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Samstag. 20. Juli 1935
Nr. 167
In drei Wochen zweimal abgebrannt Nächtlicher Blitzschlag und Brand in Chinitz-Tettau Eine vom Schicksal verfolgte Holzhauerfamilie
Ein kopfloses Dementi
zu Goebbels  'schwedischem Film" Herr Goebbels scheint von dem Pfeif-Erfolg seines schvedisch getarnten FilinsPetterson und Bendel" und dem schlechten Eindruck, den die Kurfürstendamm  -Ärawalle nicht nur im Aus­lande gemacht haben, völlig aus der Fassung ge­bracht worden zu sein. Seine Behauptung, die S.A. habe sich an den Krawallen nicht beteiligt, ist unmittelbar nach ihrer Verlautbarung durch die Disziplinar-Appelle der Berliner SA.-Lcitung selbst widerlegt worden. Aber noch verunglückter ist das zweite Dementi, das.er jetzt auf dem Wege über das Deutsche Nachrichtenbüro in die Welt geschickt hat. um seine Urheberschaft an dem aus- gcpfiffenen aniiseniitischen Hetzfilm zu bestreiten. Er will in diesem Dementi die Behauptung auf- rechterhaltrn, das; es sich um die deutsche Fassung eines echten schtvedischen Films gehandelt habe, und er beruft sich zu diesem Zweck auf das Zeug­nis eines sckitvedischen Filmdirektors Svenson, der erklärt haHn soll, er verstehe die Entrüstung der deutschen   Juden nicht, denn der FilmPet­terson und Bendel" sei erstens schon fünf Jahre alt und zweitens garnicht antisemitisch. Dieser Dcmentiversuch ist so kopflos, das; er sich tatsäch­lich nur mit äußerster Verlegenheit seines Urhe-! bers erklären läßt. Denn wenn man wirklich vor fünf Jahren in Schweden  , als es dort noch gar keine Tonfilmateliers und in Deutschland   noch keine Hitler  -Regierung gab, einen nicht antise­mitischen FilmPetterson und Bendel" gedreht hat, dann beweist das doch nur, daß die jetzt in Goebbels  ' Auftrag hergcstellte deutsche Fassung (deren antisemitischer Eharakter ja von der Goebbels  - und Streicher-Presse selbst betont wurde) eine Fälschung sein mutz. Um so er­heiternder ist wieder der Diensteifer derB o h e- m i a", die als einziges Prager   Blatt das Goeb­bels-Dementi kommentarlos ihren Lesern vorge­setzt hat. Zwei Glas Bier Amerikanisches Lustspiel Plymouth  (Massachusetts  ). Einer der er- sten Repräsentanten der hiesigen A h- stinenzlerbelvegung, M. Tripp, wurde zu einer Geldstrafe von 50 Dollar verurteilt, weil er in berauschtem Zustand ein Auto gelenkt hatte. Tripp gab zu, vor dem Bestei­gen des Wagens zwei Glas Bier genossen, zu haben.
