucht werden.* Bei welcher Gelegenheit bemerkt sei, daß kürzlich ein kühner Draufgänger einen Rekord im Biertunken dadurch aufzustellen vermochte, daß er innerhalb dreißig Tagen.500(fünfhundert!) Liter Bier hinter die Binde goß. Merkwürdig, daß der Bericht über diesen Rekord keineswegs mit den Worten schloß:»Der Mann wird auf seinen Geistes­zustand untersucht werden.* * Wie eS kommen kann, daß eine Partei auf die Zustellung einer Geldsendung vergebens wartet? Antwort auf diese Frage gab der Postadjunkt Kirsner, der dieser Tage unter Anklage des Ver­brechens der Amtsveruntreuung, begangen durch Unterschlagung von zweitausend Schilling, vor dem Wiener Schöffengericht stand. Aufgefordert, sich zu

rechtfertigen, erklärte der Mann, daß eS nicht seine, scndern Sache der Postverwaltung sei,, sich zu ver­teidigen, welche Behauptung er durch die unbedingt überzeugende Argumentation zu unterstützen ver­mochte:»Ich bin ein Säufer, und einem Säufer soll man kein Geld anbertrauenl" Ernst Mache!. Eine Kirche vom Blitz getroffen. Die Kirche in Rocca de Georgi(bei Pavia ) wurde am Mon­tag während eines Gewitters von einem Blitz"ge­troffen und schtver beschädigt. Das Gewölbe der Kirche ist eingesiürzt. Ein neuartiges Fensterglas. In den Vereinig­ ten Staaten wird ein neuartiges Fensterglas er­zeugt, daß die SonNenwärme nicht durchläßt, Durch ein besonderes Verfahren ist eS gelungen, ein Bla» herzustellen, dar die wärmeübortragenden(infra­roten) Strahlen der Sonne nur zu einem geringen Bruchteil durchläßt und die Wärmewir­kung der Sonne auf ungfähr 30 Pro­zent herabgemindrrt. Dieses Fensterglas eignet sich in vorzüglicher Weise für die heißen

Landstriche und sichert in diesen Gegenden den durch dieses Glas geschützten Räumen eine angenehme Temperatur. Vernichtet Pasteurisierung der Milch die Bita­mine? Die Frage, ob bei der Pasteurisierung der Milch die Vitamine vernichtet werden, ist eingehend erörtert worden und es haben sich gewichtige Stim­men sowohl für als auch gegen die Pasteurisierung geäußert. Eine klare Feststellung aber, ob durch die Pasteurisierung wirklich Vitamin« zerstört werden, ist nicht erfolgt. Nun befaßt man sich in Eng­land mit dieser Frage Und will dem Problem auf folgond« Weise auf den Grund kommen: es werden 8000 Schulkinder invier Gruppen geteilt, von denen durch eine bestimmte Zeit der einen Gruppe pasteurisierte, der anderen nicht pasteurisierte, der dritten gemischte und schließlich der vi«ten Gruppe Nahrung ohneM ilch verabreicht werden wird. Nach einer bestimmten Zeit sollen die verschiedenen Gruppen ärztlich untersucht und es soll dann entschieden wer­den, ob die Pasteurisierung in England eingeführt werden bürd oder nicht.

