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Sonntag, 28. Juli 1935
Nr. 174
Aalberse gescheitert Haag. Der Vorsitzende der katholischen Fraktion der zweiten Sammer, Professor Aalberse, hat gestern abends die Königin gebeten, ihn von dem Auftrag zur Bildung einer neuen Regierung zu rntbiwdo». Er teilte mit, daß er sich nach Rücksprache mit den Fraktionsvorsttzenden der zweiten Kammer davon habe überzeugen müsse«, daß keine genügende Ueier- einstimmung zu erzielen sei» um ein Kabinett auf möglichst breiter parlamentarischer Grundlage zusammenstrllen zu können.
sich dabei wirklich nur um Demagogie handelt, ist jedem klar, der die Entstehungsgeschichte und den Zweck des Gesetzes kennt, der ja vor allem darin besteht, die Arbeitslosen vor politischen Maßregelungen dadurch zu schützen, daß der Unternehmer, also auch der sudetendeutsche Unternehmer, bei Wiedereinftellungen die Auswahl nicht nach der politischen Gesinnung vornehmen darf. Wäre es etwas anderes als Demagogie, so müßten ja die Sudetendtutsche Partei und die„Bohemia" mit allem Nachdruck für das Gesetz eintreten. Aber in dem gleichen Artikel wird ein Protest der Banken wicdergegeben, die behaupten, daß die Vorlage Bestimmungen enthalte, die»jeder Vernunft widersprechen, geradezu schädlich und gefährlich" seien. Mit diesem Protest identifiziert sich das deutsche Blatt ebenso, wie eS die demagogische Leistung der»Närodni Lisch" hinnimmt. Die Hauptsache ist, daß die Hetze gegen den sozialpolitischen Fortschritt wieder ein Stück vorwärts gebracht wird. Einen Tag später gibt die„Bohemia" einem sogenannten Wirtschaftsführer, dem Handelsrat Machold sen. in Freudenthal das Wort, der von neuem den volkswirtschaftlichen Unsinn breittreten muß, daß die Vierzig-Stundenwoche den Export konkurrenzunfähig mache. Wie armselig es um die sachlichen Argumente des Unternehmertums gegen diese Gesetzesvorlage bestellt ist, das eben beweist dir Artikel des Handelsrats. Es genüge, nur einen Widerspruch herauSzugreifen, den sich der Verfasser und die„Bohemia" sehr wahrscheinlich in der Spekulation leisten, daß die Menschen unserer Zeit sehr rasch vergessen. In dem Artikel wird gesagt, daß die Einführung der 40-Stundenwoche unmöglich sei, solange diese nicht international be- schloffen ist. Es sind erst ein paar Wochen vergangen, seit auf der Internationalen Axbeitskonfertnz über die internationale Einführung der 40-Siun- denwoche verhandelt wurde. Dort also hätten Vertreter der Unternehmer aus dex Tschechoslowakei für die internationale Regelung emtreten wüsten. Sie sind aber hort bekanntlich als die schroffsten Gegner aufgetreten. Das ist vorbei, und jetzt kommt einer von ihnen und macht ihre Einführung in unserem Lande von der internationalen Regelung, die sie eben belämpft haben, abhängig. An dem Widerstand und an den Mitteln, mit besten er geltend gemacht wird, sicht die Arbeiterschaft, daß ihr in ihrem Kampse um die Bessrr- gestaltung ihrer sozialen Lage keine Hilfe aus anderen Klassen wird, daß sie einzig und allein auf die" eigene Kraft, auf die Stärke, die die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften zu entfesseln vermögen» angewiesen ist. Alle anderen Hoffnungen sind trügerisch— das hat die Henleinpartei denen bewiesen, die ihr gefolgt sind.
Neue Drohung gegen die ungarische Sozialdemokratie Bauarbeiterstrelk als Vorwand für neue TerrormaBnahmen?