Spiel mit Streichhölzern Moskau  . Wie aus Minsk   gemeldet wird, wurde das weißrussische Kollektivdors Sabolatjo durch ein verheerendes Schadenfeuer zerstört. Infolge des starken Windes griff der Brand auch auf die ersten Häuser einer b e n ach- bar t e n Kollektivwirtschaft über und zerstörte auch diese fast vollständig. Die Untersuchung der Brandürsache ergab, daß zwei fünfjährige Kinder, die ohne Aussicht waren, mit Streichhöl­zern gespielt hatten. Ohne Kommentar. Das Statistische Reichs­amt berichtet über Verurteilungen und Bestra­fungen durch deutsche Gerichte im Zeitraum vom 30. Duni 1933 bis zum 1. Juli 1934. Laut die­ser Statistik wurden im Laufe des Berichtsjah­resauf der Fluchterschossen" 184 Personen, sterilisiert 12.863 Personen,
R e h V e r g.(Eigenbericht.) In der Nacht von DienStag auf Mittwoch ging über den Mader- winkel ein schweres Gewitter nieder, welches in der Ortschaft Chinitz-Tettau ein neues Brandunglück hervorrief. Der Blitz schlug in das »euerbaute Blockhaus des Holzhauers Pickl sen., das sofort lichterloh in Flammen aufging. Bei Pickl wohnte sein Sohn Emmerich und besten junge hochschwangere Frau» deren kleines Anwesen vor dreiWochen ebenfalls ein Raub der Flammen wurde. Pickl jun. wurde von dem Donnerschlag betäubt und mußte bewußtlos aus dem brennen­den Hause gerettet werden. Der Blitz selbst tötete im Stalle eine Kuh, während ein daneben ange­bundenes Kälblein unversehrt blieb. Der Einschlag wurde ans der Nachbarschaft beobachtet, weshalb ! die Chinitzer Feuerwehr in wenigen Minuten zur Stelle war. Infolge Waffcrmangels das Haus steht einsam im Walde hatten die Löscharbeiten
ausgebürgert 13.121 und in Konzentra­tionslager eingeliefert 49.102 Personen. TL die meisten Einlieferungen in Konzentra­tionslager vor den: 30. Juni 1933 erfolgten, ist die letzte Zahl ganz ungenau. Sie ist uni ein Mehrfaches übertroffen lvorden. Tschechoslowakische Republik und Sowjet- Union  . Wie unser tschechisches Bruderblatt in Brünn  , dieN o v a D o b a", mitteilt, sind, zum Zeichen der Freundschaft der Sowjetunion   mit der Tschechoslowakischen Republik aus dem Museum der'bolschewistischen Revolution in Moskau   jene Erinnerungen, die sich mit den Kämpfen zwischen derRotenArmee und den tschechoslowakifchen Legionären befassen, entfernt worden. Exminister Haußmann gestorben. Gestern starb im Sanatorium Sanopz in Prag   JllDr. Jiri Haußmann, Präsident des Obergerichtes in Prag   und ehemaliger Minister. Dr. Hauß­mann, der 1868 in Prag   geboren wurde, trat im Jahre 1890 beim Landesgericht in Prag   die Ge­richtspraxis an, Vier Jahre später wurde er an das Owerlandesgericht berufen, bei welchem er fast seine ganze Dienstzeit vom Auskultanten bis zum Präsidenten verbrachte. Im Jahre 1918 wurde Dr. Hmißmann mit der Organisierung des Ge­richtswesens in der Slowakei   betraut, welche Auf­gabe er in den nächsten beiden Jahren aüsführte. Im Jahre 1926 war Dr. Haußmann in der Beamtenregicrung Eernh Justizminister und war mit der Leitung des Ministeriums für Verpfle­gung berraut. Präsident des Oberlandesgerichtes war er seit I9ßl. Soldatenselbstmord. Das Preste-Referat der 2. Division teilt mit: Am 18. Juli um 12 Uhr mittags brachte sich der Soldat Jan Majerskh- Sädeckh vom 2. Feldbataillon des 35, Infan­terie-Regimentes in Kralovice   in selbstmörderi­scher Absicht eine Schutzverletzung bei. Er durch­schoß sich den Brustkorb. Nach der ersten Hilfe­leistung wurde er mit dem Automobil in das Di­visionskrankenhaus nach Pilsen   überführt, wo er trotz ärztlicher Fürsorge um 20 Uhr 15 Min. seiner Verletzung erlag. Tie Ursache des Selbst­mordes wird amtlich untersucht. Eine Illusion, solange es Fasrismns gibt, muß wohl im Wesentlichen das bleiben, was fol­gender Meldung aus Genf   zugrundeliegt: Die Internationale Kommistion für geistige Zusam­menarbeit prüft bei ihrer gegentvärtigen Tagung die Frage einer Re Vision der Schul­bücher/ insbesondere der Geschichtsbücher. Auf Anregung Emile Borels, Mitgliedes des Institut
nur geringen Erfolg. Die Pickl hatten am Bor­tage die Heuernte beendet und sie wurde ein Raub der Flammen bis auf eine einzige Fuhre, die noch nicht abgrladen war und mit dem Wagen aus dem Schuppen gezogen wer­den konnte. Bon dem Hausrate verbrannte der größte Teil dessen, was die j u n g e n L e«t e d r e i Wochen zuvor aus ihrem brennenden Hause gerettet hatten. Auch ein Fahrrad, das tri der ersten Feuersbrunst noch mit Feuerhaken den Flammen entriffen wer­den konnte, ist ihnen diesmal zum Opfer gefallen. Die zweimal nacheinander vom Brandunglück ver­folgten Eheleute Pickl haben alles bis auf dir All­tagskleider verloren.