Damit ist nun der Uebelstand klar aufge­zeigt. ES ist aber außerdem noch zu bedenken, daß die auf solche Weise verteuerten Futtermittel die Existenz der kleinen Viehzüchter insofern besonders schwer schädigen, weil auf der anderen Seite der Viehpreis verhältnismäßig niedrig ist und das teure Futtergetreide in keinem Ver­hältnis zu diesem Viehpreis steht. Eine mono­polistische Preisregelung in der Getreidebewirtschaftung müßte daherin er st er Linie darauf Be­dacht nehmen, daß die Erzeugungs­kosten in der Viehzucht nicht un­nötigerweise erhöht werden und dadurch eine allgemeine uner­trägliche Situation in einem T e i l e d e r V o l k s w i r t s ch a f t her­beigeführt wird, wie dies leider jetztderFallist. Aus diesem Grunde hat der Kleinbauernver­band bei den zuständigen Stellen folgenden Vor­schlag zur Novellierung des Getreidemonopols unterbreitet: 1. Der Einkauf von Futtergetreide wäre jenen kleinen Viehzüchtern bis zu einem Höchststand von fünf Stück Rindvieh und nur dann, wenn sie infolge geringer Erzeugung nicht verpflichtet sind, Getreide zu liefern, im Orte zu Produzcntenprei- sen zu gestatten. Um einen Durchbruch des Mono­polgedankens zu vermeiden, müßte der gesamte Futtergetreidebedarf in den einzelnen Gemeinden von einer landwirtschaftlichen Fachkommission fest­gestellt werden. Die Zukäufer von Futtergetreide sollen im Wege des Gemeindeamtes eine Anwei­sung erhalten(Schein), mittels der sie das auf sie entfallende Futtergetreide von dem größeren Pro­duzenten zu den ortsüblichen Produzentenpreisen beziehen können, nachdem vorher amtlicherseits zu bestimmen wäre, daß das durch die Kommission er­hobene und festgestellte Gesamtquantum an Fut- tergetreide bei einzelnen Großlandwirten zurück­bleiben kann, also diese Menge nicht an den Kom­missionär abgeliefert werden braucht. 2. Falls dieser Vorgang größere Schwierig­keiten bereiten sollte, so könnte verfügt werden, daß alljährlich ein größeres Gesamtquantum an Fut­tergetreide(das sind: Gerste, Hafer, Winter­weizen) seitens der Monopolgesellschaft zu einem um etwa 20 bis 30 XL ermäßigten Preis an die bedürftigen Viehzüchter abgegeben wird. Selbst­verständlich müßte auch hier nur derjenige bezugs­berechtigt sein, dem amtlicherseits Bezugsscheine zur Verfügung gestellt werden. 3. Die Erhebung, wieviel Futtergetresde auf den einzelnen Landwirt pro Rind oder Pferd ent­fällt, obliegt der im Punkt 1 erwähnten Fachkom­mission..' . Ai ^f diese Weise wäre eine Koatxosse gegeben und kamen die kleinen Viehzüchter zu billigem Fut­tergetreide. Damit Ware aber auch der schwierigen Lage der kleinen Viehzüchter einigermaßen Rech­nung getragen. Andererseits haben auch die Konsumenten­kreise ein Interesse daran, daß die kleinen Vieh­züchter instand gesetzt werden mit billigen Futter­mitteln, Vieh und tierische Produkte billig zu erzeugen, weil auf diese Weise eine unnötige Ver­teuerung dieser wichtigen Lebensmittel vermieden wird.

Zur Novellierung des Getreidemonopols

Vom Zentralverband der deutschen Klein­bauern und Häusler wird uns geschrieben: Das Getreidemonopol hat eine erhebliche Verteuerung des Futtergetreides nach sich gebracht. Diese hat zur Folge, daß die Viehzucht in den landwirtschaftlichen Kleinbetrieben, die alljährlich Futtermittel zukaufen müssen, schwer geschädigt wird. An der Zeit der guten Wirtschaftskonjunktur konnten die Kleinlandwirte ihre Viehzucht und ihren ganzen landwirtschaftlichen Betrieb dadurch auf^der Höhe halten, daß sie ihren Verdienst aus dem handwerklichen oder Arbeiter-Nebenberufe für die Landwirtschaft, besonders aber zur Erhaltung der Viehzucht auf einer bestimmten Höhe verwen­deten. Nachdem nun nahezu 80 bis 90 Prozent der Kleinlandwirte und Häusler den Nebenberuf infolge der Wirtschaftskrise verloren haben, sind sie gezwungen, ihre Existenz mit den Einnahmen aus der Landwirtschaft zu bestreiten, doch können sie ihren Viehzuchtbetrieb infolge Wegfalles der Nebeneinnahmen aus dem Arbeitsberufe nicht mehr auf der früheren Höhe erhalten. Die Neben­einnahmen dienten zum großen Teile kür den Zu­kauf von Futtermitteln, weil nahezu drei Viertel der Kleinlandwirte bis zu einem Ausmaß von fünf Hektar, besonders in den Gebirgsgegenden, Fut­termittel zukaufen mußten. Diese Futtermütel be­standen zu zwei Dritteln aus Futterkleie und Kleie, zu einem Drittel aus Kraftfuttermitteln(Oel- kuchen). Die allgemeine Verteuerung der Kraft- ,futtermittel und der Wegfall des Nebenverdienstes zwang"dre viehzüchtenden Kleinkindwirbe/sichinün Zukauf von Futtermitteln v o kW i'r g e n d aüf Futtergetreide und Kleie zu be­schränken. Schon dadurch erfuhr die Biehzuckit bei ihnen eine Einschränkung/ Die vorjährige Miß­ernte steigerte denBedarf nach zugekauften Futter­mitteln. Doch konnte dem nicht Rechnung getragen werden, da durch die Einführung des Getreide­monopols auch eine Verteuerung des Futtergetrei­des erfolgte. Viele Kleinbauern und Häusler waren neuerdings gezwungen, ihren Biehstand einzu­schränken, was natürlich ein weiteres Ein« schrumpfen der Existenzbasis dieser Schichten zur Folge hatte und sie in die ärgste Bedrängnis

