Nr. 167Samstag, 2». Juli 1935Seite 8Entdeckungeines Soldaten-Maffengrabesans der Völkerschlacht bei LeipzigWarschau. Wie aus Leipzig gemeldet wird,wurden in der Gegend, die der Schauplatz der Völkerschlacht war, bei Bauarbeiten in einer Tiefe voneinem Meter meisschliche Skelette aufgefunden. Maaglaubt, daß es.sich um ein Massengrab polnischerSoldaten bandelt, die unter dem Befehle desFürsten Jofef Ponietotuski, der dort gefallen ist,kämpften. Die Fundstätte wurde durch den polni»schen Konsul in Leipzig, Czudowski, besichtigt. Einreigene wissenschaftliche Kommission wird die Herkunftder Skelette bestimmen und die Frage entscheiden,ob es sich tatsächlich um polnische Soldaten aus derVölkerschlacht handelt.Die Eisenbahnstrecke Salzburg—Innsbruckist zwischen Leogang— Hochfilzen durch Stein-schlag unterbrochen worden. Die Unterbrechungsoll noch in der Nacht auf Samstag beseitigt werden. Die internationalen Züge werden über denHilfsweg— Rosenheim— Kufstein umgeleitet.Mord oder natürlicher Tod? Die bereitsgemeldete Verhaftung der Frau des Wiener Klavierfabrikanten L u n e r wegen des Verdachtes,daß sie ihre Hausgehilfin Anna Augustin ermordet habe, gibt eine Reihe von Rätseln auf. Nachdem Gutachten des Gerichtssachverständigen ist esmöglich, daß das Hausmädchen eines natürlich e n Todes, und zwar an der sogenanntenPemphigus-Krankheit gestorben ist. Andererseitssind aber auch an dem Körper der Toten Spuren v o n Mißhandlungen festgestelltworden. Frau Luner selbst macht in ihrem Verhör einen überaus verwirrten Eindruck.Ein schweres Erdbeben wurde gestern frühin der Stadt Tokio und in nördlicher Richtungbis Sendai wahrgenommen. Bisher wurden keineSchäden gemeldet. Die Erdstöße dauerten mitkurzen Unterbrechungen etwa 20 Minuten an.Der Flieger Brook, der einen Flug London-Kapstadt unternommen hatte, stürzte bei MersaMatruh ab. Er blieb unverletzt, sein Flugzeugwurde jedoch vollständig vernichtet.Der Hanuibalr macht Ernst... In Martignhim Kanton Wallis ist soeben ein E l e f a n t miteinem Treiber von Paris angekommen. Wie bereitsgemeldet, hat der amerikanische Schriftsteller Halliburton den Elefanten bestellt, um mit ihmnach dem Muster des spanischen Heerführers Hanni«bal eine Alpenüberquerung durchzuführen. Für diese Reise ist folgende Route vorgesehen:Martigny— St. Bernhard— Pisa und Rom. Dieganze Reise wird voraussichtlich 35 Tage dauern.• Eine kuriose Neuheit ist der Versand von Bierin Konservendosen, wie er neuerdings durch- eineamerikanische Brauereifirma betrieben wird. Dadurch werden die Auslagen für den Rücktransportund die Evidenz der leeren Flaschen erspart. Außerdem braucht das Bier beim Umfüllen eine kürzerePasteurisation. Ferner ist das Gewicht um 65 Prozent, die Raumbeanspruchung um 6s Prozent geringer. Angeblich hat die Firma durch diese Neurinführung einen steigenden Umsatz zu verzeichnen.