IENTRALORGAN DER DEUTSCHEN SOZIALDEMOKRATISCHEN ARBEITERPARTEI IN DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK

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15. Jahrgang

Sonntag, 28. Juli 1935

Nr. 174

Abessinien und Oesterreich

Donaupakt als Rückendeckung des italienischen Imperialismus?

Am 31 Juli soll der Völkerbund zusammen- treten. Wie die Dinge jetzt stehen, wird er sich, den Wünschen Italiens gemäß» nur mit dem Konflikt von Ualual und der Ernennung des fünften Schiedsrichters im Haager Prozeß Italiens und Abessiniens befassen. Für den Fall, daß andere Fragen also, wie England es ursprünglich wünschte, der ganze Streitfall zur Diskus­sion gestellt werden, steht die italienische Taktil noch nicht fest. In einer Note an den Völkerbund erklärt die italienische Regierung, daß sie sich für diesen Fall ihre Absenz von, den Genfer Beratun­gen Vorbehalte. Reuter weiß aus Rom zu melden, daß Italien aber auch die Möglichkeit erwägt, an den erweiterten Verhandlungen teilzunehmen, dann aber die Ausschließung Abessiniens aus dem Völkerbund fordern, das heißt also die Beratun­gen praktisch sprengen, beziehungsweise seine ängstlichen Partner zur Kapitulation vor dem ita­lienischen Standpunkt, will heißen, zur Vertagung zwingen würde. Mussolini führt also diplomatisch von neuem und Englands Energie ist bedeutend geschwächt, seit Italien sich zu dem Dolchstoß gegen den Gold­block entschlossen hat, der für die Bank of Eng­ land eine gewonnene Schlacht aufwicgt. Demnach dürfte England nach einigem Tträuben in den Vorberatungen vis zum 31. Juli in Genf doch die beschränkte Tagesordnung anneh- men und den eigentlichen Streitfall auf die ordentliche Ratstagung am 25. August vertagen. Die französtsche Presse kommentiert diese be­vorstehendeEinigung" als großen Fortschritt, denn es sei Zeit gewonnen und man könne in den nächsten vier Wochen ein nenes Kompromiß suchen. Der Zeitgewinn ist aber ein ganz einseitiger Gewinn Jtqliens. Mussolini wird bis zum 25. August soviel Truppen in Erytrea und Somaliland bereit­stehen haben, daß seine Kriegsdrohung viel ernster sein wird als heute. Der Rat wird dann unter dem Damokles-Schwert eines stündlich zu erwartenden Schlachtberichtes tagen. Dagegen ist jetzt der Ter­min für den Beginn der Offensive klimatisch noch ungünstig und die italienischen Truppen reichen noch nicht aus, um einen erfolgreichen Vormarsch wirklich sicherzustellen. Also ist Mussolini daran interessiert, den Verhandlungstermin in Genf aus Ende August zu verschieben. Alle anderen Staa­ten haben bei diesem Kompromiß nur zu verlieren, denn der Appetit des Duce wächst mit jeder Divi­sion, die er nach Ostafrika sendet. Die Rückendeckung Nun ist es für Mussolini ein schwieriges Problem, den abessinischen Knochen ein­zubringen und zugleich das WienerSchnit» Zel nicht aus den Klauen zu lassen. Die Ma­növer in Veneti e^r sollen zwar beweisen, daß Italien stark genug ist, gegen zwei Fronten Ni kämpfen, wie aber liegen die Dinge wirklich? Wir wollen einmal einen Fall konstruieren, der gar nicht so phantastisch ist, wie er vielleicht aussieht: Ja Oestervich kommt eS, während die italienische Armee mit einem Drittel ihrer aktiven Divisionen und einem Teil der Miliz in Ostafrika gebunden ist, zu einem Raziputfch(besonders günstig für Hitler wäre der Fall, daß dem braunen Putsch ein solcher der Habsburger , womöglich mit Intervention der Klein« Entente, vorangegangea wäre). Mussolini läßt wieder wie 1934 seine Divi­ sion « am Brenner und bei Tarvis aufmarschierra. Der Raziputfch siegt trotzdem, wobei vielleicht österreichische Legionäre aus Bayern und Jugofla- wien zur Hilfe herbeieilen. Ter Duee marschiert in Oesterreich ein. Die österreichisch« Regierung die neue Naziregierung«st Deutschlands Hilft an. D«tfchland greift em. Jugosiawi« läßt zum Schutze seiner Interest« seine Truppen ins Goil- tal Vorstoß«, wo sie mit de» Italien «« zusam- mentrefftn. D« europäisch« Krieg ist da. Aber w« ist d«r Angreifer«ach tu» Terminologie des BillerbundeS und des Locarnopaktes? Wird Frankreich Jtali« zu Hilfe kommen? Und wenn eS sich dazu herbeiläht, wird England d« französischen Angriff auf Deutschland nicht als Bruch deS Locarnovertrages erklären? Wird N u tz- lau d den Lünduisfall alS gegeb« eracht«? Kam»

