15. Zahrgaug Freitag, 19. Juli 1935 Nr. 166 Kriegserklärung Görings an den katholischen Klerus Gott darf gegen die NSDAP nicht angerufen werden 911! I n. 3n feinet Eigenschaft als preußischer Ministerpräsident und Chef der Geheimen Staatspolizei wendet sich General Göringin eine« Erlaß gegen die«ablehnende Haltung gewisser Streife des katholischen Klerus gegen den Nationalfazialismus und seine Einrichtungen" und kündigt an, daß er die Staatsbehörden angewiesen hat, mitallenMitteln gegen jene Mitglieder des Klerus vorzugehen, welche die„ Autorität ihrer geistlichen Stellung zu politischen Zwecken nrißgrauchen". In dem Erlaß heißt es n. a.» der nationalsozialistische Staat gewährleiste die Unversehrtheit der katholischen Kirche . Damit entfalle für die Kirche jede Beranlassmrg, über das Gebiet religiöser Betätigung hinaus politischen Einfluß anzustreben.«Sie darf daher weder Gott anrufen »egen diesen Staat, noch darf sie eigene politische KrSfte unter der Begründung organisieren, sie müsse ihr vom Staate drohende Gefahren abwehren." Dar Erlaß wendet sich sodann gegen die katholischen Jugendverbände und droht ihnen mit der Auflösung. Dieser Erlaß, der eine augenscheinliche Kriegserklärung an den katholischen KleruS darstellt, der den nationalsozialistischen Staat ablehnt, wird als Ablehnung der Note beurteilt, welche der Vatikan vor zwei Togen Deutschland als Protest»egen die Verletzung des unlängst vereinbarten Konkordats übersendet hat. Der Ministerpräsident verlangt von den ihm Unterstellteu Polizeibehörden, daß sie«die ganze Härte der bestehenden Be- stimmuugen" gegenüber der widerspenstigen katholischen Geistlichkeit in Anwendung bringen. An Berhastungen und Berurteilnngen von katho- fischen Priestern hat es in letzter Zeit keineswegs gefehlt, nunmehr aber sollen die Persekutionen planmäßig auf Grund zentraler Anweisung erfolgen. Bon den katholischen Religionslehrern soll gefordert werden, daß sie sich p o s i t i» für den nationalsozialistischen Staat einsetzen.. Es wird festgestellt, daß sich große de» »onstrative Prozessionen und Kirchen feste häufen und daß«an sich dabei «einer in der Bergangenheit noch nie dagewesenen Aufmachung und Werbung für diese Beraustal- t an gen bedient." Das Material, über das der Ministerpräsident verfüge,»ermittle den Eindruck, daß die politische Agitation unter der katholischen Bevölkerung ernsthafte, B er Wirrung anrichten könnte, wenn nicht für die entsprechende Gegenwirkung gesorgt wird. Besonders tadelnd wird konstatiert, daß von den Klerikern die Abkürzungen HA(Hitler-Nagend) auf Herz-Jesu und BdM (Bund deutscher Mädchen) auf Bund der Marienmidchen ange- wendet wird. Die Gläubigen würden auch zu Ausrufen wie„NnserhimmlischerFüh- ttt Jesus Christus treu Heil!" verleitet. Mit aller Deutlichkeit wird ausgesprochen, daß den katholischen Jugendver- bänden das letzte Stündlein geschlagen hat. Mir den Bereich ganz Preußens wird den katho- „Lieber sterben als die Freiheit verlieren“ Der Negus vor dem Parlament Ein Italienisches Protektorat abgelehnt Addis Abeba . Rach einer Parade der kaiserlichen Garde hielt der Kaiser seine angekündigte Rede im Parlament, das von einer ungeheuren Menschenmenge umlagert war. Der Kaiser beschuldigte Italien » daß es trotz ständiger Beteuerung seiner Friedensliebe seine Rüstungen fortsetze, nm