„Lufitama" wird gehoben. Eine Gesellschafthat den Plan gefaßt, den Tresor der am 7. Mai 1915torpedierten»Zusitania" zu bergen, um in den Besitz-er darin befindlichen immensen Werte zu gelangen. Dazu gehören Goldbarren im Werte vonmehreren Millionen Francs. Dafür wurde ein eigenes Schiff namens„Ophir" ausgerüstet, an dessenBord sich Taucher befinden.Ein Brandstifter. Tie Polizei in U z h o r o dderhaftete Aron Hillmann, den Besitzer des Grund«irückes, auf dem sich die Kerzenfabrik der FirmaFriemann und Klein befindet, deren Rohstoffmaga-im dieser Tage ausbrannte. Hillmann wird beschuldigt, den Brand gelegt zu haben, da er mit denbeiden Fabrikanten Differenzen hatte. Bereits inder vergangenen Woche versuchte Hillmann, daSMagazin in Brand zu stecken, doch kam das Feuernicht zum AuSbruch.Wetterlage unbeständig. In Südosteuropa war esauch am Freitag noch sehr warm. Auf der Balkanhalbinsel wurden nachmittags bis zu 35 Grad ver-z.ichnct, und. auch aus Karpathorußland wurden 30bis 31 Grad gemeldet. Di« kühle Luft, welche vonWesten her in Begleitung von Schauern und Gewittern vordringt, ist jedoch bereits bis in die Ost«siowakei gelangt. In einem großen Teil des Binnenlandes betrug die Temperatur Freitag nachmittagsnur 20 bis 22 Grad. An einigen Orten wurden nachHieg-Mällen sogar nur 16 bis 17 Grad verzeichnet.Ter allgemeine Wettercharakter dürst« noch unbeständig bleiben.— WahrscheinlichesWetter von heute: Unbeständig, stellenweisenoch Regenschauer, im allgemeinen jedoch vorüber«»chend verminderte Riederschlagsneigung. Nur mäßigwarm, auch im Osten der Republik Abkühlung, Westwind.— WeiterauSsichtenfür Sonnlag: Andauern des herrschenden Wettercharafters.Jetzt massen Sie unbedingtIhre Blumen mitBlufflen-ZaHberdimgbegießen, wenn sie schön blähen sollen1 Paket Kö 5‘60 durch die Verwaltung„Frauenwelt“, Prag XU., Fochova tf. 62,und bei allen Kolporteuren erhältlichDoloflug nach Kapstadt. Der Engländer Brookist vom Flugplatz Lympne zu einem Soloflug nachKapstadt gestartet, wo er in vier Tagen eintreffenwird.Der sawjetrnffische Dramatiker Sarchi, der beieinem Äntomobilunglückin der Nähe vonMoskau am 17. Juli schwer verletzt worden war,ist Donnerstag seinen Verletzungen erlegen. Beidem gleichen Unglück erlitt der berühmte Filmregisseur Pudovkin einen schweren Nervenschock.Zum Abschluß der großen Flottcnrevuc in Ports»mouth war Dienstag abends ein großes Feuerwerkund eine Illumination sämtlicher Kriegsschiffe, derenmärchenhafte Wirkung noch dadurch erhöht wurde,daß alle Scheinwerfer in Tätigkeit gesetzt wurden.Der ungeheuere Andrang des Publikums geht ausder Tatsache hervor, daß allein in Stokes Bay undLee-on Solent mehr als 100.000 Zuschauer versammelt waren.Motorboot ohne Schraubenantrieb. Vor zweiJähren haben die Versuche mit einem hydrodynamischen Boot des Systems Okena§ ek das Interesse der Oeffentlichkeit erregt.. Dieses Boot wirddurch den Rückstoß deS Wassers betriebenund besitzt daher keine Schrauben. Das DootwmÄe Vertretern ausländischer Staaten vorgeführt.Gegenwärtig sind Bestcllungsverhandlungen imGange. Polen hat, nachdem das Boot von Marineoffizieren des technischen Dienstes der Admiralitätgeprüft wurde, vier solcher Wachboot« und dertschechoslowakische Staat ein G a n z-metallboot bestellt. Die Boot« werden- im\ September bereits im Betrieb stehen.Vom Irrsinn der GegenwartBon Julius Epstein.Bor mir liegt eine Reihe von Zeitungsaus-scknitten aus jüngster Zeit. Es sind kleine, äußerlich unscheinbare Notizen, wie sie der aufmerksameZeitungsleser täglich finden kann. Ich greise willkürlich ein paar dieser Ausschniste heraus:„Rach Meldungen aus Santiago hat sich dieRepublik Chile entschlossen, die enorme Menge von500.000 Schafen zu vernichten, da weder für dieWolle noch für das Fleisch irgendwelche Verwendung besteht. Ter Vertrag von Ottawa verhindertChile an der Ausfuhr von Fleisch und außerdemsind im Land« selbst die Preise außerordentlichgesunken."