Francais  , hat die Kommission den Vorentwurf eines bilateralen Abkommenszur Beseitigung oder wenigstens Milderung der Differenzen, die bei der Darlegung historischer Ereignisie in den Schulbüchern entstehen können" ausgearbeitet. Bei der Debatte wurde die Ansicht ausgesprochen, daß statt eines bilateralen Abkommensentwurfes eine bloße Erklärung annehmbar wäre, welche folgende Grundsätze enthalten soll: 1. ein möglichst großer Teil des Studiums soll der Geschichte der auslän­dischen Staaten gewidmet sein; 2. aus den Ge­schichtsbüchern soll jede feindselige Beurteilung ftemder Nationen eliminiert werden; 3. im Ge­schichtsunterricht sind vor allem solche Tatsachen hervorzuheben, die geeignet sind, das gute Einver­nehmen upd die Zusammenarbeit unter den Völ­kern zu fördern. Es Ivurde festgestellt, daß insbe­sondere Frankreich   und Deutschland  einer gegenseitigen Revision ihrer Schulbücher zu- gestinkmt haben. Die Kommistion fiir geistige Zu- fammenarbeit behandelte auch die Frage dokumen­tarischer und pädagogisch informativer Zentren. Zu den 33 bereits bestehenden derartigen Zentren sind fünf weitere hinzugekommen. Auch das Pro­blem der Arbeitslosigkeit der intellektuellen Jugend wurde in Beratung gezogen. Fascismus in allen Preislagen! Wie tsche­chische Blätter mitteilen, offeriert das Pardubitzer  Sekretariat der Fascistengemeinde schwarze Hemden je nach der finanziellen Lage, und zwar in P o p e l i n e zu 25, in Sa- t i n zu 35 und in S e i d e zu 65 XL. In wenigen Monaten hat sich die neue JugendzeitschriftDas junge Voll" guten Ruf verschafft. Wodurch das gelungen ist? Da­durch, daß diese Zeitschrift Leben und Leiden, All­tag und den viel selteneren Festtag der Jugend, vor allem der arbeitenden Jugend, spie­gelt, daß in ihr oft junge Menschen zu jungen Menschen sprechen, und daß sie dem Leser außer­dem in knapper Form mit den wichtigsten Ereig- nisten im Lande und den bedeutendsten weltpoli­tischen Geschehnissen bekannt macht. Und außerdem sprechen immer wieder Dichter, die für die Jugend Bedeutung haben/ zu ihr. Man kann sich von Heft zu Heft der schönen Entwicklung dieser Zeitschrift freuen. Im Juli-Heft berichtet der LeitaufsatzDie Jugend verschafft sich Gehör" von den Hilfsmaß­nahmen für die Jugend, die in der vom Minister­präsidenten Malypetr abgegebenen Regierungser­klärung angekündigt wurden, und von der Unter­schriftensammlung, die, eingeleitet von der Sozia­listischen Jugend-Internationale, dem Büro der Internationalen Arbeitskonfcrenz überreicht
s wurde. Joseph Luitpold Sterns hier wiederabgc- druckter AufsatzM a r x und die Kinder" zeigt nicht nur den großen Gelehrten als Freund sei­ner Kinder, sondern als den großen Freund alle' Kinder, der in seinen Schriften so wuchtige Anklag gegen die Ausbeutung der Kinder erhoben und der' Arbeiterklasse den Weg zur Befreiung der Kinder geloiescn hat. EinBrief aus dem Reich" berichtet von der durch die Gleichschaltungs-Terrorflut in die Jllegalstät