Budapest . Die Bauarbeiter sind Mittwoch unter dem Druck der maßlosen Lohnkürzungen und des täglich gesteigerten Raubes ihrer g e w e r k s ch a f t I i ch e n R e ch t e in den Ausstand getreten. Der Handelsminister Bornemisza gab nun gestern dem Vertreter des amtlichen ungarischen Korrespondenzbüros zu diesem Streik Erklärungen ab, die in eine deutliche Drohung gegen die Sozialdemokratie ausklangen. Er-erklärte, daß die sozialdemokratisch organisierten Bauarbeiter unter anderem Forderungen aufstellen, die prinzipiell abgelehnt werden müßten, so die nach Einführung des Vertrauensmännersystems und der ausschließlich gewerkschaftlichen Arbeitsvermittlung. Mit unmißverständlicher Drohung fügte er hinzu: „Die sozialdemokratisch gesinnte« Arbeiter find trotz Kenntnis dieses Standpunktes des Ministeriums in den Ausstand getreten und haben diesem somit den Charakter einer Machtprobe gegeben." Das Ministerium sei zwar bereit, sich für die „billigen" Forderungen der Arbeiterschaft einzu
setzen,„eine Fortsetzung des Streikes darüber hinaus aber wäre ein klares Zeichen der Machtprobe". Man kennt diese Methode„autoritärer" Regierungen sehr gut. Im März 1933 war es die „Machtprobe" des Eisenbahner st reiks in O e st e r r e i ch, die die Regierung Dollfuß als fadenscheinigen Anlaß zum Bruch der Verfassung, zur Zerschlagung des Parl am e n t s und schließlich zum BernichtungSkampf gegen jede legale Arbeiterbewegung benutzte. Will Herr Gömbös den Bauarbeiterstreit in Budapest nun ebenfalls zum Lorwand für einen entscheidenden Schlag gegen die sozialdemokratische Partei nehmen? Die ungarischen Genossen haben bereits sehr klar ihre Antwort auf diese Pläne erteilt: wenn !Herr Gömbös an Stelle des offenen parlamentarischen Meinungskampfes den illegalen revolutionären Ka m p f auf Biegen oder Brechen will, dann möge er es versuchen!
Kleine Wochenschau
Der Staatswagen fährt
Es werden viele rote Tulpt*. blähen
Arbeitslosigkeit in USA steigt wieder Washington . Nach den Statistiken des Industrie-Amtes wurden im Monat Juni in den Ver einigten Staaten 9,804.000 Arbeitslose gegenüber 9,709.000 im Monate Mai und 9,252.000 im Monat Juni 1934 gezählt. Die Arbeitslosigkeit ist also— nach dem Mißlingen der NRA -Experimente— wieder im Ansteigen begriffen.
Vor den englischen Wahlen London . Der Unterstaatssekretär für das Innenministerium, Euan Wallace, bestätigte gestern in einer Rede in Barnsney das Gerücht über bevorstehende Neuwahlen. Er erklärte, das Land sei nicht mehr weit von einem jener kritischen Augenblicke entfernt, die sein Schicksal für die nächsten fünf Jahre entscheiden werden. Der Kampf gehe um ein Programm, in dem zwei Fragen entscheidend sein werden: nämlich die Erhaltung des Friedens und die Beschaffung von Arbeitsmöglichkeiten. Vie Marseiller Attentäter Marseille . Das Schwurgericht in Aix gab den drei kroatischen Terroristen P o s p i s i l, K r a l j und R a d i ä, die bekanntlich der Teilnahme an dem Attentat auf den König Alexander und an der Ermordung des Ministers Barthou sowie der Benützung falscher Pässe angeklagt sind, bekannt, daß es die Anklage gegen sie auch wegen ihrer Zugehörigkeit zur terroristischen Vereinigung „U st a s a" ausdehn«, welche während der letzten zehn Lahre in Frankreich und in anderen fremden Staaten Attentate vorbereitete und verübte. Die drei Angeklagten wurden Samstag in Anwesenheit ihres Advokaten verhört. Die Angeklagten erklärten, daß sie weder Terroristen noch Gewalttäter, sondern Patrioten gewesen seien und daß sie innerhalb zehn Tagen dem Gerichte über die Angelegenheit ein schriftliches Memorandum vorlegen würden.
Konkordat Vatikan —Belgrad Stadt des Vatikans.(Stefani.) Das mit Jugoslawien geschlossene Konkordat wird nach der Ratifizierung veröffentlicht werden. Das Konkordat setzt fest, daß die Grenzen der Diözesen in den Grenzgebieten sich mit den jugoslawischen Staatsgrenzen decken müssen. Die Diözese Nin wird erneuert und zwei neue, u. zw. für die Batschka und für das Banat , errichtet. Der Bischof von Split wird Metropolit. Das Konkordat setzt außerdem die Art der Ernennung der Bischöfe fest.