die Kleine Entente wenn Jugoslawien bereits in» Kriege mit Jtali« steht sich gegen Deutschland wenden? All diese Frag« find»ff«, aber sie lasten zu drei Vierteln die Möglichkeit zn, daß Jtali« isoliert kämpf« muß»d« mindestens die Hauptlast deS deutsch « Angriffs zu trag« hat. Diese Gefahren kennt Mussolini sehr gut-. Ihnen möchte er doch mit verläßlicheren Mitteln Vorbeugen als mit seiner Armee. I« Oesterreich selbst geht daS Renn« jetzt darum, die ganze Macht an Starhemberg zu übertragen. Ter merkwürdige Zufall des Autounglücks der Familie Schuschnigg hätte um ein Haar bewirkt, daß der wieder wie am 25. Juli 1934 in Be­ne d i g weilende Starhemberg Oesterreichs Alleindiktator geworden wäre. Es ist kein Zufall, daß in den letzten Tagen die Heimwehr sich auf dir republikanische Garde aufspielt und in Anti- Habsburg-Propaganda macht. Die Banditen, die den Feber auf dem Gewissen haben und gegen die Verteidiger der Republik den Henker mobilisiert haben, treten als Kämpfer gegen die Monarchie auf! Hinter der Komödie steckt der Kampf Schusch­niggs mit den Gangstern der Heimwehr . Schuschnigg möchte sich vor den Schergen Mus­solinis rett«, indem er di« Habsburger zurück ­ruft. Aber Starhemberg möchte Schuschnigg erledig«, solange Mussolini noch der mächtigst» Mann äst der Dona« ist. Hier ist also die e i n e Sicherung Mussolinis: Stärkung des österreichischen TributärfasciSmuS durch Uebertragung der ganzen Macht an Starhemberg , den Söldling Italiens . Der aber sichert Starhemberg gegen die Habsburger , gegen die Nazi, gegen das eigene Volk? Dazu braucht Mussolini den Donaupakt Und so langt an dem schicksalsschweren 27. Juli, da die Waage sich in Genf auf Mussolinis Seite neigt, auch folgende Meldung ein: Paris . Die Privatagentur Radlor ^meldet, daß die französische und die italienische Regierung den Regie­rung« von Rumänien , Jugosla ­wien , der Tschechoslowakei , Un­gar ,n und Oesterreich d« Entwurf eines Donaupastcs zur Prüfung vorgelrgt hab«, der als Grundlage zur Einberufung einer Konfe- rmz dien« soll. Der Entwurf soll ebenfalls Großbritannien zugesandt werd«. Ob er auch an Deutschland geschickt werd« wird, kann bis­her nicht gesagt werd«, da Deutschland noch nicht auf die Anfrage über sein« Standpunkt zum Donaupakt geantwortet hat. Die grundlegenden Punkte dieses Ent- Wurfes seien: 1. Jeder Signatarstaat(also Deutschland nicht!) verpflichtet sich, die Unabhängigkeit nnd territoriale Integrität Oesterreichs zu re­spektier«. 2. Im Falle, daß einer oder der andere der Bertragsstaat« die Bestimmungen des Paktes gewaltsam verletz« würde, soll« alle interessiert« Staat« ungesäumt zu einer Be­ratung zusammentreten. 3. Die Signatarstaat« bestätig« aus­drücklich, daß sie sich nicht in die inne­ren Angelegenheiten der Staa ­ten, die diesem Abkoinmen Veitreten, e i n m i- s ch e n werden(also dem AustrofaseismuS nichts dreinreden!) 4. Dem Staate, der das Abkomme»» mit Ge­walt verletzt und einen Angriff auf andcre vor­bereit« würde, gewährt keiner der Signatar­staaten Hilfe irgendwelcher Art. Unabhängigkeit Oesterreichs ? Dieser Pakt hat ja ausschließlich den Zweck, Hie Abhängigkeit Oesterreichs von Jtali« un­ter die Garantie der Kleinen Entente zu stellen! Da der Paks Deutschland wahrscheinlich nicht zu- geschickt, von Berlin nicht unterzeichnet werden wird, ist er als Gegenscitigkeitspakt wertlos. Da nur d i e Mächte Oesterreichs Unabhängigkeit ga­rantieren sollen, die sie nie bedroht haben(die Staaten der Kleinen Entente nämlich), so wird der Zweck klar:

1. Ander Abhängigkeit Oester« reichsvon Italien soll sich nichts ändern; 2. An dem wirtschaftlichen und politischen Elend Oesterreichs , das diese Abhängigkeit bedingt, desgleichen nichts;. 3. Gegen einen Angriff Deutschlands soU die italienische Kolonie Oesterreich aber in erster Linie durch die Kleine Entente ver­teidigt werden; 4. Mussolini allein gewinnt bei diesem Spiel. Alle andern zahlen drauf. Was zur Herstellung der Unabhängig­keit Oesterreichs nottut, ist nicht der Donaupakt, der die jetzigen Verhält­nisse stabilisiert, sonder« dieDonau- föderation, die neue und lebens­fähige Verhältnisse schafft. Zollunion, Militärkonvention, gemeinsame Exekutive in Fragen der Außen- und Militär- sowie der großen Wirt­schaftspolitik das wäre die Lösung, des mittel-! euroväischen Problems, das würde Oesterreich und den vier anderen Donaustaatcn die Unabhängig­keit von Italien und Deutschland sichern. Aber gerade diese Lösung fürchtet der Duce wie der Teufel das Weihwasser. Daher jetzt der Plan, zu einem Wechselbalg von Donaupakt, der nicht ben Frieden, sondern erhöhteKriegsgefahr bedeutet, der die Kleine Entente verpflichten würde, ihre Soldaten ad maiorem Ducis gloriam, zur höheren Ehre Mussolinis, abschlachten zu las­sen. Daß es Mussolini wieder verstand« hat, Frankreich für diese Ziele ein- z u s p a n n e n, daß er die französische Erregung über ben Dolchstoß gegen den Goldblock mit dem Köder des Donaupaktes(den*Tardieu seinerzeit ganz, ganz anders gemeint hatte) beschwichtigen konnte, beweist nur, was man seit Barthous Tode immer wieder bewiesen sah: die aus Angst und Konservativismus geborene Ahnungslosigkeit der französischen und die rasante Ueberle- genheit der italienischen Außen­politik, die es langsam versteht, ganz Europa für ihre Interessen bluten zu lassen. »»» Mittwoch Sitzung des Völkerbundrats Genf . Nach der Antwort der Mitglieder deS Böllerbundrates beschloß der Ratsvorsitzende Litwinow , daß der Rat am Mittwoch, dem 31. Juli, um 17 Uhr zu einer außerordent­lichen Sitzung zusammentretcn soll. Das Völker­bundsekretariat veröffentlichte Samstag nachmit­tags einerseits die Tagesordnung der außerordent­lichen Ratstagung, die-nur einenVerhand- lungsgegenstand aufweist, und zwar das Ersuchen der abessinischen Re­gierung um die Behandlung des abessinisch­italienischen Konfliktes, andererseits die Note der italienischen Regierung. Die Tagesordnung des Rates zitiert den Teil der Re­solution vom 25. Mai, nach lvelchem, wenn zwi­schen den vier Schiedsrichtern kein Einvernehmen erzielt werden sollte, ein fünfter Schiedsrichter ernannt werden soll. Ferner zitiert die Tagesord­nung des Rates die Telegramme, welche der Ge­neralsekretär des Völkerbundes dieser Tage an die Ratsmitglieder versandt. hat, die bereits bekannt sind. Schließlich enthält die Tagesordnung das gestrige Telegramm des italienischen Mini­sterpräsidenten Mussolini , an den Völker­bund, in dem der italienische Regierungschef auf die zwei an die abessinische Regierung gerichteten italienischen Noten betreffend das Schiedsverfah­ren aufmerksam macht. Außerdem hebt Musso­ lini hervor, daß die italienische Regierung bereit ist, ihren Vertreter in den Rat zu entsenden, wenn sich der Rat mit der Frage befassen sollte, in welcher Weise die Schiedskommission ihre Ar­beiten definitiv beenden soll. Wenn dem nicht so wäre, behält sich die italienische Regierung vor, ihre Bemerkungen zu dieser Angelegenheit be­kanntzugeben.