gedrängten Arbeiterjugend, Wolf: Harten erzählt in der GeschichteEcke Hongkong-: Road" die Geschichte eines Shanghaier Kulis, dci Blick in die Welt" zeigt die großen Ereigniffe d.u Zeit. Ein Jungsozialist erzählt festelnd vom Ar/ beits- und Schulungslager in Hirschberg am Sce| Martin Grill läßt in der SkizzeWovon lebt dr/ Mensch?" die seltsamen Wege ahnen, auf denen dir Arbeitslosen unferer Tage doch ein paar Heller) verdienen, Arthur Krämer berichtet über den Dict  -f ter Schalom Asch  , Altmeister Gottfried Keller  spricht durch den Mund des alten Hediger aus dem Fähnlein der sieben Auftechtrn" besonders heute beachtliche Worte der Mahnung an den Redner. Ein Jungbuchdrucker und eine junge Arbeiterin berichten von Schicksalen junger Proletarier, Ge-. dichte von Grill, Theodor Storm   und Bert Brecht  - und Bilder von Slama, Masereel   und Georg j Trapp ergänzen den Inhalt, geben ihm besonders^ Nuancen. Nicht nur dem jungen Menschen ist DaS junge Volk" zu empfehlen! Auch jenen Er-f wachsenen, die mit der Juoend mitleben wollen! (Bestellungen an die Vertvaltung desJungen Volk", Prag   VII, Föchova 62.) Schonzeit für Wild  . Mit Erlaß des Lant) despräsidenten wurden die Schonzeiten für Wild für 1935 folgendermaße geregelt: 1. Die Schonzeit der Rehböcke beginnt am 1. Oktober 1935 und endet am 15. Mai 1936. 2. Die heurigen Rehkitzen, Gemsbock, Mufflonwidder. .Haselhuhn untz Wachtel   werden durch das ganze Jahr 1935 geschont. 3. Die Schonzeit der Reb­hühner endet am 14. August um 24 Uhr und be­ginnt wieder am 16. November. 4. Die Schon­zeit der Wildenten endet am 15. Juli um 24 Uhr und beginnt wieder am 1. Jänner 1936. lieber- trctüngen dieser Verordnung werden nach der Bc- stimmnng des§ 10 Gesetzes vom 25. Juni 1929, Slg. d. G. u. B. Nr. 98, geahndet. Mazocha-Rvise. Für die vom 27. bis 29. Juli stattsindcnde Mazocha-Reise werden Meldungen ausnahmsweise bis Mittwoch, den 24. Juli, in der Geschäftsstelle des TouristenvereinesDie Natur­freunde", Aussig  , Marktplatz 11, entgegenge­nommen. Dort erhält man auch kostenlose Prospekte für die übrigen Mazocha-Reisen, welch« vom 10. bis 12. August und vom 81. August bis 2. Scp- tcmber stattfinden. Die Reisekosten betragen 238 Kd, es sind darin einbezogen: Bahnfahrten(Schnell- züge), Verbindungsfahrten zwischen den einzelnen Höhlen per Auto, Skächtigungen, Abendeffen, Mit­tagstisch, Frühstück, Einlaßkarten, Führer, Unfall-' Versicherung, Trinkgelder und Reiseausweis. Ohne Bahnfahrt, jedoch mit Verbindungsfahrten per Auto betragen die Reisekosten KL 110.
Ziehung der Klassenlotterie (Ohne Gewähr.) Prag  . Bei der Freitag-Ziehung der II. Klaste der 33. tschechoslowakischen Klastenlotterie wurden nachfolgende Lose gezogen: 20.000 KC die Lose Nr. 3696. 8080, 40669 10.000 K£ die Lose Nr. 45283, 59174, 93828. 2921 5000 Ke die Lose Nr. 51269, 43580, 45021. 2895, 8528, 27054, 46335 2000 die Lose Nr. 29009, 70012, 46003, 98543, 84259. 31439, 39420, 90790, 96815, 3933, 36838, 57793.