„Budapest. Dieser Tage wurde polnische Kohleaus Kattowitz über Gdingen auf dem Seeweg überdie Ostsee, die Nordsee, über den AtlantischenOzcan, durch Gibraltar, über das MittelländischeMeer, durch die Dardanellen, über das SchwarzeMeer bis Braila und von dort auf dem Donauweg transportiert. Die normale Bahnsttecke Kattowitz—Budapest über die Tschcchosiowakei beträgtim ganzen etwas über 400 Kilometer und istwesentlich kürzer als allein die Strecke Kattowitz—Gdingen."„Auf Kuba(3.6 Millionen Einwohner) lebenüber 400.000 Menschen in völliger Armut. DasElend ist so groß, daß vor einigen Wochen' dieRegierung der USA sich bereit erklärte,. Nahrungsmittel im Werte von fast 7 Millionen Dollars unterdie Hungernden zur Gratisverteilung zu bringen.Die Gabe wurde refüsiert; aus politischen Gründen, wie eS hieß, weil vermieden werden sollte, daßdie kubanische Regierung, die das Vertrauen Roosevelts, aber nicht das des eignen Dolkes besitze, aufsolche Art gestützt werde.Doktor Chrus Wicker von der Miami-Universität hat jetzt folgende Feststellung mitgeteilt:«Die Annahme der Nahrungsmittel wurdeverweigert, weil sie zollfrei hätten importiert wer«den müssen. Das hätte für das kubanische Schatzamt einen Einnahmcnentgang bedeutet und innächster Folge eine Gefährdung der Zinszahlungauf die Regierungsbonds, die in kubanischem undUSA-Kapitalbesitz sind. Ein Schulbeispiel für dieGrausamkeit, deren die Selbstsucht des Privateigentums fähig ist.'"Arbeitskraft. Beide sind im Uebcrfluß vorhanden.Sie aber genügen, um alle Dinge in ausreichendem Maße herzustellen, alle materiellen Güter,'deren der Mensch begehrt. Läßt man menschlicheArbeitskraft in organisierter Weise auf die unerschöpflichen Rohstoffquellen der Erde los, so erhältman spielend genügend Nahrung, Kleidung, Wohnung, Verkehrsmittel(worunter ebenso Eisenbahnen wie die modernsten Automobile und Flugzeuge zu verstehen sind) uw die gesamte Menschheit— ja das Vielfache ihres heutigen Bestandes— damit glänzend zu versorgen. Dieser einfacheSatz als einfache Feststellung materieller Möglichkeit dürfte einer der wenigen vollkommen unwidersprochenen Aussagesätze über unsere Wett sein,Nur ein wahrhaft notorischer Ignorant kann heutenoch an ihm zweifeln. Tatsächlich ist an ihm seitder endgültigen Widerlegung der Theorien des eng-lichen Pfaffen Malthus, der ihn bestritt, kaum gezweifelt worden. Warum also das ungeheureElend, warum der katastrophale Irrsinn dermassenhaften Warcnvernichtung, der tausenderleiBeschränkungen der Freizügigkeit, der dauerndenKriegsgefahr, warum mit einem Worte der heutigeZustand der Wett?Der Raummangel gestattet nicht, eine theoretische Untersuchung über dies außerordentlichebedeutsame Problem anzustellen. Es ist dies auchnicht notwendig. Sie ist so oft und so gründlich angestellt worden, daß es hier genügt, ihr Ergebnisallgemeinverständlich auszudrücken. Es lautet ganzeinfach: Das ökonomische Elend derW elt rührt nicht von der Unmöglichkeit her, genügend Güter herzustellen, sondern einzig undallein von der Unmöglichkeit,siezuverteilen, esistalsokeinPro-b l e m der. Technik, sondern e i n§der Soziologie.