> Widerstand gegen Sozialpolitik Die Sudetendeutsche Partei In der Untemehmerfront Die Nationalbank kommt in ihrem neuesten Monatsbericht zu der Feststellung, daß die Wirt­schaftslage der Tschechoslowakei im erst« Halb­jahre 1935 etwas günstiger ist als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Diese leichte Besserung hat jedoch bisher die. traurigen sozialen Verhält­nisse, in denen unsere Arbeiterschaft» insbesondere die mindestens eine Million Arbeitslose und Kurz­arbeiter leben, nicht leichter gestalten können. So­ziale Schutz- und Hilfsmaßnahmen sind noch im­mer eine vordringliche Notwendigkeit, wenn auch nur die allerschlimmste Not von den am härtesten betroffenen Opfern abgewendet werden und die arme Bevölkerung nicht wieder gut zu machenden Schaden an ihrer Gesundheit nehmen soll. Dieser Erkenntnis verschließt sich das Unter- uehmertum wie in allen anderen Ländern so auch bei uns. Noch viel hartnäckiger als in Zeiten gün­stiger Wirtschaftskonjunktur leistet es jetzt Wider­stand gegen alle Bemühungen, die den Ausbau der sozialen Gesetzgebung zum Ziel haben. Durch die letzten Wahlen ist ihre, jeden sozialpolitischen Fort­schritt ablehnende Stellung insofern gestärkt wor­den, als die Sudetendeutsche Partei sich in dieser für die Mehrheit unseres Volkes wichtigen Frage vollständig den Unternehmerinteressen unterwor­fen hat. Im Wahlkampf hat sie zwar mit Verspre­chungen und sozialen Verheißungen nicht gegeizt ES sind seit dem 19. Mai nun immerhin schon zehn Wochen vergangen. Doch ist über die erst­parlamentarische Session unserer neugewählteu Nationalversammlung nichts in die Oeffentlichkcil gedrungen, das verriüen hätte, was die Henlein- Partei nun tatsächlich zur entscheidenden Verbesse­rung der sozialen Lage zu erkämpfen entschlossen ist. Es ist nicht bekannt geworden, daß die Sudc- tendeutsche Partei dem Parlament Anträge vorge- legt hat, in denen für die noch in Beschäftigung stehenden Arbeiter der so notwendige Lohnschu» verlangt wird. Sie haben den Parlamentarischci. Kampf nicht begonnen für den Schutz der Arbeite: und Arbeitslosen vor der Unternehmerwillkür bc. Entlassungen und Wiedereinstellungen; nicht da­für, daß durch die Verkürzung der Arbeitszeit vie­len zchntausenden Menschen die Möglichkeit' der Wiedererlangung eines Arbeitsplatzes gegeben wird. Dieser Kampf für die vordringlichen Forde­rungen, die sich aus der durch die Wirtschaftskrise geschaffenen Lage ergeben hab«, liegt auch jctzi ausschließlich bei den Sozialdemokraten und den Gewerkschaften. Sie sind es, die ihren ganzen Ein­fluß geltend machen, um durchzusetzen, was durch­zusetzen ist; sie sind es auch, die den geschlossenen> Widerstand aller Unternehmervertreter abzüwch- rcn haben. Diese dem Ausbau unserer sozialpolitischen Gesetzgebung feindliche Haltung wird von der gan­zen bürgerlichen Prövinzpreffe und von derBo­tz e m i a" mit sehr viel Eifer unterstützt. Die Bohemia" ist bekannt für ihre guten Beziehungen zu Henlein und in ihren Spalten sind beinahe täg­lich Beweise für die innigste politische Gesinnungs- verwandtschast mit der Sudetendeutschen Partei zu finden. Sie ist auch seit längerer Zeit schon der Schuttabladeplatz für alle sozialreaktionären Er­güsse und wird gerade jetzt von den Verfechtern dec Unternehmerinteressen als solcher sehr gern be­nützt. Im Brennpunkt des sozialpolitischen Kamp­fes steht noch immer die Einführung der Vierzig- Stundenwoche und die obligatorische Arbeitsver­mittlung. Es liegen seit Monaten schon die Ge­setzentwürfe fertig vor und gegen sie konzentrier» sich daher der Angriff aller Feinde einer groß­zügigen Sozialpolitik. Dabei kommen derBotzemia" auch nicht die geringsten Skrupel, sich der Argumente der tsche­chischen nationalistischen Presse zu bedienen. Sic gab vor ein paar Tagen einen Artikel der- rodni Lisch" wieder, in dem sich dieses tschechische rechtsradikale Organ gegen das Gesetz über die obligatorische Arbeitsvermittlung mit der Begrün­dung wendet, daß die Gefahr bestünde, daß sich in den einzelnen Bezirken vor allem die Parteien der Arbeitsvermittlungsstell« bemächtigen. würden, die dort am stärksten sind. Das wäre namentlich in den Grenzbezirken höchst bedenllich, weil dort der Machtbereich der Sudetendeuffchen Partei liegt. Die ikBohemia" sagt gegen diese Demagogie der tschechischen Sozialreaktionäre kein Wort. Daß es