Steffi« nienzuerobern. Mussolini habe alle Friedensangebote zurückgewiesen, und Abessinien der Barbarei und der Sklaverei beschuldigt. Die Sklaverei habe effektiv aufgehört. Run stehe der Krieg vor der Tür. Wir haben, sagte der Kaiser, alles getan, um den Frieden zu bewahren. Nm aber die Ehre der Ration zu wahren, lehnen wir den Borschlag eines italienisch en Protektorates ab»' Abessinien wird bis zum letzten Mann für die Unabhängigkeit seines Landes kämpfen. Der Kaiser werde mit seinem Bolk in der Schlacht kämpfen und lieber sterben als die Freiheit verlieren. Die Rede schloß mit einem Aufruf an da- Bolk, über alle Standes-, Klassen- und Religions- unterschiede hinweg zusammenzuhalten und zu sterben für Abessiniens Freiheit. Vor der Ratstagung Genf. (Reuter.) Die Regierungen Groß- Britanniens, Frankreichs und der übrigen Staaten, die Mitglieder des Völkerbundes sind, wurden telegraphisch ersucht, sich' auf eine Sonder- sitzung.des Rate s, die zwischen dem 25. Juli und dem 4. August zu B er Handlungen des italienisch-abessinischen Konfliktes einberufen werden soll, vorzubereiten. Italien stellt sich, wie es heißt, gegen die Einberufung einer französisch* englisch -italienischen Vorkonferenz, solange nicht der Boden vorher durch diplomatische Besprechungen geebnet ist. Die französische Presse konstatiert eine neue anti-italienische Wendung der britischen Politik, welche nunmehr darauf bestehe, daß die abessinische Frage im Völkerbundrat beigelegt werde. Territoriale Zugeständnisse angeboten London.„Times" veröffentlichen ein Interview ihres Korrespondenten in Addis Abeba mit dem Kaiser von Aethopien, der sich u. a. über die Möglichkeit territorialer Zugeständnisse dahin äußerte, daß nur ein Austausch von Gebieten in Frage komme. Wenn das Angebot bezüglich des Hafens von Zeila noch fortbestehe, dann sei Aethopien zu einer Kompensation an Italien bereit. Unbedingt lehne es Abessinien ab, eine der nördlichen Provinzen abzutreten. ES könne sich nur um einen Teil von O g a d e n an der Grenze von Italie nisch-Somaliland handeln, allerdings unter der Voraussetzung, daß das Angebot auf Abtretung des Hafens von Zeila aufrechterhalten bleibe. — aber von Italien abgelehnt Zu dieser Erklärung des abessinischen Kaisers wird aus Rom aus gutinformierten Stellen mitgeteilt: Italien hat, was den Vorschlag betrifft, daß eS die Provinz Ogaden besetze, bereits sehr deutlich seine Meinung geäußert, u. zw. als Minister Eden anläßlich seines römischen Besuches das bri- tische Angebot gestellt hat. Es wird wiederholt. Irschen Jugendlichen das Trugen von Uniformen und jede sportliche Betätigung außerhalb der nationalsozialistischen Verbände u n tersa gt. Wenn in Preußen nicht eine totale Umorientierung der katholischen Jugendverbände eintritt, so haben diese Organisationen nach Görings Intentionen gänzlich verboten zu werden. Die Hitlerjugend hingegen ist durch die staatlichen Behörden noch mehr alS bisher zu unterstützen. Da die Göring unterstellte Geheime Staats polizei ihre Tätigkeft über ganz Deutschland erstreckt, wird analog den preußischen Anweisnngen in ganz Deutschland verfahren werden. In deutschen katholischen Kreisen ist man, wie die„Prag « Presse" beldet, der Auffassung, daß angesichts der neugeschaffenen Beunruhigung ein baldiges Eingreifen des Batik a n s, wo man schon lange eine Rote üb« die