brachte. Dadurch wurde ein Notzustand in vielen landwirtschaftlichen Gebieten heraufbeschworen, der sich in großer Unzufriedenheitüber die Regierungsmaßnahmen auf a g r a r w i r t s ch a f t l i ch e m Gebiete äußert und sicherlich auch bei den letzten Wahlen in politischer Hinsicht seinen Ausdruck fand. Wenn man in Betracht zieht, daß nach der landwirtschaftlichen Betriebszählung des Statisti­schen Staatsamtes vom Jahre 1930 1,168.205 landwirtschaftliche Betriebe in der Republik sind, mit einem Ausmaß bis zu 5 Hektar, und die ins­gesamt einen Rindviehbestand von 1,453.860 Stück aufweisen wovon in der Größenklasse von zwei bis fünf Hektar 2.4 Rinder durchschnittlich auf einen Betrieb entfallen, bei einer Anzahl von 438.348 Betrieben, so kann man ermessen, wie­viel ärmliche Existenzen hier ihr Leben von der Viehzucht fristen und wie sehr sie durch diese außerordentliche Verteuerung der Futtermittel ge­schädigt wurden. Bor der Einführung des Getreidemonopols war es jedem kleinen Viehzüchter möglich, in sei­nem Wohnorte bei den größeren Landwinen Fut­tergetreide zum ortsüblichen Produzentenpreis ein« zukaufen: Das Monopol beseitigte diesen Zustand, alle Landwirte, die Getreide verkaufen, müssen dies an die Kommissionäre(Lagerhäuser) liefern, und jene kleinen Viehzüchter, die Futtergetreide brauchen und im eigenen Betrieb nicht genug er« zeugen,, müssen cs.vom Kommissionär. entlauf en,, und zwar zu einem übermäßig hohen Preis, der sich nicht nur auS dem allgemein erhöhten Mono­polpreis, sondern auch aus dem Gewinn des Kommissionärs(XL 7. per Meterzentner) den Manipulations -, Einlagerungs- und Transport­spesen zusammensetzt. Es soll hier nicht gegen den Monopolpreis, der ja an sich schon eine erhebliche Verteuerung brachte, Stellung genommen werden, sondern lediglich gegen die vollkommen überflüssige Verteuerung, die dadurch entsteht, daß der kleine Viehzüchter im Dorfe seinen Bedarf an Futter­getreide nicht mehr zu Produzentenpreisen im Orte bet den größeren Landwirten decken kann.