Sttatzen in Moskau  Menschen drängen, hasten, laufen, lieber die Neglinnaja, die Petrolvka, den Teatralni Plosch- tschad, den Kusujetzki Most. Sie sprechen wenig, bleiben nur vor denHalt" leuchtenden Verkehrs­ampeln stehen, lächeln manchmal und rauchen fast immer. Die Moskauer   Frauen, Männer und Ju­gendlichen verbrauchen täglich 25 Millionen Zi­garetten. Und der Bedarf ist im Ansteigen. Die Stummeln, die langen Pappemundstücke werfen sie in die etwa dreiviertel Meter hohen, dunkel­grünen Abfallkübel, die in der ganzen Stadt fechs bis zehn Schritte voneinander entfernt aufgcstellt sind. Die Straße ist so sauber, daß man sie eigentlich niemals zu kehren brauchte. Aber spritzen muß man sie. Und das ist noch sehr schwierig. Meistens gehen Männer mit lan­gen Gartenschläuchen umher und schließen diese Schläuche an jeden Wasierhahn, den sie entdek- ken. Dann verwandeln sie den Weg buchstäblich in einen Fluß oder gar in einen kleinen, reißenden Strom: Und leider gibt es in Moskau   viele Was­serhähne! Aber schon rasen über den Roten Platz und die anderen so großen Plätze und breiten Straßen einige nach amerikanischem Muster er­baute Spritzwagen und bald werden so viele kein, daß sie in der ganzen Stadt arbeiten werden. Und diese Spritzwagen und Gartenschläuche siud nur ein kleines Beispiel unter vielen. Das Veraltete und das Vorbildliche, das Rückständige und das Uebermoderne findet sich in Moskau   dicht neben­einander. Hier gehen noch Turkmenen und Usbeken, Jakuten und Kirgisen in ihren langen, bunten
Gewändern oder ihren dicken, schweren Pelzmän­teln und Mützen. Dort beginnt eine völlig neue Mode mit einfachen, geraden Linien, ganz auf das Praktisch? gerichtet. Hier stehen noch ärmlich gekleidete Bäuerinnen und bieten Aepfel oder Zi­tronen feil:Schöne, gute. 50 Kopeken das Stück! Kaufen Sie, Bürger! Nehmen Sie, Bür­gerin!" Und dort kommt eine Gruppe von Bau­arbeiterinnen oder schon Architektinnen?!' in Monteursanzügen und in hohen Stiefeln. Hier haben Blumenhändler ihre duftenden Waren aus­gebreitet; in einem Monat wird vielleicht an der gleichen Stelle ein Palmenhaus errichtet sein. Hier in der Grocholskij gibt es noch kleine, schlechte Holzhütten; in einem Jahr werden sich vielleicht gerade auf diesem Platz die netten, hel­len Häuser einerTraktorenstraße" oder die Rie­senbauten einer Ssiwtsew Wraschek erheben. Die Russen wissen das. Sie haben unzählige Beweise. Und sie gedulden sich. Geduldig stehen sieotschered". Tie endlos langen ReihenSchlangen" sind aus dem Moskauer und.Leningrader Straßenbild noch im­mer nicht verschwunden. Aber man steht nicht mehr um Brot, Gemüse, Milch und Fleisch, wie noch vor wenigen Jahren. Die Lebensmittelab­teilungen der Prodmag, Jusnab, kurz aller Kon- sumgenosienschaften sind glänzend versorgt. In der ehemaligen Twerskaja und heutigen ulice Gorkowo wurde unlängst ein riesengroßer, für jedermann frei zugänglicher Delikatestcnladen er­öffnet. Und die tausende Konservenbüchsen und Marmeladegläfer feinsten Inhalts, die duhende Sorten lebender und geräucherter Fische und fri­scher Gemüse, die verschiedenen Wildbret- und