SonkordatSverlebungen vorbereitet, unvermeidlich ist. Kerrl wird Kultusminister Berlin . Im Reichsgesetzblatt wird folgend« Erlaß veröffentlicht: Auf den Roichsmi- nister ohne Geschäftsbereich Kerrl gehen die bish« in, Reichs- und preußischen Ministerium deS Innern sowie im Reichs- und preußischen Ministerium für Wiffonschast, Erziehung und Volksbildung bearbeiteten kirchlichen Angelegenheiten üb«. Wegen d« Ausführung dieses Erlasses treffen die beteiligten Reichs, und preußischen Minister nähere Bestimmungen. daß sich Italien absolut nicht danach sehne, seine Kolonien um Wüstengebiete zu erweitern. Die erwähnte Eisenbahn wäre für Italien von keinerlei Nutzen, wenn damit nicht die Möglichkeit der militärischen Okkupation verbunden wäre, die zur Sicherung der Strecke notwendig sei. In einem Interview mit dem Vertreter des ägyptischen Blattes»Al A hr am" erklärte der Kaiser von Abessinien, er würde es nicht als freundschaftliche Geste ansehen» wenn Aegypten den italienischen Militärfliegern die Ueberflie» gung des ägyptischen Territoriums gestatten würde. Der Kaiser konstatierte, daß es den Italienern nicht gelungen sei, Zwietracht zwischen die christliche und die mohammedanische Bevölkerung Abessiniens zu säen. Er dementierte auch die Meldungen, die von Differenzen zwischen den abessinischen Befehlshabern wissen wollen. England läßt doch Waffen nach Abessinien? London . Nach einer Reuter-Meldung hat Groß-Britannien kein Embargo auf die Waffenausfuhr nach Abessinien beschlossen. Zwei Gesuche um Ausfuhrbewilligung, die soeben durchberaten werden, dürften wahrscheinlich g ü n st i g erledigt werden. Höherer Sold Der italienische Regierungschef hat den Sold der italienischen Truppen in Ostafrika erhöht. In Zukunft erhalten Soldaten und Schwarzhemden in Eritrea drei Lire. Für Somaliland find die täglichen Besoldungen noch um eine Lire höher. Beitritt Abessiniens zum Roten Kreuz? Bern . Die abessinische Regierung sprach sich dahin aus, daß sie sich gerne der internationalen Konvention des Roten Kreuzes vom Jahre 1929 betreffend die Besserung des Schicksals der verwundeten und kranken Soldaten im Felde anschließen würde. Ucker den Beitritt Abessiniens wird noch verhandelt. Kampf der Kreuze «Das deutsche Volk steht geschloffen' hinter dem Führer", Täglich kanu man's in den offiziell len Parteizeitungen der DNSAP lesen, jede Nachricht über Unzufriedenheit mit dem totalitären Regime wird als böswillige Erfindung angeprangert. In diese„einheitliche Bolksbegeisterung" für die Naziherrschaft platzt nun mit einemmal eich Erlaß des Herrn Göring hinein, der— fern von dem Verdacht ein Greuelmärchen" zu sein—- sehr auffchlußreiche Auskunft über wachsende W i- derstandskräfte gegen das Regime gibt. In diesem Erlaß, der sich gegen die sogenannte Kirchenopposition richtet, wird ausdrücklich auf die wachsende Opposition kirchlicher Kreise gegen das Regime hingewiesen und den Behörden befohlen,«mit allen gesetzlichen Mitteln gegen solche Mitglieder des Klerus vorzugehen, die die Autorität ihrer geistlichen Stellung zu politischen Zwecken mißbrauchen." Wörtlich wird zu- gegcken, daß es soweit gekommen sei»„daß gläu«' bige Katholiken als einzigen Eindruck aus dem Besuch des Gottesdienstes mitnehmen/ daß die katholische Kirche Einrichtungen des nationalsozialistischen Staates ablehnt, weil in den Predigten fortgesetzt auf polittsche Fragen und Tagesereignisse in polemischer Weise angespielt wird.