Ole Interparlamentarische Union Brüssel.(Tsch. P.-B.) Auf der Konferenz der Interparlamentarischen Union wurde gestern der Tätigkeitsbericht für das vergangene Jahr verlesen. Der französische Unterrichtsminister Mario Roustaa führte u. a. aus, daß die Interparlamentarische Union von friedliebendem Geiste durchdrungen sei. Nach ihm sprach noch eine Reihe anderer Redner, die dem Wunsche nach einer Stärkung des Böllerbundes Ausdruck gaben. Der schwedische Senator P a b l y sprach seine Verwunderung darüber aus, daß an dem Kongreß die Vertreter von Ländern teilnehmen, in denen kein parlamentarisches Regime existiere.
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Sie war nicht nur bereit, ihr Leben für die Fkguen, denen man ein Unrecht zufügte, für die unhübschen besonders, herzugeben, sondern sie sah auch ein« von Goll gesandte Gelegenheit, nochmals an der unverschämten Magdalena Rache zu üben. Vorderhand beherrschte sich Frau Duffek noch, denn sie vermißte authentische Einzelheiten. Mit Beinstellers Ankunft hatte sie die Situation geändert. Dieser Mann wußte alles Nötige, denn er stieß furchtbare Drohungen aus, drängte sich durch den Knäuel der Neugierigen und flog wie eine Bombe in die Wohnung der Chalupa. Selbstverständlich folgten ihm alle andern, die Duffek an der Spitze. Ein überraschendes Bikd bot sich ihnen. Beim Tische weinte Mutter Chalupa leise— man wußte nicht, ob vor Glück oder Schuldbewußtsein—, auf dem Sofa äber saßen die Verlobten und küßten einander so eifrig, daß sie die neue Situation gar nicht wahrnahmen. Erst als Beinsteller donnerte:„Was bedeutet das?", erschrak Herr Foltr. Magdalena ließ sich aber nicht aus ihrer Ruhe bringen und sagte schnippisch:„Was kümmert das Sie, Herr Beinsteller?" „Es kümmert mich so viel, wie es jeden ordentlichen Menschen kümmert", wetterte Beinsteller. „Verwechseln Sie es hier nicht mit der Elektrischen?" fragte Magdalena bissig. Was stehst du wie ein Stock, Mutter, und schlägst den Leuten nicht die Mr vor der Nase zu, die die Gewohnheit haben, sie in fremde Wohnungen zu stecken I"
„Bin ich eigentlich bei ChalupaS«wer bin ich in Sodom", fragte Beinsteller. „Am besten wärs, das Frauenzimmer ordentlich durchzuprügeln", rief die Duffek.„Schauen Sie sich die Unverschämte gut an. Sie hat noch das Erinnerungszeichen an unser Gericht in ihrer Fassade, Sie wissen doch, damals, als sie meinen Mann verführte! Und schon greift sie nach dem Mann ihrer eigenen Schwester!" Herr Foltr schien von dieser Mitteilung einigermaßen überrascht und erklärte:„Ich erlaube nicht, daß von meiner Braut so gesprochen wird." „Mensch", schrix die Duffek,„uns wollen Sie befehlen, uns, die Ihre Braut mit meinem Mann erwischt haben? Sie hat Ihnen gewiß auch nicht erzählt, daß sie ein schulpflichtiges Kind hat! Sie wissen gewiß nicht, daß der Hanslitschek ihretwegen eingesperrt ist, weil er ihr zuliebe gestohlen hat, und daß sie vor ein paar Tagen von der Polizei aufgegriffrn wurde, weil sie halbnackt und betrunken den Park unsicher machte. Sie wissen auch nicht, daß sie bei dem Doktor Assistentin war und nicht mehr zu ihm zurück darf." Bis jetzt hatte Herr Foltr keine Silbe von all den Auschuldigungen geglaubt, Aber die letzten Worte! Die auffallende Aehnlichkeit Magdalenas mit der Assistentin des Dr. Knobloch!„Magda- lenchen", rief er,„was sagen Sie dazu?" „Was ich sage?" rief Magdalena wild. „Daß Sie sofort die Stube verlassen, verstanden? Ein Mann, der solches Zeug glaubt, kann mich nicht lieben!" Als die Angelegenheit an diesem Punkt angelangt war, konnte bei Beinsteller von Wut nicht mehr die Rede sein. Der arme Herr Foltr tat ihm aufrichtig leid. Er war hinlänglich gestraft, wenn er Magdalena heiratete. Ein teuflischer Gedanke ging Ferdl durch den Kopf:„Frau Duffek", rief ex ganz plötzlich,„ich staune, daß Sie solche Dinge sagen! Jeder weiß, daß Magdalena einen Fratzen hat. Aber das ist schon so lange her und man kann ihr es verzeihen. Sonst ist Magdalena