(Wenn heute nicht genügend produziert wird, um alle Menschen gut zuVersorge«, so nicht deshalb^ weil technisch nichtgenug produziert werden könnte, sondern einzigdeshalb, weil das Produkt nicht verteilt werdenkonnte.)Wer verhindert die richtige Verkeilung derproduzierten oder doch leicht produzierbarenGüter? Die Antwort darauf lautet: Die Produ zenten.(Natürlich sind hier unter„Produzenten"nicht die eigentlichen Produzenten aller Güter, dieArbeiter verstanden, sondern die Konstituentenjener Klasse der Produktionsmittelbesitzer, dieKapitalisten.) Ja, die Klasse der Produktionsmittelbesitzer verhindert die auskömmliche Bedürfnisbefriedigung der Welt. Grotesker Weise liegt rskeineslvegs im Interesse des kapitalistischen Schuhproduzenten, daß alle Menschen Schuhe haben,vielmehr liegt es lediglich in seinem Interesse, daßdie Menschen nur unter der Bedingung. Schuhehaben; daß sie diese zu einem Preis von ihm laufen,der ihm einen anständigen Profit sichert. Könnensie diesen Preis nicht zahlen, sondern höchstenseinen, der die Herstellungskosten plus eiiiem kleinenRisikoaufschlag deckt, dann sollen sie lieber garkeine Schuhe haben. Das internationale Stahlkar-,test legt reiitable Eisenwerke dann still, wenn derjeweilige Profit ihm nicht genügend hoch erscheint— im Verhältnis zum Profit eines anderen, oftin einem Nachbarlande arbeitenden Stahlwerkes,das seiner Kontrolle untersteht. Dadurch errcicbres unter anderem, daß die Nachfrage nach Stahlsteigt, somit der Preis, somit der Profit, wenngleichnunmehr nur eine zahlenmäßig kleinere Kon-sumentenmenge ihr Bedürfnis an Stahl befriedigen kann.(Von den durch die Stillegung entstandenen Arbeitslosen ganz zu schweigen I) Kaffeegibt's genug für alle Menschen. Es gibt aber nicktgenug zahlungskräftige und zahlungswilligeKaffeekonsumenten, die bereit wären, die gesamteKaffcernte der Welt zu verbrauchen.(Der Menschlebt nicht von Kaffee allein!) Also schüttet man denzu hohem profitenthaltendem Preise nickt absetzbaren Kaffee ins Meer und erhöht den Preis desübrig bleibenden Restes, um ein Beträchtliches, wodurch natürlich die Konsumentenschicht weiter sinkt,aber der Profit des Kaffee-Erzeugers höher steigtals wenn er die gesamte Ernte zu niedrigem Preise(ohne oder mit ganz geringem Profit) verkaufte.Diese Beispiele können zahllos vermehrt werden.Sie sollten hier nur dazu dienen, das oben Gesagtezu illustrieren. Sie sollten zeigen, daß die Klasseder Produktionsmittelbesitzer, also die Kapitalistenklasse, die heute außerhalb Rußlands die alleinigeInstanz der Entscheidung über das was produziertwerden soll und über das Maß, wieviel davon produziert werden soll, ist, auf Grund eines anderenInteresses entsckeidet als es das der bedürftigenMenschheit ist. Sie entscheidet einzig und allein—und sie muß kraft ihrer Existenzbedingungen alsKlasse so entscheiden— nach ihrem Profitinteresse.Dieses steht aber in stets wachsendem Widerspruchzu dem Interesse der ungeheueren Mehrheit derMenschen, nämlich der arbeitenden. Diese Mehrheitwird gebildet vom Proletariat, von der Beamten-und Angestelltenschaft, von den Mitgliedern derfreien Berufe, soweit sie sich durch die eigene Arbeitvon Hand und Kopf erhalten oder dadurch zuihrem Erhalt beitragen, also von Aerzten, Rechtsanwälten, Schriftstellern, Künstlern usw. usw.,kurz, von weit mehr als von 90 Prozent. jedesVolkes.