„ftn manchen Landesteilen", heißt es in dem Erlaß weiter,„vergeht fast kein Sonntag, an dem nicht die religiöse Ergriffenheit des Gottesdienstes zue Vorlesung sogenannter Kanzelerklärungen über rein polittsche Dinge mißbraucht wird." Schließlich wird erklärt, daß die katholischen Iugendver- bände immer intensiver gegen das Regime politisiert werden und die Auflösung dieser Ber « bände angedroht. Der Erlaß ist ein sehr bedeutsames, aber gewiß nicht das einzige Kennzeichen, der zunehmenden Widerstände gegen das Regime. Seit Wochen ist der Kampf des Hakenkreuzes gegen das Christuskreuz , den manche schon für tot geglaubt hatten, wieder in ein akutes Stadium getreten. Hunderte Verhaftungen katholischer und protestantischer. Geistlicher, die mißlungene Verhaftung des Münsterer Bischofs ElemenSAugust, die Protestnote des Vatikans reimen sich sehr schlecht auf die angebliche ungetrübte Bolksbegeisterung für Hüler. Daß das Regime diesen Kampf gerade jetzt mit solch bemerkenswerter Schärfe aufnimmt, obwohl es doch wegen seiner diplomatt« scheu und finanziellen Bittgänge ins Ausland eher daran interessiert wäre, diese Dinge zu vertuschen, ist gewiß kein Zufall. Man gewinnt den Eindruck, daß die gespannte» kriegsschwangere außenpolitische Lage Hitler zu einer'„Expreß- totalisierung" um jeden Pr eis treibt, deren Tempo und Ausmaß alles das, was man fett der Machtergreifung im Dritten Reich erlebt hat, übersteigt. So wie in demokvatsschen Staaten, in kritischen außenpolittschen Zeiten, das Bedürfnis nach möglichst breiten Konzentrationskabinetten entsteht, so drängt der FaseiSmuS in der gleichen Lage nach erhöhter Totalität. Der scharfe Wind der P o g r o m h e tz e, der neuerlich wieder weht, die unwidersprochenen Gerüchte über Streichers Berufung in das Berliner Pofi- zeipräsidium, der Kampf gegen die Kirchen- opposition stehen alle auf gleicher Linie in diesem Totalisierungsprogramm. Die Organisationen und Parteien der Ackeiter sind längst offiziell aufgelöst und in der Illegalität untergetaucht. An der Jllegalttät aber gibt es nichts zu totalisie- ren. Der Kampf gegen sie wird mit den„üblichen" Terrormitteln geführt, was nichts daran ändert, daß diese wirksamste Opposition von Jahr zu Jahr an Stärke und Kampfbewußtsein zunimmt. Aber die Physische Existenz von Juden, das organisatorische Dasein von christlichen Kirchen ist offiziell noch nicht veckoten. Hier bietet sich ein Feld für gesteigerte Totalitätsansprüche und auf diesem Feld spielt sich der neue Kampf vor allem sichtbar ab. Freilich weiß auch Herr Göring , der Ches der Gestapo , sehr gut, daß es zu den soziologischen Gesetzlichketten des Faseismus gehört, daß die Grenzen Mischen legaler und illegaler Op« Position verschwimmen. Wenn die Berichte auk Westdeutschland und Bayern von überfüllten. Kirchen und nie dagewesener Beteiligung an kirchlichen Umzügen sprechen, dann ist das gewiß nicht darauf zursickzuführen, daß etwa Plötzlich eine Welle der Frömmigkeit das deutsche Volk erfaßt hätte. Weite Schichten der Bevölkerung, die von Erbitterung und Haß gegen daö Regime erfüllt sind, ergreifen eben jede sich die»
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15 (19.7.1935) 166
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