aber ein braves Mädel, und ich habe die größte Lust, diesem Herrn hier ein paar Ohrfeigen zu geben. Nicht weil er großmütig ist und ihr diesen Balg verzeiht. Aber weil er Fräulein Sophie überflüssigerweise ins Gerede gebracht hat." „Aber Herr Beinsteller", stotterte die entsetzte Duffek.„Ich habe doch... ich... der Jaro- flav und Sie..." „Frau Duffek", sagte Beinsteller schroff und trat so nahe zu ihr, daß sie erschrocken zurückwich. „Ich spreche die Wahrheit, und wer sich hineinmischt, wird es mit Herrn Dcinsteller zu tun kriegen." „Aber Herr Beinstellerl" piepste die Duffek. Doch Beinsteller wußte, daß er ganz andere Interessen hatte als Frau Duffek und diese einfältige Frau nie die feine Grausamkeit seiner teuflischen Rache verstehen konnte. Er schob sie einfach hinaus und stemmte sich mit aller Kraft gegen die Tür, daß niemand herein könne. Dann sagte er höflich:„Lieber Herr, verzeihen Sie, daß ich Sie in Ihrer angenehmen Beschäftigung gestört habe, und glauben Sie diesen Weibern kein Wort. Sie beneiden einfach die Magdalena." „Ich bin ja wie in einem Märchen", rief Herr Foltr.„Magdalenchen, kannst du mir verzeihen?" Magdcklena verzieh und warf Beinsteller strahlende Blicke zu. Hierauf bat Herr Foltr Beinsteller, ihnen Gesellschaft zu leisten, was Beinsteller ablehnte und sich empfahl. Die Chalupa nahm er mit. Bor dem Hause angelangt, legte er die Maske des höflichen Gratulanten ab und sagte, zu der alten Frau gewendet:„Falls man in der Hölle tine Schwiegermutter braucht, die Stelle ist für Sie reserviert." „Herr Beinsteller", schluchzte die Chalupa, „verurteilen Sie mich nicht, ich hab' es gut gemeint. Als ich sah, daß sich der Foltr auf den ersten Blick in die Magda verschossen hatte, sagte ich mir:„Was hätte Sophiechen davon, wenn ich's
nicht zugäbe. Und ich segnete die beiden, damit er wenigstens in der Familie bleibt." Das fünfundzwanzig st e Kapitel führt uns in die idyllische Familie des Diebes Petri- cek ein und gibt eine nähere Beschreibung der Reise, die LoisiS angetreten bat. Beinsteller war wie auf Nadeln, als er von der fassungslosen Mutter Chalupa Abschied nahm. Er hatte bei der ganzen Geschichte an die Hauptperson, an Fräulein Sophie, vergessen. Jetzt flog er davon, bedauerte, daß das Prager Pflaster keine Spuren^bewahrte, und stellte sich die entsetzlichsten Dinge vor. Das unglückliche Mädchen hat sich's gewiß zu Herzen genommen und ist ins Wasser gegangen, da sie jetzt weder einen Bräutigam noch ein Zuhause hat und zch— ich habe mich indessen kleinlich an dem Büffel, detst Foltr, gerächt. Da ihn aber selbst in den Augenblicken größter Aufregung sein gesunder Menschenverstand nicht verließ, dachte er, Sophie werde gewiß„zum Wasser" gegangen sein. Er hoffte zuversichtlich, einem Automobil zu begegnen, das er nehmen wollte, um sie einzuholen. Das gelang ihm auch, bevor er die ZiZkover Grenze erreichte; seine Vermutung war richtig gewesen. Er sah die bekannte Gestalt, die sich mit gesenktem Kopf müde weiterbewegte, und es bedurfte keines besonderen Scharfiinns, um zu wissen, daß Fräulein Sophie ohne Ziel ging, wohin sie ihre Füße trugen. „Gott syi Lob!" jubelte Beinsteller im stillen. „Sie ist keine von den Wütenden, die unter das erstbeste Auto springen. Er entlieh den Wagen und näherte sich schüchtern Fräulein Sophie. Sie blickte ihn grenzenlos erstaunt an, als sei es nicht der Ferdl Beinsteller, sondern ein Wesen aus einer anderen Welt. Als sie aber in seinen Augen nur grenzenlose Ergebenheit, Mitleid und Achtung las, kehrte sie in die Wirklichkeit zurück und sagte schluchzend:„Sie wissen schon davon, Herr Beinsteller?"(Fortsetzung folgt.)