(Das russische natürlich ausgenommen.)Neunzig Prozent der außerruffifchen Menschheit leiden unsägliche und späteren Generationengeradezu unglaubbar erscheinende Qualen materieller Art, weil zehn Prozent dieser Menschheitdie Verteilung des nötigen und leicht produzierbaren Sozialprodukts— da nicht in ihrem Interesse gelegen— nicht wünschen.Das ist die einfache und ganze Wahrheit.„Die ostenglischc Fischsaison von 1033 beschleunigte die Krise. Die Natur erhöhte dieSchwierigkeiten der Fischer, indem sie einen ganzaußergewöhnlich reichen Fang bot. Das brachte dieSaison vorzeisig zu Ende und verursachte unterder Mehrheit der Fischer große Leiden."„Die bulgarische Regierung hat, um sich denErtrag ihres Zündholzmonopols nicht schwächen zulassen, angeordnet, daß jeder, der dabei bettoffenwird, sich auf der Straße von einem anderen Raucher Feuer geben zu lassen, bestraft wird. Es mußfür jede Zigarette ein neues Zündholz benutztwerden."„Im ganzen wurden also vom Mai 1931 biszum 31. Mai dieses Jahres(1934) 28,392.704Säcke tz 60 Kilogramm Kaffee vernichtet.(Ueber90 Prozent dieser Menge wurden verbrannt.)Sechs unscheinbare, meist ganz klein gedruckteZeitungsnotizen und welch ein Ausmaß von Irrsinn! Wenn irgend ein Privatmann, und nur ersolchem Unfug frönte, er wäre mit Recht längsthinter den Mauern eines Irrenhauses verschwunden, Ivenn ein einziger absoluter Herrscher Derartiges vollführte, die Welt hallte wider von derVerurteilung solcher Monomanie der Raffgier aufKosten der Millionen Mitbürger. Da es aber eineKlaffe— wenn auch eine zahlenmäßig winzigetut—, gilt der, der ihr das Privileg zu solchemTun entreißen möchte, ass Rebell, als Staatsgefährlicher, als Bolschewik und weiß Gott nochwas alles. Dies, wiewohl er sich.in der allerbestenGesellschaft befindet. In der Gesellschaft der erlauchtesten Männer der ökonomischen Wissenschaft,in der Gesellschaft eines Adam Smith, David Ri-earde, Karl Marx, Friedrich List bis zu der unserer Zeitgenossen Oppenheimer und Keynes.Nichts ist für unsere Epoche des Zerfalleskapitalistischer Wirtschaftsformen charakteristischerals die geradezu ungeheure Diskrepanz zwischentechnisch durchaus möglichem Optimum gesellschaftlicher Bedürfnisbefriedigung und dem überaus geringen Maße ihrer wirklichen Durchführung» Esbedarf keines großen theoretischen Studiums, einzusehen,— eS ist vielmehr einem sechsjährigenKnaben möglich—,. daß zur Befriedigung dermateriellen Bedürfnisse der zwei Milliarden Menschen, die auf unserem Planeten wohnen, nichtsweiter notwendig ist als zwei Dinge: Rohstoff undAmel Wunderapostel in Frankreich(AP.) Wo Not und wirtschaftliche Sorgensind, da fehlen nicht die Wunderapostel. Amerikahat seinen Huey Long, seinen(Loughlin undTownsend, England seinen Mosley, Holland seinen Muffert, Norwegen seinen Quisling, Schweden seinen Furugard und Ekström, Rumänien seinen Cuza und Vajda-Voevod. Alle Rattenfängervon Hammeln lassen sich ja nicht hier auf einmalaufzählen. Jetzt hat auch Frankreich seine Wun-deräpostel. Es sind gleich ihrer zwei, die in derGemeinde CizKy im Departement Niivre(Loiregebiet) eine„Diktatur" aufgerichtet haben. Dereine ist der ehemalige Deputierte Philibert Besson,genannt der ,,d(putt Phantome", um