Pioniere des Lebens Mit besonderer Erlaubnis der Bücher­gilde Gutenberg, Wien -Prag -Zürich , bringen wir einen Vorabdruck auS dem soeben erschei­nenden BuchBerge um'unS* von Heinz Scheibenpflug. Von des Tales tiefster Stufe, durch Berg­wald und Mattenflur bi» hinauf zu den letzten übergoldeten Zinnen dex Berge, und in alle Ritzen steigt das Leben und ein wundersames Blühen. Ein reiches Fruchten und Weiterweben finden wir allerorten, auch dort, wo es scheinbar nicht mehr möglich ist und die Gefahren für die Lebewesen ins Unendliche steigen. Ueberall hat das Leben den Kampf ausgenommen und ihn, in stetiger Umfor­mung seiner Form und seines Wesens, in stän­digem An« und Einpassen auch überall zu einem siegreichen Ende geführt. Nun glauben wir den ganzen Weg gegangen zu sein und haben dennoch manches vergessen. Noch müssen wir die Frage nach demwie weit* klären, noch kennen wir die Grenz« nicht, an der mit dem Leben endgültig Schluß sein wird. Gibt es auch an den höchsten Stellen der Alpen noch Leben oder ist dort alles unter Schnee und Eis begraben? Gibt es Wesen, die dem stärksten und wütendsten Winddruck, dem ständigen CiSnadelregen in 4000 Meter und mehr noch gewachsen sind? Es dünkt uns geradezu«in Wunder, zu sehen, daß wir auch nrch ganz droben, ganz hoch km Gratfels und im Firnschutt, am aus­gesetzten Gipfel und am windüberfallenen Steil­hang ein Blühen finden, das sich nicht beugen und nicht hemmen läßt, das jede letzte Ritze besiedelt und immer wieder kommt, wenn e» auch zehnmal zurückgeschlagen wird. Wir fanden dieses Kämpfen schon unten an der Waldgrenze, wo wir die präch­tigen Baumgestalten der Kampfbäume und Wet« terzirben fanden, und wir fanden dieses zähe Rin­gen immer wieder. Wir haben schon weiter vorne gehört, welche Entbehrungen ein hochalpines Ge­wächs zu ertragen hat, wie schwer sein Ringen um har Leben ist. Am AbschnittRote Blumen,

schwarze Tiere und warmer Föhn* haben wir da» Heldenbeispiel der Alpenazalee gezeigt, das ihr schwere» Kämpfen mit wunderbarer Karheit zeigt. Und auch diese Seite des alpinen Leben» macht un» daS Blühen am Berghang so lieb und vertraut, läßt es besonders ausgezeichnet erscheinen vor allem anderen Leben. Freilich ist daS südliche Blühen prangender, ist die Schönheit der Glas­hauspflanzen eine aufdringlichere und die sanften Hänge des Tales sind bunter und reichhaltiger. Aber hier finden wir die Einsamkeit, die wir suchen, wenn unser Pfad bergan gerichtet is', wir finden die Schlichtheit, die uns Erholung vor dem Protzentum der Niederung gewährt, wir finden unS gewissermaßen selbst wieder in diesem Berg­blühen. Wir finden das Leben der Bergsteiger dem Leben der alpinen Pflanzen so ähnlich und gleicher Heldenmut zeichnet beide au», den bergerklimmen« den Menschen und die bodengedrückte, aber doch sonnenleuchtenden Planzen der allerhöchsten Stel­len. Vielleicht vermenschlichen wix zu viel, vielleicht glorifizieren wir nur zu sehr, aber so ist unser Empfinden, so ist unser Fühlen und daraus ent­springt die große Liebe zu den Pflinzen, zum Blühen der Berge. Am rasenden Tempo streicht der Sturm um die Felskanten und die Eisnadeln stäuben auf unter seinem heftigen Peitschen. Schwarz stehen die Schnecwolken hinten am Horizont und das Thermometer im Bergobservatorium fällt unun« terbroch.en. Hier heroben schneit eS nicht bei Null Grad oder weniger darunter, sondern hier wirbelt eS bei enormen Tieftemperaturen haarscharfe, stechende, winzige EiSnadeln durch die Luft. Ganz dicht am Boden rollen und schieben sich Steinchen, vermicht mit dem stäubenden Hartschnee dahin, die FelSober» fläche förmlich polierend. Eng hineingepreßt in die Felsspalte, ganz dicht an die winzigen Uneben­heiten des rauhen Gesteins gedrückt, liegt die Rosette de» rotüberlaufenen Mannsschilde», eine der höchstgehenden Pflanzen der Alpen überhaupt. Sie stellt den TypuS der Pionierpflanze dar, im kargen Boden, in den extremsten klimatischen Ver ­