Geflügelarten werden vom Publikum nicht mehr bloß bestaunt, weil sie zu teuer sind, sondern in Masten gekauft, weil die Preise herabgesetzt wur­den. Die Speisekarten der zahlreichen Restaurants bieten eine vor kurzem noch kaum geahnte Aus­wahl. Und die Kantinen und Büffets der großen Warenhäuser führen verbilligte Menus ein. Es sind keine Eßwaren mehr, auf die die Rusten warten. Es sind vor allem Zeitungen. Der Bedarf an Druckschriften aller Art ist in Sowjet­rußland ungeheuer groß. Und die Papiernot noch nicht ganz behoben.Prawda" undJswestja", die Rcgierungs- und Parteiblätter erscheinen in je einer Million Exemplaren. Um sie jedoch abon­nieren zu können, muß man nachweisen, daß einem die Lektüre gerade dieser Blätter wichtig ist. Sonst muß man sich mit den übrigens durchwegs gedruckten und schön ausgestatteten Fabriks-, Häuserblock- und Fachzeitschriften bzw. Zeitungen begnügen, die in 34 Millionen Exem­plaren täglich herausgegeben werden und sich mit allen, politischen, wirtschaftlichen und lokalen Fra­gen beschäftigen. Und geduldig stehen die Rusten bei den Haltestellen und warten auf die Tram oder den Auto- oder Trolleybus. Die Moskauer   Verkehrs­mittel fahren in sehr unregelmäßigen Abständen, sind ungewöhnlich billig und daher ständig über­füllt. Sie befördern täglich 6 bis 10 Millionen Menschen! Erst wenn nach der eben eröffneten Sokolniki-Linie auch die anderen geplanten Strei­ken der Untergrundbahn derMetro", auf die jeder Moskauer so stolz ist! gebaut sind, wer­den sie entlastet sein; erst dann werden die Pasta- giere genügend Platz in den Fahrgelegenheiten haben. Und nun arbeiten die Komsomolzen, die
Stoßbrigadler Tag und Nacht in sicberhaster Eile« um diese zweiten,. dritten, vierten und fünfte« Linien zu vollenden, einen Teil des immensen' unvorstellbar dichten und lebendigen Verkehrö unter die Erdoberfläche abzulenken. Dieser Verkehr, dieses ununterbrock'ene Ra» sen der eleganten ausländischen und stabilen ruf' fischen Autos, dieses endlose Drängen und Stauen der Masten, dieses Rot-Gelb-Grün-Rot-1 Leuchten der Ampeln, dieses Auffchimmern dek Pfeile und Anzeigen; perechod sdjeSUebergang hier! dieses ganze Vorwärtsstreben und Eile» ist überhaupt zu einem Wahrzeichen der Stadt ge- worden. Aber manchmal sieht man in den Stra- ßen Moskaus   mit ihrer ganzen zuversichtlichen, starken und trotz allen Schwierigkeiten lebensbe­jahenden Atmosphäre einen sonderbaren, schnee­weißen Wagen: auf den vier weißen Rädern Iie*) gen weiße Bretter und zwischen den vier weiße» Pflöcken zu den Längsseiten steht ein weißer Sarg. Langsam zieht ein Pferd an der Deichsel- Langsam gehen zivei oder drei Leute in Werkan­zügen Trauerkleider sind im Sowjetstaat u»-: bekannt hinter dem Wagen her. Die Russe» begraben ihre Toten still, einfach, ohne Pomp- ohne Gesang, fast ohne Blumen. Man sieht sie selten weinen. Nur die allernächsten Verwandte»' nur der beste Freund geben dem Toten das Ge­leit: ein letztes Zeichen der Solidarität und Liebe» ! Ist diese ernste Pflicht erfüllt, dann wende» sie sich wieder ihrer Arbeit zu, dem Aufbau Landes, der Vollendung des zweiten Fünfjahre­plans. Sie trauern nicht um das Gewesene, son­dern schaffen zäh am Gegenwärtigen und bereite» unerschrocken das Zukünftige vor.