dessen Person schon unzählige Legenden gewoben wordensind und der, von einem Gericht wegen Dolumen-tenentwendung abgeurteilt, wegen dieser Gefängnisstrafe seinen Kammersitz verloren hatte. Doneinem Versteck aus, in das er auch Filmreporterberief— einige Tage lief sogar ein Besson-Film,bis er vom Innenministerium verboten wurde—,organisierte er die Wahl seines Freundes Archerzu seinem Nachfolger im Wahlbezirk. Archers Auftreten war nur in der Form von der seines Borgängers verschieden. Er erklärte sogleich am erstenTage in der Kammer, daß die Arbeitsmethoden desParlaments unrationell seien, daß er sie reformieren und daher in jeder Kammersitzung das Wortergreifen werde. Das war sein Debüt. Scherzhaftsagt man, deshalb habe sich die Kammer so langfristig vertagt und es vorgezogen, Laval Vollmachten zu erteilen. Archer ist nämlich der andere Diktator. Er ist gleichzeitig Maire von Cizely undspielt sich dort als unumschränkter Herr auf.Besson und Archer verkünden allen Ernstes,daß sie in Frankreich, dann in Europa und schließlich in der ganzen Welt die Einheitswäh«tun g einführen wollen. In Cizely haben sie bereits mst ihren Experimenten begonnen. Die Bevölkerung ist eingeteilt in Federcs(das sind dieKäufer) und Fidtristes(das sind die Lieferanten). Der Gestehungspreis muß von den FedkrkSin gesehlickem französischem Gelbe gezahlt werden.Darüber hinaus wird der Nutzen in einem anderen Geld, in„Europa-Münzen" gezählt.Vorausgesetzt, daß die Verdienstspanne überallgleich hoch ist, bleckt jedem Lieferanten derselbeProzentsatz an Europageld und richtigem Geld.Tas Neugeld kursiert also in einem geschlossenenKreis und soll damit den Umlauf vermindctn. Dasveranlaßt Besson und Archer zu der Behauptung,daß man faktisch in Cizely alles für die G e-stehungSkosten kaufen könne. Daher sei dortdas Leben um 30 bis 50 Prozent billiger als inFrankreich. Dies System wollen die beiden nun aufganz Frankreich erweitern(bis die Behörden demUnfug ein Ende machen). Besson kündigt bereitsRiesenversammlungen in Paris an, in denen erfür seine Idee werben will. Es wird behauptet—doch ist dies nicht nachprüfbar— daß das Europa-geld bereits außerhalb von Cizely angenommenwerde.Archer, der von Beruf Elektro-Jngenieur ist,und schon einmal eine Kanone erfunden hat, dienachher nicht funktionierte, hat aber noch andereVerrücktheiten auf Lager. Der Kampf zwischenAuto und Eisenbahn soll verschwinden, indem man beide—r verbietet. In Cizely willArcher Schwebebahnen errichten lassen. Eshandelt sich dabei um kleine Gondeln, die demFrachten- und Personenverkehr dienen sollen. Siefallen von nur 15 PS-Generatoren angetriebenwerden, im Betriebe spottbillig sein und eineStundengeschwindigkeit von 250 Kilometern entwickeln. Er behauptet, daß die Errichtung von nuremem Kilometer Schwebebahn nur 200.000Francs koste.Das ist natürlich alles verrückt. Aber daß esBesson gelang, seinen Freund Archer zum Deputierten wählen zu lassen» obwohl sich der ganzqPropagandaapparat der Regierungsparteien aufdiesen einen Wahlsprengel stürzte, das verschafftebeiden bei ihren Landsleuten Sympathie undRespekt, und viele, die vor zwei Monaten noch inein Hohngelächter ausbrachen, erklären heuteschon:„Warum denn nicht?" Die Not treibt denRattenfängern immer Nachläufer zu, nicht nur inCizely!