hältnissen und am weitesten hinauf gehend. Das ist der pflanzliche Vorposten, der nicht nur ange­sichts der Eisfelder, sondern hoch über ihnen steht und das Leben den unwirtlichen Hang hinauf­schiebt, immer ein Stückchen weiter, um Milli­meter kämpfend und, stets wieder zurückgeworfen, doch nicht aufgebcnd. Man hat den Alpenmanns­schild, eine Pflanze, die zu den Primelgewächsen gehört und den schönsten Typus der Polsterblumen darstellt, noch in der enormen Höhe von 4043 Metern angetroffen und er gehört daher zu den neun Pionieren, zu den neun Pflanzen, die am allerhöchsten steigen. Die Steinbrech« spielen hier eine große Rolle, vor allem natürlich ganz klein bleibende Arten, die vorwiegend weißblühend sind. -So geht der Moossteinbrech(Bild 49) auf der Schulter des Matterhorns bis 4200 Meter. ES wird in diesem Höhenrekord deS Blühens nur noch vom Gletscherhahnenfuß übertroffen, dessen in dieser Höh« vollends rot gefärbten Blumenbüschel zwischen Eisflecken und Abstürzen in der Höhe von 4270 Meter angetroffen wurden und die auf den höchsten Stellen deS Wege» zum Matterhorn sowie am Gornergrat, auf den Hochzinnen der Monte« Rosa-Gruppe und auf anderen Hochmassiven der höchsten Alpengebiete eine häufige Erscheinung sind(Bild 50). Aber auch ganz winzige Formen der kleinsten alpinen Teufelskralle, ein winzige» dunkelblaues Blümchen inmitten angedeuteter Blättchen, dann der Moschus- und der flach­blättrige Steinbrech gehen bis 4000 Meter hoch. Hieher gelangt dann auch die schwarze Schaf­garbe, derschwarze Speik* der biederen Aelpler, hier allerdings nurmehr ein schwacher Abglanz einer weiter unten recht stattlichen weißblühenden Pflanze. Bis 4200 Meter gehen dann schließlich ein anderer Steinbrech und ein Enzian, damit auch dieses echt alpine Geschlecht vertreten sei auf den höchsten Zinnen. Es ist der kurzblättrige Enzian, und von einem blauen Prangen und satten Leuch­ten ist allerdings nicht viel zu sehen, wenn er seine winzigen, nur knapp einen Zentimeter großen Blüten in die Felsfugen preßt, aber er ist da, blüht, fruchtet und zeigt sich als Sieger über alle Gefahren und Widrigkeiten.

Das ist der Alpen höchstes Blühen. Es wun­dert uns nicht zu hören, daß in den asiatischen Ge­birgen, daß auf dem alpin-vulkanischen Riesenleib des Kilimandjaro die Planzen höher steigen und weiter hinauf gelangen. Sie haben doch der höhe­ren Temperatur wegen 1000 MeterVorgabe"- um die auch der Wald, das Krummholz und die Matten, wohl anders aussehend, aber doch gleichen Bedingungen entsprechend wie unser alpinen, höher steigen können. Die Verschiebung nach oben erklärt sich aus derAnfangstemperatur, die allen südlicher gelegenen Gebirgen natürlich auch noch weiter oben ein reicheres Leben sichert. Und so finden wir denn im Himalaja die Zone der Pioniere erst wei­ter oben. An der Höhe über 5000 Meter beginnen wir die höchsten Pflanzen der Welt zu suchen, die, wie es sich demDach der Welt" und der nahen Göttinnenmutter", dem heiligen und noch immer unerstiegenen Berg geziemt, hier gedeihen müssen. Und wir sind wieder erstaunt, noch höher steigen zu müssen, als wir selbst hier vermutet hätten. Nicht bei 5000 Meter, erst viel weiter oben ist das Blühen zu Ende, hebt sich die letzte Blume dem Himmel zu, der zwar noch immer fast gleich weit im Unendlichen, aber doch um eine Spur näher ist als auf unseren heimischen Bergen l Hier blüht eine unscheinbare lleine Korbblüte, die aber, die» klingt besonders interessant, dem Edelweiß nahe verwandt ist, die Saussurea. Sie hat ihren Namen zu Ehren de» Schweizer Naturforschers Theodore Saussure erhalten, der sich im 18. Aahrhundert große Verdienste um die Erforschung der Pfanzen und ihres Lebens erwarb. Er hat daS höchst­gelegene und das ehrendste Denkmal der Welt er­halten, eine Pflanze darf ganz oben, in Höhen, über die nur die Adler sich in schwingendem Schweben erheben und deS Menschen siegeSbrül- lende Flugzeuge steigen, seinen Namen tragen. Auf 5800 Meter geht die Sauffurea in Tibet , auf 6088 Meter in den Bergen OstturkestanS! Letztes Forschen fand im Himalaja eine noch höher gehende Pflanze, ein winziges Nelkengewächs, die Arenaria mosciformiS, noch in 6200 Meter Höhei